Protocol of the Session on February 18, 2016

Es sprechen in meinen Augen sehr viele gute Gründe dafür, das Wahlalter sukzessive abzusenken, um junge Leute für die Demokratie zu begeistern und die Parteien dazu zu bringen, Programme zu machen, die sich dann auch mal konkret an die jungen Menschen wenden und nicht nur an deren Eltern. Wer jetzt der Meinung ist, dieser Antrag hätte etwas mit dem Wahljahr zu tun: Nein, hat er nicht! Wir haben ihn schon 2012 gestellt, und er war einfach sehr lange auf der Unerledigtenliste. – Vielen lieben Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank! – Kollege Langenbrinck! Sie haben jetzt das Wort für die SPD-Fraktion, und ich erteile es Ihnen auch.

(Vizepräsident Andreas Gram)

[Zuruf von den GRÜNEN: Ist der Joschka denn schon 16?]

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute also mal wieder der Dauerbrenner Wahlalter, obwohl es mit dem Dauerbrenner vielleicht gar nicht so stimmt – Herr Kollege Lauer hat eben darauf hingewiesen. Es ist halt interessant festzustellen, dass die Piraten vier Jahre lang ihrem Antrag zur Absenkung des Wahlalters beim Verstauben zugeguckt haben. Aber pünktlich zur Wahl kann man da ja wieder in die kleine Wahlkampfwunderkerzentüte greifen und den Antrag aus der Schublade kramen. Also, auf geht es!

Die Piraten wollen das Alter für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen schrittweise absenken. Jetzt wird es ein bisschen kompliziert: Abgesenkt werden soll das Wahlalter von aktuell 18 für das Abgeordnetenhaus und 16 Jahre für die BVVen auf zunächst 16 Jahre für beides, dann beides runter auf 14 Jahre, dann auf 7 Jahre bis hin zu einem Wahlrecht von Geburt an.

Wer wählen will, das hat Kollege Lauer auch gerade dargestellt, muss vorher offiziell seinen Willen zu wählen selbstständig bekunden. Was heißt das denn? – Das heißt, dass die kleine Leonie aus ihrem pinken Kinderwagen klettert, mit dem Schnuller im Mund, den Teddy unter dem Arm und eine Rassel in der Hand zum Wahlamt geht und sagt: Guten Tag, Frau Müller-Lüdenscheid, mein Name ist Lohse. Ich möchte mich als Wählerin registrieren. – Klar, kann man das fordern. Das ist ja auch ein Stück weit lustig,

[Andreas Baum (PIRATEN): Was haben Sie denn gegen Kinder?]

wie das eine oder andere auch, das die Piraten in der Vergangenheit gefordert haben. Es ist aber vor allem Unsinn, denn mit Ihrer Forderung nach einem Wahlrecht von Geburt an ignorieren Sie die Grundlagen und viele Fachbibeln der Entwicklungspsychologie und den Urvater der Kinderpsychologie Jean Piaget. Den haben Sie immer noch nicht widerlegen können. Er sagt, dass erst mit dem siebenten Lebensjahr das konkrete Denken beginnt.

Die Piraten fordern außerdem, dass schon 16-Jährige bei einer Wahl auf einem Stimmzettel stehen und ins Abgeordnetenhaus gewählt werden können. Was heißt das? – Das heißt, dass der 16-Jährige Hamsa, der noch zur Schule geht – tatsächlich zur Schule geht –, kein eigenes Geld verdient und keinen Vertrag unterschreiben darf, dann die Regierung kontrolliert, über die Verteilung von 25 Milliarden Euro entscheidet und Gesetze beschließt.

[Steffen Zillich (LINKE): Selbstverständlich darf er einen Vertrag unterschreiben! Das ist doch Quatsch!]

Vielleicht erkennen die Piraten ja den Widerspruch!

