Protocol of the Session on February 22, 2018

Bezogen auf die Beendigung des Aufenthalts will die Koalition einen Paradigmenwechsel. An die Stelle einer reinen Abschiebungspolitik soll die Förderung einer unterstützten Rückkehr treten. Dafür wird die Koalition bestehende Programme mehr als bisher nutzen und bei Bedarf durch ein Landesprogramm verstärken.

Das steht in der Koalitionsvereinbarung. Das ist und bleibt unsere Position.

[Zuruf von Karsten Woldeit (AfD)]

Die Koalition hält Abschiebungen noch immer nicht für ein adäquates Mittel, insbesondere als Mittel der Kriminalprävention.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen Dregger?

Nein! – Selbstverständlich, Herr Dregger, ist Berlin nach dem Bundesrecht verpflichtet, Menschen ohne aufenthaltsrechtliche Lösung abzuschieben, und Berlin kommt dieser Verpflichtung auch nach. Das belegen übrigens die Zahlen des letzten Jahres. Mitte November hatten wir das im Rechtsausschuss auf der Tagesordnung. Die Senatsinnenverwaltung wird die Jugendarrestanstalt Lichtenrade in Zukunft übernehmen, sanieren und als Gewahrsam für Abschiebungshäftlinge nutzen. Welche Kapazität das Gebäude nach der Ertüchtigung haben wird, ist mir noch nicht bekannt. Im Augenblick sind dort 60 Plätze für den Jugendarrest vorhanden.

Dieser Antrag ist nichts anderes als der Versuch der Union, sich bei den Wählerinnen und Wählern der sogenannten AfD einzuschleimen.

[Karsten Woldeit (AfD): Sie sind ein sogenannter Linker!]

Sie zitieren § 62 Abs. 3, Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes, wonach eine vollziehbar ausreisepflichtige Person bis zu 18 Monate in Abschiebungshaft genommen werden kann. Sogar bei Straftaten soll eine Untersuchungshaft, solange kein Urteil ergangen ist, das auf eine Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßnahme lautet, in der Regel sechs Monate nicht überschreiten. Herr Dregger! Zwar kann gemäß § 121 StPO diese Dauer verlängert werden, der Europäische Ge

richtshof für Menschenrechte hat aber überlange Untersuchungshaft in der Bundesrepublik mehrfach als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention gewertet. Personen, die in Abschiebehaft kommen, sind entweder Personen, die ihre Strafe bereits abgebüßt haben oder denen kein Aufenthalt gewährt wird und deren Ausweisung noch dauert. Hier überhaupt und dann noch bis zu 18 Monate Haft zu verhängen, ist meiner Meinung nach nicht mit unserem Grundgesetz zu vereinbaren.

Abschiebungen sind kein Mittel der Kriminalitätsbekämpfung, denn nur ein kleiner Teil der Kriminellen hat eine andere als die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Kriminellen und Terroristen deutscher Staatsangehörigkeit – und darunter sind viele gebürtige Deutsche, beispielsweise die NSU-Bande oder diejenigen, die Flüchtlingsheime anzünden oder Flüchtlinge auf der Straße verprügeln – können wir auch nicht ohne Weiteres abschieben. Doch bei manchen Politikerinnen und Politikern frage ich mich schon mal: Wäre es nicht besser, sie abzuschieben? –, aber man wird kaum ein Land finden, das sie aufnimmt.

[Georg Pazderski (AfD): In die Türkei kann er nicht mehr zurück!]

Wir nehmen die Kriminalitätsprävention, das Aufspüren der Täter und ihre adäquate Bestrafung sehr ernst. Wir überprüfen und entwickeln auch entsprechende Maßnahmen. Denn auch wenn es banal klingen mag: Jede Straftat ist eine Straftat zu viel.

[Zuruf von der AfD: Das ist banal!]

Allerdings lehnen wir es ab, Straftaten zum Anlass zu nehmen, um gegen bestimmte Gruppen in unserer Gesellschaft zu hetzen oder Maßnahmen durchzuführen und für inadäquat zu halten. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Luthe das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte bis zur Antragsbegründung durch den Kollegen Dregger überlegt, was Sie eigentlich mit diesem Antrag bezwecken.

