Protocol of the Session on April 6, 2017

Für die Linksfraktion hat der Kollege Zillich das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auseinandersetzung mit der Geschichte ist nicht nur eine Aufgabe für Sonntagsreden, sie ist auch nicht nur eine Aufgabe, wo die Geschichte als Folie für tagespolitische Auseinandersetzungen genommen und vor allerlei parteipolitische Karren gespannt wird, sondern hier geht es auch um geschichtspolitisches Tun. Das ist Gegenstand dieser Anträge, und deswegen bin ich froh, dass wir heute einen verabschieden und zwei einbringen können.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Worum geht es dabei im Einzelnen? Es geht zum einen darum, die Situation der Opfer in den Blick zu nehmen, Ausgleich und Anerkennung für ihre Situation, für erlittenes Unrecht zu leisten. Dabei geht es einerseits um eine Debatte um ein Anliegen, das die CDU hier ins Parlament eingebracht hat, das aber nicht neu war, das in diesem Parlament schon eine Tradition über mehrere Jahre hat, von verschiedenen Antragstellerinnen; ich glaube, auch Bündnis 90/Die Grünen hatten ein ähnliches Anliegen in der letzten Wahlperiode eingebracht, wo es darum geht, durch die Gewährung konkreter Erleichterungen bei der Teilhabe am öffentlichen Leben nicht nur eine Einkommensarmut auszugleichen, sondern auch Anerkennung zu gewähren. Deswegen gehen wir hier den Weg der Gewährung des Berlin-Passes, der als Modell vorliegt. Wir fordern darüber hinaus den Senat auf zu prüfen, inwieweit weitere Opfergruppen in den Genuss dieser Leistungen kommen können.

(Martin Trefzer)

Zum Zweiten geht es darum, dass wir Bundesratsinitiativen unternehmen wollen und den Senat dazu auffordern zu überprüfen, inwieweit die verschiedenen Instrumentarien der Opferentschädigung und des Ausgleichs nicht überarbeitet werden müssen. Das betrifft einerseits Dinge wie Anpassung der Leistungen an die Inflation, das betrifft Dinge wie Erleichterung des Nachweises der Anspruchsberechtigung, und es geht auch darum – das ist ausführlich dargestellt worden –, dass die Befristungen der Anspruchsberechtigungen aufgehoben werden sollen. Das sind wichtige Signale, die wir hier gemeinsam setzen. Das ist eine Initiative der Koalition. Dass FDP und CDU mit raufgegangen sind, ist ein guter Beleg dafür, dass dieses Anliegen hier breit getragen wird. Beim dritten Antrag geht es darum, dass wir den Senat auffordern, sich vorzubereiten auf den 30. Jahrestag der friedlichen Revolution in der DDR, der 2019 ansteht. Hier geht es um konkretes geschichtspolitisches Agieren. Hier geht es darum, Erinnerungen wachzuhalten. Hier geht es darum, wie Kollege Otto richtig gesagt hat, auch zu betrachten: Welche Erinnerungskultur pflegen wir denn, und inwieweit wollen wir sie vielleicht verändern, weiterentwickeln?

Aber es geht eben auch darum – das ist uns besonders wichtig –, die Erinnerung an die konkrete Zeit, an die politisch Aktiven wachzuhalten. Gerade angesichts mannigfaltiger tagespolitischer Überformung dieser Erinnerung geht es uns darum, authentische Zeugnisse dieser Auseinandersetzung, authentische Zeugnisse der DDROpposition wachzuhalten. Es geht darum, die Impulse, die in dieser friedlichen Revolution deutlich geworden sind, die Impulse an Mut, an Kreativität, an Demokratisierungswillen, an Selbstermächtigung, die Erfahrungen von Selbstermächtigung und von Befreiung, die damit einhergehen, wachzuhalten als eine wichtige politische Erfahrung für ein demokratisches Gemeinwesen. Deswegen, glaube ich, ist es wichtig, dass dieser Tag, dass dieses 30-jährige Jubiläum der friedlichen Revolution wachgehalten wird. Ich sage es ganz deutlich: Der Mauerfall ist ein ganz wichtiger Teil darin und ein wichtiges Ergebnis dessen. Aber diese friedliche Revolution zu reduzieren auf den Mauerfall, ist etwas, was ihr nicht gerecht wird. Deswegen müssen wir uns sehr gut darauf vorbereiten, und der Senat hat diesen Auftrag.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen]

Vielen Dank! – Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Förster das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Heute ist ein guter Tag für die Opfer der SED-Diktatur. Gleich drei Anträge beschäftigen sich mit

den unterschiedlichen Facetten der Aufarbeitung, Rehabilitierung und Erinnerung und werden von einem breiten Konsens in diesem Hause getragen. Dies ist ein starkes und wichtiges Signal nach außen. Das Land Berlin und sein Landesparlament nehmen in der DDR erlittenes Unrecht ernst und versuchen dort, wo es noch notwendig ist, Verbesserungen bei der Wiedergutmachung zu erreichen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Die kurzfristigen Maßnahmen, die anerkannt politisch Verfolgten in den Kreis der Berechtigten für den BerlinPass aufzunehmen und das Sozialticket zur Verfügung zu stellen, dokumentieren, dass endlich auch anerkannt wird, dass gerade viele Opfer der SED-Diktatur eben auch in ihrer beruflichen Entwicklung stark eingeschränkt waren, was wiederum zu deutlich niedrigeren Renten führt, insbesondere auch im Vergleich mit den einstigen Tätern, die sich dank höchstrichterlicher Entscheidung in vielen Fällen noch einer satten Rentennachzahlung erfreuen konnten.

