In der Beratung beginnt die AfD-Fraktion, und hier hat der Abgeordnete Herr Pazderski das Wort. – Bitte schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 24. Juni jährt sich zum 70. Mal der Tag, an dem die Berliner Luftbrücke begonnen hat. Sie war die Reaktion auf die Sperrung der Land- und Wasserwege der damaligen Trizone nach Westberlin durch die sowjetische Besatzungsmacht im Osten Deutschlands. Was das für die Menschen in Westberlin bedeuten musste, geht aus nüchternen Tatsachen hervor: Zu diesem Zeitpunkt musste rund 75 Prozent dessen, was in Westberlin im Alltag benötigt wurde, über Importe aus den Westzonen bezogen werden. 2 Millionen Menschen in den Westsektoren mussten mehr als ein Jahr aus der Luft versorgt werden. Dazu waren 277 569 Transportflüge erforderlich, bei denen über 100 Menschen ums Leben kamen.
Wir werden in diesem Jahr sicherlich noch mehr Gelegenheiten haben, diesen Jahrestag angemessen zu würdigen. Heute geht es mir jedoch nicht um die Berliner Luftbrücke als solche, sondern um einen einzelnen Menschen, der beispielhaft in dieser Zeit für die Berliner gewirkt hat. Es geht um Gail Halvorsen, den – ich zitiere – legendären amerikanischen Luftbrückenpiloten, der damals so viele Kinder und Jugendliche glücklich machte – so die Worte von Präsident Wieland am 24. November 2016, als Gail Halvorsen das Abgeordnetenhaus mit einem Besuch geehrt hat.
Gail Halvorsen flog zahlreiche durchaus riskante Einsätze im Rahmen der Luftbrücke. Aber über dieses dienstliche Engagement hinaus nutze er seine freie Zeit, um kleine Fallschirme aus Taschentüchern zu basteln, an denen er im Landeanflug auf den Flughafen Tempelhof Schokoladenriegel und andere Süßigkeiten für die Berliner Kinder abwarf. Dies unternahm er zunächst aus eigenen Mitteln, erst später wurde er finanziell durch die amerikanische Luftwaffe unterstützt. Zugleich setzte er mit seiner persönlichen Initiative ein Beispiel, dass rasch von anderen Piloten aufgenommen wurde.
Die von Gail Halvorsen initiierten Candy-Bombers wurden zum Symbol dafür, wie man als Einzelner mit Mut, Erfindungsgabe und Herzensgüte, manchmal auch jenseits von Dienstvorschriften und Regeln, altes Denken in Feindbildern überwinden und menschenverachtende Ränkespiele scheinbar allmächtiger Politiker durchkreuzen kann.
Gail Halvorsen hat sich um die Aussöhnung zwischen den vormaligen Kriegsgegnern USA und Deutschland in besonderer Weise verdient gemacht. Er stand ohne Wenn und Aber auf der Seite der Berliner, als sie einer der größten Herausforderungen ihrer Geschichte gegenüberstanden. In der Erinnerung der älteren Berliner ist er als Onkel Wackelflügel fest verankert. Er war und ist wie kaum ein anderer das Gesicht der Luftbrücke.
Auch später blieb Gail Halvorsen Berlin eng verbunden. So war er in den Siebzigern zeitweise Kommandant des Flughafens Tempelhof und immer wieder Fürsprecher unserer Stadt und unseres Landes. Dafür erhielt er 1974 das Große Bundesverdienstkreuz. 2013 hat er trotz seines hohen Alters die nach ihm benannte Sekundarschule in Dahlem besucht, und noch im November 2016 war er, wie bereits gesagt, hier im Abgeordnetenhaus von Berlin unser Gast.
Doch ausgerechnet der Berliner Senat hält sich bedeckt, wenn es um die Ehrung von Gail Halvorsen jenseits von Sonntagsreden geht. Es ist, um es einmal vorsichtig auszudrücken, unverständlich, dass Gail Halvorsen bis heute nicht Ehrenbürger Berlins ist.
