Protocol of the Session on January 25, 2018

Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Kollege Gräff das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat: Teilt der Senat die Auffassung des Beschlusses der SPD-Fraktion vom Wochenende, dass die zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bisher keine nachhaltig positive Strategie für den Wohnungsneubau in Berlin hat? – Vielen Dank!

[Heiterkeit von Paul Fresdorf (FDP): Das ist aber echt gemein!]

Frau Senatorin Lompscher – bitte schön!

Ich antworte jetzt darauf für den gesamten Senat. Der gesamte Senat beschäftigt sich intensiv mit diesen Themen.

[Heiko Melzer (CDU): Also, der gesamte Senat hat keine Strategie!]

Der gesamte Senat hat sich ein Regierungsprogramm auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarungen der den Senat tragenden Parteien gegeben. Darin sind dezidiert Wohnungsbauziele vereinbart, die nicht nur sehr ehrgeizig, sondern auch dringend nötig sind, wie hier schon mehrfach mitgeteilt worden ist. Sie sind Bestandteil des Regierungsprogramms, und auf der Grundlage dieses Regierungsprogramms arbeitet der Senat an verschiedenen Instrumenten zur Umsetzung dieser Ziele. Wir haben hierbei insbesondere mit dem Doppelhaushalt 2018/2019 einen großen Schritt nach vorn getan. Wir konnten die Mittel für den geförderten Wohnungsbau deutlich aufstocken, wir konnten deutliche Stellenaufstockungen sowohl beim Senat als auch bei den Bezirken für die notwendigen Verwaltungsbereiche erreichen, die an solchen Pla

nungen mitwirken. Herr Gräff! Als ehemaliger Baustadtrat wissen Sie auch, dass nicht nur bauende und planende Ämter damit zu tun haben, sondern die Verwaltungen insgesamt sehr intensiv kooperieren müssen, um Baugenehmigungsverfahren, Planungsverfahren usw. voranzubringen. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften haben ihre Bauprogramme in einer Weise hochgefahren, dass ich sehr optimistisch bin, dass wir den Beitrag, den das Regierungsprogramm zum Wohnungsneubau enthält, auch sehen werden. Vor diesem Hintergrund sage ich: Der Senat hat dort durchaus eine Strategie, und er ist dabei, sie umzusetzen.

Herr Kollege Gräff! Für eine Nachfrage bekommen Sie das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Darf ich den Senat fragen, ob er in seiner Senatsklausur in der kommenden Woche dann auch das Lenkungsgremium beim Regierenden Bürgermeister einrichten wird, das die SPD vorgeschlagen hat?

[Lachen bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Frau Senatorin!

Für den Senat kann ich bestätigen, dass es eine Senatsklausur geben wird, aber ich kann natürlich nicht die Ergebnisse vorwegnehmen.

[Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für eine zweite Nachfrage hat Herr Kollege Friederici das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege!

Frau Senatorin! Ich frage Sie: Wer wird denn nun bei dem künftigen Vorhaben federführend tätig – die Senatskanzlei oder Sie?

Bitte schön, Frau Senatorin!

(Senator Dr. Dirk Behrendt)

Ich wiederhole jetzt meine Antwort von eben nicht, aber natürlich gibt es in allen Regierungen und auch beim Berliner Senat ein Ressortprinzip.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir kommen jetzt zur nächsten gesetzten Frage, und zwar von Frau Kittler für die Fraktion Die Linke. – Bitte!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich frage den Senat, wie er die Entscheidung der Gremien der Alice-Salomon-Hochschule, das Gedicht von Eugen Gomringer von der Giebelwand in Hellersdorf zu entfernen, bewertet.

Es antwortet Herr Senator Lederer. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Abgeordnete Kittler! Eugen Gomringers Gedicht „Avenidas“ ist ein Schlüsselwerk der Konkreten Poesie. Es stammt aus dem Jahr 1951, und für dieses Gedicht wurde der Dichter im Jahr 2011 mit dem Poesiepreis der Alice-Salomon-Hochschule ausgezeichnet. Seitdem ziert es die Südfassade der ASH, der es Gomringer im Zusammenhang mit dieser Preisverleihung geschenkt hat.

