Das durchschnittliche Monatseinkommen eines „Späti“Betreibers liegt bei ca. 1 050 Euro – und das bei einer Öffnungszeit von 24 Stunden von Montag bis Samstag. Wahrscheinlich kennen Sie die „Späti“-Betreiber in Ihrer Nähe. Anja Kofbinger und ich kennen im Norden Neuköllns mittlerweile alle. Wir haben sie mehrfach persönlich zu unseren „Späti“-Dialogen eingeladen und mit ihnen über ihre Situation diskutiert. Klar ist: Diese Leute wollen alle nicht zum Amt gehen. Sie haben Berufsausbildungen und Abschlüsse, die hier nichts wert sind, oder sie konnten nie irgendwelche Abschlüsse machen. Aber sie können alle rechnen. In jedem „Späti“ wird mit dem ganz spitzen Bleistift gerechnet, damit am Ende des Monats genug Geld da ist, um die Familien zu ernähren. Im Schnitt, wie gesagt, liegt das Monatseinkommen bei 1 050 Euro.
Sonntag wäre der Haupteinnahmetag. Allein an diesem Tag können bis zu 250 Euro eingenommen werden. Das sind also nur die Einnahmen, davon geht auch noch etwas ab. Und darum geht es, denn der Verkauf am Sonntag ist den „Spätis“ verboten. Wir fordern, dass „Spätis“ künftig unter § 4 des Berliner Ladenöffnungsgesetzes fallen. Hier sind nämlich die Ausnahmeregelungen für den Sonntagsverkauf geregelt. Derzeit fallen „Spätis“ unter die allgemeinen Regelungen des Einzelhandels und werden damit behandelt wie Supermärkte. Das ist Unfug.
Aber der Arbeitsschutz! Die Linken haben bei der Formulierung ihres Programms auf Doro Zinke vom DGB gehört, die immer samstags schon weiß, ob sie sonntags etwas trinken möchte. Doch um den Arbeitsschutz geht es gar nicht, und bei den „Späti“-Betreibern selbst – da können Sie sicher sein – werden Sie mit diesem Argument ganz schlecht ankommen. 70 000 Euro Bußgelder im Jahr 2015 allein für die „Späti“-Betreiber in Neukölln, und das nur, um sie vor sich selbst und ihrer Arbeitswut zu retten! Das ist eine absurde Form der Fürsorge.
Wenn die Intensität der Kontrollen, die für das Eintreiben dieser Bußgelder aufgewendet wurde – und wir wissen zumindest aus Neukölln, dass das ein engagierter Polizist ganz alleine schaffen kann –, für die Kontrollen aufgewendet wird, dass an den Sonntagen wirklich nur die Inhaber hinter den Tresen sitzen, dann ist das der bessere Arbeitsschutz.
Und die Sonntagsruhe? – Als religionspolitische Sprecherin meiner Fraktion sage ich Ihnen: Jeder soll nach seiner Façon die Ruhetage einhalten.
Warum soll ein „Späti“-Inhaber, dem es wichtig ist, am Freitagnachmittag sein Gebet zu verrichten, nicht am Sonntag, der für ihn keine religiöse Bedeutung hat, den Laden aufmachen? In allen Gesellschaften, in denen Menschen verschiedener Religionen zusammenleben, wird zu unterschiedlichen Zeiten gebetet, gefastet, gefeiert und geruht. Der Ruhetag am Sonntag ist kein Naturgesetz. Die Juden halten in Deutschland schon seit 2 000 Jahren den Samstag als ihren Ruhetag, und wer nicht religiös ist, macht ohnehin das, was er oder sie will, oder hält sich an das jeweils Gewohnte. So ist das in einer offenen Gesellschaft.
Es geht in unserem Antrag um eine kleine und genau beschreibbare Gruppe von Personen – ca. 900 in Berlin – und um ihre wirtschaftliche Existenz. Es geht darum, dass sie nicht von Sozialleistungen leben wollen, und die allermeisten machen ihren Job auch noch gerne. Sie sind ein wichtiger Teil der Kiezkultur, und das wissen sie auch.
Sie die geballte Macht der christlichen Tradition des Abendlandes spüren zu lassen, indem sonntags die Bußgelder verhängt werden, ist völlig unangemessen. Über den Arbeitsschutz habe ich das Nötige schon gesagt. Es ist gut, dass wir das im Arbeitsausschuss noch mal diskutieren.
