Protocol of the Session on January 11, 2018

Für die Fraktion der CDU spricht die Abgeordnete Frau Seibeld. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

[Torsten Schneider (SPD): Gibt’s nicht in Zehlendorf!]

Gibt’s auch! – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, Herr Schneider, auch in SteglitzZehlendorf gibt es Spätis.

[Torsten Schneider (SPD): Was?]

Es dürfte auch unbestritten sein, dass Spätis etwas mit dem Lebensgefühl in Berlin zu tun haben. Richtig ist aber auch, Sie können auch jetzt schon von Montagmorgen 0.01 Uhr bis Samstagabend 23.59 Uhr aufhaben. Wie das eigentümergeführte Spätis leisten wollen, auch noch den Sonntag aufzuhaben, ist mir nicht ganz klar. Ich vermute, auch die schlafen irgendwann mal. Aber sei’s drum.

Mich würde interessieren, wie die Grünen – aber die kommen ja noch – sich zu dem Antrag der FDP verhalten, die ja in der letzten Legislaturperiode einen wortgleichen Antrag gestellt haben. Ich habe mir den Beitrag von Frau Kahlefeld damals gut angeguckt. Insofern hätte ich mir gewünscht, dass auch Frau Pop zugegen wäre, um sich mit der Thematik zu befassen.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Ich hatte gedacht, die ganz schlecht gemachten Anträge sind mit dem Auszug der Piraten aus diesem Parlament verschwunden. Aber offenbar hat sich die FDP in der Verpflichtung gesehen, die Nachfolge anzutreten. Die Ausführungsvorschrift, die schon im Antrag der Grünen drinsteht, steht immer noch drin. Es gibt sie immer noch nicht. – Ich bin gar nicht sicher, ob man einem Antrag zu einer Ausführungsvorschrift, die es gar nicht gibt, zustimmen kann. Vielleicht müssten wir den WPD damit befassen.

[Torsten Schneider (SPD): Oh nee!]

Ich bin schon gar nicht sicher, ob es theoretisch gehen würde.

(Frank Jahnke)

Aber zur Sache zurück. Die Spätis einseitig zu privilegieren, ist aus unserer Sicht eine Wettbewerbsverzerrung, die nicht gerechtfertigt ist gegenüber dem kleinen Supermarkt an der Ecke, auch gegenüber den großen Supermärkten, gegenüber vielen anderen Einkaufsmöglichkeiten, die es in Berlin gibt.

Dann kommen wir zur Ladenöffnung und der Frage der vollständigen Liberalisierung. Die Sonntagsruhe ist in Artikel 140 Grundgesetz und inkorporiert der Weimarer Reichsverfassung geregelt. Das Bundesverfassungsgericht hat auch im Jahr 2009 und im Vorfeld relativ deutlich gemacht, worum es dabei ging, und auch deutlich gemacht, dass das, was das Berliner Ladenöffnungsgesetz vorsieht, schon die liberalste Form ist, die gerade noch so verfassungsgemäß sein könnte.

Den Grund für die Sonntagsruhe sieht das Bundesverfassungsgericht vollkommen zutreffend keinesfalls nur in religiösen Fragen, sondern auch in weltlich-sozialen Aspekten. Wann beispielsweise sollen in einer Zeit, wo die Zeiten, die Familien gemeinsam haben, wo alle Familienangehörigen zusammensind, immer geringer werden, wo die Möglichkeit, Sport zu betreiben, gemeinsam zu spielen, Ehrenamt auszuüben, an Demonstrationen teilzunehmen oder einfach nur Freizeit miteinander zu verbringen, immer kleiner werden, wann soll das stattfinden, wenn sonntags regelmäßig ein Elternteil arbeiten geht über das hinaus, was über Feuerwehr, Krankenhaus etc. unumgänglich ist?

Unserer Auffassung nach überwiegt der Schutz der Sonntagsruhe ein Interesse am Einzelhandel nach mehr Umsatz, nach steigenden Zahlen deutlich. Die Sonntagsruhe ist ein hohes Gut, das wir nicht aus rein kommerziellen Gründen infrage stellen sollten.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Und manchmal, liebe FDP, ist es auch besser, gar nicht einzukaufen als falsch einzukaufen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Abgeordnete Frau Schubert das Wort. – Bitte schön!

[Zuruf von der FDP: Was sagt die Arbeiterbewegung?]

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wurde hier schon gesagt, Berlin hat das liberalste Ladenöffnungsgesetz der Bundesrepublik. Man kann echt rund um die Uhr einkaufen, außer sonntags. Und selbst wenn man sonntags einkaufen will, kann man Brötchen kaufen, kann

man Blumen kaufen; da kann man jede Menge Sachen kaufen. Man kann nicht Hosen kaufen, man kann nicht Möbel kaufen, man kann nicht Häuser kaufen. Ich glaube, das ist verkraftbar.

