Protocol of the Session on May 31, 2018

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Aufrüttelnd sind auch die Ergebnisse einer quantitativen Befragung von Jüdinnen und Juden zur ihrem persönlichen Erleben von Antisemitismus, die die unabhängige Expertenkommission Antisemitismus des Bundestags in Auftrag gegeben hat. Danach haben fast zwei Drittel der befragten Jüdinnen und Juden im letzten Jahr versteckte antisemitische Andeutungen erleben müssen, ein Drittel sogar Beleidigungen und Belästigungen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die hohe Bedeutung des Kampfs gegen Antisemitismus vor Kurzem trefflich beschrieben:

Antisemitismus zerstört am Ende Heimat für alle, und deshalb sind öffentliche Einrichtungen, auch die Polizei und die Justiz, dazu aufgerufen, Antisemitismus zu bekämpfen. Aber wir dürfen es als Gesellschaft nicht nur den öffentlichen Einrichtungen überlassen, sondern wir müssen auch den Mut und die Courage im Alltag selbst zeigen.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Schon bei den letzten beiden Plenarsitzungen haben wir uns aufgrund aktueller antisemitischer Vorfälle und des bevorstehenden al-Quds-Tages mit dem Thema Antisemitismus in unserer Stadt beschäftigt. Heute beraten wir einen Grundsatzbeschluss zur Verbesserung und Verstärkung des Kampfs gegen Antisemitismus in unserer Stadt. Der vorliegende Antrag – Gegen jeden Antisemitismus! – Jüdisches Leben in Berlin schützen! – ist das Ergebnis eines langen, mehrere Monate dauernden Beratungsprozesses zwischen den Fraktionen. Außerdem, und das ist mir wichtig, ist in den Antrag viel Expertise von zivilgesellschaftlichen Akteuren in der Stadt im Bereich Antisemitismusprävention eingeflossen. Die Konzentration auf das gemeinsame Ziel und die Kompromissbereitschaft im Kleinen haben es ermöglicht, dass heute fünf Fraktionen dieses Hauses den Antrag gemeinsam einbringen. Für die gute Zusammenarbeit möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken!

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP]

Der Antrag umfasst wichtige Bekenntnisse wie die Übernahme historischer Verantwortung für den Holocaust, für eine demokratische Erinnerungskultur sowie zum Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels. Außerdem erteilen wir antisemitischen Boykottaufrufen eine klare Absage. Das gilt auch für die Boykottkampagne BDS – Boycott, Divestment and Sanctions –, also Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen. Diese Kampagne orga

(Katrin Schmidberger)

nisierte selbst am 9. November des letzten Jahres, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, eine Israel-Boykottaktion. Solche antisemitischen, den Staat Israel als Ganzes dämonisierenden Organisationen sollen in Berlin keine Räume, Zuwendungen oder Zuschüsse des Landes erhalten.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN, der AfD und der FDP]

Kernstück des Antrags ist ein umfassendes Konzept zur Weiterentwicklung der Präventionsarbeit gegen Antisemitismus in Berlin. Dieses Konzept soll der Senat bis Ende Februar 2019 erarbeiten. Zivilgesellschaftliche Expertise und jüdische Organisationen sind dabei einzubeziehen. Zentral in diesem Konzept ist einmal die Stärkung der Präventionsarbeit an Schulen und in der Jugendsozialarbeit. Zentral ist auch die Schaffung einer koordinierenden Stelle des Landes zur Abstimmung zwischen Bund, Land und Bezirken. Wichtig ist die detaillierte Erfassung antisemitischer Vorfälle, sind Studien zu antisemischen Akteuren und Akteurinnen und natürlich die Evaluation und Verstetigung von Präventionsarbeit.

Kurz zum Änderungsantrag der AfD: Schon in der letzten Plenarsitzung habe ich darauf hingewiesen, dass es nicht ausreicht, sich auf muslimischen Antisemitismus zu fokussieren. Wir müssen gegen alle Formen von Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit vorgehen.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP]

Wenn Sie, meine Damen und Herren von der AfD, unseren Antrag noch einmal genauer lesen, stellen Sie fest, dass unter Punkt 7 konkret gesagt wird, dass Antisemitismus auch die verstärkenden Faktoren einer Einwanderungsgesellschaft berücksichtigen muss.