Er ist mit Sicherheit eine der Personen, die sich um Berlin in hervorragender Weise verdient gemacht haben, wie es in den Richtlinien zur Verleihung des Ehrenbürgerrechts gefordert wird. Wenn der Senat zaudert, ist das Abgeordnetenhaus gefragt. Der bevorstehende 70. Jahrestag des Beginns der Luftbrücke am 24. Juni wäre einmal wieder ein Anlass, wenn es denn überhaupt eines solchen bedürfte, um das leider bislang Versäumte nachzuholen – Gail Halvorsen ist bereits 97 Jahre alt.
Gail Halvorsen hat sich verdient gemacht. Er hat in einer der dunkelsten Stunden Berlins nicht nur ein Zeichen der Hoffnung gesetzt, sondern auch nach einem verheerenden Weltkrieg mit fast 80 Millionen Opfern den Berlinern und damit auch den Deutschen die Hand zur Versöhnung gereicht. Lassen Sie die Ehrung dieses Mannes nicht am kleingeistigen Parteiengezänk scheitern! Ich bitte um Ihre Zustimmung, um einem außergewöhnlichen Menschen den Dank und die Anerkennung der Berliner Bürger zukommen zu lassen. – Herzlichen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ehrenbürgerschaft ist ein hohes Gut und muss sensibel gehandhabt werden. Dazu gehört ein Höchstmaß an Vertraulichkeit. Es sollte zunächst eine interne Verabredung getroffen, und es muss vor allem mit den zu Ehrenden gesprochen werden, ob sie oder er die Auszeichnung annehmen möchte. Dazu gehört dann auch, die Ehrung nicht parteipolitisch zu vereinnahmen, sondern als gemeinsam getragenes Ansinnen von Senat und Abgeordnetenhaus zu behandeln und so zu präsentieren.
Wer das anders macht – und das gilt für alle Fraktionen dieses Hauses –, gefährdet aus meiner Sicht den überparteilichen Wert dieser Auszeichnung und schädigt – und
Wir können gerne die bereits mehrfach im Parlament besprochene Idee neu beraten, die Ehrenbürgerliste insgesamt zu thematisieren und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zu überprüfen, um immer wiederkehrende Einzelanträge auf An- oder Aberkennung einer Ehrenbürgerschaft – das hatten wir in der letzten Legislaturperiode – künftig zu vermeiden. Lassen Sie uns gemeinsam mit der Senatskanzlei einen Weg finden, weil es darum geht, einen breiten Konsens in der Stadt zu erzielen!
Um auch das zu sagen: Ich kenne Gail Halvorsen seit vielen Jahren persönlich. Ich habe eine sehr hohe Meinung von ihm und von seinen außerordentlichen Lebensleistungen. Gleichwohl bin ich mir sicher, dass er keine Lust hat und es sogar ablehnen würde, hier in einen Strudel parteipolitischer Auseinandersetzungen zu geraten. Die Form des Einbringens des Antrags durch die Antragsteller deutet darauf hin, dass genau dies das Ansinnen der AfD ist. Das kann ich nicht akzeptieren, das ist der Person und der Würde der Ehrung nicht angemessen. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich vorwegzunehmen: Für die CDUFraktion sind die Leistungen von Gail Halvorsen und aller seiner Kameraden in Zusammenhang mit der Blockade des freien Teils unserer Stadt aller Ehren wert.
Aus diesem Grund ist er auch mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden, und aus diesem Grund hat man eine Schule in Berlin nach ihm benannt. Im Übrigen haben die Schüler das selbst so abgestimmt. Das finde ich besonders bemerkenswert, weil es sich um Menschen handelt, die mit der Berlin-Blockade zeitlich überhaupt gar nicht mehr in Verbindung stehen. Aus diesem Grund hat man auch eine Ausnahme von der Regelung gemacht, dass öffentliche Gebäude oder Straßen nicht nach lebenden Personen benannt werden. Ich glaube, das ist an der Stelle auch eine völlig nachvollziehbare und richtige Ausnahme.