[Hakan Taş (LINKE): Stimmenfang!]

Ich muss gestehen: Nach Ihren Ausführungen und auch nach der Replik des Kollegen Zimmermann und den Ausführungen des Kollegen Taş wird mir das immer unklarer.

Herr Kollege Dregger! Sie haben davon gesprochen, dass man Träumereien aufgeben solle, dass die Koalition ihre

(Hakan Taş)

Träumereien über freiwillige Ausreise aufgeben solle. Das finde ich völlig richtig. Das kann ich nur unterstützen. Gleichzeitig streuen Sie doch aber sämtlichen Leuten hier Sand in die Augen, vor allem den Berlinerinnen und Berlinern, die uns jetzt zuhören. Denn es ist mitnichten so, wie Sie gerade zur Haftanstalt Grünau klarstellend ausgeführt haben, dass die CDU es eigentlich nicht gewollt hat. Ich zitiere, und zwar aus der ersten Sitzung des Hauptausschusses: „Abschiebehaft in Grünau aufzugeben, war richtig.“ – so am 30. November 2016 Staatssekretär Krömer von der CDU. Sie haben es für richtig gehalten, die Abschiebehaft in Berlin abzuschaffen, und tun nun so, als wären Sie diejenigen, die diese wunderbare Idee in Punkt 1 bzw. 3 dieses Antrags hier erstmalig haben und erkennen, was richtig ist. Sie haben das Problem, das Sie jetzt lösen wollen, selbst heraufbeschworen!

[Beifall bei der FDP]

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dregger?

Vielen Dank, Herr Kollege! Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass die Haftanstalt in Grünau nicht aufgegeben worden ist, um Abschiebehaft zu vereiteln, sondern weil eine Ersatzeinrichtung in Brandenburg zur Verfügung stand, sodass zu jedem Zeitpunkt gewährleistet war, dass Abschiebehäftlinge untergebracht werden konnten!

[Hakan Taş (LINKE): Die Frage! Das ist keine Frage!]

Dafür hat der Innensenator Henkel und die Union Verantwortung gezeichnet. Ist Ihnen das bekannt? Und wenn ja, bitte ich, das auch zu würdigen und hier nicht an Verschleierungen mitzuwirken.

Lieber Kollege Dregger! Mir ist in der Tat bekannt, dass ich noch am 30. November 2016 im Hauptausschuss diesen Unsinn als solchen bezeichnet habe. Mir ist bekannt, dass die CDU-Fraktion diesen Unsinn auch am 30. November 2016 noch für goldrichtig hielt, und mir ist weiter bekannt, dass man zwei Monate später – Sie sprechen immer so nebulös vom Frühjahr 2017 –, mit anderen Worten zwei Monate, nachdem Sie erklärt haben, das sei eine prima Idee, plötzlich festgestellt hat, dass die Abschiebehaftanstalt in Eisenhüttenstadt massiv baufällig ist. Ist sie damals innerhalb von zwei Monaten baufällig geworden? – Nein! Es hat Sie schlichtweg überhaupt nicht interessiert. Und der brilliante Plan Ihrer Fraktion

dahinter bestand darin zu erklären: Mensch, die Abschiebehaft in Grünau kostet uns 11 Millionen Euro jährlich, und jetzt machen wir mal Haushaltspolitik à la CDU! Diese 11 Millionen Euro können wir einsparen. – Das war die Position Ihres Staatssekretärs.

Das Einsparen sollte wie folgt aussehen: Diese 11 Millionen Euro setzen sich im Wesentlichen aus Mietzahlungen zusammen. Daraufhin habe ich gefragt: Und wer bekommt die Miete bisher? Wem geben wir die nicht mehr? – Der BIM, sprich dem Land Berlin – rechte Tasche, linke Tasche. – Da haben Sie gar nichts eingespart! Was ist mit den Mitarbeitern? Haben Sie die etwa alle freigesetzt, Herr Dregger? – Nein, natürlich nicht! Es sind nämlich in der Regel Beamte gewesen, die selbstverständlich weiterhin vom Land Berlin bezahlt werden. Auch da haben Sie nichts eingespart. Sie haben an keiner einzigen Stelle etwas eingespart, sondern Sie haben sich – getrieben von der SPD – dazu hinreißen lassen, diese Einheit in Eisenhüttenstadt anzumieten, die von vornherein – auch bereits damals – baufällig war und bei der es von vornherein klar gewesen wäre, wenn Sie Abschiebungen ernst genommen hätten, dass es nicht möglich ist, dort jemanden vernünftig unterzubringen.