Seit zwei Jahren gibt es eine Debatte, ob dieses Gedicht an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule Bestand haben sollte oder nicht. Diese Kontroverse entzündet sich daran, dass Hochschulangehörige sich bei der von ihnen in dem Gedicht erkannten Konnotation auf die Rolle eines verehrten und bewunderten Objekts reduziert sehen, den Bewunderer aber als aktiven Part betrachten. In dieser Interpretation wird das Gedicht als sexistisch wahrgenommen, und dies stehe im Gegensatz zum Anspruch und zum Engagement der Namensgeberin der AliceSalomon-Hochschule. Es gab einen längeren Diskurs und Entscheidungsprozess in den Gremien der Hochschule, und es ist jetzt entschieden worden, das Gedicht zu entfernen und es durch ein anderes Gedicht der PoetikPreisträgerin Barbara Köhler aus dem Jahr 2017 zu ersetzen. Von nun an sollen diese Gedichte an der Fassade alle Jahre ausgetauscht werden.

Ich sage das mal vorweg: Ich halte den Vorwurf des Sexismus gegen den Dichter Eugen Gomringer für absurd.

[Beifall bei allen Fraktionen]

Jedes Kunstwerk entsteht nicht zuletzt in den Augen, den Ohren und Köpfen der Betrachterinnen und Betrachter, und jedes Kunstwerk lässt sich regelmäßig sehr unterschiedlich, ja sogar widersprüchlich interpretieren. Das Gedicht Gomringers besteht aus wenigen Worten. In meiner Wahrnehmung sind alle Beteiligten in diesem Gedicht erst mal Objekte. Ich zweifle deshalb sehr an dem interpretierten übergriffigen und sexualisierten Gehalt des Gedichtes. Klar, es ist ein ambivalentes Gedicht, es ist interpretierbar, es ist auch in verschiedener Weise interpretierbar, und es kann auch Anstoß erzeugen. Das allerdings tut Kunst regelmäßig.

[Beifall bei der LINKEN, der CDU, den GRÜNEN und der FDP]

Ich finde es problematisch, Kontroversen und Debatten dadurch loswerden zu wollen, dass der Gegenstand des Anstoßes getilgt wird, und ich bin auch der Ansicht, dass der Sexismusanwurf gegen Gomringer fehlgeht und der Dichter vor ihm in Schutz genommen werden muss.

Zur Entscheidung selbst: Ich prognostiziere, dass die Erwartung, mit der Entscheidung, das Gedicht zu ersetzen, sei die Debatte beendet, gründlich enttäuscht werden wird, und das ist auch gut so. Es ist aus meiner Sicht allerdings auch danebengegriffen, jetzt Parallelen etwa zur Bücherverbrennung oder zum IS-Bildersturm in Palmyra zu ziehen oder laut „Zensur!“ zu schreien. So problematisch ich die Entscheidung im Ergebnis finde, so sehr ist es das gute Recht der ASH eine solche offene Debatte zu führen, und es ist auch das gute Recht der ASH, über ihre Fassadengestaltung zu entscheiden. Wie gesagt: Ich sage das, obgleich ich die konkrete Entscheidung falsch und misslungen finde.

Das Gedicht wird nicht verboten. Es kann in Büchern weiter gedruckt werden, und jeder bzw. jede, der bzw. die es möchte, kann es auf seiner bzw. ihrer Hauswand anbringen, wenn der Dichter selbst dazu seine Zustimmung erteilt. Aber man muss sich immer vor Augen halten, dass das Gedicht aus dem Jahr 1951 stammt und dass es durch die Entscheidung, es an dieser Fassade anzubringen, in einen anderen Kontext gesetzt worden ist. Vor dem Hintergrund heutiger Debatten um gesellschaftlichstrukturellen Sexismus und der heutigen „MeToo“Debatte ist natürlich klar, dass es auch vor diesem Hintergrund interpretiert wird und dass auch vor diesem Hintergrund diese Debatte geführt wird.

Auf der anderen Seite ist es so, dass Kunst am Bau grundsätzlich keinen Ewigkeitsanspruch hat. Wenn ich ein Gedicht auf einer Fassade anbringe, kann es auch passieren, dass diese Fassade zugebaut oder irgendwie anders gestaltet wird. Das ist immer denkbar. Ich kann mich nicht erinnern, dass es in der Gesellschaft einen großen Krawall gegeben hat, als das erste Wandbild von

Ben Wagin jüngst, weil ein Haus davor gebaut wird, von der Wand getilgt worden ist.

Gedichte im Kontext von Hochschule und Fassade lösen noch einmal andere Assoziationen aus als in einem Buch. Das dürfte auch auf der Hand liegen. Aber wir tilgen auch heute umstrittene Kunst nicht aus dem Stadtbild, sondern wir stellen Kontexte her, wir interpretieren, wir erläutern, wir diskutieren. Das heißt, wir versuchen, einen thematischen Kontext herzustellen und die Auseinandersetzung zu befördern und nicht zu beenden. Das ist, glaube ich, auch der bessere Weg.

