Diese Drucksache steht eigentlich auf der Konsensliste. Nunmehr wird jedoch die Vertagung dieses Tagesordnungspunktes beantragt. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Bibliotheken sind unverzichtbare Bildungs- und Kultureinrichtungen: Berlin braucht ein aktuelles Bibliothekskonzept
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kulturelle Angelegenheiten vom 18. Mai 2015 Drucksache 17/2298
In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Frau Kollegin Bangert, Sie haben das Wort, bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bibliotheken sind unverzichtbare Bildungs- und Kultureinrichtungen. In Berlin befinden sie sich in einer dramatischen personellen und finanziellen Situation. Sparmaßnahmen und Rationalisierungsprozesse bei Fachpersonal und Medienausstattung sowie die Auslegung der Kosten- und Leistungsrechnung in den Bezirken bedrohen erheblich ihre Arbeitsfähigkeit und damit die Qualität ihrer fachlichen
Staatssekretär Renner wirbt seit seiner Berufung für die Schwerpunkte Räume, kulturelle Teilhabe und Digitalisierung. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben, meine Damen und Herren von SPD und CDU: Die öffentlichen Bibliotheken Berlins sind das Paradebeispiel für dieses Anliegen. Sie vereinen öffentliche Kulturräume, bieten die Chance zur Teilhabe und arbeiten umfänglich mit Digitalisierung. Noch besser könnten sie dies tun, wenn sie mehr Unterstützung erhalten würden, und zwar auch von uns aus diesem Parlament.
Bereits vor über einem Jahr haben wir den Senat aufgefordert, zusammen mit den Bezirken und unter Beteiligung von Bibliotheken, Vertreterinnen und Vertretern von Bibliotheken und Expertinnen und Experten die inhaltlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung der Berliner Bibliotheken zu erarbeiten. Nichts ist passiert. Mitte der Neunziger hat es in Berlin das letzte Mal ein solches Konzept gegeben – vor 20 Jahren! Etliche Gutachten und Pläne von namhaften Expertinnen und Experten sowie politischen Akteuren hat es seitdem zu den Bibliotheken gegeben. Nichts ist umgesetzt oder angewandt worden. In der Anhörung im Kulturausschuss wurde auch die Notwendigkeit eines Bibliotheksentwicklungskonzeptes deutlich gemacht. Dennoch zeigt sich die Koalition beratungsresistent und sieht keinen Handlungsbedarf. Diese Ignoranz ist unerträglich.
Wie kann es sein, wenn man bedenkt, was sich in dieser Stadt in Sachen Demografie und im interkulturellen Leben seitdem alles verändert hat, wie der digitale Medienwandel allgemein in unserem Alltag angekommen ist?
Damit Bibliotheken auch zukünftig ihrer gesellschaftspolitischen Aufgabe gerecht werden können, muss der Dreiklang aus Räumen, Personal und Medienetat gesichert werden. Zwischen Land und Bezirken werden sonst vor allem die öffentlichen Bezirkseinrichtungen zerrieben, und die gute Arbeit der Landesbibliothek wird immer weiter abflachen. Daher frage ich Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition: Warum verwehren Sie sich einer Entscheidung darüber, wie die Bibliothekslandschaft der Zukunft in Berlin aussehen soll? Ohne Vision, ohne Landeskonzept werden die Bibliotheken auf Dauer zu Verlierern der Stadtentwicklung und Digitalisierung werden. Im Kulturausschuss wurde deutlich, dass die Landesebene überhaupt keine Kompetenzen in Sachen Bibliotheken wahrnehmen will. Unsere Fraktion hat übrigens ein umfangreiches Positionspapier zu den
Welche Pläne haben Sie eigentlich mit der Zentral- und Landesbibliothek? – Derzeit wohl keine. Die ZLB ist kein Thema mehr für Sie. Neubau – gestorben. ZLB – gestorben. Welt der Sprachen im Humboldt-Forum – gestorben. Bessere Kooperation im Verbund mit den Bibliotheken, Teilung von Aufgaben und Ressourcen, Definition gemeinsamer Visionen – alles egal? – Das kann doch nicht wahr sein! Der gerade gescheiterte ZLB-Neubau ist ein Beispiel dafür, wie wichtig es ist, ein fundiertes Konzept zu erstellen, bevor man losrennt und Architekturentwürfe in Auftrag gibt. Wäre es nicht naheliegend, das jetzt für 2016 angekündigte Bedarfskonzept gleich mit einem Konzept zur Bibliothekslandschaft ganz Berlins zusammenzufügen, abzugleichen und aufzustellen? Und was ist mit den Wissenschaftsbibliotheken Berlins, den Universitätsbibliotheken, den privaten Wissenschaftsbibliotheken, der Staatsbibliothek? Alle teilen die Herausforderung der Digitalisierung mit der ZLB und den öffentlichen Bibliotheken der Bezirke. Kein Thema für ein gemeinsames Konzept für die Landespolitik? – Das kann ich einfach nicht glauben.
