Denn jede Sekunde – wie Sie, Frau Kofbinger, richtig festgestellt haben – kann über Leben und Tod entscheiden. Aus diesem Grund liegt die lebensrettende, schnelle Hilfe z. B. durch eine Herzrhythmusmassage oft in den Händen von Passanten, die sich zufällig in der Nähe des Unfallortes aufhalten. Genau hier setzt die ErsthelferApp, die wir Liberale Ihnen heute vorstellen möchten, an.
Wie funktioniert diese App? – Sie richtet sich an Freiwillige, die helfen wollen. Das können z. B. Ärzte, Sanitäter oder Menschen, die bei der DLRG arbeiten, sein, und diese Leute können sich bei der Feuerwehr als mobiler Retter registrieren lassen. Sie bekommen dann zunächst ein Training, das sie absolvieren müssen, damit auch sichergestellt ist, dass qualifizierte und ausgebildete Personen diese mobilen Retter werden. Sobald nun ein Notruf bei der Feuerwehr eingeht, kann die Leitstelle feststellen, welcher der mobilen Retter sich in der Nähe des Verunglückten befindet. Dieser erhält dann über die App eine Nachricht und kann noch vor dem Eintreffen der Feuerwehr eine schnelle Erstversorgung einleiten wie, den Verunglückten zu stabilisieren oder eine Herzrhythmusmassage durchzuführen.
Um das hier gleich deutlich zu sagen: Die mobilen Retter sollen nicht etwa die Feuerwehr oder andere Rettungsdienste ersetzen. Sie sollen auch nicht in Konkurrenz zu diesen stehen, sondern Hand in Hand mit Feuerwehr und Rettungsdiensten zusammenarbeiten und diese unterstützen, indem sie die Erstversorgung einleiten, die eigentlich jeder Passant leisten müsste, der in der Nähe eines Unfallgeschädigten ist. Genau das tun viele Passanten eben nicht. Sind wir doch mal ehrlich zu uns selbst: Wann haben Sie das letzte Mal einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht? Würden Sie sich zutrauen zu helfen, wenn es darauf ankommt? Ich sage ganz ehrlich: Bei mir ist es etwas lange her, und ich werde demnächst meine Erste-HilfeKenntnisse auffrischen.
[Beifall bei der FDP – Beifall von Roman Simon (CDU) – Beifall von Catherina Pieroth-Manelli (GRÜNE)]
Die Ersthelfer-App ist übrigens nicht neu. Sie ist bereits in unterschiedlichen Stätten im Einsatz, und das sehr erfolgreich. Das können wir dann aber im Ausschuss für Gesundheit noch mal genauer angucken, da verschone ich Sie jetzt mit Zahlen und Fakten. Ich bitte Sie allerdings, unseren Versuch zur Einführung einer Ersthelfer-App zu unterstützen. Reden wir nicht nur von der Digitalisierung, sondern nutzen wir ihre Möglichkeiten, um die wachsende Stadt besser zu machen. Die App fördert zusätzlich das freiwillige Engagement. Sie nutzt mehr, als sie kostet, und – das ist das Wichtigste – sie kann Leben retten.
Daher, liebe Kollegen von den Regierungsfraktionen, träumen Sie nicht nur von Fairtrade-Mehrwegkaffeebechern und Lastenfahrrädern, sondern wagen auch Sie mal einen Schritt in die Zukunft, indem Sie der Einführung dieser lebensrettenden Technologie Ihre Unterstützung geben. – Vielen Dank!
Vielen Dank! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt der Abgeordnete Herr Isenberg das Wort. – Bitte schön!
Frau Präsidentin! Bevor ich meine Rede beginne: Ist die Gesundheitssenatorin entschuldigt, oder können Sie sie informieren? Ich würde Wert darauf legen, dass die zuständige Verwaltung bei der Beratung dieses Tagesordnungspunktes anwesend ist.
Es ist gut, den Innensenator zu sehen, allerdings liegt die Federführung im Gesundheitsressort. Deshalb hatte ich auch „Gesundheitssenatorin“ gesagt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Senatorin! Dieser Antrag weist auf ein sehr wichtiges Themenfeld hin. Ich danke der FDP ausdrücklich dafür, dass sie die Notwendigkeit der höheren Kommunikation und der Bildung der Allgemeinbevölkerung zum Thema „Ersthelfer und Ersthilfe“ aufgreift.
