Protocol of the Session on January 26, 2017

[Beifall bei der CDU, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Nie wieder dürfen wir es zulassen, dass in unserem Land so grauenhafte Verbrechen geschehen, dass Menschen wegen ihres Glaubens, wegen ihrer politischen Überzeugung, wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder sexuellen Orientierung verfolgt, eingesperrt und getötet werden. Auf diesem Fundament ruht unsere freiheitlichdemokratische Grundordnung. Auf dieses Fundament baut auch unsere Überzeugung, dass Deutschlands Zukunft im europäischen Miteinander liegt und gerade nicht im Rückfall in nationalistisches, in völkisches Denken.

Der Holocaust-Gedenktag mahnt uns zur Wachsamkeit gegenüber einem aufkeimenden Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus, wo immer wir ihm begegnen, ob in unserer Stadt, in unserem Land oder anderswo in dieser Welt. Und deswegen müssen wir – nicht nur, aber be

(Anne Helm)

sonders – bei jungen Menschen den Blick dafür schärfen, Rassismus und Totalitarismus schon in ihren Anfängen zu erkennen; denn das ist der beste Schutz gegenüber allen, die auch heute wieder Hass schüren und den Boden für neue Ausgrenzungen bestimmter Menschen oder Gruppen bereiten wollen.

Die in den letzten Tagen, Wochen und Monaten teils völlig verrohten Debatten und Diskussionen haben gezeigt: Freiheit, Demokratie und Menschenrechte sind keine Selbstverständlichkeit, sondern sie müssen von jedem einzelnen von uns immer wieder aufs Neue und ganz entschieden gegen alle verteidigt werden, die zu Gewalt, zu Ausgrenzung, zu Hetze aufrufen.

Ich ende, wie ich begonnen habe, mit der Erinnerung an Roman Herzog:

Die Erinnerung darf nicht enden. Sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen.

So hat Roman Herzog am 3. Januar 1996 seine Rede begonnen, mit der er den 27. Januar zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus erklärte. Sein Appell ist uns Mahnung zum Erinnern und zur Weitergabe der Erinnerung, nicht nur heute, sondern auch in Zukunft. Ein Verdrängen, ein Vergessen wird es mit uns nicht geben. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Dr. Kitschun.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Das Vergessen … ist Teil der Vernichtung selbst“, so hat es sehr treffend der französische Philosoph Jean Baudrillard formuliert. Morgen vor 72 Jahren, am 27. Januar 1945, wurde das größte deutsche Vernichtungslager, das KZ Auschwitz, von den Truppen der Roten Armee befreit. Mit dem Antrag möchten wir einen Beitrag leisten, einen Beitrag gegen das Vergessen, einen Beitrag für das Wachhalten der Erinnerung. Wir gedenken der Opfer, der barbarischen nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus beinhaltet für uns aber auch, wie Wolfgang Thierse es richtig formuliert hat, eine nachdrückliche Forderung zur Wachsamkeit, eine Wachsamkeit gegenüber allen möglichen Gefahren für unsere Demokratie und für die unteilbaren Menschenrechte.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Menschenverachtende Hetze, Antisemitismus und Rassismus treten wir entschieden entgegen. Ebenso entschieden weisen wir jeden Versuch zurück, nachträglich die ungeheuerlichen Verbrechen der barbarischen Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten zu relativieren.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der AfD! Sie haben heute hier die Chance, sich in der Debatte klar zu distanzieren von den unerträglichen Äußerungen Ihres Parteikollegen Björn Höcke. Bisher scheint es hier leider keine einheitliche Linie zu geben. Bitte nutzen Sie die Chance, stellen Sie das heute hier klar!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Das Berliner Abgeordnetenhaus veranstaltet seit 14 Jahren das Jugendforum „denk!mal“ zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und gegen Rechtsextremismus. Dieses Mal waren 50 Projekte von Jugendlichen und jungen Erwachsenen dabei. Mich hat besonders das Projekt „Gedenken gestalten“ der Helmuth-James-vonMoltke-Grundschule aus Charlottenburg beeindruckt. An einem goldenen Band der Erinnerung haben die Schülerinnen und Schüler ihre Wünsche und Gedanken festgehalten. Dort steht, in noch kindlicher Handschrift: „Ich hoffe, dass die Menschen aus der Vergangenheit lernen.“ – Dieser Wunsch sollte unser aller Ansporn sein. – Ich danke Ihnen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! Dann hat der Kollege Pazderski von der AfD das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke den Regierungsfraktionen, dass sie einen Antrag in das Abgeordnetenhaus eingebracht haben, der uns die Gelegenheit gibt, an diesem Tag gemeinsam der Verbrechen der Nationalsozialisten und ihrer Opfer zu gedenken. Wir gedenken, wie der Antrag zu Recht aufführt, aller Opfer – Juden, Roma und Sinti, Homosexuellen, den Opfern der Euthanasie, Kriegsgefangenen, politischen Häftlingen und Widerstandskämpfern.