Es geht hier nicht nur, aber es geht auch um Geld, und es geht darum, die notwendigen gemeinsamen Ziele zu definieren. Es geht um ein Konzept für alle Bibliotheken im Land Berlin und um deren Finanzierung. Es reicht nicht, wenn wir den Bibliotheken mal hier und da ein paar EU-Mittel, SIWA-Mittel oder Lottomittel zukommen lassen. Die Bibliotheken brauchen langfristig eine bessere und solidere Finanzierung. Nur dann können sie den Herausforderungen und Investitionen gerecht werden, die ihnen bevorstehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU! Schaffen Sie jetzt die Voraussetzungen dafür und stimmen Sie unserem Antrag zu. Berlin braucht ein aktuelles Bibliothekskonzept, das auch die Wissenschaftsbibliothek mit einschließt. – Vielen Dank!
[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Wolfgang Brauer (LINKE)]
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir können als Ergebnis der Anhörung feststellen, dass der Stand der Berliner Bibliothekslandschaft keineswegs so schlecht ist, wie die Kollegin der Grünen es eben dargestellt hat.
Zwar liegt die Zahl der Medien pro Einwohner im Bundesvergleich im unteren Bereich. Beim Personal pro Einwohner liegen wir aber im oberen Drittel, und mit 3 Millionen Euro pro Bibliothek geben wir bundesweit das meiste Geld für Bibliotheken aus.
Ich stimme Ihnen, Frau Bangert, aber zu: Bibliotheken sind wichtig. Sie unterstützen gesellschaftliche Herausforderungen wie lebenslanges Lernen, Leseförderung oder die Vermittlung von Informations- und Lesekompetenz. Die Berlinerinnen und Berliner sehen das genauso: Mehr als 90 Prozent aller finden die Existenz öffentlicher Bibliotheken wichtig, und das unabhängig davon, ob sie sie selbst nutzen oder nicht. Von der jüngeren Generation der Berlinerinnen und Berliner mit Migrationshintergrund geben acht von zehn an, die Bibliothek vor allem als Lern- und Arbeitsort zu nutzen. Viele wünschen sich allerdings längere Öffnungszeiten. In der letzten Legislaturperiode haben wir einen Antrag für den Bundesrat verabschiedet mit der Forderung, Bibliotheken auch sonntags zu öffnen und sie somit anderen Kultur- und Bildungseinrichtungen wie den Museen gleichzustellen. Bis jetzt liegt der Antrag im Bundesrat in der Antragsschublade, weil man sich nicht damit befassen will. Das wäre doch mal ein Punkt, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Sie könnten einen konstruktiven Beitrag leisten, indem Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen in den Ländern bitten, diesen Antrag zu unterstützen. Das wäre wirklich einmal eine gute Sache.
Wir haben im Kulturausschuss über Ihren Antrag diskutiert. Wir sind immer noch der Meinung, dass wir kein neues überflüssiges Gremium brauchen, um über die Zukunft der Bibliotheken in Berlin zu diskutieren und lehnen den Antrag weiterhin ab.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! – Verehrte Kollegin Lange! Mit den Zahlen ist es ja so, dass man sie schön selektiv benutzen kann: Man sucht sich die Vergleichswert heraus, um das Rechenergebnis zu erhalten, das man rauskriegen möchte.
ich möchte nur daran erinnern, dass, Herr Kollege Gram, vor einigen Jahren die Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten den Jahresbericht über den Zustand der öffentlichen Bibliotheken Berlins abgeschafft hat, weil diese Berichte es mit ihren Vergleichsdaten über die Jahre hinweg zugelassen haben, die Berliner Bibliothekslandschaft in ihrer Prozessentwicklung einigermaßen verlässlich an immer wieder denselben Kriterien, an immer wieder demselben Maßstab zu messen. Wenn man dieses tut, kommt man zu keinem sehr fröhlichen Ergebnis, sondern einem ziemlich vernichtenden, dass sich nämlich tatsächlich die Landschaft der öffentlichen Bibliotheken Berlins, der kommunalen Bibliotheken sozusagen, ich rede nicht von den Wissenschaftsbibliotheken, in einem durchaus beklagenswerten Zustand befindet. Den hat die Senatskulturpolitik zu verantworten, niemand anderer.
