Protocol of the Session on April 30, 2020

[Beifall bei der AfD – Lachen bei der CDU – Heiko Melzer (CDU): Die Berliner scheinen das anders zu sehen!]

Bei Ihnen gibt es keine klare Linie und keine nachvollziehbare Strategie mehr. Das wird immer offensichtlicher, denn bereits Ende März, vor vier langen Wochen, war es meine Fraktion, die in einer außerordentlichen Sitzung des Gesundheitsausschusses einen Antrag eingebracht hat, wonach Maskentragen im Sinne der Primärprävention in öffentlichen Räumen, mithin also im ÖPNV und im Supermarkt, verbindlich eingeführt werden sollte. Wo aber war an dieser Stelle die Berliner CDU? – Die war blass, die war vor vier Wochen geradezu unsichtbar. Sie haben sich zunächst einfach weggeduckt.

[Beifall bei der AfD]

Von Ihnen kam da gar nichts, nur um jetzt mit dieser Gesetzesinitiative, wo die Infektionswelle glücklicherweise abflaut, einen völlig übertriebenen Aktionismus an den Tag zu legen. Angefangen mit Ihren Bußgeldforde

rungen, wenn jemand seine Maske nicht trägt, folgt nun als neuer Höhepunkt diese absurde Gesetzesinitiative zum Gesundheitsnotstand. Mich beschleicht zunehmend der Verdacht, dass Sie mit diesem Aktionismus die schweren Versäumnisse der Bundesregierung im Vorfeld der Pandemie kaschieren wollen.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Zuruf von Burkard Dregger (CDU)]

Eines kann ich Ihnen aber sagen: Das Abschreiben aus dem bayerischen Infektionsschutzgesetz hilft da gewiss nicht. Es gibt inzwischen schon zwei Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zur Frage der Rechtmäßigkeit zum – nun für Berlin adaptierten – bayerischen Infektionsschutzgesetz in seiner Fassung vom 25. März 2020, das erstaunlicherweise deckungsgleich mit diesem Gesetzentwurf ist. Das eine Gutachten beleuchtet die Frage der Gesetzgebungskompetenz für den Infektionsschutz und das zweite Gutachten die Frage der zwangsweisen Rekrutierung von medizinischem Personal im Coronafall. Beide Gutachten begründen starke Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der nun hier von der CDU eingebrachten Gesetzesinitiative, da von einer generell abschließenden Wirkung – jetzt hören Sie bitte zu! – des Bundesinfektionsschutzgesetzes ausgegangen wird, wodurch die Bundesländer eben keine darüber hinausgehenden Gesetzgebungskompetenzen

mehr besitzen.

Um es klar zu sagen: Dieses Gesetz ist erstens vermutlich nicht verfassungskonform, und es ist zweitens berlinbezogen überhaupt gar nicht notwendig, weil wir schlicht und ergreifend und Gott sei Dank keinen Gesundheitsnotstand in Berlin haben. Es kann Ihnen doch nicht entgangen sein, dass wir in Berlin ausreichende Intensivkapazitäten haben, dass die Zahl der Neuinfektionen rückläufig ist und dass selbst bei der schweren Beschaffung von Schutzausrüstungen Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist. Ihre Forderungen gehen daher völlig am Thema vorbei.

[Beifall bei der AfD]

Gerade in Zeiten wie diesen, werte Kollegen der CDU, sollte es doch eigentlich parteiübergreifend weniger darum gehen, was einem gefällt und was nicht, sondern darum, welche sinnvollen Alternativen es gibt, um die getroffenen radikalen Einschnitte so schnell wie möglich wieder aufheben zu können. Wir als AfD-Fraktion haben hierzu Vorschläge unterbreitet. Wir als AfD-Fraktion Berlin verfolgen in dieser Krise einen klaren, stringenten und konsequenten Ansatzpunkt. Der Dreiklang lautet – für Sie gern noch mal zum Mitschreiben –:

[Joschka Langenbrinck (SPD): Oh, Stift zücken!]

erstens Gesundheitsschutz, zweitens Wirtschaftsschutz und die damit verbundene Sicherung von Arbeitsplätzen und drittens – nicht zu vernachlässigen – der Schutz von bürgerlichen Freiheitsrechten!

(Thomas Isenberg)

[Beifall bei der AfD]

Unser Mund-Nasen-Schutz-Antrag von vor vier Wochen ist bewusst vorgeschaltet, ja eingebettet gewesen in diese Linie: Gesundheitsschutz auf der einen Seite und maßvolle Lockerungsmaßnahmen auf der anderen! Denn der Gesundheitsschutz der Berliner und flankierend dazu Maßnahmen, um die Wirtschaft aus dem künstlichen Koma herauszuholen, den Berlinern wieder ein soziales Leben zu ermöglichen und die Menschen aus der inzwischen wochenlangen Untätigkeit zu befreien, das ist uns wichtig.

[Beifall bei der AfD]

Wir tun nicht so, als befänden wir uns in einem alternativlosen Zustand. Das stimmt nicht. Es ist die Kunst einer guten Politik, unter Unsicherheiten Entscheidungen zu treffen, Perspektiven zu entwickeln und dafür einzustehen.

