Die Medien begleiten die Vorgänge seit mehreren Monaten. Republikweit macht sich Berlin inzwischen mehr als lächerlich. Es gibt immer neue Variationen der Auslegung der Materie.
Entschuldigung, Frau Kollegin, ich muss Sie kurz unterbrechen! Es macht sich irgendwie eine gemütliche Schwatzstimmung im Saal breit. Ich möchte alle Herrschaften, die jetzt nicht der Rednerin zuhören, bitten, nach draußen zu gehen.
Dabei ist es möglich und gar nicht so schwierig, mit einem Grundkurs Europarecht das auch zu lösen. Tageseltern sind – ganz klar – keine Lebensmittelunternehmer.
Und das Beste ist: Die EU selbst, die die Vorschrift erlassen, sagt, dass eine Tagesmutter keine Lebensmittelunternehmerin ist. Ihnen fehlt das Wissen über Föderalismus. Seit wann ist ein Bundesland an die Rechtsauslegung eines Bundesministeriums gebunden, wenn diese Auslegung zudem auch noch so komisch ist? – Andere Landesregierungen wie Sachsen haben klare Absagen erteilt. Sie haben die Info vom Bund zur Kenntnis genommen, und sie sagen: Die Hygienevorschriften, die wir haben, reichen aus. – Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bremen, Thüringen! Bayern hat noch nie etwas davon gehört. Und warum Berlin hier vorprescht, ist nicht klar.
Nehmen wir uns ein Beispiel an Hamburg: Das sind die Einzigen, die darin Berlin nachziehen. Aber Hamburg – das hat sich erwiesen – ist kein gutes Vorbild. Die sarrazinschen Zeiten sind vorbei. Ich dachte, das wäre schon Schrott von gestern. Scheinbar eilt das Land Berlin Hamburg immer noch hinterher.
Herr Senator Heilmann und Sie, Frau Senatorin Scheeres, haben hier in diesem Plenum öffentlich versprochen, es werde eine Besserung geben. Sie wollen Abhilfe schaffen, halten aber an der absurden Begriffsbestimmung fest. So lautete Ihre Antwort auf meine Kleine Anfrage vor wenigen Tagen.
Schon im Februar 2009 machte Brüssel auf eine Auslegungshilfe der Basisverordnung im europäischen Hygienerecht aus dem Jahr 2002 aufmerksam, dass europäische Auflagen für Lebensmittelbetriebe nicht für Tageseltern
gölten. Ich frage mich seit Wochen, warum Sie sich nicht von der rechtsetzenden Ebene selbst leiten lassen. Das Berliner Chaos besteht ohne Not. Ich wiederhole noch einmal meine Bitte vom Anfang. Kommen Sie zu Vernunft, und beenden Sie das Chaos!
Vielen Dank, Frau Kollegin Burkert-Eulitz! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt der Kollege Eggert das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, dass wir heute über die Rechtssicherheit für Tageseltern diskutieren, und im Gegensatz zu dem, was soeben hier behauptet wurde, wissen wir, dass die Tageseltern eine wichtige Säule in der Kinderbetreuung unserer Stadt darstellen. Für die geleistete Arbeit sind wir ihnen dankbar.
Das Wunsch- und Wahlrecht nach § 5 SGB XIII gibt den Eltern die Möglichkeit, sich im Rahmen der Kindertagesbetreuung entweder für eine institutionelle Betreuung auszusprechen oder – so sprechen jetzt die Juristen, und das, was Sie eben gehört haben, war auch von einer Juristin – ein familienanaloges Betreungssetting zu suchen, sprich: Tageseltern. Hauptmerkmal ist aber bei der Kindertagespflege in den Familien der familiäre Rahmen der Betreuung. Sie wird daher in der Regel in Privathaushalten von Privatpersonen erbracht, öffentlich finanziert und – auch bis jetzt schon – in verschiedenen Punkten beaufsichtigt, Hygiene ist nur einer dabei.
Trotz steigenden Bedarfs an Tagespflegestellen ist es nicht leicht, auch in Berlin nicht, geeignete Tagespflegepersonen zu finden. Da die Anforderungen an diese Personen, deren Familien und die Wohnungen erheblich sind, werden wir uns darum bemühen, immer mehr Eltern dafür zu qualifizieren, auch die Aufgabe als Tagespflegeeltern wahrzunehmen. Dazu möchte ich Ihnen ein paar Zahlen nennen. In Berlin werden rund 5 700 Kinder in rund 1 500 Tagespflegestellen betreut. So viel möchte ich vorweg sagen.