Ein Ladenöffnungsgesetz ist immer zugleich auch ein Arbeitnehmerschutzgesetz. Es ist, glaube ich, zentral wichtig, dass es auch nur einen Tag in der Woche gibt, wo Menschen sich darauf verständigen können, gemeinsam Dinge machen zu können. Es ist ja schon problematisch genug, dass es Bereiche in unserem Gemeinwesen gibt, die notwendigerweise ausgenommen sind von der Sonntagsruhe, die Krankenhäuser, Frau Seibeld hat es gesagt, Feuerwehr, Polizei. Aber es muss doch eine gewisse Grundfeste geben, auf die man sich verabreden kann. Kitas, Schulen, Verwaltungen – alles hat sonntags zu. Verkäuferinnen – es sind in erster Linie Frauen, die im Einzelhandel arbeiten –, die sonntags arbeiten, müssen erst mal sehen, wie sie ihre Kinder unterbringen. Die müssen erst mal sehen, wie sie ihre Familie organisieren. Das ist alles mit erheblichem Aufwand verbunden, und oft ist dann das, was es an Zuschlägen mehr gibt, was als positiv dargestellt worden ist, auch schon wieder weg, weil nämlich genau das für Betreuung aufgewendet werden muss. Insofern, glaube ich, ist dieser Sonntag nicht mal ein Zugewinn für diejenigen, die auf Zuschläge hoffen.

Kommen wir zu dem Argument von Ihnen, Onlineshopping nimmt dem Einzelhandel Vorteile weg. Ja aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Leute kaufen doch nicht online ein, weil sie sonntags nicht im Laden einkaufen dürfen! Die kaufen online ein, weil es so bequem ist, sich da durchzuklicken. Die kaufen online ein, weil es ihnen nach Hause geschickt wird. Die kaufen online ein, und das ist der nächste Skandal, weil es nämlich oft auch noch billiger ist. Und weswegen? Weil die großen Konzerne wie Amazon nicht nach dem Einzelhandelstarif bezahlen, sondern nach dem Logistiktarifvertrag. Deswegen ist es wichtig, die Gewerkschaften zu unterstützen, dass dieser Preisvorteil wegfällt, indem nämlich ordentlich bezahlt wird nach Einzelhandelstarif, und dann ist auch wieder eine Vergleichbarkeit gegeben zwischen den Menschen, die im Einzelhandel, und denjenigen, die bei den großen Konzernen arbeiten.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Dann kommt das Argument, wir sind eine Metropole, und in anderen großen Städten kann man ja rund um die Uhr einkaufen. – Auch das ist falsch. Wenn man sich mal in europäischen Städten umschaut, und man ist gerade nicht in den Touristikzentren, sondern da, wo die ganz normalen Leute leben, ganz normal: Da sind die Läden von 9 bis 19 Uhr auf, und dann ist Feierabend. Bei den einen ist es mal ein bisschen länger, bei den anderen fangen sie später an. Aber dieses „rund um die Uhr“ und „ich muss immer einkaufen gehen“, das gibt es nirgendwo. Und es ist auch nicht sinnvoll. Und ehrlich gesagt muss es unsere

(Cornelia Seibeld)

Aufgabe sein, dafür zu arbeiten, dass die Menschen auch noch andere Beschäftigungsmöglichkeiten, einen anderen Sinn in ihrem Leben sehen, als einkaufen zu gehen. Gott sei Dank sind wir in der Stadt Berlin in der Lage, dafür zu sorgen, dass hier niemand verhungern muss, weder am Sonntag noch an Feiertagen noch unter der Woche. Ich glaube, dieser Aufgabe sind wir nachgekommen. Insofern sollten wir es so lassen, wie es jetzt ist. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Für die Fraktion der AfD hat jetzt der Abgeordnete Christian Buchholz das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Liebe Gäste auf der Zuschauertribüne! Die FDP hat zwei Anträge eingebracht. Darin geht es um die Sonntagsöffnung von Spätis und eine vollständige Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten, die sich aus dem Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung ergeben. Der Artikel 139 der WRV besagt:

Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.

Darauf beruht übrigens auch der Artikel 35 der Verfassung von Berlin, der anschließend ebenfalls zu ändern wäre.

In der Begründung des Antrags heißt es, dass es zu einer Wettbewerbsverzerrung aufgrund des immer weiter zunehmenden Onlinehandels kommt. Wochenendtouristen kämen zum Wochenendshopping nach Berlin, und es habe ein Wandel in der Lebensrealität und insofern ein Verfassungswandel stattgefunden. – Die Argumente sind teilweise zutreffend, teilweise aber noch unvollständig. Onlinebestellungen werden am Sonntag durchgeführt, aber die Waren werden am Sonntag nicht mehr ausgeliefert. Hier würde ich die FDP bitten, argumentativ noch nachzulegen. Wochenendtouristen kommen durchaus zum Wochenendshopping nach Berlin, besonders in der Vorweihnachtszeit. Da gibt es bereits verkaufsoffene Sonntage, und insgesamt gibt es bis zu zehn verkaufsoffene Sonntage im Jahr. Hier müsste die FDP in ihrer Argumentation ebenfalls noch ein bisschen nachlegen. Das Grundgesetz bzw. die Verfassung wegen eines Verfassungswandels und Wandels der Realität zu ändern, wie die FDP es in ihrem Antrag wörtlich fordert, ist ein sehr interessantes Argument. Das können wir gerne diskutieren und dieses Argument sogar grundsätzlich in die politische Diskussion einführen. Es lassen sich weitere Argumente für die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten finden. Die Woche hat sieben Tage. Wenn sieben statt

sechs Tage zu arbeiten sind, braucht man mehr Personal, weil die Arbeitszeit individuell auf 35 bis 40 Stunden begrenzt ist. Es könnten also Jobs entstehen. Auch das müssen wir im Ausschuss prüfen.