Danke schön! – Die SPD-Fraktion hat Kollegen Jahnke als Redner benannt, und ich erteile ihm das Wort. – Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Grünen will also sogenannten „Spätis“ an Sonntagen die Ladenöffnung erlauben. Das klingt zunächst nach einem sympathischen Vorschlag, und Frau Kahlefeld hat uns ja auch die wirtschaftliche Situation der Ladenbetreiber vor Augen geführt. Aber es ist in Vorwahlkampfzeiten ein allzu durchsichtiger Versuch, aus dem Thema für den Wahlkampf Kapital zu schlagen und dieser Interessensgruppe, die Sie hier definiert haben, zu dienen.
Der Antrag ist schon aus formalen Gründen nicht zielführend, denn erstens gibt es keine Ausführungsvorschriften zum Berliner Ladenöffnungsgesetz, und daher kann die Verwaltung auch keine solchen überarbeiten und auch keine Definition für Spätverkaufsstellen vornehmen. Zweitens kann es daher auch keine Klarstellung einer Ausführungsvorschrift geben, dass Spätverkaufsstellen Verkaufsstellen nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Berliner Ladenöffnungsgesetz sind. Sie sind es bei entsprechender Sortimentsanpassung bereits heute, aber die wollen Sie nun gerade nicht vornehmen. Sie haben ja auch die Bedeutung insbesondere von Getränken hervorgehoben.
Würden es die Grünen ernst meinen, hätten sie einen Antrag zur Änderung des geltenden Ladenöffnungsgesetzes und nicht zu einer nicht vorhandenen Ausführungsvorschrift eingebracht. Die Erlaubnis der Öffnung inhabergeführter Spätverkaufsstellen könnte also theoretisch in § 4 Berliner Ladenöffnungsgesetz als zusätzliche Ausnahmeregelung aufgenommen werden. Aber eine solche gesetzliche Regelung wäre nicht verfassungskonform und hätte zur Folge, dass erneute Klagen abschlägige Feststellungen der Gerichte provozieren. Ich rate daher von einer Änderung des Berliner Ladenöffnungsgesetzes ab.
Nein, jetzt nicht! – Das geltende Berliner Ladenöffnungsgesetz erlaubt bereits sehr weitreichende Öffnungszeiten des Einzelhandels – von Montag 00.00 Uhr bis Sonnabend 24.00 Uhr. Wenn es nach den Grünen gegangen wäre, hätten wir ein viel restriktiveres Ladenöffnungsgesetz im Jahr 2006 beschlossen. Ich erinnere hierzu an den Änderungsantrag der Grünen Drucksache 16/0015-2 von 2006.
[Benedikt Lux (GRÜNE): Wir verstehen Sie nicht, Ihre Fraktion hört Ihnen nicht zu, Sie reden wirres Zeug!]
Die Grünen haben da gefordert, dass die Ladenöffnungszeiten auf 8.00 bis 22.00 Uhr begrenzt werden – an jedem Tag. Die „Spätis“ heißen darum „Spätis“, weil sie spät geöffnet haben wollen, also auch viel später als 22.00 Uhr. Das ist ja dann auch gerade für sie ein Vorteil gegenüber Kaiser’s, Edeka und all der Konkurrenz. An jedem Tag zwischen Montag und Sonnabend! Es geht also praktisch nur um den Sonntag – Sie haben den Grund genannt –, weil dies der ertragreichste Tag sein könnte.
Darf ich um etwas Ruhe bitten? – Sonntag wäre allerdings auch ein ertragreicher Tag für viele andere Läden. Dies kann also eigentlich nicht das Argument sein. Sie würden vermutlich auf Gleichbehandlung klagen. Kennen Sie das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das auf Klage der Kirchen seinerzeit erging? – Infolge des Urteils musste die gesetzlich vorgesehene Sonntagsöffnung an vier Adventssonntagen zurückgenommen und eine Regelung gefunden werden, die die Sonntagsöffnung als begründete Einzelausnahme vorsieht. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sagt, dass der Sonn- und Feiertagsschutz und die Arbeitsruhe ernst zu nehmen sind, da die Regelungen Verfassungsrang haben. Hieran wird sich auch nichts ändern, wenn man versucht, „Spätis“ zu definieren.