[Zuruf von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Jüdisches Leben und jüdische Kultur gehören zu Berlin. Wir werden sie fördern und unterstützen. Wir wollen, dass Jüdinnen und Juden sich in dieser Stadt sicher fühlen können. Wir stehen auf der Seite derjenigen, die gegen Hass und Antisemitismus aktiv sind.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Beifall von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Seit heute wird im Jüdischen Museum die Kippa des jungen Israeli gezeigt, der vor wenigen Wochen in Prenzlauer Berg einen brutalen antisemitischen Übergriff erleiden musste. Sie wird dort unter „Kippa des Anstoßes“ gezeigt und soll zu einem Dialog gegen Intoleranz anregen. Es ist ein schönes Zusammentreffen, dass wir am selben Tag hier in diesem Haus ein wichtiges und umfassendes Präventionskonzept gegen Antisemitismus auf den Weg bringen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP]

Für die Fraktion der CDU hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Seibeld. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Berlin war vor dem Zweiten Weltkrieg eine Stadt mit reichem jüdischem Leben. Nach vielen Jahrzehnten ist Berlin nun wieder auf einem sehr guten Weg dahin, doch darf dieser Weg nicht in einer Sackgasse enden. Antisemitismus ist ein wachsendes Problem unserer Gesellschaft. Ausgrenzung, Beleidigung, körperliche oder seelische Angriffe auf Menschen jüdischen Glaubens sind auf das Schärfste zu verurteilen, egal, ob auf Schulhöfen oder am Pariser Platz, im Herzen Berlins.

[Beifall bei der CDU, der SPD, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Beifall von Karsten Woldeit (AfD)]

In der deutschen Hauptstadt darf es keinen Platz für Antisemitismus geben!

Unsere Pflicht als Demokraten ist es, hier entschlossen Widerstand zu leisten. Die brutalen Übergriffe der letzten Zeit und das daraus resultierende Gefühl von Unsicherheit, ja, von Bedrohung, sowie der sich im Kleinen zunehmend durchsetzende alltägliche Antisemitismus gefährden den Weg Berlins in eine freiheitliche und vielfältige Metropole. Zunehmender Antisemitismus ist ein deutlicher Indikator dafür, dass das religiöse und gesellschaftliche Zusammenleben eines Gemeinwesens infrage gestellt wird. Es ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass der gesellschaftliche Frieden nicht nur zwischen Juden und Nichtjuden gestört ist. Die zutage tretenden Ressentiments sind häufig ein Ventil für viel tiefer liegende Spannungen.

Wir begrüßen daher den fraktionsübergreifenden Antrag, der letztlich in erfreulichem Einvernehmen zustande kam. Er definiert das gemeinsame Ziel, jedwede antisemitischen Übergriffe zu verurteilen und entschieden zu bekämpfen sowie den Antisemitismus als eine zentrale Gefährdung des Gemeinwesens abzulehnen, denn Antisemitismus ist kein Problem unserer jüdischen Mitbürger, sondern unser aller Problem.

[Allgemeiner Beifall]

Mir ist klar, dass ein solches Bekenntnis zum Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels für einige Mitglieder der Regierungskoalition einen weiten Weg bedeutet. Umso mehr freue ich mich, dass wir diesen Antrag heute in dieser Form beschließen können. Ich freue mich besonders, dass unserer Forderung nach einem zentralen Antisemitismusbeauftragten oder auch dem „BerlinMonitor“ entsprochen werden kann.

