Dringliche Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Geschäftsordnung, Verbraucherschutz, Antidiskriminierung vom 8. März 2017 Drucksache 18/0203
Den Dringlichkeiten zu b und c hatten Sie eingangs zugestimmt. In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Für die Fraktion hat Herr Abgeordneter Otto das Wort. – Bitte schön!
Einen kleinen Moment, Herr Abgeordneter! – Sehr verehrte Damen und Herren! Es ist deutlich zu laut. Ich bitte um deutlich mehr Ruhe. Ich bitte auch auf den anderen Bänken des Senats um Ruhe. – Hallo! – Vielen Dank! – Jetzt, Herr Abgeordneter, haben Sie das Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben hier zu dieser späten Stunde eine geschichtspolitische Debatte vor uns. Ich will mal kurz zurückspringen: Wir haben gestern im Rechtsausschuss schon eine intensive Aussprache über diese Anträge geführt, die jetzt hier zu behandeln sind. Da hat der Kollege Rissmann gesagt, wir hätten, also ich – speziell – hätte ja den Fall Holm gar nicht erwähnt, um den ginge es ja hier hauptsächlich. Da kann ich Ihnen sagen, Herr Kollege Rissmann: Der Kollege Holm und dieser Vorgang hat sicherlich viele hier im Haus für das Thema Staatssicherheit sensibilisiert, aber um 40 Jahre Diktatur zu besprechen und aufzuarbeiten, kann, glaube ich, dieser Fall herzlich wenig beitragen. Deswegen muss man das hier viel grundsätzlicher behandeln.
Geschichte reicht immer in die Gegenwart hinein, und das macht sich fest an Personen, an uns allen. Es ist mir begegnet in den letzten Wochen, als wir über diese Drucksachen sprachen, oder auch im Bürgergespräch im Wahlkreis, dass gerade jüngere Menschen sagen: Ach, Mensch, sind das nicht olle Kamellen? Muss man sich damit befassen? – Da habe ich denen allen gesagt: Berlin als Stadt der Teilung, als Stadt der Mauer – und das ist historisch betrachtet noch gar nicht so lange her, auch wenn ihr noch sehr jung seid – hat diese Geschichte, und die ist in vielen Menschen drin, die hier heute leben, ob die in Ost- oder in Westberlin lebten. Die tragen das mit sich herum, die denken daran, die gehen damit um, die sprechen mit anderen. All das findet statt, heute! Und wer danach geboren ist, der hat vielleicht Glück gehabt, später dazu gekommen zu sein, aber trotzdem erlebt der diese Geschichte in den Menschen, mit denen er zusammenwohnt, in den Orten, in den Straßen und nicht zuletzt hier in diesem Parlament.
Stellen Sie sich vor, dieses Parlament ist 1993 so in Betrieb genommen worden. Davor war das quasi eine Ruine im Mauerstreifen. Auch hier ist diese Geschichte der Teilung und die Geschichte der Diktatur vorhanden. Genau deshalb müssen wir solche Debatten immer führen. Und dazu gehört natürlich auch, dass wir uns mit der Staatssicherheit beschäftigen und mit Leuten, die da mit
gearbeitet haben – in welchem Maß auch immer, es gibt sehr unterschiedliche Fallbeispiele. Und für diese Koalition – das lassen Sie mich hier noch einmal bekräftigen – gehört diese Aufarbeitung zum Regierungshandeln, ganz klar, die ganze Zeit und auch weiterhin.
Der Regierende Bürgermeister hat gerade heute bekannt gegeben, dass er alle Senatorinnen und Senatoren auf eine Tätigkeit für die Staatssicherheit hat überprüfen lassen, und es hat sich bei niemandem ein entsprechender Befund ergeben. Darüber freuen wir uns, und wir bedanken uns, dass der Regierende Bürgermeister und der Senat das so schnell durchgeführt und geprüft haben. – Danke sehr!
Ich will kurz auf die Anträge eingehen. Der Antrag der CDU-Fraktion sagt, es soll niemand, der mit dem Sicherheitssystem der DDR zusammengearbeitet hat, in Positionen der Regierung entsandt werden. Das ist natürlich ein sehr offener Begriff, eine sehr schwammige Formulierung. Wir haben uns entschlossen, das anders zu machen. Wir stehen dafür, dass eine Einzelfallprüfung durchgeführt wird und dass danach Menschen und ihre Biografie auch beurteilt werden, eine Einzelfallprüfung durch den Senat. Und wir wollen auch, so, wie das im Antrag der FDP vorgeschlagen ist, dass dieses Haus in Person des Präsidenten und der Fraktionsvorsitzenden aller Fraktionen darüber informiert wird. Das ist, glaube ich, ein gangbarer Weg.
