Protocol of the Session on November 26, 2015

Wir haben die Zeit, denn wenn Sie an das Ende der schulischen Bildungskette gucken, dann schicken wir die Kinder im Moment teilweise nach der zehnten Klasse mit 15 Jahren in den Ausbildungsmarkt. Wir schicken sie mit 17 Jahren ins Studium. Zu diesem Zeitpunkt können sie noch nicht einmal ihren eigenen Mietvertrag unterschreiben. Warum die Hektik?

[Beifall bei den GRÜNEN]

Das gilt gerade auch für die Kinder mit Migrationshintergrund, die nicht zuletzt Zielgruppe dieser Änderung waren. Ich weiß, viele von Ihnen sind gerade getrieben von dem immer früher, immer mehr – im Zweifel mit Zwang – für diese Kinder. Aber irgendwann verkehrt sich der gute Wille ins Gegenteil, in das uns allen bekannte politische Problem „gut gemeint ist nicht unbedingt gut gemacht“. Sie haben damit noch etwas entscheidendes Negatives herbeigeführt: Sie haben die Arbeit der Grundschulen und das Thema Schulanfangsphase belastet. Wir wissen genau, dass überdurchschnittlich viele dieser Kinder, die früh eingeschult werden, in der Schulanfangsphase verweilen. Das hat auch dazu geführt, dass man dieses Verweilen als Sitzenbleiben empfindet. Das konnte nicht zu einem Qualitätsschub in der Grundschule

führen, weil dieser Übergang verhunzt worden ist. Deshalb sind wir froh, dass unsere Vorschlag – ob nun heute oder nächste Woche – von Ihnen beschlossen wird. Damit ist der Weg frei, sich tatsächlich inhaltlich mit der Qualität der Grundschule und deren Weiterentwicklung zu befassen. Auch das werden wir heute später noch tun. Insofern danke ich Ihnen an dieser Stelle erst mal für Ihre Aufmerksamkeit. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Remlinger! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Özışık. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der hier vorliegende Antrag sieht vor, den Beginn der regelmäßigen Schulpflicht um drei Monate zu verschieben. Danach sollen Kinder schulpflichtig werden, die bis zum 30. September das sechste Lebensjahr vollendet haben statt, wie bisher, bis zum 31. Dezember. Zudem können Kinder, die vom 1. Oktober bis zum 31. März des Folgejahres das sechste Lebensjahr vollenden, auf Antrag ihrer Erziehungsberechtigten nur an einer Schule aufgenommen werden, wenn sie eine öffentlich finanzierte Tageseinrichtung der Jugendhilfe oder eine öffentlich finanzierte Tagespflegestelle besuchen und die besuchte Einrichtung eine Aufnahme befürwortet. Bei Zuzüglern oder Kindern, die aus anderen zwingenden Gründen keine solche Einrichtung besuchen konnten, ist eine vorzeitige Einschulung möglich, wenn das Kind schulfähig ist.

Der Antrag enthält zwei wesentliche Aussagen, erstens die Anhebung des Alters, ab dem Kinder schulpflichtig werden, und zweitens die Einschränkungen bei der freiwilligen Einschulung von sogenannten Antragskindern auf Wunsch ihrer Erziehungsberechtigten. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft bereitet entsprechend dem Beschluss des Senats in der Klausursitzung vom 8. Januar 2015 einen Gesetzentwurf vor, der vorsieht, dass ab dem Schuljahr 2017/18 das Einschulungsalter um drei Monate angehoben wird. Danach beginnt künftig die Schulpflicht für Kinder, wenn sie bis zum 30. September das sechste Lebensjahr vollendet haben. Damit wird Berlin seine Regelungen zum Beginn der Schulpflicht denen anderer Länder anpassen. Dies entspricht einem Teil des vorliegenden Antrags.

Der Gesetzesantrag ist jedoch in anderer Hinsicht zurückzuweisen, weil er gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt, indem er die Früheinschulung nicht nach allgemeingültigen Kriterien ermöglicht. Während bei Zuzüglern die Schulfähigkeit festgestellt werden muss, werden gegebenenfalls in gleicher Weise schulfähige Kinder

