Protocol of the Session on December 10, 2020

und deshalb will ich hier einen Punkt setzen: Der Haushalt ist folgerichtig, schön ist er nicht.

Einen Punkt allerdings zum Schluss: Auch bei diesem Haushalt habe ich folgende Beobachtung in diesem Haus und in allen die Fraktionen tragenden Parteien gemacht: Dass es rückwärts geht in den folgenden Jahren, ist noch nicht jedem bekannt. Das wird eine Riesenherausfor

derung, egal mit welcher Farbe, mit welcher Rückendeckung in der nächsten Legislaturperiode. – Das müssen Sie sich über Weihnachten alle einmal vergegenwärtigen. Es geht rückwärts – in Milliardenkohorten. Deshalb bereiten wir uns darauf vor, auch, indem wir den Vollzug etwas strenger führen, ohne über die Stränge zu schlagen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Seit der letzten Lüftungspause sind zweieinhalb Stunden vergangen, sodass wir jetzt die zweite Lüftungspause machen, die Sitzung unterbrechen und um 16.15 Uhr fortsetzen.

[Sitzungsunterbrechung von 15.34 bis 16.17 Uhr]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne wieder unsere Sitzung. Wir waren bei Tagessordnungspunkt 5, der Priorität der Fraktion Die Linke zum Nachtragshaushalt. In der Debatte ist als Nächste Frau Kollegin Dr. Brinker von der AfD-Fraktion zu berücksichtigen. – Frau Kollegin, Sie haben das Wort! – Bevor Sie loslegen, gonge ich noch mal, vielleicht kommen ja dann doch auch mal ein paar rein. – [Glocke des Präsidenten] – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir erleben aktuell eine Zeit größter Verunsicherung. Angst bestimmt das Leben vieler Menschen: Angst vor der Zukunft, vor Erkrankung, vor Vereinsamung, vor Arbeitslosigkeit, Existenzangst.

Politik soll und muss den Menschen Mut machen und ihnen die Ängste nehmen, den Menschen Wege und Möglichkeiten aufzeigen, wie auch in schweren Zeiten das Leben in normalen Bahnen weitergehen kann. Politik muss und soll den gesetzlichen Rahmen setzen, in dem sich die Menschen ohne Angst bewegen können, ohne ihre grundgesetzlichen Freiheitsrechte einzuschränken.

[Beifall bei der AfD]

Bis heute sind die getroffenen Maßnahmen unausgewogen, unverhältnismäßig und irrational. Es fehlt nach wie vor für die vielen Verbote eine evidenzbasierte Grundlage, ein interdisziplinäres Expertengremium, das nicht nur aus Virologen, sondern auch aus Wissenschaftlern anderer Fachbereiche besteht. Wo ist der Wettbewerb der kritischen Intelligenz?

Mit dem vorliegenden Nachtragshaushalt sollte und müsste in finanzieller Hinsicht die Grundlage für einen

angstfreien Blick in die Zukunft gelegt werden. Das Gegenteil ist leider der Fall. Berlin ist mit diesem zweiten Nachtragshaushalt auf bestem Wege, in eine neue, exorbitante Schuldenfalle zu tappen. Die Aussetzung der Schuldenbremse und die geplante Neuverschuldung Berlins mit nun insgesamt über 7 Milliarden Euro in 2020 sprengen jedes Maß.

Wenn wir haushälterisch in einer Krise gegensteuern wollen, müssen wir zwingend auch in die Zukunft schauen und uns überlegen, welche Lasten wir den zukünftigen Generationen aufbürden. Die finanziellen Folgen der Coronakrise mit hohen Steuerausfällen einerseits und großen Hilfspaketen andererseits werden uns über die kommenden Jahre dauerhaft begleiten. Wir stellen jetzt die Weichen für die finanzielle Tragfähigkeit und Leistungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte in den kommenden Jahren. Leider ist der vorgelegte Nachtragshaushalt alles andere als nachhaltig und auf die Zukunft ausgerichtet, auch wenn insbesondere die Linken an das Schuldenmärchen der „Neuen Monetären Theorie“ glauben.

Es wird seitens der Koalition behauptet, dass man auf Sicht fahre. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie fahren nicht auf Sicht, sondern Sie fahren regelrecht im Blindflug in eine finanzielle Katastrophe.