Gegen die Liberalisierung der Berliner Ladenöffnungszeiten im Hinblick auf die Sonn- und Feiertage lassen sich aber auch gute Gründe finden: die Belastung der Verkäufer in den Geschäften, unsere christliche Kultur oder die Funktion des Sonntags für die Familien. Das wichtigste Argument ist aber, dass der freie Sonntag ein Strukturelement unserer Zeitplanung ist. Wenn am Sonntag die Geschäfte geöffnet wären, würde er den Werktagen gleich, und der Charakter von Freitag, Samstag und Montag ginge gleich mit verloren, weil die Woche keinen Anfang und kein Ende mehr hat.

Wir sind hier noch nicht endgültig festgelegt und freuen uns auf eine Diskussion dieser Frage und auch der Frage der Klassifikation von Spätis in den Ausschüssen. Dazu gehört natürlich auch eine Anhörung. Die AfD als Partei der Vernunft wird auch in diesen Fragen auf eine vernünftige Lösung dringen.

[Torsten Schneider (SPD): Das ist schon der zweite Witz! Bei der Bürgernähe haben Sie auch schon so schwadroniert!]

Herr Schneider! Wir sind tatsächlich die Partei der Vernunft. Frau Schubert hat zum Beispiel das Argument Schutz der Arbeitnehmer gebracht, und das ist bei uns gehört worden. Das ist tatsächlich bei uns gehört worden, und das werden wir auch berücksichtigen. Das heißt jetzt nicht, dass wir sofort darauf reagieren. Wir werden es zur Kenntnis nehmen.

[Torsten Schneider (SPD): Mir haut es gleich den Schalter raus!]

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der AfD]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Abgeordnete Herr Urbatsch das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen der FDP! Schön, dass Ihnen unser Späti-Antrag so sehr gefällt, dass Sie ihn gleich noch einmal einbringen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich bei Anja Kofbinger und Susanna Kahlefeld zu bedanken, die seit 2015 zwei Späti-Dialoge geführt und sich des Themas intensiv angenommen haben. Sie haben quasi das Copyright auf diesen Antrag.

[Beifall bei den GRÜNEN]

(Katina Schubert)

Der Unterschied zwischen einer Tankstelle und einem Späti und die Privilegierung der Tankstelle ist mir nicht eingängig. Aber aus der Späti-Debatte in der BVV Mitte weiß ich um die vielschichtigen Argumente bei diesem Thema, nicht zuletzt die Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenrechte. Aus diesem Grund sind die begonnenen Gespräche zwischen der Senatsverwaltung und dem Berliner Späti e. V. sehr zu begrüßen. Wenn Späti-Betreiberinnen und -Betreiber, die versuchen, mit ihrem Laden einigermaßen über die Runden zu kommen, mit Bußgeldern belegt werden, dann ist das sehr ärgerlich. Es sind im Besonderen die Kieze, die unsere Stadt so lebenswert machen. Spätis sind ein unverzichtbarer Bestandteil dieser Kiezkultur, auch am Sonntag.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Bezüglich Ihrer Bundesratsinitiative bin ich erstaunt, dass Sie sie nicht in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein einbringen. Der Umstand, dass Sie es hier versuchen, ist aber wahrscheinlich schon der verstohlene Hinweis auf die Komplexität dieser Debatte. Auch wenn ich Ihren Argumenten zu stationärem und Online-Handel folge, vermisse ich doch einen Hinweis zu Belastungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und ihren Familien durch Sonn- und Feiertagsarbeit. Eine komplette Liberalisierung, wie ich sie in einigen Ländern erlebt habe, hat mich persönlich nicht überzeugt.

Dem Urteil des OVGs sehe ich sehr gespannt entgegen. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Sonntage für den Handel ist unumstritten. Hätte das Urteil Bestand, wäre dies keine Unterstützung für den im Wandel befindlichen stationären Handel. Die bisher dargelegten Kriterien machen es für jede Großstadt schwer, einen verkaufsoffenen Sonntag zu begründen. Dies wäre schon eine enorme Bürde für den lokalen Handel. Ich hoffe, wir können eine Anhörung im Ausschuss vereinbaren, die die aktuelle Einschätzung der verschiedenen Seiten beleuchtet.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Ülker Radziwill (SPD)]