Protocol of the Session on October 26, 2000

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen wir einfach noch einmal die Fakten Revue passieren. 1995 setzt die dafür zuständige achtköpfige Kommission des Kultusministeriums Rolf Hochhuths „Eine Liebe in Deutschland“ auf die

Literaturliste für das Abitur 2002 der beruflichen Gymnasien.

(Abg. Hauk CDU: Das war der erste Missgriff!)

Bekannt ist die Rolle Hans Filbingers als Marinerichter im Dritten Reich. Das ist ja noch einmal vom Kollegen Reinelt dargelegt worden. Dieses Buch hat maßgeblich zum Sturz Filbingers beigetragen. Filbinger selbst fühlt sich bis heute zu Unrecht verfolgt.

1996 bestätigt das Kultusministerium die Literaturempfehlung dieser Kommission für das Abitur 2002. Zwei Wochen nach Schuljahresbeginn für die relevanten Jahrgänge wird das Buch als Pflichtlektüre zurückgezogen. Begründung: Es sei zu wenig Sekundärliteratur vorhanden. Diese Behauptung muss korrigiert werden. Es ist genügend Sekundärliteratur vorhanden. Die nachgeschobene Begründung heißt jetzt: Es ist zu wenig didaktisch aufbereitete Sekundärliteratur vorhanden. Das heißt, es fehlt so etwas wie der übliche Standardkommentar für die Schüler zu einem solchen Werk.

Als Schlenker muss ich dazu sagen: Es ist eigentlich nicht das Bild, Frau Ministerin, das Sie sonst von unseren Lehrern zeichnen, nämlich dass sie Stücke nur behandeln können, wenn dazu Standardkommentare vorliegen, mit denen sich dann die Schüler und Lehrer vorbereiten können.

(Abg. Brechtken SPD: Im politischen Bereich schon! Leitkultur!)

Wenn Standardkommentare nicht vorhanden sind, ist es offensichtlich nicht möglich, ein vernünftiges Abitur zu machen. Ich habe Sie nicht so verstanden, dass das bisher Ihr Bild der Lehrerschaft ist.

Jetzt gibt es Proteste des Schriftstellers. Diese Proteste gipfeln in dem Vorwurf rechtsradikaler Umtriebe der Ministeriumsspitze. Diese Vorwürfe sind nicht nur maßlos, sie sind natürlich ungeheuerlich.

(Zurufe von der CDU: Sehr gut!)

Sie müssen auch entschieden zurückgewiesen werden,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der CDU und der FDP/DVP)

in erster Linie deshalb, weil es nicht geht, dass man mit der Kritik an der Regierung jede Grenze überschreitet; aber wenn man schon solche Vorgänge als rechtsradikale Umtriebe bezeichnet, muss für die Leute eine völlige Verwirrung herrschen, was überhaupt noch Rechtsradikalismus ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der CDU und der FDP/DVP)

Jedenfalls macht das natürlich die ganze Auseinandersetzung nicht einfacher.

Jetzt kommt der nächste Schritt. Die Kommissionsmitglieder treten – die Informationen sind nicht einheitlich, jedenfalls meine ist so – mehrheitlich zurück. Jetzt muss man doch bei dem Bemühen, die Angelegenheit fair zu beurteilen, fragen: Wie soll die Öffentlichkeit das angesichts die

ser Vorgänge eigentlich anders werten, als dass da eine politische Intervention erfolgt ist? Wie soll das denn nach der Faktenlage anders bewertet werden? Ich weiß es nicht. Jedenfalls können und müssen Sie, Frau Ministerin, hier heute darlegen, dass das nicht der Fall ist. Das ist unser Wunsch und unsere dringliche Bitte. Sonst bleibt ja an unserem Land hängen, dass Literatur, die politisch nicht opportun ist, aus den Lektürelisten gestrichen wird. Man muss schon sagen: Der Umgang der Union mit Schriftstellern war ja bekanntlich nicht immer sehr glücklich, von den „Pinschern“ Erhards über die „Ratten und Schmeißfliegen“ Franz Josef Strauß’ usw.

(Zurufe der Abg. Weiser und Dr. Birk CDU)

Das gehört ja zu der Melange alles dazu.

Jetzt müssen Sie darlegen, dass das nicht der Fall ist, und zwar in einer überzeugenden Weise, und warum Sie den Vorschlag einer Kommission erst genehmigen und dann wieder zurückziehen und dann gestufte Erklärungen nachschieben. Sie sind da sicher in einer schwierigen Situation. Ich kann mir da eigentlich gar nichts anderes vorstellen, als dass Sie erklären – es ist ja nicht die erste Panne, die wir zum Abitur erleben, wir erleben ja fast jedes Jahr, dass die Zentralprüfung eigentlich nie glatt über die Bühne geht –, dass in Ihrem Haus in solch wichtigen Fragen Vorgänge ablaufen, die Sie offensichtlich nicht richtig in der Hand haben, und dass Sie Selbstkritik üben müssen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kiesswetter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zuerst möchte ich die Kritik von Hochhuth an der Landesregierung, an den Beamten entschieden zurückweisen. Ich halte die Behauptung für völlig überzogen und für unverschämt,

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

hier würden irgendwelche rechtsradikalen Tendenzen vorherrschen. In den acht Jahren, in denen ich hier im Parlament bin, habe ich noch nie gehört und noch nie erlebt, dass so etwas von einem von mir bisher geachteten Schriftsteller behauptet wird.