[Beifall bei der AfD]

Warum bewerten wir das so? – Die Coronakrise trifft auf eine verschleppte Euro-, Banken- und Staatschuldenkrise, deren Auswirkungen idealerweise mit der Dauerausrede Corona verschleiert werden.

[Beifall bei der AfD – Frank-Christian Hansel (AfD): Richtig!]

Was ist die Folge? – Die Märkte werden mit Geld geflutet, immer mehr Staatsanleihen aufgekauft und wir erleben eine Asset-Inflation sondergleichen – also eine Inflation der Vermögenspreise wie Immobilien, Aktienkurse usw.

Für die Herrschaften auf der linken und grünen Seite dieses Saales: Die Immobilienpreise in Berlin sind nicht wegen vermeintlich böser Investoren oder Vermieter gestiegen, sondern aufgrund der desolaten Eurorettungspolitik. Wenn ich die Märkte mit Geld flute, kommt es zwangsläufig zu einem Anlagenotstand und zur Verteuerung der Immobilien. Da können Sie sich noch so oft für den verfassungswidrigen Mietendeckel auf die Schultern klopfen, mehr Wohnungen entstehen in Berlin damit ganz sicher nicht.

[Beifall bei der AfD – Frank-Christian Hansel (AfD): Das weiß auch der Senator!]

Den Fonds für Vorkaufsrechte aufzustocken, geht deshalb an der Realität vorbei. Es geht auch – wie von Herrn Zillich heute schon angesprochen – an der Realität

(Torsten Schneider)

vorbei, eine Vermögensabgabe zu fordern, denn Sie schwächen damit genau diejenigen, die unser Wirtschaftsmotor sind und die Arbeitsplätze schaffen.

[Zuruf von Dr. Michael Efler (LINKE)]

Schauen wir uns den Nachtragshaushalt nun genauer an: Wir ermächtigen mit diesem Haushalt den Senat, in diesem Jahr insgesamt 7 Milliarden Euro aufzunehmen und das, obwohl nach wie vor nicht klar ist, wofür genau die Gelder gebraucht werden. Da hilft auch nicht der Umweg über einen sogenannten Investitionsförderfonds oder das Versprechen, nicht verausgabte Schuldengelder in die Tilgung fließen zu lassen. Abgesehen davon kann überhaupt keine Rede von einer relevanten Tilgung sein. Mit dem geplanten Tilgungsplan über 27 Jahre wird Berlin seinen Haushaltsnotstand für die nächsten Jahrzehnte fortführen und sich sämtlicher finanzieller Handlungsspielräume berauben.

[Steffen Zillich (LINKE): Ja, ja!]

In unserem Änderungsantrag zeigen wir auf, was besser zu tun wäre: Die Notsituation nach dem Schuldenbremsengesetz muss zwingend klar definiert werden. Es kann nicht sein, dass einfach ein leichter oder harter Lockdown ausgerufen wird, ohne zu wissen, welche Konsequenzen daraus folgen. Bevor neue Schulden aufgenommen werden, muss definiert werden, wie viel Geld coronabedingt tatsächlich für welchen genauen Zweck benötigt wird. Diese Definition muss zwingend regelmäßig erfolgen, um notfalls weitere Nachtragshaushalte ableiten zu können. Es ist immer besser, mehrere Nachtragshaushalte auf Basis konkreter Finanzplanungen zu beraten, als eine einmalige exorbitante Schuldenexplosion hinzunehmen. Das wäre auch im Sinne einer demokratischen Legitimation.

[Beifall bei der AfD]

Wir können uns keinen dauerhaften Lockdown leisten. Wir wissen bis heute über Corona nicht annähernd genug; viele Maßnahmen erscheinen deshalb willkürlich. Wir wissen, dass Corona bei älteren Menschen offenbar gravierendere Folgen hat als bei Jüngeren. Warum wurde darauf bisher nicht politisch annähernd reagiert? Wo sind die Konzepte, insbesondere Alte und Vorerkrankte, also Risikogruppen, zu schützen? Warum wurde die Sommerpause nicht genutzt, um spezifische Konzepte zu erarbeiten und diese jetzt umzusetzen, so wie es offenbar Boris Palmer in Tübingen getan hat? Warum gibt es faktisch ein Berufsverbot für diejenigen Selbstständigen und Unternehmer, die sich alle Mühe gegeben haben, ihre Betriebe mit Schutzmaßnahmen auszustatten? Die vielen Restaurants, Kneipen, Hotels, Theater, Opernhäuser, Konzertsäle, Kosmetikstudios, Fitnessstudios, Saunen usw. – wo und wann wurde nachgewiesen, dass die genannten Unternehmensbereiche jemals als Virenhotspots in Erscheinung getreten sind?