Um eine weitere materielle Schieflage zu vermeiden und hier auch eine als gerecht empfundene Lösung zu gewährleisten, sind die in der Bundesratsinitiative angesprochenen Punkte sehr wichtig. Der Inflationsausgleich bei der Opferrente, die Ausweitung der Ausgleichsleistungen für verfolgte Schüler und für Opfer von Versetzungsmaßnahmen des MfS sind ebenso bedeutsam wie Erleichterungen bei den oft nur mühsam ursächlich nachweisbaren gesundheitlichen Folgeschäden. Auch das drohende Auslaufen der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze muss im Sinne einer weiteren Abarbeitung der dort noch offenen und notwendigen Punkte unbedingt vermieden werden.

Ich hoffe sehr, dass der breite Konsens in diesem Haus dazu beiträgt, dass das Land Berlin im Kreise der 16 Länder damit Erfolg hat, und diese Punkte im Jahr 28 des Mauerfalls endlich angegangen werden.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Steffen Zillich (LINKE) und Silke Gebel (GRÜNE)]

Denn vergessen wir nicht, die Frustration bei vielen der einstigen Opfer ist hoch, und alle Parteien, die diese Anträge heute richtigerweise eingebracht haben, waren in der einen oder anderen Konstellation auf Landes- oder Bundesebene in Regierungsverantwortung. Und das Verhalten bei der Besserstellung von Opfern der SED-Diktatur war damals oftmals, zumindest was die Geschwindigkeit der Umsetzung betrifft, eben leider auch kein Ruhmesblatt. Wie schrieb doch Dieter Dombrowski, der Bundesvorsitzende der UOKG, der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, gerade im Januar 2017 in seinem Editorial für den „Stacheldraht“, die Zeitung der Opferverbände, ich darf zitieren:

(Steffen Zillich)

Wir erwarten als Opfer, dass uns angetanes Unrecht nicht nur anerkannt, sondern wiedergutgemacht wird. Wir mühen uns redlich, sind aber realistisch bei der Einschätzung unserer Kräfte, denn wir sind nicht der Bundesverband der Deutschen Automobilindustrie, sondern eine kleine Gruppe ohne wirkliche Macht. Wir haben vor allen Dingen aus moralischen Gründen Ansprüche zu stellen, aber die moralischen Gründe sind kein ausreichendes Druckinstrument. Und dennoch freuen wir uns auch über die Erfolge für jene Opfer der SED-Diktatur, denen etwas geholfen werden konnte.

Lassen Sie uns also in diesem Sinne gemeinsam handeln, damit zum 30. Jahrestag der friedlichen Revolution 2019 nicht nur ein breites Angebot an die damaligen Ereignisse erinnert, sondern auch die Menschen, die zwischen 1949 und 1989 in der DDR Unrecht erlitten haben, ohne Bitterkeit und mit Stolz auf ihr geradliniges Verhalten, das ihnen zahlreiche Nachteile eingebracht hat, zurückblicken können. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der AfD]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, und wir kommen zu den Abstimmungen. Es wird die Überweisung des Antrages Drucksache 18/0248-Neu an den Ausschuss für Integration, Arbeit und Soziales empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Zu dem Antrag Drucksache 18/0058 empfiehlt der Hauptausschuss einstimmig mit allen Fraktionen die Annahme in neuer Fassung. Wer dem Antrag in neuer Fassung im Wortlaut der Beschlussempfehlung Drucksache 18/0258 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen sowie der fraktionslose Abgeordnete. Damit ist der Antrag angenommen.

Zum Antrag Drucksache 18/0247-Neu wird die Überweisung an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.5:

Priorität der AfD-Fraktion

Tagesordnungspunkt 22

Beschulung durch türkische Konsulatslehrer beenden

Antrag der AfD-Fraktion Drucksache 18/0245

hierzu:

Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 18/0245-1

In der Beratung beginnt die AfD-Fraktion, und hier hat Herr Dr. Curio das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin! Geehrte Abgeordnete! Die AfD-Fraktion beantragt, der Senat möge die Zulassung von Unterricht durch türkische Konsulatslehrer beenden bzw. ihn ersetzen. Laut Auskunft des Senats wird solcher Unterricht in Türkisch und Heimatkunde erteilt, einschließlich Islamkunde. Grundlage sei eine EU-Richtlinie, so der Senat. Tatsächlich gilt diese Richtlinie nur für Mitgliedstaaten der EU, anzuwenden nur auf Kinder von Wanderarbeitern. Eine Anwendung auf EU-Fremde ist rechtlich nicht möglich, integrationspolitisch weder angezeigt noch ratsam. Der dort genannte Zweck,

damit insbesondere ihre etwaige Wiedereingliederung in den Herkunftsmitgliedsstaat erleichtert wird,

wirkt einer Integration sogar definitiv entgegen.

