Protocol of the Session on May 23, 2019

lfd. Nr. 4.2:

Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Tagesordnungspunkt 15

a) Tierversuche reduzieren I

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung vom 6. Mai 2019 Drucksache 18/1871

zum Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/1312

b) Tierversuche reduzieren II

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung vom 6. Mai 2019 Drucksache 18/1872

zum Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/1313

In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Grüne, und hier der Abgeordnete Dr. Taschner. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich Anfang der 1990-er Jahre mein Stu

(Sebastian Schlüsselburg)

dium im Nebenfach Zoologie begann, da war das Erste, was ich zu tun hatte, der erste Pflichtkurs, den ich zu absolvieren hatte, der sogenannte Schnippelkurs. Und so verbrachte ich dann ein Semester lang damit, Insekten, Wasserflöhe, Würmer, ja bis hin zur Maus unter dem Mikroskop zu sezieren; und meine ganzen Erkenntnisse durfte ich dann schön in mein Heft reinmalen. Schon damals habe ich mich gefragt, ob es nicht eigentlich viel sinnvoller ist, die deutlich besseren Zeichnungen aus dem Lehrbuch zu nehmen, um die Anatomie dieser Tiere wirklich zu studieren. Und warum müssen eigentlich stattdessen Tiere getötet werden?

Jetzt, fast 30 Jahre später, verfügen wir über weit bessere Möglichkeiten: Virtual Reality, Computersimulationen, all das kann solche Veranstaltungen wie den Schnippelkurs eigentlich überflüssig machen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Auch aus diesem Grund stellen wir uns die Frage: Wie können wir unnötiges Tierleid im Studium eigentlich verhindern und den Tierschutz stärken? – Vor drei Wochen wurde ich von der Veterinärmedizinischen Fakultät der FU in Berlin eingeladen. Der Grund für diese Einladung waren die beiden Anträge, über die wir jetzt gerade diskutieren. Dort gab es echt die Befürchtungen, dass jetzt unter Rot-Rot-Grün wirklich kein Studierender der Tiermedizin mehr an ein lebendes Tier ran darf. Dem ist natürlich nicht so. Das konnte ich dort auch relativ schnell klarmachen. Aber wir müssen uns schon die Frage stellen, wie wir den Tierverbrauch und das Tierleid reduzieren können und den auch von uns angestoßenen Tierversuchsparadigmenwechsel endgültig in die Tat umsetzen. Genau darum will Rot-Rot-Grün die Tierversuchslehre und -forschung an den Berliner Hochschulen stärken. Wir wollen den Tierschutz in der Lehre verbindlich festschreiben.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Daniel Buchholz (SPD)]

So wollen wir nach dem Vorbild anderer Hochschulgesetze in der Lehre möglichst weitgehend auf Tierversuche sowie die Verwendung von toten Tieren verzichten, wie es etwa im Hessischen Hochschulgesetz festgeschrieben ist. Wer jetzt schon gleich wieder den Untergang des Wissenschaftsstandortes Berlin sieht, dem sei versichert, auch in Gießen – was ja bekanntlich in Hessen liegt –, kann man weiterhin Tiermedizin ohne Probleme und mit Erfolg studieren.

Dass es möglich ist, auf Alternativen zu setzen, konnte ich bei dem Besuch an der FU deutlich sehen. Da gibt es zum Beispiel eine lebensgroße Pferdeattrappe, an der die Studierenden üben können: Hat das Pferd Koliken? Man kann ihm sogar scheinbar echtes Blut abzapfen. So lernen und so üben die Studierenden eben erst einmal die Techniken an einer Alternative, bevor man sie dann auf echte

Pferde loslässt. Ein wildes Rumgepikse an einem echten Pferd im Stall findet dann eben nicht mehr statt. So können wir Schmerzen, Leiden und vielleicht auch Folgeschäden bei den Tieren deutlich reduzieren.

Dazu kommen viele andere Alternativen, die die FU angeschafft oder gar zum Teil selbst entwickelt hat. Hundeattrappen, an denen man zum Beispiel Herzfehler von Hunden diagnostizieren kann oder auch das Einführen eines Tubus in den Hundemund. Mit Nähattrappen kann man Techniken üben, wie man Wunden verschließen kann. All das wird an Alternativen getestet, bevor ich dann mal an ein lebendes Tier heran kann. Selbst Prüfungssituationen werden so standardisiert und deutlich fairer.