[Karsten Woldeit (AfD): Nirgends!]

Ist es nicht vielmehr so, dass Hotspots eher im privaten Bereich oder in Alten- und Pflegeheimen zu finden sind? Auf welcher Grundlage werden dann Lockdownentscheidungen getroffen, die zu nachhaltigen Einnahmeausfällen sowohl für die Unternehmer als auch für den Staat führen?

Es ist seit Jahren bekannt, dass die Intensivstationen in den Krankenhäusern einen massiven Personalnotstand haben. Das ist nicht erst seit diesem Jahr so. Müssen deshalb jetzt andere Branchen dafür haften und büßen, dass es die Politik nicht geschafft hat, hier rechtzeitig gegenzusteuern? Politische Versäumnisse im Gesundheitswesen werden jetzt auf die gesamte Bevölkerung zu Lasten der Steuerzahler und zu Lasten der öffentlichen Haushalte abgewälzt.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Das ist das eigentliche Problem!]

Und das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht. Das Aussetzen des Insolvenzrechts führt doch dazu, dass wir eine riesige Bugwelle an Insolvenzen vor uns herschieben, die uns spätestens im kommenden Jahr zu überrollen droht.

[Beifall bei der AfD]

Alleine die landeseigenen Unternehmen Berlins werden absehbar Hunderte Millionen Euro an Unterstützungsleistungen benötigen. Den Anfang macht bereits die Flughafengesellschaft mit sage und schreibe 550 Millionen Euro nur für 2021. Die BVG braucht vorerst mindestens 190 Millionen Euro; ein Ende ist nicht absehbar. Die Messe Berlin kann nach wie vor kein einträgliches Geschäft vorbereiten und wird auch Millionen benötigen. Das alles muss in die Waagschale über die Entscheidung über den Berliner Landeshaushalt geworfen werden.

Wir müssen uns auch das SIWA ansehen und Projekte, die nicht umgesetzt werden können, rechtzeitig streichen. Mit unserem Änderungsantrag haben wir aufbauend auf den ersten Nachtragshaushalt gezeigt, dass Einsparungen sehr wohl sehr möglich sind, wenn man denn will. Es geht nicht an, dass wir exorbitant teure Wahlgeschenke finanzieren, die wir uns schon jetzt nicht mehr leisten können. Und – ich wiederhole noch mal – das heißt nicht, dass nicht mehr investiert werden kann oder soll. Ganz im Gegenteil: Investitionen sind Konjunkturprogramm.

Allerdings müssen hier die Prioritäten richtig gesetzt werden. Was nützt es uns, wenn wir teure E-Busse kaufen, wir diese aber auf lange Sicht nicht adäquat refinanziert bekommen? Was nützt es, wenn wir nach wie vor nicht wissen, wie hoch der Investitionsstau in Berlin tatsächlich ist und keine Prioritätenliste vorliegt? Es reicht nicht, die Geldschleusen in EZB-Manier zu öffnen und zu schauen, wo was hängenbleibt. Investitionen und Geldströme müssen nachhaltig und seriös geleitet und gelenkt werden. Ohne vernünftige politische Leitplanken ist das schlicht nicht möglich.

Das gilt auch für Vorsorgemaßnahmen: Wenn im vorliegenden Haushalt die Zuführungen an die Pensionsrückstellung aufgehoben werden, verschärft das die zukünftige Haushaltslage Berlins dramatisch. Die aktuell 57 Milliarden Euro Pensionsverpflichtungen des Landes Berlin werden immer mehr zum Damoklesschwert zukünftiger Haushalte. Die Pensionsverpflichtungen sollen bis 2024, also in vier Jahren, auf 68 Milliarden Euro steigen. Keine Rückstellung zu bilden, ist grob fahrlässig und gefährdet die finanzielle Handlungsfähigkeit Berlins. Werden explizite und implizite Schulden mit dem bisher bekannten Investitionsstau addiert, bewegen wir uns schon im dreistelligen Milliardenbereich. Realistisch betrachtet, wäre Berlin damit ein Fall für den Insolvenzverwalter.