(Dr. Susanne Kitschun)

Der heute zutage tretende Antisemitismus ist nicht nur ein Problem von dumpfen Skinheads oder ressentimentgeladenen Alt-Nazis. Wir müssen das Tabu brechen und auch offen über den Antisemitismus und die Israelkritik der in den letzten Jahren und Jahrzehnten aus dem arabischen Kulturkreis zu uns gekommenen Menschen sprechen.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Dabei spielt die Religion eine wesentliche Rolle. Unsere Verfassung garantiert dem Einzelnen Religionsfreiheit in Form der Freiheit von der Religion, aber auch als Freiheit zur Religion. Die Einbeziehung der Religion in der Frage der Begegnung des Antisemitismus scheint mir ein Alleinstellungsmerkmal der CDU zu sein; den Antisemitismus werden Sie nicht gegen die Religionen überwinden. Vielmehr müssen wir die Religionen einbinden. Wir sind der Auffassung, dass im Kampf gegen den Antisemitismus der Religion mehr Raum gegeben werden muss, da sich der Antisemitismus nicht nur weltlich erklärt, sondern häufig religiös begründet wird. Hier ist eine bessere religiöse Ausbildung nötig, denn religiöse Bildung tritt der Manipulation durch Religion entgegen. Religiöser Frieden setzt immer die fundierte Kenntnis der eignen Religion, aber auch anderer Religionen voraus. Eine Entfernung des Religiösen aus dem öffentlichen Leben unserer Stadt wird diesen Konflikt dagegen nicht befrieden. Die Sichtbarkeit von Religion verringert das Risiko religiöser Spannungen. Religiöse Radikalisierung basiert auf religiösem Unwissen. Die meisten Jugendlichen, auch die muslimischen, sind religiöse Analphabeten. Eine bessere Kenntnis der eigenen Religion stärkt das Selbstwertgefühl und verringert die Unsicherheit im Umgang mit anderen Religionen. Schon Schüler an Berliner Schulen brauchen eine bessere religiöse Ausbildung, um nicht einem religiös begründeten Antisemitismus auf den Leim zu gehen. Wir brauchen ein Wahlpflichtfach Religion auch und gerade für den Islam.

[Beifall bei der CDU und der AfD]

Die CDU-Fraktion steht nach wie vor zur Gründung eines Lehrstuhls für islamische Theologie. Die Muslime in Berlin brauchen eine fundierte theologische Ausbildung und keine Imame aus dem Ausland.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Wissenschaftlich ausgebildete deutsche Imame können ihren Beitrag zur Steigerung eines souveränen Selbstwertgefühls deutscher Muslime leisten.

Dennoch: Die Förderung religiösen Lebens als Privatsache des Einzelnen und die Beibehaltung des Berliner Neutralitätsgesetzes sind kein Widerspruch. Das aktuelle Berliner Neutralitätsgesetz hat sich bewährt, insbesondere Beamte mit hoheitlichen Aufgaben müssen die Neutralität des Staates sichtbar demonstrieren. Deutlich sichtbare bzw. im Eindruck dominierende Religionsbekundungen

von ausführenden Exekutivbeamten würden im Einzelfall den gesellschaftlichen Frieden gefährden, wenn der Eindruck der Vorteilsgewährung für Glaubensgenossen entstünde. Dieses Verhältnis von öffentlich gelebtem privaten Glauben und staatlicher Neutralität könnte sich in Berlin im Gegensatz zum Kruzifix in Bayern zu einem gemeinsamen Wertekonsens entwickeln. Für diese Diskussion reicht aber meine Redezeit heute nicht aus.

Der Regierende Bürgermeister findet das Thema offenbar nicht so relevant. Ansonsten hätte ich ihn an dieser Stelle aufgefordert, das Neutralitätsgesetz in seiner geltenden Form beizubehalten und sich hier in der Koalition durchzusetzen. – Lassen Sie uns unbedingt im Kampf gegen den Antisemitismus im Gespräch bleiben, denn nur gemeinsam werden wir hier etwas bewegen können! – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Abgeordnete Frau Helm. – Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Gegen jeden Antisemitismus – ich freue mich, dass es einen so breiten Konsens für dieses Thema gibt. Das wird der Tatsache gerecht, dass Antisemitismus ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, dem wir uns nur gemeinsam stellen können und mit dem wir die Betroffenen nicht alleine lassen dürfen.