Was ist nun die Grundlage der heute zu behandelnden Sache? – Anfang Januar erschienen in einigen Zeitungen in Berlin Berichte darüber, dass die Anwendung der EURichtlinie 852 dazu führt, dass die Tageseltern zukünftig behandelt und kontrolliert werden wie Lebensmittelunternehmerinnen. So hieß es dazu im „Tagesspiegel“ – das ist die Berichterstattung, die hier auch erwähnt wird –: Berliner Tagesmütter sollen in Zukunft dokumentieren,
wo sie Lebensmittel einkaufen und die genaue Temperatur ihres Kühlschranks notieren. Natürlich – und das sieht jeder, der sich das durchgelesen hat – ist es nicht sinnvoll – das ist auch die Linie des Senats –, mit solchen lächerlichen Vermutungen aufzuwarten, der Senat würde jetzt die Bezirke beauftragen, sämtliche Tageseltern zu kontrollieren und zu überprüfen, ob das Kühlschrankprotokoll auch wirklich geführt wurde, und sich dann auch noch darum kümmern, dass die Wohnungen entsprechend umgebaut werden.
Kindern bei Tageseltern – das ist uns aber besonders wichtig – sollten dort genauso sicher und gut aufbewahrt sein wie in ihrer Familie, wie bei ihren eigenen Eltern. Da tut es nicht fehl, wenn man diese Tageseltern dazu verpflichtet, sich mit der Lebensmittelhygiene zu beschäftigen. Der vorliegende Antrag – darin ist der Turnus enthalten, der sich auch wiederholt; vielleicht ändert sich das auch noch einmal – der Grünen wiederholt die Aufforderung unmissverständlich, der Senat müsse anfangen zu arbeiten, und suggeriert, der Senat würde nicht arbeiten. Seien Sie aber sicher – auch wenn die Hälfte Ihrer Abgeordneten jetzt abwesend ist –, Herr Simon und ich werden uns, was die Teile Jugend und Familie betrifft, immer wieder gern zusammen mit der Mehrheit dieses Hauses die Zeit nehmen, Ihnen zu erklären, wo der Senat bereits entsprechend arbeitet.
Sie haben die Senatoren Scheeres und Heilmann bereits angesprochen. Sie wissen auch – das stand auch in der Zeitung –, dass diese bereits einen Brief an die zuständige Bundesministerin geschrieben und ihr deutlich erklärt haben, dass sie in ihrer Rechtsauslegung nicht dieser EUVerordnung folgen solle. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft hat einen weiteren Brief in Arbeit und wird ihn an die Lebensmittelaufsichtsämter – es geht darum, dass der Senat immer arbeiten soll¸ das ist der Inhalt Ihres Antrags – schreiben. Diese sollen die Kontrolle bei den Tageseltern durchführen. Das ist gar keine Frage. Sie sollen auch pragmatisch handeln. Keinesfalls soll die Kontrolle zu Investitionen – was auch Bestandteil der Horrormeldungen ist – führen, die Tagespflegepersonen dazu drängen, ihre Wohnung umzubauen, beispielsweise keine Waschmaschine in der Küche zu installieren oder ein neues Handwaschbecken zu erwerben. Auch das steht in diesem Brief. Der Senat ist nun tätig und wird sich darum bemühen, Rechtssicherheit zu schaffen und die Positionen mit dem Bund abzuklären, damit es bundesweit einheitliche und vergleichbare Standards gibt.
Lassen Sie mich, was diese ganze EU-Vorschrift und den Streit um die Auslegung angeht, einfach einmal erklären: Ich habe dazu ein Super-Zitat im „Tagesspiegel“ gelesen: Man werde versuchen, die EU-Richtlinie mit Verstand und Herz zu handhaben. – Das sagte Ihre Steglitz-Zehlendorfer Kollegin, die Jugendstadträtin Christa Markl-Vieto
Vielen Dank, Herr Kollege! – Die Kollegin BurkertEulitz wünscht eine Kurzintervention. Somit hat sie auch das Wort. – Bitte schön!
Lieber Herr Eggert! Es ist schön, dass Sie auch einmal einen Blick in das SGB XIII geworfen haben. Dazu kann ich Ihnen gern auch noch einmal Nachhilfeunterricht erteilen.
