Protocol of the Session on February 22, 2018

Von der Legende zur Wirklichkeit: Was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben – das ist hier schon zitiert worden –, ist ein Paradigmenwechsel, der nicht naiv ist, sondern den sowohl die Vernunft als auch die Menschlichkeit gebieten. Wir wollen dafür sorgen, dass möglichst viele ausreisepflichtige Menschen – keine Zwischenfragen bitte! – freiwillig ausreisen, anstatt abgeschoben zu werden. Sie sollen möglichst freiwillig ausreisen, weil wir sie rechtzeitig und durch eine unabhängige Beratung über ihre Perspektiven hier in Deutschland aufklären und weil wir ihnen Starthilfe bei der Rückkehr ins Heimatland bieten. Das und nichts anderes haben wir vereinbart.

(Marcel Luthe)

Übrigens gibt es – und das sollte einen eher erschrecken – sogar freiwillige Rückreisen in Bürgerkriegsländer. Es gibt sogar freiwillige Rückreisen nach Afghanistan und in den Irak.

[Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Zuruf von Marcel Luthe (FDP)] ) Das geschieht auch deshalb, weil Menschen einfach Angst um ihre dort zurückgebliebenen Angehörigen haben. Nein! Das führt eben nicht automatisch zu einer schlechteren Rückkehrquote. Im Gegenteil: Berlin ist 2017 auf dem fünften Platz im Bundesländervergleich, was die Rückkehrquote angeht. Sie ist auch deutlich höher als in den anderen Stadtstaaten. Und wenn die Zahlen insgesamt sinken, so wissen Sie auch, dass das mit Verfahren des BAMF und mit den Verfahren der Herkunftsländer, aus denen die Menschen gekommen sind, zu tun hat. Ich möchte noch mit einer anderen Legende kurz aufräumen. [Anja Kofbinger (GRÜNE): Ja, bitte!]

Abschiebungen scheitern nicht an den fehlenden Haftplätzen. Wenn es nötig ist, lassen sich Plätze in anderen Ländern finden. Das zeigt ausgerechnet der von Ihnen zitierte Fall des Fatih Ben M., der jetzt in Abschiebehaft sitzt, und zwar Dank der Berliner Polizei, die hier Amtshilfe für die sächsischen Kollegen geleistet hat. Weshalb hat denn Ihr eigener Innensenator Henkel den Abschiebegewahrsam geschlossen? Weil er teuer war und meistens leer stand. Ihre drei Fälle beweisen also nur, dass sie als Beweis für Ihre Forderungen ungeeignet sind.

Herr Dregger! Ich weiß, dass Sie versuchen werden, an diesen Legenden weiterzustricken. Insofern werden wir sicher noch Gelegenheit haben, im Ausschuss oder im Plenum über Konsequenzen aus den Fällen zu reden, zu denen die Ermittlungen noch laufen, weshalb der Senat Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt völlig richtigerweise keine Auskünfte auf Ihre Anfragen geben konnte. So lange müssen Sie sich wohl gedulden, so viel Rechtsstaatlichkeit muss sein. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags federführend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung und mitberatend an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Geschäftsordnung, Verbraucherschutz, Antidiskriminierung empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.3:

Priorität der Fraktion Die Linke

Tagesordnungspunkt 20

Mehr Regionalverkehr auf die Schiene

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Verkehr, Klimaschutz vom 18. Januar 2018 und dringliche Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 14. Februar 2018 Drucksache 18/0832

zum Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/0504

Der Dringlichkeit hatten Sie bereits eingangs zugestimmt. In der Beratung beginnt die Fraktion Die Linke – und hier der Kollege Harald Wolf. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Täglich pendeln zwischen Berlin und Brandenburg ca. 300 000 Menschen. Die Konsequenz ist, dass das Nahverkehrsangebot an seine Grenzen stößt. Die Züge sind voll, häufig überfüllt, und oftmals ist es schwierig, zu den Hauptstoßzeiten überhaupt einen Sitzplatz zu finden. Nach Schätzungen des ADAC fahren zwei Drittel der Pendler zwischen Berlin und Brandenburg mit dem Auto. Diese Pendlerströme – sagen wir – können aber nicht allein mit dem Auto bewältigt werden. Würde der Zuwachs, die dynamische Entwicklung, die wir da gegenwärtig haben, nur mit dem Auto aufgefangen, würde das bedeuten, dass wir in der Stadt mehr Stau, mehr Lärm, mehr Schadstoffbelastung und weniger Lebensqualität hätten. Deshalb brauchen wir dringend eine Kapazitätserweiterung im Schienenpersonennahverkehr.

Ich begrüße es, dass gegenwärtig als kurzfristige Maßnahme Verhandlungen und Gespräche über kurzfristige Angebotsverbesserungen im Regionalverkehr bzw. im Schienenpersonennahverkehr stattfinden – mit der ODEG, mit der Niederbarnimer Eisenbahn und mit der Deutschen Bahn –, weil wir hier dringend eine Kapazitätserweiterung brauchen.