[Beifall bei der FDP]

Was allerdings, lieber Kollege Zimmermann – und damit komme ich zur SPD-Fraktion –, das Wegducken angeht, das Sie hier auch gerade praktiziert haben: Herr Dregger und die CDU-Senatoren haben ja nicht allein regiert, sondern, wenn ich mich recht entsinne, waren Sie als SPD an dieser letzten Regierung auch in irgendeiner Weise beteiligt. Was Sie allerdings geschafft haben, ist – das ist die Praxis, und es ist eben leider nicht die freiwillige Ausreise, Herr Kollege Taş – vor allem eines: Wir haben eine steigende Zahl – ich verweise auf meine zahlreichen Anfragen zum Thema –, eine kontinuierlich steigende Zahl von ausreisepflichtigen abgelehnten Asylbewerbern.

Und was wir gleichzeitig haben, ist eine kontinuierlich steigende Zahl von Duldungen, die Ihr Senat ausspricht. Die Duldung ist eine Ausnahmesituation; sie kann nicht der Regelfall sein. Wir haben mittlerweile 9 475 Duldungen bei gut 11 000 ausreisepflichtigen Asylbewerbern. Ganz klar: Der überwiegende Teil derer, die ausreispflichtig sind, wird mittlerweile schlichtweg geduldet und ist damit nicht mehr ausreisepflichtig. Sie konterkarieren die gerichtlichen Entscheidungen in dieser Frage!

Insofern: Wenn Sie vom Grundsatz der Rechtmäßigkeit sprechen, an den die Verwaltung gebunden sei – wir werden sicher an anderer Stelle auch noch mal auf den Grundsatz der Rechtmäßigkeit bei Disziplinarverfahren kommen –, stelle ich vor allem eines fest: Sie reizen nicht nur aus, was das Recht hergibt, sondern meines Erachtens missbrauchen Sie das Recht an dieser Stelle. Die Duldung ist die Ausnahme. Die Duldung kann nicht, wie bei RotRot-Grün, der Regelfall sein!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Und was die Abschiebungen aus der Strafhaft, die Anwendung von § 456a Strafprozessordnung angeht – Herr Kollege Dregger, um auch da, wie Sie so schön sagen, bei der Wahrheit zu bleiben und Träumereien entgegenzutreten –: Wir hatten im Jahr 2010 – auch das ist Ergebnis einer meiner Anfragen – noch 103 Abschiebungen aus der Strafhaft in Berlin. Wissen Sie, was wir im Jahr 2015 hatten, nachdem Sie viereinhalb Jahre regiert haben? – Noch 46 Abschiebungen aus der Strafhaft! Auch darum haben Sie sich – in dem Fall Ihr Kollege, der damalige Justizsenator Heilmann – nicht gekümmert. Auch das haben Sie nicht betrieben. Auch dort sind die Zahlen seit Übernahme der Regierungsverantwortung der CDU kontinuierlich gesunken. Und jetzt kommen Sie mit diesem schlichtweg polemischen Antrag, der so tut, als wären diese Probleme nicht im Wesentlichen durch Ihre Fraktion verschuldet.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Jarasch das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dregger nimmt in seinem Antrag drei Einzelfälle und leitet aus ihnen generelle Behauptungen und sehr weitreichende Forderungen ab. Man nennt das Induktionsschluss, vom Einzelnen auf das Ganze schließen. In der Logik ist das unzulässig. Angesichts der Konsequenzen und Behauptungen, die die CDU dann aus diesen drei Einzelfällen ableitet, ist die Methode schlicht unredlich, aber sie ist beliebt – vor allem in Boulevardmedien: Das ist dann der unbestraft davongekommene Übeltäter, der zeigt, dass unser ganzes liberales Rechtsstaatssystem nicht funktioniert. Das ist der Sozialschmarotzer, der zeigt, dass wir unsere Arbeitslosen mehr quälen und sanktionieren müssen.

