Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bilder des brennenden Flüchtlingslagers auf der griechischen Insel Lesbos können niemanden kalt lassen, ebenso wie anderes Leid in dieser an Leid wahrlich nicht armen Welt. 12 000 Menschen sind über Nacht obdachlos geworden. Von daher ist es aller Ehren wert, wenn Menschen in Berlin und ganz Deutschland
erwarten, dass unser Land unseren griechischen Freunden Hilfe leistet. Es ist aller Ehren wert, dass unser Land unseren griechischen Freunden Hilfe anbietet.
[Beifall bei der CDU, der SPD und bei den GRÜNEN – Gunnar Lindemann (AfD): Die wollen aber gar keine Hilfe!]
Aufgabe von politisch Verantwortlichen ist es aber nicht allein, unmittelbare Not zu lindern. Aufgabe von politisch Verantwortlichen ist es ebenso, nachhaltige Lösungen zu bringen. Symptome zu bekämpfen, nicht aber die Ursachen, ist gut gemeint, im Ergebnis aber schlecht.
Die Bundesregierung befindet sich auf europäischer Seite in schwierigen, aber nicht aussichtslosen Verhandlungen mit unseren europäischen Freunden. Dabei geht es um die Entlastung Griechenlands bei der Gewährung von Schutz gegenüber tatsächlich Schutzbedürftigen. Eine Koalition der Willigen in Europa ist erreichbar. Die Europäische Kommission wird dazu in der nächsten Woche ihre Vorschläge unterbreiten.
Diese Verhandlungen sollen Erfolg haben, denn das kommt den wirklich Schutzbedürftigen unter den Flüchtlingen zugute. Diese Verhandlungen dürfen nicht behindert werden.
Was Sie in den letzten Tagen hier abziehen, ist eine substantielle Behinderung der Bemühungen der Bundesregierung um eine europäische Lösung im Interesse der Flüchtlinge.
Die Bundeskanzlerin hat bereits am 28. August, also vor dem Brand auf Lesbos, in nicht zu überbietender Klarheit bei einer Pressekonferenz Folgendes gesagt. Ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten – Zitat:
Wenn sich in Europa herumspricht, dass alle Flüchtlinge, die jetzt zur Debatte stehen, von Deutschland aufgenommen werden, werden wir nie eine europäische Lösung bekommen.
Zitat Ende, Bundeskanzlerin Angela Merkel. – Eine europäische Lösung ist aber unumgänglich, um unseren griechischen Freunden bei der Bewältigung der Flucht- und Migrationsbewegungen zu helfen. Sie, Herr Innensenator, haben genau das gerade erst gesagt. Daher, meine Damen und Herren von der Koalition, behindern Sie doch bitte nicht diese Bemühungen. Es ist doch völlig unbegreiflich, dass der Herr Innensenator durch die Gegend reist und europäische Lösungen anmahnt, sie aber durch sein Handeln und Tun selbst behindert.
Ein Weiteres kommt hinzu. Die griechische Regierung hat bis zum heutigen Tag gar nicht um Hilfe gebeten, und das aus gutem Grund. Sie hat die Sorge, dass die
Brandstiftung von Moria Schule macht. Die griechische Regierung hat die Sorge, dass weitere Flüchtlingsunterkünfte in Brand gesteckt werden, wenn diese Brandstiftung Flüchtlingen den Weg in andere europäische Länder ebnet. Diese Befürchtung wird von den meisten europäischen Regierungen geteilt. Deshalb, meine Damen und Herren von SPD, Linke und Grüne, ist gut gemeint meist schlecht. Ihr Antrag befördert diese beschriebene Gefahr. Er darf nicht Richtschnur verantwortlichen, politischen Handelns werden.
Herr Kollege Dregger! Ich darf Sie fragen, ob Sie zwei Zwischenfragen einmal von dem Kollegen Woldeit von der AfD-Fraktion und von Frau Jarasch von Bündnis 90/Die Grünen zulassen?