Kommen wir deshalb zu dem einzigen ernsthaften Punkt, das aktive Wahlrecht – sein Kreuz machen zu dürfen – auf das 16. Lebensjahr abzusenken: Hier gibt es gute Argumente dafür, aber auch gute Argumente dagegen. Die einen sind sachlich, die anderen sind eher emotional. Entscheidend ist meiner Meinung nach nicht, ob die Jugendlichen reif genug für das Wählen sind, sondern entscheidend ist das Prinzip des Staatsbürgers, das heißt, wer wählt, muss auch anderweitig Verantwortung übernehmen. Denn der Eintritt ins Erwachsenenalter muss mit allen Rechten und Pflichten verbunden sein. Auffällig ist hier, dass die Befürworter einer Absenkung des Wahlalters nicht zugleich fordern, auch die Volljährigkeit, mit der unter anderem das Recht einhergeht, eine Ehe schließen zu dürfen und ähnliche Sachen, abzusenken. Der Antrag der Piraten läuft darauf hinaus, das Wahlrecht von der Lebens- und Rechtswirklichkeit abzukoppeln.

Jetzt wäre natürlich interessant zu wissen, was eigentlich diejenigen zur Absenkung des Wahlalters sagen, die es betreffen würde. Professor Hurrelmann – den kennen wir, glaube ich, alle; das ist so etwas wie der Papst unter den Bildungsforschern in unserem Land – bescheinigt den 16- und 17-Jährigen die Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit, die für ein Wahlrecht erforderlich ist.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Das steht nicht in der Verfassung als Kriterium!]

Professor Hurrelmann koordiniert auch die allseits anerkannte Shell-Jugendstudie. Und die 16. Jugendstudie gibt uns eine Antwort auf die Frage, was die Jugendlichen selbst mit ihrer Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit zu einem Wahlrecht mit 16 sagen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gerwald Claus-Brunner?

Nein, danke! – Die 16. Jugendstudie gibt uns eine Antwort auf die Frage, wie die Jugendlichen selbst das Wahlrecht mit 16 beurteilen. 45 Prozent lehnen das ab, 30 Prozent finden die Absenkung des Wahlalters gut, und 24 Prozent ist es egal. Die Welt ist eben leider nicht so einfach, wie sich die Piraten das wünschen. Das sehen sogar diejenigen, für die Sie zu sprechen vorgeben. Überzeugend ist das nicht wirklich, und deshalb werden wir dem Antrag der Piraten nicht zustimmen. – Vielen Dank!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU – Christopher Lauer (PIRATEN): Verhaltener Applaus aus der SPD-Fraktion!]

Vielen Dank, Kollege Langenbrinck! – Für Bündnis 90/Die Grünen Kollege Behrendt – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden heute nicht das erste Mal über dieses Thema. Die Grünen setzen sich schon lange und im Gegensatz zu anderen Fraktionen hier im Haus auch immer noch dafür ein, dass das Wahlrecht zum Abgeordnetenhaus auf 16 abgesenkt wird, wie wir das auch vor vielen Jahren für die Bezirksverordnetenversammlungen gemacht haben. Wir sind der Meinung, was sich für die Bezirksverordnetenversammlungen bewährt hat, ist für das Abgeordnetenhaus auch gut.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Katrin Möller (LINKE)]

Leider müssen wir einen bedauerlichen Rückschritt bei dieser Thematik feststellen. Die Mitgliederbefragung der SPD zu dieser Frage hat ergeben, dass nur 29,3 Prozent der SPD-Mitglieder, die sich beteiligt haben, für eine Absenkung des Wahlrechts sind, 60 Prozent aber dagegen. Von daher ist die SPD – Kollege Langenbrinck hat das schon ausgeführt – von Bord gegangen, was die Unterstützung dieser Forderung angeht, die immerhin im aktuellen Wahlprogramm der SPD noch drin steht. Ich will mich auch nicht in Mutmaßungen ergehen, warum die SPD-Mitglieder, die bekanntlich im Wesentlichen 50 und älter sind, Sorge haben, dass die Jugend zu viel mitredet. Das kann man machen, aber das führt auch nicht weiter.