Heute können wir feststellen, dass unsere Mund-NasenSchutz-Initiative vom 30. März nun tatsächlich ihre Erledigung gefunden hat. Man mag es kaum glauben, aber sie wurde von diesem rot-rot-grünen Senat endlich und trotz interner Querelen umgesetzt. Da frage ich mich, was eigentlich Priorität dieser Regierung ist: Ist es der Gesundheitsschutz der Bevölkerung, oder geht es ihr vor allem darum, die eigene Untätigkeit hinter Ausreden zu verpacken? – Ihr plötzlicher Sinneswandel in der Maskenfrage und vor allem die damit verbundene unnötige Zeitvergeudung sind jedenfalls noch stark erklärungsbedürftig. Nachdem zunächst vollmundig erklärt wurde, Berlin sei bei allem sehr gut aufgestellt und vorbereitet, verschläft der Senat jetzt offensichtlich während seiner vierwöchigen Überlegungen – ob mit oder ohne Maske, ob gute Geste oder venezianische Masken; die Debatte hatten wir im Ausschuss – einen rechtzeitigen und durchgeplanten, planbaren Ausstieg aus dem Lockdown.

[Beifall bei der AfD]

Aber vielleicht setzt der Senat auch ein zweites Mal unsere Vorschläge um, und zwar dieses Mal unsere maßvollen Vorschläge bezüglich Lockerungsmaßnahmen. Ich sage dazu: Besser früher als später! – Fazit: AfD wirkt, und das ist auch gut so. Das nennt sich konstruktive Oppositionsarbeit. Die CDU-Fraktion hingegen betreibt mit dieser Notstandsgesetzgebung puren Aktionismus, in der Form geradezu Panikmache. Das lehnen wir entschieden ab. Ich bin dennoch gespannt auf die Debatte im Fachausschuss. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD]

Für die Fraktion Die Linke hat Herr Dr. Albers das Wort. – Bitte!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen, meine Herren! Eine Bemerkung vorweg kann ich mir nicht verkneifen. Zum Thema Mundschutz, Herr Zeelen, würde ich mich sehr zurückhalten. Das war Ihr Gesundheitsminister, der am 30. Januar der „Bild“-Zeitung erklärt hat, Mundschutz sei nicht notwendig: Das Virus wird nicht über den Atem übertragen.

[Heiterkeit]

Ja, ist so. Ich kann es nicht ändern. Das hat er gesagt. –

[Beifall bei der LINKEN, der SPD, der AfD, den GRÜNEN und der FDP]

Also gehen wir mal ganz nüchtern und sachlich an die Sache heran, obwohl ich nach der Rede Ihres Fraktionsvorsitzenden Dregger vorhin zur Aktuellen Stunde gar nicht mehr so recht verstehe, warum Sie diesen Gesetzesentwurf jetzt noch einbringen. Ihr Gesetz soll ja, so steht es in Ihrer Begründung zu § 12, zur Bewältigung dieser aktuellen Coronakrise möglichst sofort in Kraft treten, und seine Geltung ist dementsprechend ja auch nur bis zum 31.12.2020 begrenzt. Nun ist aber die Grundlage dieses Gesetzes die Feststellung eines akuten Gesundheitsnotstandes in dieser Stadt durch die Mehrheit dieses Parlaments, und diesen Gesundheitsnotstand definieren Sie als eine Situation, in der die Versorgungssicherheit durch das öffentliche Gesundheitswesen ernsthaft gefährdet erscheint.

Ihr Fraktionsvorsitzender hat aber vorhin in seiner Rede zur Aktuellen Stunde die Lage in der Stadt als zurzeit stabil bezeichnet und all denen gedankt, die dazu beigetragen haben, dass das so ist. Er hat eben nicht den Gesundheitsnotstand ausgerufen. Die Versorgungssicherheit durch das öffentliche Gesundheitswesen in Berlin war auch in den Hochzeiten dieser Krise zu keinem Zeitpunkt ernsthaft gefährdet. Zu keinem Zeitpunkt seit dem ersten Auftreten eines Coronafalles in der Stadt am 28. Februar sind wir bei der klinischen Versorgung der tatsächlich an dieser Infektion auch erkrankten Patienten an unsere Kapazitätsgrenzen geraten. Es gab – das ist unbestritten – mit dem Auftreten der ersten Fälle in Berlin Anlaufschwierigkeiten in der allgemeinen ambulanten Versorgung von Patienten. Die waren aber eher durch organisatorische und logistische Probleme bestimmt, nicht durch eine massive Zunahme von Covid-19-Erkrankten. Einen Gesundheitsnotstand haben die nicht begründet, und zur Diskussion und Situation in den Krankenhäusern ist schon einiges gesagt worden. Die aktuelle Auslastung nach der Anweisung, die planbaren Eingriffe herunterzufahren, lag über Wochen bei 50 Prozent und darunter. Die Häuser haben nicht einmal mehr ambulante Operationen vorgenommen in Erwartung der Dinge, die prognostiziert waren. Dazu hat der Kollege Schatz schon einiges gesagt. Den Gesundheitsnotstand, Herr Dregger, Herr Zeelen, wenn Sie es denn so wollen, haben bei mir vor allem die vielen Nicht-Coronapatienten beklagt, die allesamt nicht

