Protocol of the Session on January 26, 2017

die Opfer des Nationalsozialismus verbieten es hier und heute, über irgendwelche Formulierungsdetails zu streiten.

[Beifall bei der AfD und FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir haben deshalb unsere Bedenken gegen die Art der Einbringung des Antrags und einige Formulierungen im Text zurückgestellt. Vom Abgeordnetenhaus in Berlin muss am 27. Januar 2017 ein starkes Zeichen der Einigkeit aller demokratischen Parteien gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und für die Opfer von Diktatur, Völkermord, Rassenhass und Kriegsverbrechen ausgehen. Die AfD-Fraktion wird deshalb dem vorliegenden Antrag zustimmen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der AfD]

Dann hat die Kollegin Dr. Kitschun das Wort zu einer Zwischenbemerkung.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Pazderski! Ich finde es schade, dass Sie hier die Verfahrensfragen diskutiert haben. Dazu gibt es geeignetere Orte. Ich finde es auch schade, dass Sie die Gelegenheit nicht genutzt haben, sich hier klar und namentlich von den Äußerungen von Björn Höcke zu distanzieren. Das sollten Sie tun!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Torsten Schneider (SPD): Dafür hat er keine Mehrheit in seiner Fraktion! – Frank-Christian Hansel (AfD): In der Fraktion hat er dabei gar kein Problem! – Zuruf von Georg Pazderski (AfD)]

Wenn Sie erwidern möchten, müssten Sie das von vorne tun, Herr Pazderski. – Bitte schön!

Ich habe das Gefühl, dass Sie mir offensichtlich nicht richtig zugehört haben. Wir haben uns sehr wohl distanziert. Auf der anderen Seite denke ich, dass dieser Tag so wichtig ist, das will ich noch einmal unterstreichen, dass wir ein gemeinsames Signal von Berlin aussenden müssen und dass das bitte nicht für parteitaktische Spielchen genutzt wird. Der Tag ist viel zu wichtig für die deutsche Geschichte, für unser Selbstverständnis – –

[Ülker Radziwill (SPD): Genau deshalb sollten Sie sich distanzieren!]

Hören Sie doch einfach mal zu und reden Sie nicht dazwischen! Lassen Sie mich doch mal ausreden! – Sie müssen es auch einmal ertragen, dass hier vorne jemand steht, der alles das, was hier von Leuten vorgetragen wird, die das in Büchern gelesen haben, aus erster Hand erfahren hat. Ich sage Ihnen, ich weiß, wovon ich rede; ich weiß auch, was es bedeutet. Mein Vater ist mit 61 Jahren an den Folgen des Zweiten Weltkriegs gestorben. Das war für mich als Junge ein einschneidendes Erlebnis. – Danke schön!

[Beifall bei der AfD, der CDU und der FDP – Zuruf von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Bangert das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der 27. Januar erinnert an das unendliche Leid, das ein mörderisches NS-Regime über Millionen Opfer brachte. Wie vielfältig dieses Erinnern stattfinden kann, haben uns am vergangenen Montag Jugendliche und junge Erwachsene, Schülerinnen und Schüler sowie Auszubildende im Rahmen des Projekts „denk!mal“ hier im Haus und im Plenarsaal eindrücklich demonstriert. Alljährlich präsentieren sie ihre Arbeiten gegen das Vergessen und für das Erinnern, gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung, für die Gegenwart und unsere gemeinsame Zukunft. Sie recherchieren Biografien von Opfern des Nationalsozialismus, von Opfern des Euthanasieerlasses und geben ihnen ihre Identität zurück. Sie helfen bei der Restaurierung von KZ-Gedenkstätten, beschäftigen sich mit der Zeit des Nationalsozialismus auch im Rahmen transnationaler Kooperationen. Sie arbeiten künstlerisch ihr Erleben in Mahn- und Gedenkstätten ehemaliger Konzentrationslager auf. Sie setzen sich mit dem Nationalsozialismus im Kontext von Liebe auseinander und machen deutlich, welche gesellschaftlichen Gruppen Opfer des Nationalsozialismus wurden; sie drehen Filme zur Situation von Lesben und Schwulen in der NS-Zeit. Sie begeben sich auf Spurensuche, recherchieren in Archiven, interviewen Zeitzeugen, treffen Politikerinnen und Politiker, setzen sich kreativ mit Themen wie Diskriminierung, Rassismus und Menschenfeindlichkeit auseinander und geben ihr Wissen weiter. Sie arbeiten zur Gegenwart und beschäftigen sich mit den Themen Flucht und Migration und mit der Lebenssituation von minderjährigen Flüchtlingen. Diese jungen Menschen leisten eine ebenso großartige wie wertvolle Arbeit.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Ja, da kann man auch mal klatschen! – Sie leisten diese Arbeit im Rahmen politischer Bildungsarbeit.

(Georg Pazderski)

In diesem Zusammenhang, liebe AfD-Fraktion, würde mich doch mal interessieren, wie Sie Ihre Kollegen im baden-württembergischen Landtag beurteilen, die kürzlich beantragt haben, die Mittel für die Landeszentrale für politische Bildung zu streichen.

