Protocol of the Session on November 19, 2020

Ich würde gerne wissen, ob Sie das von der Senatsbildungsverwaltung aufgesetzte Programm „ProRespekt Coaches“ kennen, in dem genau 20 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter die Schulen in besonderen Situationen unterstützen.

Ihre Zwischenfrage bezieht sich darauf, ob ich ein Programm kenne. Habe ich Sie richtig verstanden? – Ja, ich kenne das Programm, aber Frau Burkert-Eulitz: Wir müssen uns doch mal ehrlich machen. Wir müssen doch mal ganz genau hinschauen. Natürlich haben wir ein großes Problem an den Berliner Schulen, und wir haben über Jahre versäumt, dagegen vorzugehen.

[Karsten Woldeit (AfD): Eins?]

Wir haben uns vielleicht auch aus einer falsch verstandenen politischen Korrektheit das Thema islamischer Extremismus an den Schulen zu lange mit angeschaut.

[Karsten Woldeit (AfD): Ja!]

Wir haben nicht rechtzeitig gehandelt, und das fällt uns jetzt auf die Füße.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Hier müssen wir deutliche Zeichen setzen. Hier müssen wir mit allen Möglichkeiten, die wir als freie, offene Gesellschaft haben, dagegen vorgehen. Es darf nicht sein, dass an unseren Schulen die freie Art, wie wir zusammenleben, wie wir zusammen lieben, wie wir letztendlich unser gesamtes Gemeinwohl zusammen aufgebaut haben in Frage gestellt wird.

Wir haben gerade in Hinsicht auf konservativ-islamische Familien viel zu lange weggeschaut. Da müssen wir hinschauen, und zwar ziemlich deutlich. Es kann nicht sein, dass Lehrerinnen und Lehrer an Berliner Schulen mit dem Tod bedroht werden. Es kann nicht sein, dass an den Grundfesten der Demokratie gerüttelt wird, wenn es um das Thema Meinungsvielfalt geht. Wenn sich Berliner Lehrer nicht trauen, dass Thema Mohammed-Karikaturen anzusprechen, dann läuft in dieser Stadt etwas falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen!

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Genau dafür brauchen wir Antworten. Der Antrag der CDU ist dafür sicherlich keine Antwort, aber eine Hilfestellung für die Lehrerinnen und Lehrer. Wir müssen uns aber mit dem Thema islamischer Extremismus auch im Bildungsausschuss noch mal intensiv beschäftigen. Wir

müssen Lösungen dafür finden, weil wir doch eins merken, liebe Kolleginnen und Kollegen: Alle Hilfsangebote, die wir momentan haben, scheinen nicht zu wirken. Sie helfen uns nicht, also brauchen wir wirksame Werkzeuge, um den Lehrerinnen und Lehrern in dieser Stadt Sicherheit zu geben, unsere freien Werte im Unterricht weiterhin zu vertreten, ohne Angst zu haben, vom großen Bruder, vom Vater oder auch der großen Schwester einer Schülerin oder eines Schülers geköpft zu werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Abgeordnete Tomiak das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Zunächst möchte ich anerkennend vermerken, dass die CDU, die sich zumindest in ihrer Regierungszeit nicht mal zu Schulsozialarbeitern an jeder Schule durchringen konnte, nun scheinbar wenigstens in Teilen anerkennt, wie wertvoll deren Arbeit ist.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Leider handelt es sich bei dem vorliegendem Antrag dennoch nur um stumpfen Populismus, der sich nicht dafür eignet, tatsächlich bestehende Probleme nachhaltig zu lösen. Die CDU fordert in der Quintessenz drei Antiterrorsozialarbeiterinnen und Antiterrorsozialarbeiter, die 24/7 erreichbar sein und in akuten Gefährdungslagen alarmiert werden sollen.

Dazu zwei Gedanken – erstens: Wissen Sie, was drei Stellen für 24 Stunden an 7 Tagen die Woche an 365 Tagen im Jahr bedeutet? – Das bedeutet keine ausreichende personelle Ausstattung. Überrascht bin ich von Ihren Planungsskills und konsequenter, politisch motivierter, Unterfinanzierung nicht, aber doch schockiert, dass ich mit null Punkten im Mathe-Abitur besser rechnen kann als Sie.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Danny Freymark (CDU): Peinlich! Uns so etwas zu erzählen!]