Vielen Dank Herr Präsident! – Vielen Dank Herr Kollege für das Zulassen der Zwischenfrage! Sie haben übrigens gerade vollkommen richtig noch einmal ausgeführt, dass die griechische Regierung bis zum heutigen Zeitpunkt gar nicht um Hilfe gebeten hat. Darüber hinaus möchte ich Sie fragen: Halten Sie es nicht auch für ein fatales Signal, wenn es unter diesen sogenannten Flüchtlingen Straftäter gibt, die mithilfe von Brandstiftung unter dem Strich auch noch belohnt würden, wenn sie dadurch eine sichere Ausreise nach Deutschland genehmigt, erpresst und erzwungen hätten, und der Innensenator dafür auch noch wirbt?
Herr Präsident! Soll ich direkt antworten? Ja, gut, vor der zweiten Frage, sehr gern! – Ich glaube, ich habe das gerade sehr deutlich gemacht. Ich unterstelle der Koalition die besten Motive. Das steht für mich außer Frage. Ich unterstelle auch dem Innensenator die richtige Haltung. Wir sind aber politisch Verantwortliche. Politisch Verantwortliche müssen auch an die langfristigen nachhaltigen Wirkungen ihres politischen Handelns denken. Deswegen ist es außerordentlich problematisch, dass man ausgerechnet nach einer Brandstiftung, die erkennbar das Ziel hatte, Obdachlosigkeit herbeizuführen, die Not zu steigern, und den Weg in die europäischen Staaten zu
ebnen, ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt meint, man müsse jetzt die Flüchtlinge holen. Das ist schwierig.
Hinzu kommt, Herr Kollege, die Asylanträge sind noch nicht beschieden von denjenigen, die in Moria gewohnt haben. Es widerspricht allen europäischen asylrechtlichen Grundsätzen, im laufenden Verfahren zu Verteilungen zu kommen.
Deswegen ist es ein schwieriges Signal, das diese Koalition aussenden möchte. Sie möchte zum einen deutlich machen: Brennt die Lager ab, dann holen wir euch nach Europa. Und zweitens: Es interessiert uns gar nicht, ob ihr schutzberechtigt seid, ja oder nein. So kann man keine nachhaltige Lösung finden. Es ist unverantwortlich!
Vielen Dank! – Nur noch mal, weil ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich Sie richtig verstanden habe, die Frage: Haben Sie jetzt gerade gesagt, dass die Entscheidung der Bundeskanzlerin Frau Merkel und des Innenministers Seehofer, 1 500 Menschen nach Deutschland zu holen, schädlich ist und die eigenen europapolitischen Bemühungen konterkariert? – Und zum Zweiten: Haben Sie gerade gesagt, dass Herr Seehofer praktisch widerrechtlich und falsch Leute nach Deutschland holt, die ihr Asylverfahren noch nicht hinter sich haben,
was nämlich das bisherige Aufnahmeprozedere nach Dublin war, wie Sie ja wissen? Die Leute sollten nämlich ihr Asylverfahren dann hier in Deutschland machen. Deswegen hat er sie nach der Dublin-Verordnung nach Deutschland geholt. Oder meinen Sie nur, wenn da noch weitere – –
Oder meinen Sie nur, dass die weiteren 300, die als Landesaufnahme dazukommen, dass die dann plötzlich alles konterkarieren?
Sehr geehrte Frau Kollegin, ich schätze Sie sehr, wie Sie wissen, aber Sie haben jetzt meine weitere Rede vorwegnehmen wollen. Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, eine Stellungnahme zum Verhalten der Bundesregierung abzugeben. Ich würde deswegen einfach meine Rede fortsetzen und so die Frage mitbeantworten, wenn Herr Präsident damit einverstanden ist.
Vertretbar ist der Weg, den die Bundesregierung eingeschlagen hat. Sie bietet Griechenland die Übernahme ausschließlich als asylberechtigt anerkannter, tatsächlich Schutzbedürftiger an, die nicht aus dem niedergebrannten Lager auf Lesbos kommen – 408 Familien und Kinder –, und das ist absolut richtig so. Damit macht die Bundesregierung deutlich, dass sie niemanden ermutigt, Flüchtlingseinrichtungen wie auf Lesbos niederzubrennen, um den Weg in europäische Staaten zu ebnen. Sie macht zugleich klar, dass die Asylberechtigung geprüft und festgestellt werden muss, bevor an eine Verteilung Schutzbedürftiger unter den europäischen Staaten gedacht werden kann. Diese Klarheit fehlt Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der Linkskoalition. Er schadet in letzter Konsequenz dem Anliegen der Flüchtlinge, er missachtet die Souveränität Griechenlands, und er verletzt die Interessen Deutschlands und der europäischen Zusammenarbeit. Daher ist Ihr Antrag abzulehnen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde versuchen, darzulegen, Herr Kollege, dass wir mit unserem Antrag der Sache nicht nur nicht schaden, sondern sie sogar befördert haben – jetzt schon befördert haben –, indem wir eine gemeinsame Haltung in Deutschland unterstützt haben, die wir jetzt in Deutschland auch feststellen können.
denn es ist mittlerweile im Bund wie auch in den Ländern einschließlich Bayerns weitgehend anerkannt, dass wir zur Aufnahme von Geflüchteten bereit sein müssen, denn die Lage auf Lesbos und auch auf anderen Inseln in Griechenland ist in der Tat schier unerträglich und verlangt politische und tatsächliche Antworten auch von uns.
Die Bundesregierung hat bisher laut Regierungssprecher bereits 243 behandlungsbedürftige Kinder sowie 53 unbegleitete Minderjährige mit ihren Familien jeweils aufgenommen. Jetzt ist die Aufnahme weiterer 408 Familien angekündigt, und damit erhöht sich die Aufnahmezahl insgesamt – die, die schon da sind, und die, die noch herkommen können – auf insgesamt 2 750. Die Zahl hat der Senator heute in der Fragestunde auch schon genannt. Das ist, wie ich finde, durchaus eine Zahl, die sich sehen lassen kann und mit der Berlin und Deutschland auch bestehen können. Aber ich füge hinzu: Es kann durchaus auch mehr sein, und da gebe ich der Kollegin Jarasch recht, wir sollten hier keine feste Obergrenze festlegen, sondern da, wo Hilfe nötig ist, müssen wir bereitstehen, dies auch zu tun. Ich bin gegen eine Zahlendiskussion, sondern ich bin dafür, dass wir die Entwicklung so unterstützen, wie wir es bisher gemacht haben.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Deutschland übernimmt damit solche Migranten, deren Schutzbedürftigkeit in Griechenland bereits festgestellt ist. Das ist die Linie bisher, und das halte ich auch für richtig. Ob wir ein Verfahren für die Zukunft finden, das darüber hinausgeht, wird sich zeigen. Dass wir als Land Berlin gemeinsam mit Thüringen schon im September 2019 unsere Bundesratsinitiative beschlossen haben, ist kein Alleingang und auch keine Missachtung von Zuständigkeiten, sondern ein Angebot unserer Stadt, einen Teil dieses deutschen Kontingents aufzunehmen. Das sind wir unseren Ansprüchen an Humanität und die europäische Solidarität schuldig.
Die Frage ist sehr berechtigt, ob nicht bei früherer Aufnahme mindestens eines Teils der Geflüchteten das gegenwärtige Desaster mindestens einigen von ihnen erspart geblieben wäre.
Berlin ist in der Lage, bei der Familienzusammenführung zu helfen, und es ist auch in der Lage, bei der Aufnahme aus humanitären Gründen gemäß § 22 Aufenthaltsgesetz zu helfen. Das ist auch wesentlicher Inhalt unseres Antrags. Kollegin Jarasch hat das erläutert. Mit dem Antrag werden wir die vom Senat verfolgte Linie hier in diesem Haus auch noch einmal bekräftigen, und ich glaube, das ist für die Debatte auch hilfreich.