Konterkariert wird das mitnichten durch die Tatsache, dass es in einigen Bezirken verdienstvollerweise Bibliotheksbusse gibt, dass in einigen Bezirken sehr schöne Stadtteilbibliotheken neu gebaut wurden. Dagegen rechnen müssen wir aber die vielen, vielen Standorte, die verlorengegangen sind. Die kennen Sie auch. Die Entwicklungstendenz ist einfach beklagenswert.
Nein! Ich bin gebeten worden, mich an meine Zeit zu halten und das nicht auszudehnen. Ich weiß, das wird nicht angerechnet, verlängert aber trotzdem.
Außerdem, Frau Lange, habe ich wirklich keine Lust auf einen Disput in diesem Saal, weil sich sowohl die Sozialdemokratie als auch die CDU – Frau Bangert hat darauf hingewiesen – seit Jahren dieser Diskussion dort verweigern, wo sie hingehört, nämlich in den Fachausschüssen.
Da tauchen Sie einfach ab. Da machen Sie kontinuierlich, alle beide, einen auf Käpt‘n Nemo, sagen gar nichts und sind ein paar Tausend Meilen unter dem Meeresspiegel. Das bringt uns überhaupt nicht weiter.
Ich stelle einfach einmal fest – das ist so ein bisschen meine Kritik, das ist eine rein formale am Antrag der Grünen –: Frau Bangert! Sie fordern, gemeinsam mit den Bezirken eine Kommission einzusetzen. Hier müsste fairerweise stehen „erneut eine solche Kommission einzusetzen“. Die hatten wir schon. Die gab Strukturempfehlungen in der 15. Wahlperiode – Frau Harant nickt, Frau
Lange wird sich vielleicht erinnern –. Die Arbeitsergebnisse dieser Kommission wurden dann aber in der 16. Wahlperiode vom Regierenden Kultursenator Klaus Wowereit einfach in die ovale Ablage gedrückt. Punkt. Weg waren sie. Danach krähte kein Hahn mehr. Es ist ein bisschen müßig, und das ist die Krux in der Bibliothekspolitik in diesem Land Berlin, in Permanenz auf eine Totalignoranz seitens des Senats zu stoßen. Im schlimmsten Fall wird die Verantwortung abgewälzt auf die Bezirke. Die sagen: Dann stattet uns mal besser aus. – Na Klasse!
Zweite Sache: Kooperation Zentral- und Landesbibliothek mit Bezirksbibliotheken. Ja, wir haben den Verbund öffentlicher Bibliotheken in Berlin. Das ist alles eine tolle Sache. Der soll erhalten bleiben. Wir sind für die Qualifizierung dieses Verbundes. Wir sind aber dagegen – und das ist jetzt meine Kritik am Friedrichshain-Kreuzberger Modell –, auf schleichenden Wegen die Bibliothekslandschaft dahingehend umzubauen, dass wir sozusagen eine Oberhauptbibliothek haben, die ZLB, mit Filialen in den Bezirken. Dazu müsste vorher eine Strukturdiskussion erfolgen. Die gibt es nicht, was mir sehr leidtut.
Wir sind durchaus der Auffassung, und das ist unser Vorschlag, dass es Sinn machen würde, zum Beispiel in gemeinsamer Verantwortung des Landes Berlin und der Bezirke einen gemeinsamen Bibliotheksbetrieb zu bilden, bei dem sich das Land aber auch nicht aus seiner Finanzierungsverantwortung rausmogeln darf. Daran scheiterten die bisherigen Modelle wie das Olympiamodell: am Geld. Es war keine Bereitschaft da, für die Finanzierung aufzukommen. Daran scheitern Personalausstattungskoeffizenten und Ähnliches. Es scheitert immer daran, dass Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, immer bereit sind, schicke Anhörungen zu machen, eventuell so ein bisschen rumzuschwadronieren,
aber da, wo dann sozusagen die Pflicht des Handelns kommt, die vornehmste Pflicht dieses Hauses, für die Finanzierungsgrundlagen zu sorgen, da tauchen Sie ab. Da muss ein Paradigmenwechsel erfolgen.