Zweitens: Wissen Sie, wer in akuten Bedrohungslagen zuständig ist? – Richtig, die Polizei! Gerade in akuten Gefährdungslagen hat die Berliner Polizei bewiesen, dass sie gute Arbeit leistet, und verdient hier unser Vertrauen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Den Fall, den die Berliner CDU in der Begründung des Antrags nennt, ist ein Vorfall aus Spandau. Ein elfjähriger Junge ist zweimal in seiner Grundschule aufgefallen. Erstmalig als er im Kontext des Gedenkens an den in Frankreich ermordeten Lehrers äußerte, dass es in Ordnung sei, Menschen zu töten, die den Propheten beleidigten. – Schön, dass Sie mir wieder zu hören! – Zum Hintergrund sollte man wissen, dass die Gedenkveranstaltung mit einem Team bestehend aus einem Rabbiner und einem Imam des Meet2Respect-Projekts durchgeführt wurde. In diesem Kontext wurde auch gefragt, ob jemand denken würde, es sei gerechtfertigt, Menschen aus religiösen Gründen zu töten.

Schon vor der Äußerung des Jungen war die Schule darauf bedacht, das Gedenken mit den Schülern einzuordnen, die schlimme Tat kindgerecht aufzuarbeiten und pädagogisch zu begleiten. Nach der Äußerung des Jungen hat der anwesende Imam ein Gespräch mit dem Jungen geführt, ihm widersprochen und deutlich gemacht, dass es nicht in Ordnung sei, Menschen zu töten. Auch der Schulsozialarbeiter war zu diesem Zeitpunkt schon involviert, der Vorfall wurde ernst genommen.

Eine Woche später kam es zu einem zweiten Vorfall. Nachdem die Lehrerin des Schülers vor der Klasse auf die anstehenden Elterngespräche hingewiesen hatte und zudem sagte, dass es Konsequenzen hätte, wenn Eltern nicht kommen würden, äußerte sich der Junge, wenn das passieren würde, würde er mit seiner Lehrerin das machen, was der Junge in Paris mit dem Lehrer gemacht hat. – Ich glaube, wir sind uns alle im Saal einig, dass das keine angemessene Reaktion auf angekündigte Elterngespräche ist.

Wir müssen uns vor Augen führen, dass es hier um ein Kind geht: ein elfjähriges Kind, das wusste, dass die Tat, auf das es anspielte, alle Erwachsenden mit denen es interagiert hat, schockiert hat. Wir alle kennen den Fall und den Kontext nicht gut genug, um ein abschließendes Bild zu haben. Es scheint aber klar zu sein, dass der Junge auf die Ansage mit den Elterngespräch aus irgendwelchen Gründen so scharf er konnte reagierte – wahrscheinlich mit der schlimmsten ihm bekannte Drohung. Welche Dimension seine Aussage hatte, war dem elfjährigen Jungen vermutlich nicht bewusst. Wie auch? – Er ist elf. Kennen Sie Elfjährige? – Kinder können fies, mutwillig verletzend und destruktiv sein, oft auf Arten und Weisen, die sie selbst nicht vollständig durchblicken.

[Zuruf von der AfD]

Um die Vorsitzende des Interessensverbandes der Berliner Schulleitungen zu zitieren: Da hat nicht ein Elfjähriger eine reflektierte Meinung vorgetragen, sondern nachgeplappert, was er gehört hat.

[Zuruf von der AfD: Das hat er von den Eltern!]

Der Junge hat mittlerweile eine schriftliche Entschuldigung geschrieben und seiner Lehrerin übergeben. Der

Schule geht es auch nicht darum, den Jungen zu kriminalisieren, sondern adäquat auf die Situation zu reagieren und das Problem aufzufangen. Sowohl eine Psychologin als auch ein Schulsozialarbeiter kümmern sich darum. Auch die operative Gruppe Jugendgewalt der Berliner Polizei war in der Schule, im Bildungsausschuss wurde das bereits erläutert.

Schule ist ein Raum, in dem gesellschaftliche Konflikte immer wieder ungefiltert auftauchen, aber auch ein Raum, in dem diese mit den Kindern besprochen und eingeordnet werden können. Schule und Bildung müssen dabei helfen, Kinder zu reflektierten, kritischen und resilienten Menschen zu erziehen. Die beste Waffe gegen Radikalisierung und Beeinflussung junger Menschen ist es, ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie selbstbewusst auf sich selbst vertrauen können und wissen, wo sie im Zweifel Hilfe bekommen können.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Deshalb ist es auch so wichtig, Lehrerinnen und Lehrer und auch Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter ausreichend zu finanzieren und ausreichend Kapazitäten zu schaffen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Freymark? – Keine Zwischenfragen.