Wir brauchen darüber hinaus aber auch neue Investitionen in die Infrastruktur – Investitionen in neue Züge, in neue Strecken und in die Beseitigung von Engpässen. Nur so wird die Schiene attraktiv, und nur so wird der Schienenpersonennahverkehr eine interessante Alternative zum Autoverkehr. Deshalb fordern wir mit diesem Antrag, dass im Dialog zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg intensiv daran gearbeitet wird, die Voraussetzungen für die Finanzierung zu schaffen sowie die Planung und auch möglichst zeitnah den Bau von neuen Strecken und die Beseitigung von Engpässen in Angriff zu nehmen.

(Bettina Jarasch)

Es geht uns mit diesem Antrag vor allem um die Wiederinbetriebnahme der S-Bahn von Spandau über Falkensee nach Nauen, die berühmte Express-S-Bahn, die die Verkehrsverbindung deutlich verbessern und einen lange existierenden Engpass beseitigen würde.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Wir wollen die Inbetriebnahme der Kremmener Bahn, um die Anbindung für Pendler aus dem Nordosten deutlich zu verbessern, und wir wollen die Wiederinbetriebnahme der Stammstrecke der Heidekrautbahn. Das würde eine deutliche Verbesserung für Pendler aus dem Landkreis Barnim bedeuten. Last but not least wollen wir den Wiederaufbau der Stammbahn. Das ist auch deshalb notwendig, weil die Stadtbahn in Berlin mittlerweile auch an ihre Kapazitätsgrenze gestoßen ist. Der Wiederaufbau der Stammbahn würde hierbei zu einer deutlichen Entlastung führen.

Der Antrag fordert nicht nur, die intensiven Gespräche zwischen den Ländern und diese Themen voranzubringen. Ich bin froh, dass es die Vereinbarung zwischen den beiden Ländern und der beiden Verkehrsministerinnen in Berlin und Brandenburg im Rahmen des Projekts „i2030“ gibt, wo wir jetzt gemeinsam an dieses Thema herangehen können. Notwendig ist aber auch, dass wir gemeinsam die finanziellen Grundlagen dafür schaffen. Deshalb auch die Aufforderung in diesem Antrag, einen Infrastrukturfonds der Länder, der auch Vorfinanzierungen von Planungen ermöglicht, zu prüfen und nach Möglichkeit auf den Weg zu bringen.

Ich freue mich, dass wir diesen Antrag im Ausschuss einstimmig so haben beschließen können, und ich hoffe, dass diese Einstimmigkeit und diese Unterstützung für diese dringend notwendigen Maßnahmen auch heute hier im Plenum erfolgen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat Kollege Friederici das Wort. – Bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Es freut mich sehr – das sage ich mal ganz deutlich in Richtung der Koalitionsfraktionen –, dass auch die Parteien dieser Linkskoalition jetzt so langsam in der Realität angekommen sind und die Konsequenzen der wachsenden Stadt in politisches Handeln umsetzen wollen.

[Katalin Gennburg (LINKE): Danke!]

Das ist zunächst einmal im Bereich des Bahnverkehrs etwas sehr Erfreuliches. Ich möchte Ihnen gleich als Vertreter der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus sagen: Die Berliner CDU sowie die Brandenburger CDU haben ein sehr umfangreiches Papier entwickelt, welches nicht nur diese drei S-Bahnlinien beinhaltet, sondern vor allem auch den Ausbau der Regionalverbindungen, der Regionalexpresslinien. Alles das steht jetzt nicht explizit in diesem Antrag der Koalition. Dennoch ist es ein Anfang, das muss ich Ihnen konzedieren, dieser Koalition in die richtige Richtung. Sie reihen sich damit ein in die Beschlüsse und in die Vorhaben, die bereits 1995 unter dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen erstmals mit der Potsdamer Stammbahn, 1999 mit der Kremmener Bahn – auch unter CDU-Führung – wie auch in einer ganzen Reihe von anderen politischen Verfahren und auch Beschlusserklärungen mündeten.

Neu ist jetzt, was Sie in Ihrem Papier und Ihrem Antrag fordern, die Express-S-Bahn von Spandau nach Berlin hinein. Das sehen wir auch so. Es steht nur nicht so explizit in Ihrem Papier. Deswegen ist es eben nicht so ganz hundertprozentig rund. Es muss natürlich auch weitergehen.

[Beifall von Henner Schmidt (FDP) und Holger Krestel (FDP)]

Sie können natürlich nicht in Spandau mit der S-Bahn beginnen und dann sukzessive immer an dem einen oder anderen Bahnhof halten, um mit einem Expressverkehr in die Berliner Innenstadt zu fahren.