Hier also: Es geht um drei Straftaten von ausländischen, tatsächlich – in einem Fall mutmaßlich – ausreisepflichtigen Tätern. Ihre Folgerungen sind: Abschiebehaft für alle ausreisepflichtigen Straftäter und, da Sie schon mal dabei sind, im Grunde Abschiebehaft für alle, für alle kriminellen Ausreisepflichtigen und für alle, die sich der Abschiebung entzogen haben! Damit machen Sie sämtliche Asylbewerberinnen und -bewerber, deren Begehren abgelehnt wurde, zu potenziellen Kriminellen und zu einer potenziellen Gefahr für die öffentliche Sicherheit, denn in diesem Kontext ist Ihr ganzer Antrag ja geschrieben – auch Menschen, Herr Dregger, die beispielsweise im

Kirchenasyl sind, womit diese Menschen sich streng juristisch ihrer Abschiebung entziehen.

Herr Dregger! Wir treffen uns ja ab und zu auch mal in katholischen Kreisen, wo es viele Menschen gibt, die sich für Geflüchtete einsetzen, und dort habe ich solche Töne von Ihnen noch nicht gehört. Wir wissen auch beide, warum,

[Marcel Luthe (FDP): Das ist ja doppelbödig!]

denn dort würden Sie damit nur ein verständnisloses Kopfschütteln ernten.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Sie wissen – und daher rührt die Substanzlosigkeit dieses Antrags, das haben meine Vorredner schon gesagt –, dass Ihre Forderungen mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht umzusetzen sind. Abschiebehaft muss richterlich angeordnet werden und hat strikte Voraussetzungen. Die von der CDU geführte Bundesregierung hat 2016 ein neues Ausweisungsrecht eingeführt, das eine Einzelfallprüfung für die Ausweisung von Ausländern und Ausländerinnen verlangt. Eine generelle Ausweisung bei schweren Straftaten ist dadurch ausgeschlossen. Übrigens kann es – drittens – gerade bei mutmaßlichen Straftätern ein Interesse der Bundesrepublik geben, nicht abzuschieben – beispielsweise, um laufende Strafverfahren und Ermittlungen zu Ende zu bringen, aber auch im Blick auf die öffentliche Sicherheit.

Fazit: Als Generalprävention ist Abschiebehaft jedenfalls ein völlig untaugliches Mittel. Der rot-rot-grüne Senat hat jedoch ein klares gemeinsames Ziel: Konsequent abschieben, wer die öffentliche Sicherheit gefährdet! – Deshalb hat das Land bereits Haftplätze mit erhöhten Sicherheitsvoraussetzungen für Gefährder eingerichtet und sorgt jetzt für einen eigenen Gefährdergewahrsam. Aber darum geht es Ihnen nicht wirklich, Herr Dregger. Sie wollen vor allem an der Legende weiterstricken, dass sich der rot-rot-grüne Senat aus ideologischer Verblendung weigert, die Ausreisepflicht von abgelehnten Asylbewerbern durchzusetzen.

[Marcel Luthe (FDP): Das ist eine Tatsache!]

Von der Legende zur Wirklichkeit: Was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben – das ist hier schon zitiert worden –, ist ein Paradigmenwechsel, der nicht naiv ist, sondern den sowohl die Vernunft als auch die Menschlichkeit gebieten. Wir wollen dafür sorgen, dass möglichst viele ausreisepflichtige Menschen – keine Zwischenfragen bitte! – freiwillig ausreisen, anstatt abgeschoben zu werden. Sie sollen möglichst freiwillig ausreisen, weil wir sie rechtzeitig und durch eine unabhängige Beratung über ihre Perspektiven hier in Deutschland aufklären und weil wir ihnen Starthilfe bei der Rückkehr ins Heimatland bieten. Das und nichts anderes haben wir vereinbart.