Aber um diese Lehralternativen wirklich deutlich zu stärken, müssen wir natürlich auch die Hochschulen in die Lage versetzen und sie unterstützen, genau solche Lehrmethoden und Materialien zu entwickeln bzw. anzuschaffen. Das ist auch eine wichtige Voraussetzung, denn nur so entsteht eine neue Generation von Forschenden, die mit Alternativen statt mit Tierversuchen aufwächst. Nur so haben wir die Chance, dass wir auch später, wenn sie in die Forschung gehen, dann Forschende haben, für die der Tierversuch nicht mehr der Goldstandard ist, sondern die Alternative. Wenn wir in Berlin also wirklich ein Hotspot für die Exzellenzforschung, für die Alternativforschung sein wollen, dann müssen wir schon bei der Basis beginnen. Und die beginnt bei der Ausbildung an den Universitäten.

[Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Es muss also ganz klar für Berlin gelten: Wenn der gleiche Studiengang in Berlin oder auch außerhalb Berlins ganz ohne sinnlose Tierversuche auskommt und es dort möglich ist, dann spricht doch nichts dagegen, dass wir die Praxis, eigens zum Zweck von Lehre Tiere zu töten, beenden und die Alternativen bei unseren Studiengängen auch an unseren Universitäten einführen. Deshalb braucht es die Verpflichtung, dass wir das Tierleid ernst nehmen und in der Lehre wegweisende Optionen zulassen. Dafür bitte ich heute um Ihre Zustimmung. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Für die Fraktion der CDU hat jetzt das Wort der Abgeordnete Grasse. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist genau zwei Wochen her, da haben wir an dieser Stelle im Rahmen der Aktuellen Stunde über die Stärkung des Wissenschafts- und Forschungsstandorts Berlin ge

(Dr. Stefan Taschner)

sprochen. Der Anlass war durchaus erfreulich, denn die Einigung von Bund und Ländern über die künftige Ausgestaltung der drei großen Wissenschaftspakte war nicht nur eine gute Nachricht für die Wissenschafts- und Forschungslandschaft in Deutschland insgesamt, sondern insbesondere auch für den Standort Berlin. Unsere Stadt wird von den vom Bund bereitgestellten finanziellen Mitteln erheblich profitieren. Wir haben im Rahmen der Beratung vor zwei Wochen aber auch auf die seit langer Zeit ungelösten Probleme und Baustellen im Wissenschafts- und Forschungsbereich hingewiesen.

Die uns vorliegenden Anträge der Koalition zur Reduzierung von Tierversuchen möchte ich deshalb zum Anlass nehmen, um kurz auf das zurückzukommen, was mein Kollege Dr. Hans-Christian Hausmann schon vor zwei Wochen gesagt hat.

[Dr. Michael Efler (LINKE): Und nun zum Antrag!]

Die CDU-Fraktion hat erhebliche Zweifel daran, welchen eigenen Anteil der Senat an der sehr erfolgreichen und beeindruckenden Wissenschaftslandschaft in Berlin hat. Auch die vielbeschworene Stärkung des Forschungsstandortes Berlin lässt Ihre Politik nicht erkennen. Die vorliegenden Anträge, die wir an dieser Stelle nun schon zum zweiten Mal beraten, und die von den Kolleginnen und Kollegen der Grünen-Fraktion auch noch zur Priorität erhoben wurden, zielen jedenfalls genau in die entgegengesetzte Richtung. Mit Ihren Forderungen nehmen sie eine erhebliche Schwächung des Wissenschafts- und Forschungsstandortes Berlin durch erhebliche Einschränkungen von Forschung und Lehre in Kauf.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Daniel Buchholz (SPD)]

Für die CDU-Fraktion möchte ich zunächst nochmals klarstellen: Wir teilen ausdrücklich das Ziel, Tierversuche im Bereich Forschung und Lehre zu reduzieren. Im Gegensatz zu Ihnen tun wir dies aber, ohne dabei die Augen vor der Realität zu verschließen. Denn zum jetzigen Zeitpunkt – das haben auch die Sachverständigen im Rahmen der Anhörung im Wissenschaftsausschuss deutlich gemacht – sind wir eben noch nicht so weit, gänzlich auf Tierversuche verzichten zu können, jedenfalls nicht, ohne den medizinischen Fortschritt und die Wettbewerbsfähigkeit des Forschungsstandortes Berlin zu gefährden.