Wir werden uns im Ausschuss sehr gründlich unterhalten, welche Bildungs- und Schulungsmaßnahmen am geeignetsten sind und welche weiteren Instrumente es gibt, die die Durchdringung und auch die Hilfesysteme stärken, sodass vermeidbare Folgen eines Herzstillstands auch vermieden werden. Ich bin andererseits nicht so wie Sie der Meinung, dass wir hier in Berlin ein katastrophales System hätten, aber es macht natürlich Sinn, dass jeder Mann und jede Frau besser weiß, wie man sich verhalten muss. Insofern müssen wir schauen, dass wir in die Auffrischungskurse und Erste-Hilfe-Kurse mehr investieren und prüfen, wie wir dort bereichsübergreifend tätig werden können.
Ob jetzt Ihre App die einzig wahre Lösung ist, daran möchte ich ein Fragezeichen anbringen – bei diesem Mix an Maßnahmen, die wir aufbauen müssen. Aber Sie zeigen mit Ihrem Antrag ein zweites wichtiges Themenfeld auf, was wir sicherlich auch im Ausschuss ergänzend ausführlich beraten werden. Das ist nämlich die Rolle der digitalen Gesundheit, das ist die Frage der Apps als Gesundheitscoachinginstrument für den gemeinen Bürger, das ist die Frage der Expertensysteme, die online verfügbar sind, und das ist auch die Frage des Wirtschaftsfaktors Gesundheit in dieser Stadt. Wir haben eine blühende Industrie in dieser Region, die davon lebt, Existenzgründungen zu finanzieren, und die sich genau mit der Frage dieser Gesundheitsapps auseinandersetzt. Es ist auch eine gesundheitspolitische Frage, welche Hebel wir dort in Gang setzen wollen, um diese Produktinnovationen zur Marktreife zu entwickeln. Welche stiften einen Mehrwert auch für den Verbraucher? Ich kann ja nicht jede App empfehlen.
Liebe FDP! Insofern vielen Dank an Sie für den Hinweis, sich dieses Themas anzunehmen, denn wir müssen natürlich auch schauen, wer diese Apps im Zweifelsfall finanziert! Es kann ja nicht von der öffentlichen Hand jede App bezahlt werden. Da müssen wir im Zweifelsfall eine Güterabwägung vornehmen. Wir müssen schauen, welche
App einen maximalen Nutzen für die Patientinnen und Patienten oder für die Verbraucherinnen und Verbraucher bringt, und gleichzeitig diese Diskussion mit der Wirtschaftspolitik verschränken, weil es inzwischen ein Standortvorteil der Hauptstadtregion ist, viel VentureCapital in dem Markt der Gesundheitsapps zu haben.
Sie sehen also: zwei wichtige Themenfelder. Im Koalitionsvertrag haben wir das am Beispiel der Pflege aufgegriffen. Die Senatsgesundheitsverwaltung wird sich auch dieser digitalen Gesundheitswirtschaft im Bereich Pflege beispielsweise annehmen. Das heißt, das ist ein sehr wichtiger Antrag. Vielen Dank, dass Sie ihn eingebracht haben! Wir werden ihn sicherlich aufdröseln, in dem Sinn, wie ich es eben benannt habe. Wir werden ihn an der einen oder anderen Stelle fortentwickeln und uns auch mit dem System der ehrenamtlichen Helfer, mit dem Roten Kreuz, mit dem ASB, mit der Johanniter-UnfallHilfe und den anderen verständigen müssen, wie wir das Wissen in der Allgemeinbevölkerung für Erste-HilfeMaßnahmen ausbauen können – unter Umständen mit einer App, aber sicherlich auch weit darüber hinaus. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Vielen Dank! – Für die Fraktion der CDU hat jetzt der Abgeordnete Dr. Ludewig das Wort. – Bitte schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist ein guter Antrag von der FDPFraktion, der auch ein wichtiges Thema aufgreift. Wir sehen, dass es in unserer wachsenden Stadt eine deutliche Steigerung der Alarmierung der Rettungsdienste von 2004 bis 2014 gegeben hat. Über 50 Prozent Wachstum hat es gegeben. Die Eintreffzeit eines Rettungswagens in Berlin liegt im Schnitt bei 9,42 Minuten, obwohl das vorgegebene Zeitmaß bei 8 Minuten liegt. Wir sehen also, dass es im Bereich der Notfallrettung wirklich etwas zu tun gibt. Herr Kollege Kluckert hatte das ja schon ausgeführt.