Deswegen haben wir uns als Koalition entschlossen, den CDU-Antrag abzulehnen, aber den FDP-Antrag in der gestern geänderten Form anzunehmen. Ich hoffe, dass auch die FDP selber sich dem anschließen kann und wir den Antrag gemeinsam beschließen. Darum würde ich Sie herzlich bitten.
Und was beim Senat anfängt, darf im Parlament nicht aufhören. Wir haben den Antrag, in geübter Praxis einen Ehrenrat hier einzurichten, der mit der Behörde des Bundesbeauftragten gemeinsam die Überprüfung der Abgeordneten durchführt. Das haben wir hier schon mehrfach praktiziert. Nach meiner Kenntnis hat das auch immer gut funktioniert, und genau so wollen wir das wieder machen. Der Antrag liegt Ihnen schon eine Weile vor. Es gibt eine sehr ausführliche Beschreibung des Verfahrens: Alle Abgeordneten füllen eine Erklärung aus. Diese wird an die Behörde des Bundesbeauftragten geschickt. Wenn es einen Rücklauf gibt, dann tritt dieser Ehrenrat zusammen. Ich halte das für ein gutes Verfahren. Das sollten wir hier gemeinsam durchführen. Ich bitte Sie alle, auch diesem Antrag zuzustimmen, damit wir das einvernehmlich und einheitlich praktizieren können. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank! – Für die Fraktion der CDU hat jetzt der Abgeordnete Herr Rissmann das Wort. – Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Otto! An Ihrer persönlichen Lauterkeit bestehen gar keine Zweifel. Und unabhängig von der einzelnen Wertung, welchem Antrag man warum zustimmen kann und warum nicht, haben Sie mit der groben Linie ja recht. Dennoch tun Sie mir aufrichtig leid, wenn Sie hier als personifiziertes schlechtes Gewissen von der ehemaligen Partei Bündnis 90 zu diesem Thema reden mussten, nachdem sich auch Ihre Fraktion in den letzten Monaten wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert hat, was die Aufarbeitung des DDR-Unrechts angeht.
Ich fühle mich persönlich angesprochen, wenn Sie aus dem gestrigen Rechtsausschuss berichten. Da musste ich eine Einordnung vornehmen, warum wir gestern und nun auch heute insgesamt drei Anträge haben, die sich im weitesten Sinne mit dieser Thematik beschäftigen. Diese Einordnung haben Sie gestern im Rechtsausschuss nicht vorgenommen und die anderen Koalitionsfraktionen auch nicht. Es liegt auch nahe: Es ist ein Schandmal für Sie, was hier in den letzten Monaten in Berlin passiert ist. Darum muss es in Erinnerung gerufen werden, warum wir heute wieder darüber sprechen müssen.
Herr Otto! Diese Koalition hat sich nämlich die Frechheit erlaubt – anders kann man das nicht benennen –, einen hauptamtlichen Stasi-Offizier, jemanden, der nach Einschätzung des Bundesgerichtshofs ein Mensch ist, an dessen linksextremistischer Gesinnung – und eine linksextremistische Gesinnung ist eine verfassungsfeindliche Gesinnung – keine Zweifel bestehen, gerade in dieser Stadt, dieser durch die kommunistische Diktatur geteilten und so verletzten Stadt in ein Regierungsamt zu setzten. Das haben Sie auch heute und das haben Sie gestern vergessen zu erwähnen.
Noch viel schlimmer ist, dass Sie in Ihrer Koalition diesen Staatssekretär auch noch im Amt belassen haben, nachdem er der Lüge im Zusammenhang mit der Anstellung im öffentlichen Dienst überführt wurde. Das war und das bleibt ein Schandmal für diese Koalition, und es bleibt und ist für uns der Beweis, dass Die Linke, die Bestandteil dieser Koalition ist, nach wie vor die auf Spaltung der Gesellschaft angelegte SED ist.
Und auch Ihr weiteres Verhalten, das weitere Verhalten der Linkspartei bestätigt das. Bis heute ist Die Linke uneinsichtig. Sie ist geradezu bockig und beschäftigt nun diesen Herrn Holm als parlamentarischen Berater.
Somit ist er weich gefallen, erhält weiterhin offenbar Steuergelder, auch wenn nach diesem vorliegenden Sachverhalt nicht klar ist – –
Frau Präsidentin! Wenn ich meinen Satz zu Ende gesprochen habe, aber ich fange noch mal von vorne an, weil wir nämlich wollen, dass das jeder noch einmal hört! Herr Holm wird weiterhin aus öffentlichen Mittel finanziert, obwohl kein anderer Mensch mit dieser Biografie in Berlin im öffentlichen Dienst angestellt werden konnte. An Uneinsichtigkeit ist das nicht zu überbieten.
Woran machen Sie bitte schön Ihre Behauptung fest, die Linkspartei sei bis heute bockig und uneinsichtig?