[Zurufe von den GRÜNEN und der AfD]

Es ist erschreckend, wie sich die Bilder gleichen, damals und heute, und gerade deshalb ist der Bezug zur Gegenwart in der Erinnerungsarbeit so wichtig.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Steffen Zillich (LINKE)]

Die aktuellen Entwicklungen in Europa, Deutschland und Berlin zeigen uns, dass die Aufklärung und die weitere Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen nach wie vor akut und von enormer Bedeutung sind. Jahrelang konnte der NSU mordend durch Deutschland ziehen, ohne dass der Verdacht auf rechtsradikale Ideologie als Tathintergrund aufkam, ursächlich dafür ein unglaubliches Versagen der Sicherheitsorgane. In der Konsequenz bedeutet dies, dass wir Aufklärung und eine wirksame Kontrolle staatlicher Institutionen verstärkt auf die Tagesordnung setzen müssen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Die Anfälligkeit für faschistisches, antisemitisches Denken und Handeln ist überall vorhanden. Es wurde hier schon gesagt: Erst kürzlich bezeichnete der AfD-Politiker Höcke das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas als Mahnmal der Schande. Das ist widerlich. Unerträglich ist aber auch, dass es seitens der AfD keine Distanzierung von dieser Aussage gibt, nicht hier und nicht heute,

[Frank-Christian Hansel (AfD): Das ist doch Blödsinn! Hören Sie doch auf!]

und der Fraktionsvorsitzende sich hier im Haus nicht in der Lage sieht, diesen Vorgang zu kommentieren.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Unerträglich!]

Unwidersprochen und bewusst wird hier Hass gesät und antisemitischen Strömungen freier Lauf gelassen.

[Zuruf von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Ich bin lauter als Sie, und ich habe das Rederecht!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zurufe von der AfD]

Es ist unsere gemeinsame Aufgabe und gesamtgesellschaftliche Pflicht, erstarkenden rechtsextremen, rassistischen, antisemitischen, islamfeindlichen, homo- und transphoben Ideologien immer und überall zu widersprechen und unseren freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat zu verteidigen.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Da haben Sie völlig recht!]

Die Unmenschlichkeit und die unfassbaren Verbrechen des Nationalsozialismus dürfen nie in Vergessenheit geraten. Erinnerung bedeutet für uns Verantwortung. Aus dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus erwächst für uns eine Verpflichtung in der Gegenwart. Wir sind mit unserer Geschichte in der Pflicht, uns gegen jegliche Form von Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Homophobie und allen anderen Formen von Menschenfeindlichkeit zu richten.

[Beifall bei den GRÜNEN und der AfD – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Frank-Christian Hansel (AfD): Richtig!]

Es ist unsere Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass Menschen, die bei uns Schutz suchen, hier auch sicher leben können, frei von Diskriminierung, Übergriffen und Anschlägen auf ihre Unterkünfte.

[Zuruf von der AfD: Vor allem Anis Amri!]

Gefragt ist Entschiedenheit gegen jede Ausgrenzung, Hetze und Gewalt.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Dann lassen Sie es sein!]

Wir müssen wachsam bleiben gegenüber rassistischen, antisemitischen und demokratiefeindlichen Gesinnungen und diesen weiterhin entschieden entgegentreten. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Luthe das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss bei diesem für mich auch ganz persönlich emotionalen Thema insofern um ein bisschen Nachsicht bitten, wenn meine Rede vielleicht nicht ganz so flüssig ist, wie sie an anderen Stellen bisher war.

Ich bin den Koalitionsfraktionen zunächst einmal sehr dankbar dafür, dass sie dieses Thema ansprechen. Ich bin über die Form der Einbringung dieses Antrags traurig. Ich finde es falsch, dass Sie die gerade von Ihnen beschriebene pauschale Verurteilung und Ausgrenzung bis in die Mitte der Gesellschaft, die wir nicht wollen, genau mit so einer Form der Antragstellung betreiben und nicht zeigen, dass das ganze Parlament dieses Thema selbstverständlich von Anfang an mittragen würde.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Die Kollegin Helm hat sehr deutlich darauf hingewiesen, dass es vor allem darum geht, die Wiederholung von

(Sabine Bangert)

Geschichte zu vermeiden, dass es nicht nur darum gehen kann, rückblickend betroffen zu sein, sondern dass wir mit wachem Blick in die Gegenwart in dieser Stadt und in diesem Land schauen müssen.

Wenn ich weg von der historischen Betrachtung in diesem Antrag, der nichts Falsches sagt, aber leider vieles Wahre weglässt, auf die Gegenwart schaue, auch auf den beschriebenen Toleranzbegriff, auf den ich gleich noch mal zu sprechen komme, dann sehe ich zunächst mal eines: Ich sehe eine Situation in dieser Stadt, in der Deutsche jüdischen Glaubens Angst haben müssen, als Juden auf der Straße erkannt zu werden, weil sie aus diesem Grund angegriffen werden.

[Beifall bei der FDP und der AfD – Zuruf von der AfD: So ist es nämlich!]

Sie werden in allen Teilen dieser Stadt angegriffen. Ich erinnere an die Überfälle auf einen Rabbiner 2011 in Friedenau. Ich erinnere an die vielfältigen Übergriffe an anderen Stellen überall in der Stadt.