Um nicht viele Dinge zu wiederholen, die schon gesagt wurden, möchte ich nur auf einen Aspekt hinweisen, den wir uns noch mal anschauen sollten. Nicht alles muss neu erfunden werden. Es gibt ja bereits Regionen, einzelne Städte in Deutschland, die solche Apps anwenden – beispielsweise Ingolstadt, Gütersloh oder das Emsland, wo man bereits auf Erfahrungen zurückgreifen kann. Es gibt vor allem auch international klare Ansatzpunkte. Beispielsweise hat Israel mit einer App, die sich United Hatzalah nennt, seit 2006 ein solches System im Einsatz. Dort hat man es geschafft, mit einer solchen App die durchschnittliche Eintreffzeit von 8 Minuten auf jetzt 4 Minuten zu reduzieren. Ich würde mich freuen, wenn
wir versuchen, auch aus den Erfahrungen in Dänemark, das diese App nach Europa geholt und dort zur Anwendung gebracht hat, zu lernen und nicht Fehler in der Entwicklung und in der Anfangsphase zu wiederholen. Wir sollten Dinge, die in den anderen Ländern gut funktionieren, übernehmen.
Ein dritter Punkt, und ich glaube, das ist der alles entscheidende: Sie sind in dem Antrag ein bisschen schwammig, was das Thema Ausbildung und die Frage, wie wir diese Helfer qualifizieren, angeht. Auch dazu gibt es im Ausland bereits konkrete Erfahrungen. In Israel werden diese Personen über sechs Monate extra geschult, denn eines darf natürlich nicht passieren, dass wir nachher eine App ins Spiel bringen, wo jemand drauf drückt und sagt: Ja, ich helfe! –, diese Hilfe aber nachher falsch leistet, sodass wir genau das Gegenteil von dem erreichen, was wir wollen. Insofern freuen wir uns erstens über diesen Antrag und zweitens auf die Diskussion im Ausschuss, um zu schauen, was wir aus dem Ausland lernen können und wie wir das Thema der Fortbildung dieser Helfer gemeinsam angehen können. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Abgeordnete Dr. Albers das Wort. – Bitte schön!
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen, meine Herren! Auch wenn die Wiederherstellung der Kreislauffunktionen gelingt, verstirbt ein großer Teil der rund 75 000 Patienten, die pro Jahr in Deutschland außerklinisch einen Herz-Kreislauf-Stillstand erleiden, innerhalb der nächsten 30 Tage, und zwar nicht an der dem HerzKreislauf-Stillstand zugrundeliegenden Erkrankung, sondern infolge der durch den Herz-Kreislauf-Stillstand erlittenen Hirnschädigung. Die ist umso größer, je später die adäquaten Reanimationsmaßnahmen bei den Patienten eingeleitet wurden. Die Wiederbelebungszeit – das ist die Zeit, die vom Eintritt des Kreislaufstillstands bis zum Auftreten eines irreversiblen Organschadens bleibt – beträgt für das Gehirn drei bis fünf Minuten. Es ist also dieses therapiefreie Intervall im Notfall so gering wie möglich zu halten. Die ersten drei Minuten sind entscheidend.
Sie wollen mit Ihrem Antrag eine Lücke in der Erstversorgung schließen, und jetzt kommen wir zu dem, was ein Fraktionskollege von Ihnen gesagt hat: Es gibt gute Anträge, und es gibt gut gemeinte Anträge. – Denn Sie schließen diese Lücke so nicht. Auch Ihre alarmierten Ersthelfer erreichen den Ort des Geschehens in der Regel nicht innerhalb dieser Frist. Im Kreis Gütersloh in Nordrhein-Westfalen gibt es ein solches Projekt seit 2016.
211 Mal wurden die Retter alarmiert. Nur 132 Mal sind sie auch am Einsatzort eingetroffen. Die Einsatzquote liegt damit bei knapp 62 Prozent. Zum Zeitpunkt der Alarmierung war der Ersthelfer im Schnitt 4 Minuten und 21 Sekunden vom Einsatzort entfernt. Das heißt nicht, dass er ihn auch in 4 Minuten und 21 Minuten erreicht hat.
Vielen Dank! – Herr Dr. Albers! Stimmen Sie mir aber bei dem, was Sie gerade skizzieren, zu, dass der Status, den Sie gerade beschreiben, ein deutlich besserer wäre als der, den wir jetzt haben?