Erlauben Sie mir ganz persönlich einen Dank dafür, dass im Antrag auch an die Zwangsarbeiter erinnert wird. Zu ihnen gehörte mein Vater, der als 17-jähriger Pole von

(Stefan Evers)

Warschau nach Deutschland verschleppt wurde und dort als Zwangsarbeiter fern der Heimat Frondienste leisten musste. Die beiden letzten Jahre des Krieges hat er zudem noch in einem Konzentrationslager verbracht. Bei mir in der Familie waren die Verbrechen der Nationalsozialisten immer ein ganz reales Thema, das niemanden kaltgelassen hat. Die AfD-Fraktion begrüßt daher den vorliegenden Antrag. Wir bedauern allerdings, dass er wenig würdevoll als Dringlichkeitsantrag allein von den Koalitionsparteien eingebracht worden ist.

[Beifall bei der AfD und der FDP]

Man hätte mit ein wenig mehr Vorlauf und einem Mindestmaß an gutem Willen einen gemeinsamen Antrag aller im Abgeordnetenhaus vertretenen Fraktionen formulieren können. Leider ist das am Kleingeist auf der Seite der drei Regierungsparteien gescheitert.

[Beifall bei der AfD – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Ihnen war der eigene kurzlebige politische Vorteil wichtig. Wir als AfD-Fraktion hätten uns jedenfalls einem gemeinsamen Antrag nicht verweigert; er wäre ohne wesentliche Änderungen am Antragstext möglich gewesen. Ganz offenkundig zielen einige Formulierungen im vorliegenden Antrag darauf ab, die AfD-Fraktion auszugrenzen und vorzuführen. Dass sich SPD, Linkspartei und Grüne nicht zu schade sind, ausgerechnet den Tag des Gedenkens an die Opfer der Nationalsozialisten für parteipolitische Spielchen zu instrumentalisieren, ist ebenso dreist wie peinlich

[Beifall bei der AfD]

und der Sache in höchstem Maße unwürdig.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dafür müssen sich aber die Antragsteller rechtfertigen, nicht wir.

[Beifall bei der AfD – Torsten Schneider (SPD): Sagen Sie mal was zu Höcke!]

Wir stimmen mit einigen wenigen Formulierungen des Antrags nicht überein, das gebe ich hier zu Protokoll. Wir in der AfD-Fraktion glauben beispielsweise nicht, dass es reicht, die Stimme gegen Rechtsextreme zu erheben, um menschenverachtender Stimmungsmache, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus entgegenzutreten. Das ist ein bisschen arg simpel. Wir sehen solche Tendenzen genauso bei linken Populisten und erst recht beim Linksextremismus.

[Beifall bei der AfD und der FDP – Beifall von Kurt Wansner (CDU)]

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nicht zufällig führt auch die Linkspartei immer wieder Diskussionen um antisemitische Fehltritte in den eigenen Reihen, auch wenn sie als Antizionismus getarnt auftreten.

[Beifall bei der AfD – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Wir sehen solche Tendenzen ebenso bei islamistischen Gewalttätern, aber auch bei manchen islamischen Zuwanderern.

[Beifall bei der AfD]

Man braucht nur die Erfahrungen von Cem Özdemir mit Berliner Taxifahrern nachzulesen, um zu wissen, wo und bei wem sich in Berlin menschenverachtende Stimmungsmache offenbart. Dies ist aber nicht der Anlass, über den Berliner Alltag zu reden; dazu werden wir heute noch viel Gelegenheit haben.

[Zurufe von Regina Kittler (LINKE) und Ülker Radziwill (SPD)]

Es ist auch nicht der Tag, um sich bei Rot-Rot-Grün selbstgerecht auf die Schulter zu klopfen. Lernfähigkeit aus der Geschichte kann man Ihnen wirklich nicht attestieren. Das sollte nach den quälenden Diskussionen der letzten Woche gerade dieser Senat wissen.

[Beifall bei der AfD – Zuruf von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

Der Tag gehört dem gemeinsamen partei- und fraktionsübergreifenden Respekt vor den bis zu 1,5 Millionen Opfern von Auschwitz.

[Torsten Schneider (SPD): Sie relativieren ihn gerade! – Zuruf von Ülker Radziwill (SPD)]

Er gehört dem Respekt vor den wenigen Überlebenden, die noch jahrzehntelang an den Folgen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft getragen haben. Dieser Tag gilt aber auch der Anerkennung und dem Dank an die Soldaten, die Auschwitz von den Schergen des Hitlerregimes befreit haben. Für uns sind diese düsteren Jahre deutscher Geschichte ein ganz wesentlicher Teil der Geschichtserzählung der Bundesrepublik Deutschland.

[Beifall bei der AfD]

Dazu brauchen wir natürlich auch – in den Worten des vorliegenden Antrags – Orte des Gedenkens als Erinnerungsorte und Mahnmale, selbstverständlich auch in der Mitte Berlins. Die AfD-Fraktion hat daher übrigens nach kurzer und einvernehmlicher Aussprache darauf verzichtet, zum vorliegenden Antrag Änderungs- oder Alternativvorschläge in das Abgeordnetenhaus einzubringen. Die Bedeutung und das Gewicht des Tags des Gedenkens an

die Opfer des Nationalsozialismus verbieten es hier und heute, über irgendwelche Formulierungsdetails zu streiten.