Wir stehen leider, was die Realisierung dieser Forderung – Wahlrecht ab 16 – angeht, jetzt schlechter da als in der letzten Legislaturperiode; auch daran muss erinnert werden. Auch da war es leider die SPD, die das geblockt hat. Wir hatten von den nötigen 100 Stimmen zur Verfassungsänderung 99 zusammen, nämlich Linke, SPD und Grüne, und waren guter Erwartung, dass der damals schon aus der FDP ausgetretene Herr Lehmann das auch unterstützt. Das wäre die 100. Stimme gewesen. Aber leider, leider hat dann die SPD-Fraktion einen Rückzieher gemacht und gesagt: Als Koalition stimmen wir dagegen. – Das wäre der richtige Zeitpunkt gewesen. Das war die Chance – die kommt leider nicht mehr wieder! Leider, leider, muss man sagen: Tempi passati!

Jetzt zum Antrag der Piraten, die ja deutlich darüber hinausgehen, weswegen wir den Antrag auch nicht unterstützen, sondern uns enthalten werden: Sie wollen nicht das Wahlrecht auf 16 herabsenken, sondern Sie wollen das Wahlrecht auf null absenken. Da gehen wir nicht mit. Man kann darüber diskutieren, ob man, wenn man die 16 umgesetzt hat, vielleicht auf 14 oder 15 runtergeht, aber null halten wir für falsch. Das sage ich hier ganz deutlich.

Ich glaube, nicht mal mehr der Jugendverband meiner Partei fordert das – die haben das auch mal diskutiert –,

[Christopher Lauer (PIRATEN): Die sind jetzt auch schon etabliert!]

weil wir zu stark in die Debatte um die Stellvertreterwahl kommen. Es gibt Organisationen in unserem Land, die ein Elternwahlrecht fordern, dass also die Eltern für ihre Kinder mitwählen sollen,

[Christopher Lauer (PIRATEN): Frauke Petry fordert das bestimmt!]

damit Belange, die angeblich zu kurz kommen, dann von ihnen mit doppelten und dreifachen Stimmgewicht geltend gemacht werden können. Das halten wir für den falschen Weg. Wir wollen nicht, dass der Vater, die Mutter eines 14-Jährigen in Fragen, wo der 14-Jährige vielleicht ganz anderer Auffassung ist, abstimmt. Deswegen halten wir dieses Modell – denn anders ist es ja nicht realisierbar; ein Dreijähriger wird ja kaum das Kreuz an der richtigen Stelle machen können; das würde nur über eine Stellvertretung gehen – für falsch. Das wollen wir nicht!

[Zuruf von Christopher Lauer (PIRATEN)]

Was wir uns wünschen, ist stärkere und auch echte Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Da haben wir in Berlin schon eine ganze Menge erreicht:

[Christopher Lauer (PIRATEN): Da kann man auch viel machen!]

Jugendparlament, U-18-Wahlen, das finden wir genau richtig. Auch zur Heranführung an den demokratischen Prozess ist das genau der richtige Weg. Aber, wie gesagt, ein Wahlrecht mit zwei oder mit drei Jahren führt uns in der Debatte nicht weiter.

Dann noch mal zum Begründungsaufwand: Auch die Argumente sind weitestgehend ausgetauscht. Heutzutage müssen 16- und 17-Jährige wesentliche Entscheidungen für ihr Leben treffen. Wir haben durch die Verkürzung der Schulzeit eine relevante Anzahl, die selbst studieren. 17-jährige Studenten – bundesweit sind das mehrere Tausend – dürfen aber nicht über die äußeren Bedingungen ihres Studiums abstimmen, nämlich bei der staatlichen Wahl, was die Finanzzuweisungen an die Hochschulen angeht. Das ist ein Dilemma, und diejenigen, die da besonders auf der Bremse stehen – und das ist bekanntlich hier im Haus die CDU –, sollten sich Gedanken machen, ob es auf Dauer richtig ist, dass Entscheidungen, die auch 16- und 17-Jährige ganz erheblich betreffen und sie auch für die gesamte Zeit ihres Lebens betreffen, von ihnen nicht mit getroffen werden können.