Also ich finde, die Debatte ist nicht verboten. Sie ist Ausdruck der Hochschulautonomie. Es sind keine Farbbeutel an die Wand geworfen worden. Es gab auch keine Graffitisprühereien darüber, sondern es gab eine offene Debatte in den Hochschulgremien. Da sage ich jetzt auch: Mein Respekt vor der Hochschulautonomie ist mindestens genauso ausgeprägt wie mein Respekt vor der Kunstfreiheit. Das heißt, für mich hat das Ergebnis der Debatte einen schalen Beigeschmack, und das gilt auch für manchen Zungenschlag oder die leichtfertige Auflösung ambivalenter Kunst mit dem Vorwurf des Feierns von Sexismus und der Geschlechterunterdrückung. Ich finde, das ist absolut überzogen. So notwendig und richtig ich es finde, dass über strukturellen Sexismus und über antiquierte Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft diskutiert wird – es ist viel zu lange nicht geschehen, und es wurde höchste Zeit, dass darüber diskutiert wird –, müssen wir aufpassen, dass wir die Grenzen des individuell Zumutbaren oder des individuell als zumutbar Empfundenen oder dessen, was in einer Gesellschaft an Zumutungen oder an vermeintlichen Zumutungen auszuhalten ist, nicht immer weiter herabsetzen, denn man kann sich effektiv nur auseinandersetzen, wenn Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen auch sichtbar sind. Das heißt für mich auch, nicht jedes Werk auszutilgen, das möglicherweise in einer bestimmten Richtung interpretierbar ist, oder es auf diese Interpretation zu reduzieren. Damit wird man Kunst und dem Kunstwerk und gar dem Künstler nicht gerecht.

[Beifall bei der LINKEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der AfD]

Um noch einmal deutlich zu machen, dass das alles andere als einfach ist: Wir haben auch andere Debatten. Wir haben auch Debatten um Rassismus in Kinderbüchern aus den Dreißigerjahren und vieles andere mehr, und es muss eine gesellschaftliche Debatte geführt werden, wie man damit vor dem Hintergrund der heutigen Gegenwart umgeht. Ich glaube allerdings, dass Gomringers Gedicht dafür der schlechteste Anlass ist. Also Kopfschütteln über beides! Wer „Faust“ von Goethe im Unterricht behandelt, feiert ihn nicht automatisch als Vergewaltiger von Gretchen, sondern setzt sich mit einem Dokument des kulturellen Erbes auseinander. Deswegen glaube ich auch, dass der Debatte um Sexismus in der Gesellschaft mit der augenblicklichen Debatte um das Wandbild eher ein

Bärendienst erwiesen wird. Aber auch die Kritik an der Entscheidung, so finde ich, sollte auf dem Teppich bleiben. Vielleicht ist das die aufklärerische Chance dieser Debatte, die mit Sicherheit nicht vorbei ist.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und der CDU]

Frau Kittler! Sie bekommen noch einmal das Wort für eine Nachfrage. – Bitte schön!

Vielen Dank! – Hat der Senat in der Vergangenheit zu dieser Thematik Kontakt zu Vertreterinnen und Vertretern der ASH aufgenommen, oder hat er das zukünftig vor?

Bitte schön, Herr Senator!

Ich weiß vom Kollegen Staatssekretär Krach, dass es auf der Ebene zwischen der Verwaltung und der Hochschule Kontakte gegeben hat, dass umgekehrt aber der Respekt vor der Hochschulautonomie und vor der Debatte dort auch zu Zurückhaltung geführt hat. Ich selbst habe die Debatte erst in jüngerer Zeit mitbekommen, als sie so hochgekocht ist. Ich kann an der Stelle nur sagen: Wenn die Hochschule will, stehen wir alle für Debatten zur Verfügung, aber auch das wäre eine Entscheidung, die in der Hochschule selbst zu fällen ist.

Die zweite Nachfrage geht an Frau Bangert von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Vielen Dank! – Alice Salomon wurde in das Exil getrieben, weil sich auch viele Menschen von ihren Worten bedroht fühlten. Das sage ich zu dem Kontext, in dem die ganze Debatte steht.

Herr Kultursenator! Stimmen Sie mit mir überein, dass die Debatte insofern so verlaufen ist, wie sie verlaufen ist, auch mit diesem wirklich sehr bedauerlichen Ergebnis, weil sämtliche Beteiligten das Gedicht als Sachtext gelesen und nicht als Kunst begriffen haben?

Bitte schön, Herr Senator!

(Bürgermeister Dr. Klaus Lederer)

Damit stimme ich vollständig überein.

Danke schön!