Weiter wird laut Senat dieser Unterricht – angeblich gemäß der Richtlinie – „in alleiniger Verantwortung der diplomatischen Vertretungen“ erteilt, Lehrplan und Inhalte lägen in der Verantwortung der Herkunftsländer. Tatsächlich steht in der Richtlinie:

Die Mitgliedstaaten treffen nach Maßgabe ihrer innerstaatlichen Verhältnisse und ihrer Rechtssysteme in Zusammenarbeit mit den Herkunftsstaaten geeignete Maßnahmen …

Zur Heimatkunde teilt der Senat mit, dass diese islamische Religionskunde einschließt. Tatsächlich findet sich nichts zum Gegenstand Religion in der Richtlinie. Mit seiner unzutreffenden Darstellung der Rechtslage möchte der Senat offenbar den realen Verhältnissen nachträglich eine Grundlage zusprechen.

Die im Schulgesetz vorgesehene Möglichkeit eines Angebots zum Erlernen der Muttersprache hebt nicht die allgemeinen Regeln an deutschen staatlichen Schulen auf. Wo spezielle Verordnungen dem zugrunde liegenden Schulgesetz widersprechen, sind diese nichtig. Das Schulgesetz gilt natürlich auch bei einer Nutzung der Angebote Dritter, hier der Türkei; deshalb sind die Lehrkräfte nach deutschen Richtlinien auszubilden und die Vorschriften betreffs Lehrmaterial einzuhalten. Dies ist jedoch nicht der Fall!

[Beifall bei der AfD]

Zur Frage der Schulaufsicht teilt der Senat mit, dass, sollten ihn Beschwerden erreichen betreffs Verstöße gegen das Schulgesetz, so wäre dies mit dem türkischen Generalkonsulat zu beraten. Zur Frage, welcher Un

(Stefan Förster)

terricht überhaupt inspiziert wird, erfährt man: „der an Schulen angebotene Konsulatsunterricht als Angebot Dritter allerdings nicht“. Das heißt, keine Inspektion, keine Abhilfe bei etwaigen Regelverletzungen. Diesen Senat erreicht nichts! Offenbar dient dem Senat die Bezeichnung des Unterrichts als Angebot Dritter als Alibi für die jahrelange Hinnahme rechtlich unhaltbarer Zustände wie etwa der Verletzung der Aufsichtspflicht.

[Beifall bei der AfD]

Aber auch angesichts der politischen Entwicklung der Türkei verbietet sich ein von dort gesteuerter Unterricht, gar in Heimat- und Religionskunde. Nicht auszuschließen wären integrationspolitisch negative Folgen und – schlimmer noch – eine Beeinträchtigung des inneren Friedens hierzulande.

Man blicke etwa vergleichsweise auf die Ditib-Moscheen, deren Imame letztlich dem türkischen Außenministerium unterstellt sind. Die finanzielle und ideologische Abhängigkeit von Diyanet, die Einschüchterung deutscher Politiker nach der Armenienresolution, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz – all dies führte mit Recht zur Kündigung von Staatsverträgen durch Bundesländer. Die Berliner Koalitionsfraktionen aber senden ein fatales „Weiter so“-Signal an die Türkei, wenn sie den Antrag gegen einen Ditib-Staatsvertrag hier zu Fall bringen.

Ähnlich staatsnah auch die Verhältnisse beim Konsulatsunterricht: Linientreue Personen werden eingesetzt, regimekritische ausspioniert. Was für Lehrpersonal wird Erdoğan uns wohl schicken bei seinem autokratischen Staatsumbau? Voriges Jahr wurde dort bei laufendem Programm der letzte regierungskritische Fernsehsender geschlossen, aus deutscher Sicht ein unerhörter Vorgang: Die Türkei hatte noch einen regierungskritischen Fernsehsender. Wie dort mit der Opposition umgegangen wird, erfahren wir täglich aus den Nachrichten. Hierzulande wäre das Entsetzen allgemein, wenn die Regierung mal eben parlamentarische Spielregeln, sagen wir beim Alterspräsidenten, ändert, nur um das Äußerungsrecht der Opposition zu beschneiden. Der Aufschrei wäre sicher groß!

[Beifall und Heiterkeit bei der AfD]

Wir hören von Erdoğan:

Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind.