Protocol of the Session on August 20, 2020

Den Gebäudegrundriss zu verändern, das ist kompliziert. Und die Großraumbüros, die wir früher mal in der Justizverwaltung hatten, wollen wir aus verschiedenen Gründen auch nicht wieder zurückhaben, aber wir können gerne darüber im Gespräch bleiben,

[Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

auch über die Frage: Biete ich jedem Staatsanwalt ein Einzelbüro an, oder machen wir dauerhaft die Doppelbelegung? – Auch das haben wir hier im Hauptausschuss schon diskutiert. Ich setze mich für ordentliche Arbeitsbedingungen der Menschen ein, die wir für die Justiz gewinnen, und dazu gehört für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, dass sie ein eigenes Büro haben,

[Zuruf von Stefan Förster (FDP)]

um dort ihre wichtige Arbeit für das Land Berlin erledigen zu können, und keine Doppelbelegung. Das stört beim Diktieren, das stört beim Telefonieren. Das können sich alle vorstellen. – Danke schön!

Vielen Dank, Herr Senator! – Die Fragestunde ist damit für heute beendet.

Wir kommen zur

(Senator Dr. Dirk Behrendt)

lfd. Nr. 3:

Prioritäten

gemäß § 59 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.1:

Priorität der Fraktion Die Linke

Tagesordnungspunkt 7

Gesetz über die Versammlungsfreiheit im Land Berlin

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/2764

Erste Lesung

Ich eröffne die erste Lesung des Gesetzesantrags. In der Beratung beginnt die Fraktion Die Linke und hier der Kollege Schlüsselburg. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem Versammlungsfreiheitsgesetz wird Rot-Rot-Grün einen Bereich von grundlegender Bedeutung für unsere freiheitliche Demokratie neu regeln. Die Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist für unsere Demokratie konstitutiv. Sie ist eine wichtige Voraussetzung für die ständige Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Ideen und den friedlichen öffentlichen Kampf der Meinungen. Obwohl dieses Grundrecht und seine konkrete Ausgestaltung so wichtig sind, gab es seit 14 Jahren, also seit dem Übergang der Gesetzgebungskompetenz auf die Länder, kein echtes Update. Noch immer gilt das angestaubte Versammlungsgesetz des Bundes. Rot-Rot-Grün bringt das Versammlungsrecht in Berlin jetzt auf die Höhe der Zeit. Wir gestalten es freiheitlich aus und öffnen es für neue Versammlungsformen und -orte.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Dieses Gesetz ist aber nicht nur das Versammlungsfreiheitsgesetz des Landes Berlin, es ist gleichzeitig auch das der Bundeshauptstadt. Im vergangenen Jahr hatten wir mehr als 5 300 Versammlungen, nicht wenige davon richteten sich an oder gegen die Politik von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. Anders als die Verfassung von Berlin kennt das Grundgesetz leider so gut wie keine Möglichkeiten der direkten Demokratie. Auf Bundesebene haben die Bürgerinnen und Bürger zwischen den Wahlen kaum Einfluss auf die Politik. Ihnen verbleibt als Möglichkeit politischer Einflussnahme daher vor allem die Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit. Sie trägt dazu bei, das Defizit an politischer Ein

flussnahme im Vergleich zu Verbänden, Lobbyisten und den Massenmedien zu kompensieren.

Berlin ist also als Bundeshauptstadt der wichtigste Gewährleistungsort für die kollektiven Kommunikationsgrundrechte. Ich freue mich, dass es gerade eine R2GRegierung ist, die der Bundeshauptstadt ein liberales Versammlungsfreiheitsgesetz gibt.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es zeigt, dass es eben nicht egal ist, wer regiert. Und wer vor diesem Hintergrund allen Ernstes glaubt, dass es überhaupt nicht notwendig sei, das anachronistische Versammlungsgesetz des Bundes abzulösen, wer tatsächlich meint, alles könne beim Alten bleiben, hat ein erschreckend unterkomplexes Verständnis der Grundrechte.

Kommen wir nun zu einigen konkreten Punkten des neuen Gesetzes: Wir erweitern im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Möglichkeiten zum Demonstrieren und die Rechte der Demonstrierenden. Künftig steht das Recht auf ungehinderten Zugang zu Versammlungen genauso im Gesetz wie die Ermöglichung von Gegendemonstrationen in Hör- und Sichtweite. Das in Berlin erfolgreich praktizierte Deeskalationsgebot bekommt jetzt Gesetzesrang. Für uns mag das zwar ein alter Hut sein, aber bundesweit gibt es kein einziges Versammlungsgesetz, das ein Deeskalationsgebot vorweisen kann. Und wir verhindern damit auch, dass ein möglicher – wir hoffen es nicht – konservativer Innensenator es einfach mit einem Federstrich beseitigen kann, nur um Sheriff zu spielen. Wir stärken den Grundsatz der Kooperation.

Wir machen deutlich, dass die Kooperationsgespräche dazu dienen sollen, die Demonstrierenden zu unterstützen und nicht zu gängeln. Ort, Zeit, Thema und Streckenverlauf von Versammlungen werden künftig rechtzeitig und maschinenlesbar von der Versammlungsbehörde im Internet veröffentlicht. Damit verbessern wir die Voraussetzungen für den öffentlichen Meinungskampf. Für Versammlungen unter freiem Himmel sind Erlaubnisse für die Benutzung der öffentlichen Verkehrsfläche nötig. Damit bauen wir Kosten und Bürokratie ab.

Und schließlich weiten wir das Demonstrationsrecht auf privatrechtlich betriebene öffentliche Verkehrsflächen so weit aus wie kein anderes Bundesland. Künftig kann sich grundsätzlich auch auf oder in allgemein zugänglichen Verkehrsflächen, die ausschließlich in Privateigentum stehen, versammelt werden, z. B. auch in der Mall of Shame.

Und wir haben die sogenannte Bannmeile reduziert und sie vom Kopf auf die Füße gestellt. Es wird grundsätzlich erlaubt sein, auch vor dem Abgeordnetenhaus während der Sitzungszeiten zu demonstrieren. Wenn es nach uns

(Vizepräsidentin Cornelia Seibeld)

Linken gegangen wäre, hätten wir gerne ganz auf die Bannmeile verzichtet.

Wir erweitern und beschränken aber auch die Eingriffe der Versammlungsbehörde in bestimmten Bereichen. Immer wieder hatten wir Versammlungen, bei denen es zu Volksverhetzungen, zu Aufstachelungen, zu Hass und Gewalt, zur Verherrlichung des NS-Staates oder zu religiösen, rassistischen und ethnischen Diskriminierungen oder Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Identität gekommen ist. Hier mussten wir sorgfältig abwägen. Natürlich gilt das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit auch für die Menschen, deren Ziele wir bekämpfen. Das hat aber auch Grenzen. Wenn die Menschenwürde verletzt, die NSGewalt- und Willkürherrschaft gerechtfertigt oder zu Hass aufgestachelt wird, kann eine Versammlung verboten, beschränkt oder aufgelöst werden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt. Das ist ein Ausdruck unserer grundgesetzlichen Werte. Das ist aber auch ein Auftrag aus unserer Landesverfassung. Artikel 30 bestimmt, dass Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, dem Geist der Verfassung widersprechen. Diesen Auftrag nehmen wir ernst, und deswegen betreten wir – das gehört zu Ehrlichkeit dazu – ein bisschen rechtliches Neuland und schaffen das neue Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Friedens. Wir werden sehr aufmerksam beobachten, wie das in der Praxis angewandt wird und wie die Gerichte über die Einzelfälle entscheiden werden.