Weil die Luftbrücke ein so wichtiger Teil unserer Geschichte war, wurde Lucius D. Clay zum Ehrenbürger unserer Stadt ernannt, und aufgrund des ehrenwerten Verhaltens von Halvorsen und seiner Kameraden wurde 2008 in der BVV Steglitz-Zehlendorf eine Ehrenbürgerschaft für Gail Halvorsen vorgeschlagen. Der Senat hat das damals abgelehnt. Ich kann das hier nicht kommentieren, da ich auch nicht alle Gründe kenne. Aber es hat wohl auch die Frage eine Rolle gespielt: Ehrung der individuellen Leistung einer Persönlichkeit oder im Gegensatz dazu Ehrung einer Gruppe, die durch einen repräsentativen Vertreter geehrt werden soll?
Halvorsen hat sich durch seine Idee mit den Süßigkeiten an Fallschirmen aus dieser Gruppe herausgehoben, und er ist vermutlich auch der letzte lebende der damaligen Flieger. Von daher denken wir, dass eine Ehrung durchaus im Bereich des Denkbaren ist. Aber ein solcher Antrag, wie ihn die AfD hier vorgelegt hat, ist nicht der erste Schritt auf einem solchen Weg. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie keinen Antrag stellen, sondern zunächst Erkundigungen unternehmen – beispielsweise, ob es eine interfraktionelle Zustimmung dazu gibt, ob es eine breite Mehrheit gibt, denn nur so kann man das Institut des Ehrenbürgers tatsächlich begründen.
Sie hätten auch mal nachprüfen können, ob der Senat weiterhin auf seiner Haltung beharrt oder ob – und das ist auch ein wichtiges Thema, da es sich ja um einen betagten Herren handelt – Herr Halvorsen bereit und gesundheitlich in der Lage ist, noch einmal in unsere Stadt zu kommen und diese Würde anzunehmen. Ich habe in Erinnerung, dass er selbst bei seinem jüngsten Besuch in unserer Stadt verkündet hat, das werde vielleicht sein letzter Besuch gewesen sein, weil die Strapazen einer solchen Reise doch relativ beschwerlich sind. Das wäre im Sinne des zu Ehrenden und im Sinne der Institution des Ehrenbürgers gewesen, und bei anderem Handeln setzt man sich dem Verdacht aus, dass man daraus kurzfristiges politisches Kapital schlagen will. Es hat ja schon vor einigen Jahren mal den Versuch einer Partei gegeben, einen solchen Antrag so vorzubringen. Ich glaube, das ist ein Fehler. Ich habe keinen hinreichenden Verdacht für diese Unterstellung außer der Tatsache, dass Sie auf den Vorschlag, diesen Antrag zurückzunehmen und zu überdenken, nicht reagiert, sondern darauf beharrt haben, ihn heute hier zu diskutieren. Wenn man das Verhalten bewertet, kommt man zu dem Schluss, dass Sie das auf dem Rücken von Herrn Halvorsen austragen und das unter Umständen auch noch zum Schaden des Ansehens der höchsten Ehre gereicht, die diese Stadt zu vergeben hat.
Von daher das Fazit: Inhaltlich kann man diesen Vorschlag selbstverständlich unterstützen, der Weg ist aber in jedem Fall untauglich, und alles Weitere wird im Ausschuss beredet. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die teure AfD-Fraktion beantragt, Gail S. Halvorsen die Ehrenbürgerschaft zu verleihen. Halvorsen ist unbestritten ein Held der Luftbrücke. Er war in Berlin auch bekannt als „Onkel Wackelflügel“ – „Wackelflügel“ deshalb, weil er während der Landeanflüge auf Tempelhof vor dem Abwurf der Süßigkeiten für Berliner Kinder mit den Tragflächen seines Flugzeugs wackelte, damit ihn die Kids unter den Hunderten von Maschinen, die im dichten DreiMinuten-Takt anflogen, auch erkennen konnten. Sie beantragen also, „Onkel Wackelflügel“ die Ehrenbürgerschaft zu verleihen.
