Protocol of the Session on November 23, 2000

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Deuschle REP: Warum nicht?)

Herr Schönbohm hat 1998 in einem Papier diesen Begriff verwendet, und erst jetzt kam Herr Merz in diesem Jahr, und nun gibt es plötzlich diese künstliche Aufregung.

Ich kann an dieser Stelle nur eines sagen: Ich werde den Verdacht nicht los, dass es um etwas ganz anderes geht.

In der Tat muss man sich ja den Hintergrund dieser Debatte ansehen. Da gab es zunächst einmal nicht die Frage der Zuwanderungsgesetzgebung, sondern es war ja die Kampagne gegen Rechts, die seit Juli dieses Jahres läuft. Das war der entscheidende Punkt, der dann dazu führte, dass sich Aufregung über das Land legte.

Der entscheidende Punkt war der Versuch der SPD, einen ganz bestimmten Bereich aus der Diskussion und vor allem aus späteren Wahlkämpfen herauszuhalten.

(Abg. Deuschle REP: Ja!)

Ich darf in diesem Zusammenhang mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus der FAZ vom 24. Oktober zitieren. Herr Kohler hat dort in einem wirklich lesenswerten Beitrag unter der Überschrift „Linke Leitkultur“ unter anderem Folgendes ausgeführt:

Die Sozialdemokraten verfolgen mit dem Versuch, das Regeln der Zuwanderung zu einem überpolitischen Gegenstand zu erklären, ein taktisches und strategisches Ziel. Bei der Hessenwahl verlor die SPD ein Bundesland an die CDU, weil sie unterschätzt hatte, wie sehr das Ausländerthema das Wahlvolk bewegt. Dieses Trauma wirkt fort. Noch einmal will die SPD nicht in eine solche Lage kommen, schon gar nicht bei der Bundestagswahl. Daher sucht sie schon jetzt zu bestimmen, demokratische Parteien dürften solche Themen in Wahlkämpfen nicht anfassen.

(Abg. Deuschle REP: Hört, hört!)

Genau darum geht es, meine Damen und Herren. Der demokratische Diskurs wird einfach eingeschränkt. Über bestimmte Dinge dürfen wir reden, und über andere Dinge dürfen wir nicht reden, und das, meine Damen und Herren, ist linke Leitkultur, die bei uns im Land etabliert werden soll.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Marianne Erdrich-Sommer Bündnis 90/Die Grünen: Unver- schämt!)

Dagegen müssen wir uns klar und deutlich zur Wehr setzen, und dies umso mehr, als es wirklich um eine entscheidende Frage geht. Es geht ja nicht nur um einzelne Änderungen im Ausländerrecht und um die Frage, ob man nun das Asylrecht so oder so gestaltet. Hier geht es vielmehr um die Grundsatzfrage: Was wollen wir in der Zukunft eigentlich für eine Gesellschaft? Wollen wir diesen Kulturrelativismus, diesen überzogenen Kulturpluralismus, den die Linke fordert? Oder sind wir nicht der Überzeugung, dass die Friedensfähigkeit unserer Gesellschaft voraussetzt, dass sie ein Mindestmaß an verbindlichen Werten kennt und dass sie auch ein Mindestmaß an Homogenität kennt? Das ist die entscheidende Frage.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Dr. Salo- mon Bündnis 90/Die Grünen: Jetzt aber mal einen Punkt! – Abg. Deuschle REP: Richtig!)

Herr Salomon, weil Sie vorhin schon wieder dazwischengequakt haben, will ich Ihnen zum Schluss noch etwas vorlesen, was Bassam Tibi 1996 geschrieben hat. Sie haben das ja offensichtlich gar nicht gelesen, sondern nur Zei

tungsartikel zur Kenntnis genommen. Bassam Tibi schreibt in einem Aufsatz im Dezember 1996:

Das Bestehen auf einer Leitkultur, aus der die verbindlichen Werte herrühren, sowie die Forderung nach einer Integration der Zuwanderer werden von den Kulturrelativisten als „Rassismus“ verfemt.

(Abg. Deuschle REP: Aha!)

Da hat er genau den Mechanismus beschrieben, den wir heute wieder gesehen haben. Es wird ganz klar versucht, jede Form, jeden Ansatz, hier klare Grenzen zu ziehen, wo die Belastbarkeit unserer Gesellschaft überschritten ist, zu diffamieren und zu denunzieren. Deswegen führen Sie hier diese Debatte, wegen nichts anderem.

(Beifall bei den Republikanern)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Salomon.

(Abg. Deuschle REP: Jetzt muss es aber besser werden!)

Herr Oettinger, ich bin von Ihrem Redebeitrag nicht schlauer geworden. Sie haben sich um den Begriff herumgemogelt.

(Zuruf von den Republikanern: Ich glaube, Sie werden auch nicht mehr schlauer!)

Aber ich möchte jetzt zu Aspekten sprechen, bei denen wir, glaube ich, auch Gemeinsamkeiten haben – aufgrund der Tatsache, dass Sie sich bewegt haben.