Meiner Meinung nach ist es nicht so, dass man begründen muss, warum man 16- und 17-Jährigen das Wahlrecht einräumt, sondern man muss sehr gut begründen, warum man das nicht tut, denn in der Demokratie sollen – da ist der Ansatz der Piraten nicht völlig falsch – alle, die es

können und wollen, mitbestimmen können. Wenn man 16- und 17-Jährige, die eine andere Verstandesreife als Dreijährige oder Fünfjährige haben, ausschließt, muss man das gut begründen.

[Zuruf von Christopher Lauer (PIRATEN)]

Herr Lauer, nun haben sie drei Mal dazwischengerufen, und nun sage ich es doch noch: Sie haben sich auf das Frauenwahlrecht von vor hundert Jahren bezogen. Bei den Piraten ist offenbar noch nicht angekommen, dass es auch ein passives Frauenwahlrecht gibt. Das fällt mir auf, wenn ich mir Ihre Fraktion angucke. – Das wär‘s. – Danke schön!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD, der CDU und der LINKEN]

Danke schön, Kollege Behrendt! – Für die CDU-Fraktion erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Juhnke. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können natürlich wieder die Debatte um das Wahlrecht mit 16 führen. Aber das ist heute gar nicht das Thema, sondern hier geht es ja um die Absenkung des Wahlalters auf sieben und dann perspektivisch auch auf null. Ich glaube, da spielen noch mal ganz andere Überlegungen eine Rolle.

Wir haben in der Tat das Problem, dass Stichtagsregelungen ungerecht sind. Das kann man nicht auflösen, aber man muss es nicht nur in die eine Richtung denken – die Frage, was es mit den Rechten auf sich hat –, sondern auch in die Gegenrichtung, was es dabei mit den Pflichten und Verantwortlichkeiten auf sich hat. Darüber redet man dann aber nicht. Es geht z. B. auch im Strafrecht um Altersstichtage, aber die werden hier auch nicht problematisiert. Also ich kann nicht immer nur in der einen Richtung versuchen, alle Rechte in irgendeiner Weise schon früher zu gewähren, und dabei gleichzeitig die Verantwortlichkeiten und die Pflichten vergessen.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Sie fordern doch ein schärferes Jugendstrafrecht!]

Von daher ist das schon mal etwas, was miteinander gar nicht vereinbar ist, unabhängig davon, dass es absurd ist, wenn man von Kindern erwartet, dass sie zu komplexen politischen Fragen Stellung nehmen, wo es uns manchmal schon schwerfällt, diese Erwachsenen näherzubringen. Ich glaube auch nicht, dass die Kinder in irgendeiner Weise in der Lage sein werden, sich dann in der notwendigen Weise zu den Wahlen zu melden. Sie haben da ein Verfahren angedeutet, wonach sie irgendwo vorstellig werden sollen. Ich würde doch gern wissen, wie Achtjäh

rige oder Dreijährige dort vorsprechen, um danach von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen zu können. Wie gesagt, es liegen auch praktisch große Hürden vor einer solchen Erweiterung des Wahlrechts. Warum Sie das in Stufen machen wollen, haben Sie ansatzweise erklärt, Letztendlich ist es aber unklar.

Wie gesagt: Man muss sich mit der Sache auch nicht über Gebühr beschäftigen. Wir würden vermutlich dann auch zu einem Verstoß gegen das Grundgesetz kommen, weil es keine freien, gleichen und geheimen Wahlen mehr wären, denn wir hätten dann ganz unterschiedliche Voraussetzungen, sich zu den Wahlen zu melden. Wir hätten eine irrsinnige Indoktrination, die wir in Schulen und wahrscheinlich auch noch in Kindergärten hineintragen würden. Das sind alles Dinge, die nicht im Sinne des Erfinders sein können. Wir würden uns auch lächerlich machen – unabhängig davon, dass es das weltweit auch nirgendwo in dieser Form gibt.

[Susanne Graf (PIRATEN) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Diese Drucksache hat nicht zufällig eine Schnapszahl, und damit habe ich wohl auch alles dazu gesagt. – Danke!

[Beifall bei der CDU]