(Stefanie Remlinger)

nicht zugelassen, wenn die besuchte Tageseinrichtung oder Tagespflegestelle die Früheinschulung nicht ausdrücklich befürwortet. Kinder, die keine Tageseinrichtung oder Tagespflege besuchen, sind sogar vollständig von der Möglichkeit ausgeschlossen, frühzeitig eingeschult zu werden. Diese Benachteiligung bei gleichen Voraussetzungen ist nicht sachgerecht zu begründen und mutmaßlich wegen des Verstoßes gegen das Grundgesetz verfassungswidrig. Zudem gibt es weder im Gesetzentwurf noch in der pädagogischen Wissenschaft eine Definition des Begriffs der Schulfähigkeit. Daher kann der Änderung des Schulgesetzes in dieser Form nicht zugestimmt werden. Die Anhebung des Einschulungsalters wird im Rahmen der nächsten Schulgesetzänderung vorbereitet, und dies ohne schwammige Begriffe und grundgesetzkonform. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD – Zuruf von Wolfgang Brauer (LINKE)]

Vielen Dank, Herr Özışık! – Für die Linksfraktion hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Kittler. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir werden gleich eine lächerliche Abstimmung erleben, wie sie in diesem Hause schon so oft vorgekommen ist.

[Oliver Friederici (CDU): Na, na, na!]

Die Koalition wird gegen diesen Antrag stimmen, obwohl sie den Inhalt schon längst übernommen hat. Der Referentenentwurf liegt schon vor, wir haben es gerade noch mal gehört. Wir bekommen den Gesetzesänderungsantrag der Koalition dann eben im nächsten Monat oder im Januar, und dann wird es ja auch Zeit, denn die Anmeldungen für die Einschulungen kommen näher

[Steffen Zillich (LINKE): Die laufen schon!]

Entschuldigung! Die laufen schon, weiß mein Kollege aus eigener Erfahrung –, und das längst eingetretene Handeln von Eltern sowie Erzieherinnen und Erziehern muss auf rechtliche Füße gestellt werden.

Die Linksfraktion wird sich in der Abstimmung enthalten. Ich möchte das auch begründen. Ich bin der Meinung, dass ein nach hinten oder vorne verschobener Stichtag wenig bis nichts an dem Problem löst, das viele an der jetzigen Gesetzeslage festmachen. Wir brauchen flexiblere Verfahren statt starre Regeln, also ein Datum für eine Einschulung, das einen Richtwert darstellt. Dieser muss wiederum mit Bedingungen verbunden sein, die dem Kindeswohl dienen müssen. Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen müssen sensibel und klug entscheiden, ob ein Kind zu diesem Datum eingeschult wird oder ob es noch ein weiteres Jahr darauf vorbereitet werden

sollte. Dafür sind sie nämlich verantwortlich. Und wenn entschieden ist, muss jedes Kind so individuell gefördert werden, wie es das braucht, in der Kita oder in der Schule.

Dafür müssen die Bedingungen da sein, in der Kita und in der Schule. In der Kita müssen dafür die fachlichen und Ausstattungsstandards so weiterentwickelt werden, dass das anspruchsvolle Kitabildungsprogramm vollständig umgesetzt werden kann. Dazu brauchen wir vor allem mehr und gut ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen einschließlich einer Verbesserung der Erzieher-KindRelation. Hören wir hier auf das Berliner Kitabündnis!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Auch in der Schule braucht es bessere Bedingungen, die ich hier in der ersten Rederunde schon mal dargestellt habe. Bei den Lehrkräften und auch bei den Erzieherinnen und Erziehern in der Schule muss genügend Arbeitszeit zur Verfügung stehen, um Lernbedingungen auch für die Kleinsten so zu schaffen, dass alle so gefördert werden, wie sie es brauchen. – Danke!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Kittler! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Bentele. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Fraktion der Grünen! Eigentlich müssten wir uns gemeinsam freuen und feiern, dass wir durch gemeinsame Beharrlichkeit – ich erinnere mich noch sehr gut an Herrn Mutlu – eine sehr wichtige Sache für die Berliner Kinder und Eltern, nämlich die Rücknahme der Früheinschulung als Regelfall durchgesetzt haben.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Regina Kittler (LINKE)]

Durch die Rückverlegung des Stichtags auf den 30. September nehmen wir vielen Eltern Sorgen und Druck und passen uns nicht nur wieder an unseren Nachbarn und Bildungspartner, das Bundesland Brandenburg, an, sondern reihen uns in die große Mehrheit der anderen Bundesländer ein. Der Gesetzentwurf wird spätestens Anfang des nächsten Jahres in das Parlament kommen. Wir könnten uns eigentlich gemeinsam zurücklehnen und zufrieden sei.