Deshalb ist das Konzept ein Aufgreifen bestimmter Stilelemente aus praktizierter CDU-Politik der Neunzigerjahre. Darüber, das muss ich Ihnen sagen, freut sich vor allem die CDU-Fraktion, dass die Linksfraktion das jetzt auch in aktives Handeln umsetzt.

[Beifall bei der CDU]

Diese Koalition tritt an, in der Innenstadt Berlins, also innerhalb des S-Bahnringes, Politik für einen bestimmten Anteil der Menschen zu machen, nämlich in der Regel für die Menschen, die sie gewählt haben, SPD, Linke und Grüne. Diesem Vorhaben untergeordnet ist natürlich der öffentliche Nahverkehr – das ist allgemein bekannt – und die Stellung des Fahrradverkehrs.

[Christian Gräff (CDU): Pfui!]

Nur, was auch hier wieder fehlt und was Sie in keiner anderen Antragsinitiative, nirgends, in keinem Fachausschuss, einmal durch eigene Anträge beraten möchten, ist der Ausbau der anderen Verkehrsart, nämlich der des Straßenverkehrs. Berlin ist eine wachsende Stadt, die zum Jahresende 2017 3,71 Millionen Einwohner hatte. Wir werden es vielleicht alle noch erleben, dass Berlin 4 Millionen Einwohner hat. Wir haben ein Umland direkt an Berlin grenzend von inzwischen 1,5 Millionen Menschen. Alle diese Menschen bewegen sich von und nach Berlin oder innerhalb Berlins. Aber 45 Prozent dieser

(Harald Wolf)

Menschen, die in Berlin wohnen, bewegen sich ausschließlich mit dem Auto. Für diese Menschen machen Sie keine Angebote.

[Christian Gräff (CDU): Pfui!]

Sie verringern Verkehrsflächen. Sie sorgen dafür, dass Ampeln bewusst auf Rot gestellt werden. Sie verhindern Ausbaupläne wie den Bau der A 100. Sie verhindern den Bau der TVO. Sie lehnen alles ab, was einen Verkehrsfluss für alle reifengetriebene Fahrzeuge, also Autos, Bus, Lkw, betrifft.

[Christian Gräff (CDU): Unerhört!]

Deswegen bleibt ein schaler Beigeschmack bei diesem Antrag, dem wir zwar zustimmen, aber es wäre schön, wenn diese rot-rot-grüne Regierung sich auch um die 45 Prozent der Menschen kümmern würde, die hier in diesem Antrag nicht genannt sind, die nämlich täglich mit dem Auto fahren müssen, gerade von Brandenburg nach Berlin, gerade aus Berlin nach Brandenburg jeden Tag, weil Sie denen kein Konzept anbieten. Pendler lassen Sie außen vor. Sie machen ausschließlich Politik für Ihre Menschen, für Ihre Wähler im Berliner S-Bahnring. Das ist die Hauptkritik an der Politik dieser rot-rot-grünen Landesregierung. Da lassen wir Sie auch nicht aus der Verantwortung. Das werden wir immer wieder brandmarken.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Henner Schmidt (FDP), Stefan Franz Kerker (AfD) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Schopf das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Friederici! Vielleicht schauen Sie noch einmal, worüber wir jetzt eigentlich reden. Wir reden über mehr Regionalverkehr auf der Schiene und nicht über den innerstädtischen ÖPNV.

[Beifall bei der SPD]

Bereits im September letzten Jahres diskutierten wir den vorliegenden Antrag im Plenum und waren uns alle einig: Wir holen den Regionalverkehr auf zentrale, schienengebundene Strecken zurück, denn mit der wachsenden Bevölkerungsanzahl wachsen auch die verkehrlichen Anforderungen für Berlin und Brandenburg. Mehr als 200 000 Pendler fahren täglich von Brandenburg nach Berlin, umgekehrt sind es etwa 85 000, Tendenz steigend.

Die Zahlen verdeutlichen, wie wichtig es ist, das bestehende S-Bahn- und Regionalnetz weiterzuentwickeln und auszubauen. Der Ausbau ist Ziel unserer Koalition. Auf

grund dessen haben die Länder Berlin und Brandenburg mit der Deutschen Bahn Anfang Oktober die Rahmenvereinbarung i2030 abgeschlossen. Hierbei handelt es sich unter anderem um die Projekte – Herr Friederici, hören Sie zu, bzw. Sie können auch gern nachlesen – Spandau, Nauen, Potsdamer Stadtbahn, Kremmener Bahn, Heidekrautbahn und weitere. Die Streckenauswahl geht dabei auf das Ergebnis der Korridoruntersuchung zurück, die der VBB durchgeführt hat. Bei diesen Strecken sind infrastrukturelle Maßnahmen erforderlich, um die Leistungsfähigkeit im Regionalverkehr so zeitnah wie möglich verbessern zu können.