Ansonsten hätten Sie zu dem Thema eine glatte Sechs bekommen, weil Sie absolut am Thema vorbei gesprochen haben. Es gab früher bei Aufsätzen dafür immer die bösen Noten. Schön aber, dass Sie von der Berichterstattung Anfang Januar reden. Die erfolgte schon im letzten Jahr seit dem Sommer. Seit November ist sie noch einmal hochgepoppt. Das hier ist schon ein Schildbürgerstreich. Es ist Ihnen nicht gelungen, Ihre Senatsverwaltung an der Stelle reinzuwaschen. Es betrifft auch nicht nur die Senatsverwaltung für Bildung, bei der ich schon merke, dass tatsächlich versucht wird, eine Lösung zu finden. Dazu verstehe ich auch die Senatorin. Es ist auch ein Problem der Senatsverwaltung für Verbraucherschutz, die jetzt gar nicht mehr anwesend ist.
Gut, da sitzt sie. – Das Pendant im Bundesministerium ist auch für Verbraucherschutz zuständig. Da war aber die Antwort von Herrn Heilmann auf meine Kleine Anfrage ganz klar: Die Lebensmittelunternehmerinnen sind eben die Tageseltern. Entsprechend ist das Ganze anzuwenden.
Wir befinden uns hier in Absurdistan. Es ist endlich auch zu beenden. Ich kann Ihnen dazu auch gern noch Nachhilfeunterricht weiter erteilen. Ich hoffe, dass Sie hier zu einer vernünftigen Lösung finden. Nichts anderes will dieser Antrag.
Drei Minuten bekomme ich hin, wenn Sie mich nicht unterbrechen. Erstens habe ich mich für ungerechte Noten schon immer gern mit dem Lehrer auseinandergesetzt. Das werde ich jetzt hier aber nicht tun. Denn – das ist der Unterschied – ich mache die Politik, der Senat macht die Politik, nicht für die Grünen-Oberlehrer, die immer gern Noten verteilen wollen, sondern wir machen sie für die Berlinerinnen und Berliner und für deren Kinder in diesem Fall.
Über die Gesetze lasse ich mich von den Juristen ohnehin nicht belehren. Zu dem, was Herr Heilmann und die Senatsverwaltung tun, warten Sie gespannt auf die Rede des Kollegen Simon. Der wird diesen Teil übernehmen. Ansonsten wird die Zusammenarbeit der Senatsverwaltungen sehr gut funktionieren. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eines ist wohl allen klar: Kindertagespflegestellen sind pädagogische Einrichtungen. Wir brauchen sie in unserer Stadt dringend. Der Mangel an Kitaplätzen und pädagogischem Personal ist bekannt. Da gibt es viel zu tun. Wir haben gerade von Herrn Eggert gehört, dass der Senat arbeitet. Aber man fragt sich, woran? Wir beschäftigen uns in dieser Stadt derweil damit, einen völlig absurden Vorgang zu behandeln, über den man sich eigentlich von Herzen lustig machen könnte, wenn der Beschäftigungsaufwand die Beteiligten nicht so viel Zeit, Geld und Kraft kosten würde.
Herr Eggert! Wir haben es eben erlebt, es gelingt nicht, die Sache schön zu reden. Hier wird ein Problem konstruiert und auf die rund 1 600 Kindertageseltern in unserer Stadt abgewälzt. Sie erfuhren im Herbst 2011, dass sie ab Januar 2012 Lebensmittelunternehmen sind. Damit sind sie der EU-Verordnung für Lebensmittelhygiene verpflichtet. Somit sind künftig nicht nur die Jugendämter, sondern auch die Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsämter für sie zuständig. Alle bekommen zusätzliche Beschäftigung.
Und warum? – Die EU hat im April 2006 eine Verordnung für Lebensmittelhygiene erlassen, gedacht für Lebensmittel vom landwirtschaftlichen Betrieb bis zum Verkauf an die Endverbraucher, etwa für Kantinen und
Tagesmütter fallen nicht unter die Definition von „Lebensmittelunternehmen“. Sich bei den Hygienekontrollen bei Tagesmüttern auf EU-Verordnungen zu beziehen, ist nach Auffassung der Kommission daher eine zu enge Auslegung des EU-Rechts.
Damit könnte es gut sein. Schließlich haben alle Tagespflegeeltern eine adäquate Qualifikation und natürlich den Gesundheitspass. Das EU-Recht will aber doch eng ausgelegt werden – man wundert sich, wer da alles für eine pädagogische Einrichtung zuständig ist –, weil das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und die Länderarbeitsgemeinschaft für Lebensmittel und Bedarfsgegenstände, Wein und Kosmetika es anders sehen.