Grüne und zufrieden sein – das passt aber wohl nicht so richtig zusammen.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Deshalb reden wir heute noch mal über die Modalitäten der Früheinschulung. Zwischen dem Entwurf der Grünen

(İlkin Özışık)

und dem der Koalition gibt es einen kleinen, aber nicht unrelevanten Unterschied. Nach Maßgabe der Grünen darf ein Kind eigentlich nur früher eingeschult werden, wenn es zuvor eine Kita besucht hat und die Kita grünes Licht gibt. Gemäß unserem Gesetzentwurf reicht es aus, wenn die für den Schulbesuch notwendigen Sprachkenntnisse vorliegen. Für uns müssen also die Startbedingungen für einen früheren Start stimmen, wir mischen uns aber nicht in die Frage ein, wo das Kind diese erwirbt.

Hierbei kommt abermals unser Leitprinzip zum Tragen. Wir wollen, dass die Eltern bei der höchst sensiblen Frage, wann der richtige Zeitpunkt für den Schuleintritt ist, die Hauptentscheider bleiben. Sie kennen ihr Kind am besten und würden genauso schwer wie ihr Kind unter einer Fehlentscheidung leiden. Andere Erziehungsinstitutionen können in dieser Frage unterstützen, aber die Verantwortung muss aus unserer Sicht letztlich bei den Eltern liegen.

Ich habe zur Rücknahme der Früheinschulung viele sehr persönliche dankbare Rückmeldungen von Eltern bekommen. Deshalb glaube ich, dass wir mit unserer Formulierung auf dem richtigen Weg sind.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Remlinger?

Bitte!

Vielen Dank, Frau Kollegin! Unabhängig davon, dass ich gesagt habe, ich freue mich, hätte ich an Sie die Frage: Wenn Sie sagen, unser Gesetzentwurf ist zu restriktiv, weil er verschiedene Wege sieht, wie man in die Schule kommen kann, warum haben Sie dann, wenn Sie sagen, es soll alles den Eltern überlassen bleiben, dem Gesetzentwurf zugestimmt, der alle Kinder in Berlin, die nicht in der Kita sind, zwingt, 18 Monate vor Schuleintritt einen Sprachtest zu machen, und sie – sofern sie Förderung brauchen – zwingt, in die Kita zu gehen, im Zweifel per Bußgeldverfahren?

[Benedikt Lux (GRÜNE): Hört, hört!]

Die Bedingungen sind die gleichen. Die Sprachkenntnisse müssen vorliegen, das ist die einzige Bedingung. Aber ob

sie in der Kita oder außerhalb erworben werden, stellen wir frei.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Aber 18 Monate vorher!]

Ja, es wird geprüft, und dann müssen Sprachkenntnisse erworben werden. Aber wenn die Sprachkenntnisse bei der Schuleingangsuntersuchung nachgewiesen werden, muss doch nicht vorausgesetzt werden, dass sie in der Kita waren. Also wir stellen das frei. Wir prüfen die Sprachkenntnisse ab, und wenn die zu Hause nicht erbracht werden, dann müssen sie in die Kita. Das widerspricht sich doch nicht. Wir sagen, wir müssen die Startbedingungen klarhaben und sie brauchen die Sprachkenntnisse. Wo sie die erwerben – –

[Benedikt Lux (GRÜNE): Das steht bei uns so drin!]

Nein! In Ihrem Gesetzesentwurf steht drin, dass nur früher eingeschult werden kann, wenn zuvor eine Kita besucht wurde und die Kita grünes Licht gibt.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Oder vergleichbar! – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Könnt ihr nicht rausge- hen? – Benedikt Lux (GRÜNE): Lebendige Debatte!]

Vielen Dank, Frau Bentele! – Für die Piratenfraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Delius.

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mache es kurz, weil ich möchte, dass der Tagesordnungspunkt 28, Geflüchtete Frauen schützen, noch auf dieser Plenarsitzung beraten wird. – Wir werden, wie auch in der ersten Lesung schon ausgeführt, diesem Antrag nicht zustimmen und auch nicht jeder weiteren Gesetzesänderung, die einen Stichtag zur Einschulung vorsieht, denn hier ist ein sehr berühmtes Beispiel in diesem Parlament, wie man Korrelation mit Kausalität verwechseln kann, vorliegend.

Wir fordern weiterhin die Flexibilisierung der Einschulung. Die anerkannte Wissenschaft sagt das auch aus. Es sind vier Jahre Unterschied bei gleichem Einschulungsalter im Entwicklungsstand zu erwarten. Dem muss der Senat Rechnung tragen. Das tut die Senatorin im Übrigen auch, indem sie den ganzen Einschulungsvorgang massiv flexibilisiert hat. Das müsste eigentlich auch in einem Gesetz Niederschlag finden und nicht ein Einschulungsstichtag. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]