Ich möchte keine Zwischenfragen. – Insbesondere die Erziehungsarbeit ist es, mit der wir Kinder und Jugendliche nachhaltig erreichen und stärken können. Ihre Notfallstelle klingt nach einer Einstellung, in der die Welt klar in Gut und Böse aufgeteilt ist. Das wird der Situation an Berliner Schulen aber schlicht nicht gerecht. Ich bin froh, dass wir uns in der Koalition früh darauf einigen konnten, uns dem Ziel zu verschreiben, unsere Schulen für die vielen schwierigen Situationen, die nun mal im Schulalltag auftauchen können, zu wappnen. Auch deshalb bauen wir die Schulsozialarbeit massiv aus, stärken weiter Projekte, die in die Schulen gehen, aber auch außerschulische Lernorte und Bildungsorte. Berlin hat hier einiges vorzuweisen, auch wenn wir uns sicher einig sind, dass es weiterhin viel zu tun gibt. Ich bin allen Lehrkräften, Pädagoginnen und Pädagogen, Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen an unseren Schulen und auch in der außerschulischen Betreuung dankbar für ihre wichtige und gewiss nicht einfache Arbeit. Der Einfluss, den sie auf die jungen Menschen in unserer Stadt haben, ist immens. Wir stehen an ihrer Seite und werden weiter dafür kämpfen, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Vorgeschlagen wird die Überweisung des Antrags federführend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie sowie mitberatend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung, den Ausschuss für Verfassungsschutz und an den Hauptausschuss. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.2:

Priorität der Fraktion Die Linke

Tagesordnungspunkt 4

Gesetz zur Einführung des oder der Bürgerbeauftragten des Landes Berlin und des oder der Beauftragten für die Polizei Berlin

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung vom 28. September 2020 und Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 28. Oktober 2020 Drucksache 18/3104

zum Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/2426

Zweite Lesung

Ich eröffne die zweite Lesung des Gesetzesantrags. Ich rufe auf die Überschrift, die Einleitung sowie die Artikel 1 bis 5 des Gesetzesantrages und schlage vor, die Beratung der Einzelbestimmungen miteinander zu verbinden. – Widerspruch dazu höre ich nicht.

Dann beginnt in der Beratung die Fraktion Die Linke. Es hat das Wort Herr Abgeordneter Schrader. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für die Bürgerrechte, und heute ist ein guter Tag für die Berliner Polizei. Seit vielen, vielen Jahren ist die Einführung einer unabhängigen Stelle zur Untersuchung von Missständen bei der Polizei eine Forderung von Bürgerrechtsorganisationen und eine Forderung von progressiven Parteien. Es gab über die Jahre auch schon verschiedene Modelle in den Bundesländern, zum Beispiel zuletzt in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Aber so, wie wir heute unsere Bürger- und Polizeibeauftragte in Berlin gesetzlich verankern werden – als verlängerten Arm des Parlaments, weisungsunabhängig, keiner Behörde unterstellt, vor allem mit richtigen Ermittlungsbefugnissen wie Akteneinsicht, Befragungsrecht und Betretungsrecht –, ist es das weitgehendste Modell, das wir bislang in der Bundesrepublik hatten. Deshalb sage ich: Wir als R2G in Berlin gehen diesen Schritt, wir gehen ihn konsequent, und deswegen ist es ein guter Tag für die Bürgerrechte.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Beispiele für den Mehrwert einer solchen Stelle gab es ja viele in den letzten Jahren. Über zwei Jahre konnte eine rechtsextreme Chatgruppe in der Berliner Polizei in einem Abschnitt existieren. Da ist die Meldung über den Dienstweg versucht worden, aber das hat nicht funktioniert. Das hat nicht zur Beendigung, sondern eher zur Verharmlosung dieser Sache geführt. Bis dann halt zwei Beteiligte an die Presse gegangen sind. Ein Polizist schreibt Drohbriefe an vermeintliche Feinde aus der linken Szene, ein anderer schickt interne Informationen über den Anschlag am Breitscheidplatz an eine AfDTelegram-Gruppe. Oder es gibt diese berühmten Vorwürfe, dass die Polizeiakademie von der organisierten Kriminalität unterwandert sei, und natürlich gibt es auch die bekannte Problematik mit den Schießständen. All das sind Fälle, da kann Vertrauen in eine vollständige Aufklärung nur entstehen, wenn nicht die Polizei gegen sich selbst ermittelt. Das muss eine unabhängige Stelle tun, und die schaffen wir heute.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Christian Hochgrebe (SPD)]