Übrigens sagt auch der Handelsverband – Herr BuschPetersen –, dass wir an dem Urteil des Verfassungsgerichts nicht vorbeikommen, dass die Händler in der Hauptstadt schon ein Höchstmaß an Freiheit genießen – mehr ist nicht drin – und dass ein verändertes Ladenöffnungsgesetz für „Spätis“ gerichtliche Klagen anderer Händler zur Folge haben dürfte.
Ich weiß auch nicht, warum Sie hier angemerkt haben, dass Argumente der Lärmbelastung nicht zählen. Natürlich sollten die zählen. Die Grünen begründen ihren Antrag ja gerade auch mit Bedürfnissen von Touristen, und
der Antrag der Grünen würde mit dem Sonntagsverkauf für „Spätis“ falsche Anreize setzen, da es anderer Stelle wiederum gerade ihr Anliegen ist – hier geraten die Grünen in einen Widerspruch –, Lärm durch Tourismus zu vermeiden. Rollkoffer hatten wir ja schon gelegentlich als Thema.
Sie können durchaus von Leuten, die in der Umgebung von „Spätis“ wohnen – und die kennen Sie ja sehr gut –, eben auch erfragen, dass Verkaufsstellen für alkoholische Getränke schon heute zu erheblichen Lärmbelästigungen für die Anwohner und zu entsprechenden Beschwerden führen.
Die Grünen stehen wieder mal vor einem Dilemma ihrer Grundphilosophie: Sie wollen jeder Interessensgruppe hinterherlaufen, und da geraten sie gelegentlich in Widerspruch. So scheint es mir auch hier zu sein.
Vielen Dank, Herr Jahnke! – Das Wort zu einer Zwischenbemerkung hat die Abgeordnete Frau Dr. Kahlefeld. – Bitte!
Herr Jahnke! Der Mitgliederentscheid der SPD ist in dieser Frage denkbar knapp ausgegangen. 54 Prozent Ihrer Leute haben für Nein gestimmt, alle anderen hätten sich das durchaus vorstellen können. Wir haben bewusst keine Änderung des Berliner Ladenschlussgesetzes vorgeschlagen, weil wir nicht herangehen wollen. Wir wollen für diese genau beschriebene Gruppe von etwa 900 Leuten eine Veränderung der Ausführungsvorschrift, wie auch immer das heißen mag. Das kann man noch ändern. Kein Antrag geht so in die Ausschüsse hinein, wie er wieder herauskommt.
Diese Vorschrift, wie auch immer sie heißen mag, was ich viel interessanter als den Namen finde, kann man nirgendwo online finden. Es gibt bei der IHK einen Link, der immer nur ins Leere geht. Da wüsste ich auch gern einmal, warum das so ist. Die „Späti“-Betreiber müssen sich für die rechtliche Grundlage ihrer Arbeit auf irgendwelche Zusammenfassungen zurückziehen, die nicht wirklich informativ ist. Dass unser Antrag rechtmäßig ist, das werden wir auch im Ausschuss diskutieren. Davon sind wir fest überzeugt. Darauf bezog sich auch der Vorschlag, den Jan Stöß für Ihren Mitgliederentscheid gemacht hat.
Das ist doch nun wirklich drollig. Sie verweisen jetzt darauf, dass man die Ausführungsvorschrift im Internet nicht finden kann. Das ist richtig, weil es sie nicht gibt.
Diese Ausführungsvorschrift, die geändert werden soll, ist nicht existent. Man kann sie daher auch nicht finden. Sie müssten in der Tat an das Gesetz herangehen. Wenn Sie jetzt erklären, dass Sie an das Gesetz aber aus den genannten Gründen nicht herangehen wollen, weiß ich nicht, wo man dann die Ausnahmevorschrift für die „Spätis“ regeln sollte.
Ich komme noch einmal kurz auf den Mitgliederentscheid der SPD zurück. Ja! Wir sind eine demokratische Partei. Wir rufen mitunter unsere Mitglieder auf, zu inhaltlichen Fragen Stellung zu nehmen. Da hat es eben eine, wenn auch nicht so riesige, Mehrheit für die andere Seite gegeben. Die SPD versucht dann aber auch, ihre Politik widerspruchsfrei im Parlament zu vertreten mit dem, was unser Programm vorsieht und dem, was uns die Mitglieder vorgeben.
Vielen Dank, Herr Jahnke! – Für die Linksfraktion hat jetzt das Wort die Abgeordnete Frau Breitenbach. – Bitte!