Lassen Sie mich doch einmal weiter erzählen, Mensch! Auch der Ersthelfer hat eine Alarmierungszeit. Die mag auf dem flachen Land niedriger sein als die der Feuerwehr, aber auch die übersteigt das kritische Intervall. Der beste Ersthelfer ist der, der sich in unmittelbarer Nähe des Betroffenen befindet. Hier haben wir den Nachholbedarf. Das deutsche Reanimationsregister, so etwas gibt es in der Tat, in dem die Daten aller Reanimationen erfasst werden, belegt eine Laienreanimationsquote in unserem Land von nur 27 Prozent. In Schweden und in den Niederlanden liegt sie bei 70 Prozent. Hier liegt das eigentliche Problem. Hier haben wir politischen Handlungsbedarf.
Ich will Ihnen Ihre App gar nicht madig machen, aber ist es in Berlin wirklich sinnvoll, parallele Strukturen zum vorhandenen Rettungsdienst einzurichten? In der letzten Legislaturperiode sind die Rettungs- und Alarmierungszeiten durch Ihren Innensenator auf zehn Minuten heraufgesetzt worden, weil das bundesrepublikanischem Standard entspräche, statt sie auf acht Minuten herabzusetzen.
Sinnvoll scheint es mir hingegen, mehr Menschen zu befähigen, in einer solchen Akutsituation ohne Verzug das Richtige zu tun. Die Vereinigung der Notärzte fordert deshalb zum Beispiel schon lange einen verpflichtenden Reanimationsunterricht in den Schulen, auch eine konsequente Umsetzung solcher Projekte wie Telefonreanimation, mit der der Alarmierende, qualifiziert über das Tele
fon angeleitet, vor Ort Ersthelfer werden kann. Das ist sinnvoll. Ihre App hilft da nicht wirklich weiter. Auch sie greift erst nach dem kritischen Intervall. Wenn Sie jetzt erst anfangen zu üben, Herr Kluckert: Ich habe mir angesichts der czajaschen Geriatrieplanung auf die Brust tätowieren lassen: Nicht in die Geriatrie. Ich habe jetzt auch noch Platz darauf zu schreiben: Hände weg, Herr Kluckert! – Vielen Dank!
Bevor ich die Debatte fortsetzen lasse, bitte ich darum, die Gespräche am Rand einzustellen und für die letzten Rednerinnen und Redner jedoch noch einmal etwas Konzentration zu bewahren. – Vielen Dank! – Für die Fraktion der AfD hat jetzt der Abgeordnete Herr Mohr das Wort. – Bitte schön! – Ich bitte um etwas mehr Ruhe im Saal.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Wenn jede Sekunde zählt: Tatsächlich ist eine sofortige Wiederbelebung bei einem Herz-KreislaufStillstand von großer, ja überlebenswichtiger Bedeutung. Hier darf es kein Wegsehen und Verstecken geben. Jeder ist aufgefordert, im Rahmen seiner Möglichkeiten Erste Hilfe zu leisten, und wenn es nur das Absetzen des Notrufs ist. Das kann wirklich von jedem verlangt werden.
Nun komme ich aber zum vorliegenden Antrag. Ich habe Verständnis dafür, dass vor allem Laien sehr, sehr zurückhaltend sind, Erste Hilfe zu leisten, da sie womöglich sogar rechtliche Konsequenzen durch ihr Einschreiten befürchten, nach dem Motto, hinterher werde ich sogar noch verklagt. Daher klingt die Idee einer SmartphoneApp, die registrierte und vor allen Dingen qualifizierte Ersthelfer in der Nähe des Unfallortes nach Eingang des Notrufs mit alarmiert, aus unserer Sicht vernünftig. Über die Erstellung einer Machbarkeitsstudie oder über einen Modellversuch kann man durchaus diskutieren. Auch ein Erfahrungsbericht der im Antrag erwähnten Retter e. V. wäre für die Mitglieder im Gesundheitsausschuss sicherlich von Interesse. Wir als AfD freuen uns auf diese Anhörung, so sie denn beantragt werden sollte.
Zu klären wäre unter anderem, wie es sich zum Beispiel rechtlich gesehen mit dem Zutritt der Ersthelfer beispielsweise im privaten Wohnraum bei Gefahr im Verzug verhält. Meiner Kenntnis nach ist diese hoheitliche Aufgabe der Feuerwehr vorenthalten. Vordringlicher als die Etablierung einer Ersthelfer-App ist daher aus unserer Sicht, die Berliner Feuerwehr endlich wieder so auszustatten, dass die Eintreffzeiten wieder nach unten gehen. Hierfür bedarf es deutlich mehr Personals. Es kann nicht sein, dass, wie jüngst den Medien zu entnehmen war, ein