Ich danke Ihnen, verehrte Frau Kollegin, dass Sie mir die Gelegenheit geben, etwas Richtiges noch einmal zu sagen, da Wiederholung auch ein rhetorisches Mittel ist, Dinge zu implementieren.
Ich mache es daran fest, dass Sie Herrn Holm als freien Mitarbeiter beschäftigen, dass Sie sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt haben, ihn aus dem Amt des Staatssekretärs zu entlassen, dass Sie diese Koalition, den armen Herrn Müller und die armen Kollegen der Grünen, mit dem Festhalten an dieser unsäglichen Personalie an die Zerreißprobe Ihres Bestandes geführt haben und bis heute keinerlei Zeichen von Einsicht zeigen.
Das können wir auch ganz konkret an dem Umgang mit den einzelnen heute zur Beratung stehenden Anträgen deutlich machen.
Fangen wir mit dem Antrag meiner Fraktion an. Warum bleibt Rot-Rot-Grün eigentlich hinter den Regelungen in Thüringen zurück? Warum?
keine Personen, die direkt oder indirekt mit dem Sicherheitssystem... zusammengearbeitet haben, in Positionen der Regierung (zu) entsenden.
Es wird umso unverständlicher – und die Fragestellerin mag das vielleicht auch als Teil der Antwort sehen –, wenn man sich in Erinnerung und vor Augen führt, dass das die wörtliche Regelung aus Thüringen ist, ein Bundesland, in dem es einen linken Ministerpräsidenten gibt, ein Bundesland, in dem es eine linke Koalition gibt, die regiert. Diese hat sich darauf verständigt. Sie sind in Berlin dazu nicht in der Lage. Warum können Sie dem nicht zustimmen?
Der Ehrenrat ist längst überfällig, und selbstverständlich ist das ein Ablenkungsmanöver. Das hätten Sie gleich am Anfang der Wahlperiode, im Übrigen einvernehmlich mit allen andern Oppositionsfraktionen, regeln können. Auch das wollten Sie nicht. Der Antrag der FDP ist so zustimmungsfähig – auch da haben Sie wieder ein Spielchen gespielt. Der Ersetzungsantrag der Koalition dazu war gestern im Rechtsausschuss nicht nur sehr kurzfristig eingereicht, sondern auch vollkommen unverständlich. Für mich bleibt da der Verdacht im Raum stehen, dass Sie es eben doch an der Verbindlichkeit fehlen lassen wollen und diesen Tatbestand nicht allzu deutlich regeln wollen.
Verehrter Herr Kollege Otto! Darum glaube ich Ihnen ganz persönlich ohne Wenn und Aber, dass Sie für die Aufarbeitung stehen und für die Erinnerung an diese zweite deutsche Diktatur, der Koalition nehme ich das aber nicht ab. Wir werden dieser Koalition das nicht durchgehen lassen. – Danke sehr!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, heute sprechen wir ein weiteres Mal in diesem Haus über die Sicht auf und den Umgang mit der DDR-Vergangenheit. Nicht nur die Debatte um die Ernennung von Andrej Holm als Staatssekretär und die Tatsache, dass er es jetzt nicht mehr ist, zeigt, dass wir mit dem Thema längst noch nicht fertig sind. Dabei reden wir aber über ein Thema mit vielen Facetten: Die Überprüfung von hohen Amts- und Mandatsträgerinnen und -trägern auf eine Mitarbeit im MfS und die Frage, welche Konsequenzen wir daraus ziehen, die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer, die Frage, wie wir mit dem Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen künftig umgehen, Aufarbeitung und Demokratiebildung, nicht zuletzt geht es auch um eine aufrichtige gesellschaftliche Debatte um den Umgang mit dem Erbe, das uns die DDR-Diktatur und ihre Institutionen hinterlassen haben. Das ganze Thema, liebe Kolleginnen und Kollegen, eignet sich aber überhaupt nicht für parteipolitische und taktische Spielchen, und ich hoffe, dass wir es jetzt schaffen, losgelöst von der Personalie Holm zu einem gemeinsamen Weg zu finden, mit all diesen Punkten umzugehen.
Uns liegen heute drei Anträge vor, die sich aber nur mit einem Ausschnitt der zu klärenden Fragen auseinandersetzen, nämlich der Überprüfung von hohen Amts- und Mandatsträgerinnen und -trägern auf eine Mitarbeit in der Stasi und welche Konsequenzen wir daraus ziehen. Beim Koalitionsantrag geht es darum, wie wir die Mandatsträgerinnen und -träger überprüfen oder wie sie überprüft werden und wie man das weitere Verfahren gestaltet. Hier bitte ich schlichtweg um Unterstützung. Wir sollten diesen Antrag möglichst breit und einvernehmlich tragen. Das ist mir auch persönlich sehr wichtig.