Dieser Antrag wurde – das ist bereits erwähnt worden – 2008 von der BVV Steglitz-Zehlendorf gestellt und 2011 vom Senat abschlägig beschieden – nicht, weil niemand Gail Halvorsen ehren mochte, sondern ganz im Gegenteil – ich zitiere –:
Wir wollen keine Unterschiede machen zwischen all jenen, die unter Einsatz ihres Lebens damals die Versorgung Berlins gesichert haben.
Das war ein Grund, den der Senat genannt hat. Gail Halvorsen sagte damals dazu: I don’t mind! Das macht mir nichts aus. Es verändert meine Beziehung zu Berlin nicht.
Es kommt hinzu, dass Gail Halvorsen 1974 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz geehrt wurde. Er erhielt 2015 die Lucius-D.-Clay-Medaille, und 2013 wurde die 9. Integrierte Sekundarschule in Steglitz-Zehlendorf nach ihm benannt – übrigens die zweite Schule, die nach einer zum Zeitpunkt der Benennung noch lebenden Person benannt wurde. Die erste war die Nelson-Mandela-Schule in Wilmersdorf. Wer meint, eine solche Schulbenennung sei Pillepalle, dem sei empfohlen, auf der Website der Schule nachzuschauen, wie dort die Erinnerung an die Luftbrücke und an das Wirken des Namensgebers gepflegt wird. Ein Artikel in der „Berliner Zeitung“ vom 10. Oktober 2017 dokumentiert diese lebendige Erinnerungsarbeit der Schülerinnen und Schüler. Ich finde, darauf kommt es an, nämlich das Wirken und die Haltung von Gail Halvorsen in unserer Erinnerung zu behalten. Das Schulmotto der Gail-S.-Halvorsen-Schule ist: Freiheit, Verantwortung, Freundschaft.
Was die Schülerinnen und Schüler und vielleicht auch Gail Halvorsen zu Ihrem Antrag sagen würden, erscheint mir angesichts seiner eigenen Lebensgedanken übersichtlich. Wenn Sie auf seiner Internetseite – „wiggly wings“ – also wieder die „Wackelflügel“ – nachschauen, können Sie unter Punkt 1 lesen:
Der Wunsch nach Freiheit ist jeder Seele innewohnend, egal, auf welcher Seite der Grenze er oder sie geboren ist.
Sei anderen mit Worten, Diensten und Gütern dankbar – ohne Vorbedingungen. Unerwartete Segnungen und Belohnungen erwarten dich. Wichtiger noch: Die Last einer anderen Person wird ihr erträglich gemacht.
Also Tausende Berlinerinnen und Berliner haben durch ihr Wirken Gail S. Halvorsen geehrt, indem sie beispielsweise ehrenamtliche Arbeit in der Versorgung von Geflüchteten geleistet haben. Von Ihrer Partei sind sie dafür als nützliche Idioten bezeichnet worden. Wenn Sie Gail S. Halvorsen glaubhaft ehren wollen, haben Sie eine Menge zu tun. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe AfD-Fraktion! Wenn Sie allen Ernstes vorhatten, Gail Halvorsen die Ehrenbürgerwürde Berlins zu verschaffen, haben Sie mit diesem Antrag genau das Gegenteil erreicht. Das sei einmal vorweg gesagt. Wenn man in irgendeiner Form einen Konsens im Gedenken dieser Stadt herstellen will, dann geht das nicht mit marktschreierischen Auftritten im Parlament, sondern nur interfraktionell in Abstimmungen, in Prüfungen der Biografien und der Persönlichkeiten und jedenfalls nicht, indem man jemanden in das Licht der Öffentlichkeit zerrt, wo man noch nicht einmal weiß, ob derjenige es will, den anderen aber sagt: Ihr müsst über das Stöckchen springen, das wir euch hinhalten! – Nein! Über dieses Stöckchen werden wir in dieser Form nicht springen.