Damit an der Stelle aber keine Missverständnisse aufkommen: Das ersetzt nicht die Pflicht zum antifaschistischen Widerstand und den Widerstand gegen rechtsradikale Demos. Wir müssen auch weiterhin auf die Straße gehen und unmissverständlich deutlich machen: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

[Beifall bei der LINKEN]

Auf der anderen Seite beschränken wir traditionelle Eingriffsbefugnisse und gestalten sie grundrechtsfreundlich aus. Das Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot wird bundesweit einmalig nur noch auf das tatsächliche Verwenden zu den verbotenen Zwecken reduziert und zugleich nur noch dann durchgesetzt, wenn es zuvor eine Anordnung gegeben hat. Das ist gut für die Demonstrierenden, die jetzt nicht mehr für das Mit-sich-Führen eines Schals oder eines Fahrradhelms kriminalisiert werden. Es ist auch gut für die Polizei, weil es die Deeskalationsstrategie stärkt und sie nicht in das Dilemma stürzt, wegen der Gesetzeslage sofort – im Zweifel ohne Ermessen – einschreiten zu müssen. Und es entlastet die Gerichte von vielen Verfahren um Schals, Sonnenbrillen, Fahrradhelme und Luftpumpen.

Hier zeigt sich auch die Kompromissfähigkeit der Koalition. Ich habe oft betont, dass wir Linken gerne ganz auf dieses Verbot verzichtet hätten. Die überzeugende Kritik der SPD-Bundestagsfraktion bei der Einführung im Bun

desversammlungsgesetz trägt immer noch. Zumindest hätten wir in der Rechtsfolge gerne – wie in SchleswigHolstein – die Sache nur als Ordnungswidrigkeit und nicht als Straftat belegt. Beides war mit dieser SPD nicht zu machen, und dennoch haben wir in der Sache, wie ich finde, einen guten Kompromiss gefunden.

[Holger Krestel (FDP): Wollen Sie eine neue SPD backen, oder wie habe ich das zu verstehen?]

Die Koalition wird zu diesem Gesetz noch ein Fachgespräch mit der Zivilgesellschaft durchführen, und im Ausschuss werden wir natürlich auch eine Anhörung machen. Am Ende werden wir selbstverständlich noch Änderungen vornehmen, denn auch wir haben noch ein paar offene Fragen, die wir mit den Experten und der Zivilgesellschaft besprechen wollen. Ich z. B. möchte das Versammlungsrecht vor dem Hintergrund der aktuellen Erfahrungen mit der Coronapandemie gerne pandemiefest ausgestalten und dem Zugriff der Exekutive entziehen. Es ist ein so wesentliches Grundrecht, dass es tatsächlich vom Parlament geregelt werden sollte und nicht im Belieben der Exekutive aufgrund von irgendwelchen kurzfristigen Entwicklungen stehen sollte.

[Beifall bei der LINKEN]

Ich freue mich auf die Ausschussberatung. Das heute war der Auftakt. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Kollege Dregger das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Blicken wir auf das Geschehen in unserer Stadt. Wenn wir die Berlinerinnen und Berliner heute fragen würden, was die Hauptprobleme in Berlin sind,

[Paul Fresdorf (FDP): Der Senat!]

was glauben Sie, würden sie antworten: Rückgang des Wohnungsbaus trotz steigender Wohnungsnachfrage, desaströse Situation an unseren Schulen – nicht nur in der Pandemie –, Terminstau in der öffentlichen Verwaltung, z. B. bei der Kfz-Zulassung, Angst vor Kriminalität oder der Verlust des Arbeitsplatzes? Wie viele, sehr geehrte Damen und Herren der Koalition, würden wohl antworten, dass es ausgerechnet die Neuregelung des Versammlungsrechts ist? Ich kann Ihnen nicht sagen, ob sich 0,1 oder 0,2 Prozent der Befragten für dieses Thema aussprechen würden.

Ich möchte nur, Herr Kollege Schlüsselburg, bei allem Respekt für Ihren Input doch zurückweisen, dass das

(Sebastian Schlüsselburg)

geltende Recht ein anachronistisches Versammlungsrecht ist. Das geltende Recht ermöglicht es, dass in jedem Jahr in Berlin 5 400 Versammlungen stattfinden, und zwar geschützt von unserer Polizei. Niemand in dieser Stadt hat das Gefühl, dass das Versammlungsrecht unzulässig beschränkt wird – es sei denn die 0,1 oder 0,2 Prozent der Befragten, die Sie möglicherweise irgendwo finden.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Stefan Förster (FDP)]