Erstens: Wir wollen der Debatte überhaupt nicht ausweichen. Herr Ministerpräsident, Sie haben meines Erachtens völlig Recht: Themen, die aus der Bevölkerung kommen, müssen diskutiert werden. Unser Anliegen war es immer nur, daraus nicht, wie 1999 in Hessen geschehen, Kampagnen, Verkürzungen, Polemiken oder Unterschriftenaktionen zu machen. Eine Diskussion der Sache befürworten wir immer, da sind wir uns einig.

(Abg. Dr. Birk CDU: Das wurde immer von Ihnen eingebracht! Wir wollten es gar nie! – Abg. List CDU: Gestern hat es sich anders angehört!)

Nein, das wurde hier immer falsch dargestellt. Da sind wir uns einig.

Zweiter Punkt, Herr Kollege Oettinger: Wir sind dafür, dieses Thema zu lösen und noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz zu machen – vor 2002 –, nachdem die Süssmuth-Kommission ihren Bericht vorgelegt hat. Da hat Herr Kollege Pfister Recht: Es ist Bewegung in die Sache gekommen; da ist Dampf in die Sache gekommen. Noch vor einem Jahr hat es so ausgesehen, als wäre das alles nicht möglich.

Voraussetzung dafür – das ist der dritte Punkt – ist einfach – da hat Herr Kollege Maurer Recht –, dass man erst einmal akzeptiert, dass diese Einwanderung in Deutschland seit Jahrzehnten stattfindet. Wenn man das akzeptiert, kann man sich daranmachen, Integration aktiv zu betreiben. Wenn man dies nämlich nicht tut, wie Sie das 16 Jahre lang

getan haben, und die Fiktion aufrechterhält, das seien alles Gastarbeiter, die irgendwann wieder gehen, dann muss man sich um die Dinge ja auch nicht kümmern.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Um welche Dinge muss man sich kümmern? Es ist hier in der Debatte angesprochen worden, und ich will es noch einmal wiederholen, weil dies eigentlich auch Konsens ist, zumindest so, wie Sie Ihre Leitkultur – diesen Unbegriff – definieren, zumindest hier im Plenum. Es geht um die Akzeptanz des Grundgesetzes, weil im Grundgesetz nämlich die Grundrechte verankert sind. Das Grundgesetz ist unsere Verfassung; das muss jeder akzeptieren. Aus diesen Grundrechten leiten sich unsere Rechtsform und die Gesetze ab. Jeder, der hier leben will, muss natürlich die Gesetze akzeptieren; das ist auch klar. Um diese Gesetze und um die Verfassung verstehen zu können, sollte man in Deutschland einigermaßen die deutsche Sprache beherrschen; das ist auch klar.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Einig! – Abg. Deuschle REP: Was heißt „einigermaßen“?)

Das alles ist klar; da sind wir uns alle einig. Das ist aber auch einigermaßen banal. Es hat auch nie jemand irgendetwas anderes behauptet, zumindest weiß ich davon nichts.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn Sie diesen Begriff überhaupt nehmen wollen und sich auf Bassam Tibi berufen wollen: Er hat in diesem Falle darunter die europäische Leitkultur verstanden.

Zu Ihnen, Herr Schlierer: Das war die Absage an den Multikulturalismus in dem Sinne, dass „Multikulti“ bedeuten sollte, dass die unterschiedlichsten Kulturen in einem Land nebeneinander existieren. Das ist nicht unser Anliegen, das will ich noch einmal ganz deutlich sagen.

(Abg. Mayer-Vorfelder CDU: Das habt ihr doch 20 Jahre vertreten!)

Kultureller Pluralismus findet immer auf der Grundlage der Verfassung statt, Herr Mayer-Vorfelder:

(Abg. Dr. Schlierer REP: Jetzt schreien Sie aber herum, Herr Salomon! – Zurufe von der CDU – Unruhe)

auf der Grundlage der Verfassung und darauf, dass derjenige, der hier lebt, die deutschen Gesetze beachten und einigermaßen die deutsche Sprache sprechen muss.

(Abg. Keitel CDU: Ganz neu! – Zurufe von den Republikanern – Unruhe)

Es gibt Menschen in Ihren Reihen, die behaupten jetzt: Wenn ich nach Amerika gehe, dann muss ich mich auch an die amerikanische Hausordnung halten.

(Zuruf des Abg. Hans-Michael Bender CDU)

Es gibt aber nicht so etwas wie eine amerikanische Leitkultur, sondern die amerikanische Kultur besteht aus einer Vielfalt von unterschiedlichen Kulturen auf der Grundlage

der amerikanischen Verfassung. Das ist doch der entscheidende Punkt.

(Abg. Hauk CDU: Das ist doch eine ganz andere Historie! Das ist doch gar nicht vergleichbar!)

Das Gleiche meint Bassam Tibi zu Europa. Auf dieser Grundlage müssen wir uns verständigen. Wir müssen uns darüber verständigen, wer hereinkommen soll. Da hat die Wirtschaft die Richtung vorgegeben.

(Zuruf von den Republikanern: Überhaupt nicht!)

Ihre dauernde Polemik gegen das Asylrecht ist vielfach widerlegt worden. Das ändert an den Verfahren überhaupt nichts. Erstens sind es schon sehr viel weniger Anträge, und zweitens sind aufgrund europäischer Regelungen

(Zuruf des Abg. Mayer-Vorfelder CDU)