(Herbert Mohr)

weniger krank, nicht weniger schwer krank sind und die auf ihre planbaren, aber medizinisch dennoch dringend notwendigen Eingriffe warten, weil sie Schmerzen haben, weil sie Angst haben und weil sich auch ihre Leiden möglicherweise verschlechtern. Deswegen ist es gut und unbedingt notwendig, wieder alle Kranken in den Blick zu nehmen und die Kliniken auch für sie wieder verfügbar zu machen.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Herbert Mohr (AfD)]

Wenn Menschen mit Schlaganfällen und Herzinfarkten nicht mehr ins Krankenhaus kommen, dann ist in der Kommunikation etwas schiefgelaufen. So selbstkritisch muss man einfach sein.

[Allgemeiner Beifall]

Wir haben in Vorsorge 633 Intensivbetten für Coronapatienten in unseren Kliniken vorgehalten. Deren Auslastung lag im gesamten April im Schnitt bei 140 Betten täglich. Die höchste Auslastung dieses Kontingents lag bei 25,9 Prozent. Das war der 21. April. Da waren 164 ITS-Betten belegt. Die höchste Zahl an stationär zu versorgenden Covid-Patienten hatten wir am 10. April mit 615. Gestern, am 29. April, dem 62. Tag nach dem ersten Coronafall in dieser Stadt, waren 984 Infizierte auch akut erkrankt. 604 davon, das haben wir schon gehört, waren in stationärer Behandlung. Warum auch immer, seien es die getroffenen Maßnahmen, die wirksam waren, seien es möglicherweise auch andere Gründe: Diese Zahlen aus dem stationären Bereich begründen ebenfalls keinen Gesundheitsnotstand in dieser Stadt.

[Beifall von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Unbestritten ist, dass es auch dort zum Teil erhebliche Versorgungsmängel bei den verschiedenen Schutzmaterialien gab und auch noch gibt, nicht weil die Krankenhäuser missgewirtschaftet oder falsch geplant hätten, sondern ganz einfach, weil der Verbrauch enorm angestiegen ist, weil die Zwischenhändler nicht mehr nachliefern konnten und Masken zum Beispiel auf dem internationalen Markt über die gewöhnlichen Bezugsquellen einfach nicht mehr zu bekommen waren.

Dieser Verbrauch ist nicht etwa deshalb angestiegen, weil die Patientenzahlen hochgeschnellt sind. Der ist trotz leer stehender Stationen angestiegen, weil zum Beispiel die Hygienevorschriften für das Personal geändert wurden und dadurch der tägliche Bedarf von Schutzmasken das übliche Maß weit überschritten hatte und die Nachlieferungen ausblieben. Hier kann ich den Lösungsvorschlägen, die Sie in Ihrem Gesetzesentwurf vorschlagen, einiges abgewinnen. Zur Verfügbarmachung von Material, so die Überschrift Ihres § 2, wollen Sie unter anderem Enteignungen zur Unterbindung eigennütziger Materialverwendung medizinisch oder pflegerisch notwendigen Materials möglich machen. Okay! Das Problem ist nur: Diese Materialien, die wir benötigen und die Sie gegebenenfalls requirieren wollen, wären zurzeit in Berlin gar

nicht in ausreichendem Maß vorhanden, als dass man sie in großem Maße horten und demzufolge auch beschlagnahmen könnte.

Dann wollen Sie mit Ihrem § 2 Abs. 3 auch die aktuellen Wucherpreise für diese Materialien unterbinden, und Sie begründen Ihre Preisfestsetzung mit der Sozialpflichtigkeit des Eigentums,

[Torsten Schneider (SPD): Hört, hört!]

weil Sie verhindern wollen, dass im Krisenfall auf Kosten der Allgemeinheit Sondergewinne erzielt werden. Dieser Gedanke der Unterbindung eigennütziger Materialverwendung und die Idee, Sondergewinne auf Kosten der Allgemeinheit zu unterbinden, sind uns durchaus sympathisch.

[Heiterkeit bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Das haben wir mit unserem Gesetz zum Mietendeckel auch schon bewiesen. Schön, wenn Sie dieser sozialstaatlichen Logik nun auch folgen sollten. Ihr Gesetz ist entbehrlich. Weder ist ein Gesundheitsnotstand vorhanden, noch benötigen wir Zwangsrekrutierungen von Personal, und die virtuelle Beschlagnahme von Schutzmaterial, das nicht vorhanden ist, hilft auch nicht wirklich. Vielleicht ersetzen Sie in Ihrem Antrag das Wort „Gesundheitsnotstand“ einfach durch „Wohnungsnotstand“, und dann reden wir noch mal darüber. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und

den GRÜNEN –

Heiterkeit –

Das war ein Blattschuss!

Wer hat denn den Sozialismus

ausgerufen bei der CDU? –

Und bei der FDP!]