Wir nehmen uns mit diesem Nachtragshaushalt die Chance, in Zukunft angemessen auf Notstände finanziell reagieren zu können, wenn wir jetzt derart maßlos agieren. Nehmen Sie sich bitte die Hildesheimer Erklärung des Bundesrechnungshofes und der Landesrechnungshöfe zu Herzen, in der dringend angemahnt wird, wieder auf den Pfad der Konsolidierung zurückzukehren und inhaltliche Prioritäten zu setzen. Wir brauchen Transparenz, Verhältnismäßigkeit und Weitsicht, damit Berlin die aktuelle Krise übersteht. Der vorliegende Nachtragshaushalt bildet das leider nicht ab. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD]

Es folgt dann gleich der Kollege Wesener von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei einem Nachtragshaushalt ist im besten Falle der Name Programm. Es handelt sich um die nachträgliche Veränderung eines bestehenden Haushaltsplans im Sinne der Abbildung außerplanmäßiger Einnahmen oder Ausgaben. Auch dem liegen – wie bei jeder Haushaltspolitik – politische Entscheidungen zugrunde, aber im Regelfall handelt es sich allenfalls um eine Nachjustierung der großen finanzpolitischen Linien – soweit die Normalität.

Aber in der Coronakrise ist nichts normal, und deswegen dürfte auch dieser zweite Nachtrag zum Landeshaushaltsplan 2020/21 ohne Beispiel in der Geschichte der Berliner Haushaltspolitik sein. Allein die Beratungszeit von knapp einem halben Jahr und das Volumen der zusätzlichen Kreditermächtigung erinnern eher an reguläre Haushaltsberatungen als an einen gewöhnlichen Nachtrag. So hat sich das, glaube ich, auch für alle Beteiligten in den letzten Monaten angefühlt.

Ich will mich deswegen zunächst einmal ganz herzlich bedanken bei meinen Kollegen Torsten Schneider und Steffen Zillich und allen anderen Haushälterinnen und Haushältern der Koalition, aber auch bei großen Teilen der Opposition. Es war schön, zu erleben, dass es jenseits des parteipolitischen Wettbewerbs und seiner Rituale das gemeinsame Bewusstsein dafür gab, im Zeichen der Pandemie gemeinsam Verantwortung übernehmen zu müssen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall von Steffen Zillich (LINKE), Harald Gindra (LINKE) und Sibylle Meister (FDP)]

Ich bedanke mich auch beim Finanzsenator und seiner Verwaltung. – Wir haben es Ihnen nicht gerade leicht gemacht, aber letztlich konnten wir trotz unterschiedlicher Rollen und Blickwinkel einen Beitrag dazu leisten, dass Berlin besser durch diese Krise kommt. – Ich sage ganz herzlichen Dank an das Hauptausschussbüro und die Referentinnen und Referenten der Fraktionen: Kein Berliner Haushalt kommt ohne Sie und euch zustande.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]

Die Coronakrise hat sich als das erwiesen, was ich bereits bei der Beschlussfassung über den ersten Nachtragshaushalt 2020 von diesem Pult aus thematisiert habe, nämlich als eine äußerst dynamische Krise ohne jede verlässliche Prognose oder gar Blaupause, wie und wann wir sie gemeinsam final bewältigen können. Das gilt für den Umfang und die Wahl der Infektionsschutzmaßnahmen genauso wie für die Instrumente der Haushalts- und Finanzpolitik. Aber eines ist klar, und zwar als Lehre aus vergangenen Krisen: Wer nicht gegensteuert und vorsorgt, wer keine Konsequenzen aus ihren Ursachen und Nachwirkungen zieht, der vergrößert den Schaden der Krise für die Gesellschaft insgesamt. Die Koalition ist deshalb sich und ihrer finanzpolitischen Strategie treu geblieben. Wir schaffen Vorsorge für schnelle Hilfen für diejenigen, die diese Krise wirtschaftlich besonders hart trifft, die kleinen und mittleren Unternehmen, die Kulturschaffenden und Kreativen, die Berliner Gewerbemieter, Vereine und den Sport, aber auch für die Berliner Landesunternehmen, die unser aller Grundversorgung sichern.

Herr Goiny! Vielleicht noch zwei, drei Worte zu Ihren Ausführungen zu den Hilfen: Sie haben gesagt, man dürfe sich nicht auf den Bund verlassen. – Da haben Sie recht. Wer sich auf den Bund und diese Bundesregierung verlässt, der ist in der Tat verloren.