Antisemitismus findet leider schon sehr lange einen gefährlichen Platz in unserer Gesellschaft. Laut einer Studie der Uni Leipzig sind 11 Prozent der deutschen Bevölkerung der Meinung, Juden hätten einen zu großen Einfluss. In den letzten Jahren mussten wir aber den Eindruck gewinnen, dass der Antisemitismus brutaler geworden ist und viel offener zutage tritt. Er bricht sich in sozialen Netzwerken Bahn oder in körperlichen Angriffen. Was wir vielleicht für einen gesellschaftlichen Konsens gehalten haben, wird aufgekündigt, wenn Antisemitismus wieder sagbar gemacht wird, durch das Gerede von einem Schuldkult oder einem Schlussstrich unter die Shoah,

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

aber auch dann, wenn beispielsweise zwei Rapper mit antisemitischem Geraune und der Verhöhnung der Opfer des Vernichtungslagers Auschwitz zu den kommerziell erfolgreichsten in ihrem Fach avancieren. Und auch der Bericht der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus von Berlin aus dem letzten Jahr belegt eine

(Cornelia Seibeld)

Zunahme dieser Übergriffe. Darunter: Im März wird eine israelische Touristin in Mitte mit den Worten „Weil du Jüdin bist, bringen wir dich um“ bedroht. Kurz vor dem Jahrestag der Novemberpogrome werden in Britz in einer einzigen Nacht Dutzende Stolpersteine aus dem Pflaster gerissen. Die Amadeu-Antonio-Stiftung berichtet aus ihrem Alltag in der Jugendarbeit gegen Antisemitismus, in einem Neuköllner Jugendklub sagt ein 15-jähriger Jugendlicher: Hitler ist mein Vorbild, weil er viele Juden vernichtet hat. Um die brauchen wir uns jetzt nicht mehr zu kümmern. – In Marzahn diskutieren Jugendliche, die Flüchtlingswelle sei von Juden gesteuert, um Deutsche zu vernichten.

Oft nimmt bei Antisemiten inzwischen Israel die traditionelle Rolle des diabolischen Sündenbocks ein. Nicht immer passiert es in so offensichtlicher Form wie bei der Neonazi-Demo in Dortmund anlässlich des 70. Jahrestags der Staatsgründung, wo auf einem großen Transparent „Israel ist unser Unglück“ in Abwandlung der „Stürmer“Parole „Die Juden sind unser Unglück“ stand. Das zeigt sich auch, wenn in Berlin lebende Jüdinnen und Juden dazu aufgefordert werden, sich für die Politik der israelischen Regierung zu rechtfertigen. Und es drückt sich auch in Boykottkampagnen aus, die vorgeben, einer friedlichen Lösung des Nahostkonflikts zu dienen. Die aber zeichnen ein Bild von einem monolithischen Dämon Israel und ignorieren dabei ganz bewusst, dass Israel eine pluralistische, multikulturelle Gesellschaft ist, in der es eine Opposition gibt, in der es Gewerkschaften gibt, die in einer gesellschaftlichen Debatte um widerstreitende Ideen streiten. Wer das leugnet, kann keine Partnerin und kein Partner bei dem Bemühen um Entspannung und dauerhaften Frieden sein.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD, den GRÜNEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Aber wir wollen heute nicht nur ein Bekenntnis abgeben, wir werden auch umfassende Zielgruppen und sozialraumspezifische Handlungsstrategien weiterentwickeln und einen Schwerpunkt hierbei auf die Prävention legen.

Ja, das Problem Antisemitismus verändert sich auch durch unsere von Migration geprägte Gesellschaft, durch Zuwanderung von betroffenen Jüdinnen und Juden aus Israel und allen anderen Teilen der Welt, aber auch durch die Zuwanderung aus Ländern, deren Regierungen Antisemitismus bewusst als Propagandainstrument einsetzen. Deswegen will ich an dieser Stelle unseren zivilgesellschaftlichen Partnerinnen und Partnern danken, die bereits auf vielfältige Weise in diesen Themenfeldern arbeiten. Ich danke herzlich dem Jüdischen Forum für seine Aufklärungsarbeit. Ich danke der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus für ihre Dokumentation und ihre Beratung, der Amadeu-Antonio-Stiftung