Die CDU-Fraktion unterstützt den Verzicht auf Tierversuche, wenn diese durch Alternativmethoden ersetzt werden können.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Efler?

Nein, vielen Dank! – Erfreulicherweise haben wir für die Verwendung von Tieren zu Forschungszwecken bereits heute sehr strenge gesetzliche Regelungen, nach denen entsprechende Versuche genehmigungspflichtig sind und stets auf das notwendige Maß beschränkt werden müssen. Aus unserer Sicht sollten wir unsere Anstrengungen deshalb darauf konzentrieren, die Erforschung von Alternativmethoden weiter voranzutreiben.

[Dr. Michael Efler (LINKE): Steht drin!]

Auf die Änderungsanträge der FDP-Fraktion wird sicherlich gleich der Kollege Förster eingehen. Von unserer Seite haben wir den guten und sinnvollen Änderungen zugestimmt. Ich frage mich an dieser Stelle: Was wollen Sie eigentlich heute neu beraten? Warum erheben Sie das Thema zur Priorität, wenn Sie die Ergebnisse aus der Anhörung im Wissenschaftsausschuss gar nicht einfließen lassen?

[Zuruf von Daniel Buchholz (SPD)]

Eine Anhörung, die übrigens auf Ihre Initiative hin durchgeführt wurde. Sollte uns nicht gerade im Wissenschaftsausschuss der Anspruch treiben, neue Erkenntnisse neu zu bewerten und neue Argumente zu gewichten, um zu einem besseren Ergebnis, zu besseren Anträgen zu kommen, deren Ziele wir alle teilen? Stattdessen halten Sie an den Ursprungsanträgen fest.

[Dr. Michael Efler (LINKE): Stimmt doch gar nicht! Gibt doch den Änderungsantrag!]

Dann sparen Sie sich doch den Klimmzug, dann brauchen wir nicht die erneute Debatte heute und die Anhörung mit Fachleuten im Ausschuss. So bleibt der Verdacht, dass Sie ideologisch ein Ziel verfolgen. Ideologie brauchen wir nicht, gerade in der Wissenschaft nicht.

[Beifall bei der CDU]

Mit den vorliegenden Anträgen und dem Verlauf der Beratungen haben die Regierungsfraktionen wieder einmal deutlich gemacht, wie wenig Sie die Interessen unserer Forschungseinrichtungen und Universitäten im Blick haben. Ihnen geht es nicht um die Stärkung des Wissenschafts- und Forschungsstandortes, stattdessen versuchen Sie, mit Schaufensteranträgen zu punkten, die an der Realität vorbeigehen.

[Oliver Friederici (CDU): Pfui!]

Für die CDU steht außer Frage – ich betone es noch einmal –: Ja, wir wollen Tierversuche weiter reduzieren. Im Gegensatz zu Ihnen wollen wir aber den zweiten Schritt nicht vor dem ersten machen. Deshalb können wir aus den genannten Gründen Ihren Anträgen in der vorliegenden Form auch nicht zustimmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Für die Fraktion der SPD hat jetzt das Wort Herr Abgeordneter Daniel Buchholz. – Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen! Meine Herren! Zu meinem Vorredner von der der CDU-Fraktion komme ich gleich noch. Vielleicht erst zu den Inhalten, denn ich glaube, er hat die Anträge beide nicht richtig gelesen, vielleicht sogar gar nicht richtig verstanden.

SPD, Linke und Grüne sind eindeutig in ihrem Statement, dass sie sagen – auch schon in der Koalitionsvereinbarung, sowie mit den beiden Anträgen, die wir heute beraten –: Wir wollen die Tierversuche in dieser Stadt auf das absolute Minimum reduzieren, und wir wollen tatsächlich Berlin zur Hauptstadt der Alternativen zu Tierversuchen machen, damit es kein unnötiges Tierleid mehr in unserem Bundesland gibt.