(Abg. Hauk CDU: Das wirft ein Bild auf die Qua- lität der Literatur!)

Das zeigt, dass dieser Schriftsteller zurzeit einen Realitätsverlust hat und aus dem weit entfernten Berlin den Vorgang hier gar nicht genau beobachtet, aber blinde Kritik übt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Das Ärgerliche an dieser Sache ist natürlich, dass eine gewisse Kritik am Vorgehen der Kultusministerin oder der Ministerialbeamten durchaus berechtigt ist. Dieses Vorgehen erfolgt in einer Zeit, in der wir gegen Rechtsradikalis

mus ankämpfen. Wir hatten in der letzten Plenardebatte durchaus eine sehr qualifizierte, hoch stehende Debatte gegen Rechtsradikalismus, und alle vier demokratischen Parteien haben sich dagegen gewandt und haben auch aufgezeigt, dass hier der „Wolf im Schafspelz“ sitzt und dass wir unseren ganzen Kampf gegen die Republikaner ausrichten müssen, die scheinheilig hier sitzen und eigentlich den Rechtsradikalismus vertreten.

(Beifall bei der FDP/DVP und der SPD sowie Ab- geordneten der CDU)

Unter solchen Vorzeichen ist natürlich die Herausnahme des Buches von Hochhuth aus der Pflichtlektüre ein falsches Signal, Frau Ministerin.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der FDP/ DVP und des Bündnisses 90/Die Grünen)

Wir erreichen mit Maßnahmen der Politik und der Gesellschaft natürlich nicht diejenigen, die Steine werfen und Synagogen anbrennen. Das sind Unverbesserliche, die nur mit den Mitteln der Strafjustiz verfolgt werden können. Aber wir könnten wenigstens die Leute erreichen, die Sympathisanten sind, die nachdenken könnten und die wir durch Argumente überzeugen können.

Deshalb, meine ich, soll gerade in der Schule die Literatur über den Nationalismus, über die Wirkungen des Nationalismus auch als Pflichtlektüre behandelt werden. Ich habe mich beim Staatsschauspiel hier erkundigt. Es sind 13 gängige Werke, die hier zurzeit aufgeführt werden, die besprochen werden und für die es genügend Sekundärliteratur gibt. Daher hätte ich erwartet, Frau Ministerin, dass Sie, wenn Sie schon das Buch von Hochhuth aus der Pflichtlektüreliste herausnehmen, was vielleicht aus didaktischen Gründen notwendig ist, ein anderes Buch als Pflichtlektüre eingesetzt hätten. Das ist meine Forderung.

Es wäre ein viel besseres Mittel – das muss ich hier auch sagen –,

(Unruhe)

im Gymnasium Literatur zu behandeln, die sich sowohl mit den Betroffenen als auch mit den Tätern auseinander setzt. Das ist die Aufgabe der Schule, und diese Aufgabe soll durchgeführt werden. Ich halte so etwas für besser als zum Beispiel ein NPD-Verbot. Ein NPD-Verbot bringt viel weniger als eine gute Schule, die sich um diese Themen kümmert.

Frau Ministerin, ich halte Ihnen in dieser Frage ein fehlendes Fingerspitzengefühl vor und bitte Sie, zu überdenken, ob in sämtlichen Gymnasien nicht andere Werke als Pflichtlektüre eingesetzt werden könnten.

In der zweiten Runde wird meine Kollegin Berroth noch Ausführungen machen.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Schlierer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich in der Tat heute früh gefragt, was die SPD eigentlich mit dieser Debatte will. Dann habe ich die in einer Aktuellen Debatte vom Blatt abgelesene Betroffenheitslyrik des Kollegen Reinelt vernommen.

(Beifall bei den Republikanern – Widerspruch bei der SPD)

Da habe ich mich wieder gefragt: Was soll dieses ganze Theater? Nun habe ich den Eindruck, dass auch andere Vorredner nicht so ganz wissen, was sie hier eigentlich vortragen sollen.

Herr Kollege Kiesswetter, ich muss Ihnen empfehlen, sich das nächste Mal vor einer solchen Debatte wenigstens zu informieren oder zumindest die Zeitung zu lesen. Denn einiges von dem, was Sie hier vorgetragen haben, hätten Sie längst wissen können, zum Beispiel, durch welches Buch das Buch von Hochhuth ersetzt worden ist usw. Hier wurden auch absurde Verknüpfungen vorgetragen, die überhaupt nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun haben.

Von Ihnen, Herr Kollege Rech, hätte ich natürlich schon auch noch gern ein paar klare Worte zu dem gehört, was hier heute auch einmal ausgesprochen werden muss.

(Abg. Rech CDU: Ich habe keine Redezeit! – Abg. Pfister FDP/DVP: Der hat gar nichts gesagt! – Abg. Kretschmann Bündnis 90/Die Grünen: Sie sollten sich einmal informieren, wie die Abgeord- neten heißen!)

Entschuldigung, ich meinte Herrn Kollegen Rau. Ich bitte Sie, mir diesen Versprecher nachzusehen.

Der Kollege Rau hätte ja vorhin auch einmal ein paar klare Worte zu dem sagen können, was hier sicherlich auch noch einmal auf die Tagesordnung gesetzt werden soll, nämlich zum „Fall Filbinger“, den wir jetzt auch einmal als „Fall Hochhuth“ hier behandeln müssen.