Protocol of the Session on May 28, 2015

führt wurde. Das habe ich schon im April gesagt. Außerdem habe ich gesagt und prognostiziert, dass man sich im weiteren Verlauf der Debatte auf die Schlepper als Feindbild konzentrieren wird. Man wird versuchen, die bisherigen Toten den Profiteuren der Flüchtlingspolitik an der Nordküste Afrikas und auf dem Mittelmeer anzulasten. Man wird die gesamte Verantwortung von Politikern wegschieben und sich darauf konzentrieren, die Schlepper als Feindbild weiter in den Vordergrund zu schieben. Das war meine Prognose im April. Die hat sich nicht nur bewahrheitet, sondern meine kühnsten Befürchtungen wurden komplett übertroffen.

Die EU hat die Schlepper so sehr als Feindbild und als einzige Lösung für dieses Problem identifiziert, dass sie nun versucht, die gesamte Problematik auf dem Mittelmeer militärisch zu lösen. Das ist absurd, das ist grotesk, und das ist eine Gefahr für die gesamte Situation und Migration in Europa und weltweit.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Auf Bitten der EU wurde ein UN-Mandat ausgestellt bzw. angestrebt, es wurde eine Mission eingerichtet, die sich NAVFOR nennt und diese soll nun genutzt werden, um gegen Flüchtlingsboote, um gegen sogenannte Schlepper militärisch aktiv zu werden. Die „taz“ schreibt von einer „Militarisierung von Flüchtlingspolitik“. Das heißt, alle unsere Befürchtungen haben sich leider nicht nur bewahrheitet, sondern wurden leider noch übertroffen.

Das eigentliche Ziel, legale Migrationswillige nach Europa zu schaffen, legale Einreisewege zu schaffen, wird überhaupt nicht verfolgt. Diese Möglichkeit wird komplett ignoriert zugunsten der Schaffung eines Feindbildes von Menschen, die profitieren, die es aber gar nicht gäbe, wenn es die legalen Einreisewege gäbe. Legale Einreisewege sind notwendig und werden weiterhin gebraucht.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Solange es diese noch nicht gibt und solange Menschen über die illegalen Wege über das Mittelmeer fliehen und nach Europa kommen, braucht es eine Seenotrettung, um diesen Menschen zu helfen, um diese Menschen zu retten. Diese Seenotrettung ist notwendig, und Berlin kann hier seinen Anteil leisten, damit sich Deutschland klar positioniert, damit wir von der absolut katastrophalen und völlig fehlgeleiteten Militarisierung von Flüchtlings- und Außenpolitik wegkommen, damit wir endlich Menschen aktiv helfen, die sich auf ihrem Weg der Flucht befinden, die sich auf dem Weg Richtung Europa befinden. Diese Entscheidung gilt es heute zu treffen, und ich setze darauf, dass die Koalition mindestens in der Stärke, die auch bisher schon in den Ausschüssen ihr abweichendes Votum demonstriert hat, uns hier zustimmen wird. Deswegen geht die Piratenfraktion davon aus, dass wir in der

(Präsident Ralf Wieland)

namentlichen Abstimmung, die gleich ansteht, sehr viele Stimmen bekommen werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Zimmermann das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns sicher alle darin einig, dass das Sterben der Flüchtlinge im Mittelmeer eine Tragödie ist und dass die EU alles in ihrer Macht Stehende tun muss, um den Verlust weiterer Menschenleben auf See zu verhindern.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Dazu müssen wir auch die Ursachen der Katastrophe gemeinsam mit den Herkunfts- und Transitländern bekämpfen. Aber unsere unmittelbare Priorität muss es sein zu verhindern, dass noch mehr Menschen auf See ums Leben kommen. Dies ist sinngemäß die Präambel der Erklärung des Europäischen Rates vom 23. April dieses Jahres, mit der die EU eine erhebliche Aufstockung der Seenotrettung im Mittelmeer eingeleitet hat. Der Rat ist auch der richtige Ort dafür, diese Entscheidung zu treffen, nicht der Bund und auch nicht das Land Berlin.

Mit Ihrem Antrag vom 22. April 2015 und dessen Beratung in der Plenarsitzung am 23. April haben Sie die Beratung der Innen- und Außenminister der EU zu diesem Thema bereits um zwei Tage verfehlt. Den Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU am 23. April praktisch haben Sie auch nicht mehr erreichen können. Sie waren einfach leider sehr spät, man muss fast sagen zu spät dran, denn Sie hätten auch mit einer Beschlussfassung hier bei Sofortabstimmung am 23. April im Plenum den Europäischen Rat gar nicht mehr erreicht. Insofern war das sehr, sehr spät.

Deswegen ist es wichtig zu gucken, was der Europäische Rat beschlossen hat. Zeitgleich mit Ihrer Antragstellung hat er die EU-Operation Triton im zentralen Mittelmeer vor Italien beschlossen und weiter, diese Mission zu verdreifachen.

Herr Kollege Zimmermann! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Reinhardt?

Nein, im Moment nicht. Ich will erst einmal die wesentlichen Punkte ausführen.

[Elke Breitenbach (LINKE): Das ist jetzt aber schade!]

Darauf können wir vielleicht nachher zurückkommen.

Triton im zentralen Mittelmeer vor Italien wird verdreifacht von 2,9 Millionen Euro auf 9 Millionen Euro monatlich.

[Carsten Schatz (LINKE): Nein!]

Poseidon im östlichen Mittelmeer vor Griechenland wird ebenfalls verdreifacht von 700 000 Euro auf 2,1 Millionen Euro. Damit wird die Größenordnung der ehemaligen Mare-Nostrum-Operation Italiens erreicht. Es stimmt natürlich, sie laufen unter der Überschrift Frontex, also der Grenzschutzagentur. Aber wir müssen bitte eines beachten, ob Frontex oder nicht Frontex, nach internationalem Seerecht hat jeder Kapitän eines Schiffes die Pflicht, Menschen in Seenot oder Lebensgefahr auf See zu helfen. Deswegen ist das jetzt beschlossene Programm eine Seenotrettungsmission.

Deutschland beteiligt sich mit zwei Schiffen an dieser Mission. Eines davon ist der Einsatzgruppenversorger mit dem schönen Namen „Berlin“. Dort sind extra Duschen und zusätzliche Handwaschbecken eingebaut worden, es fahren Ärzte und Dolmetscher mit. Das ist eine echte Seenotrettungsmission. Die beiden deutschen Schiffe haben bis Mitte Mai bereits über 700 Menschen aus dem Mittelmeer gefischt, gerettet. Sie haben sie in italienische Häfen gebracht, nach Pozzallo und Reggio Calabria. Hier wird deutlich – meine Redezeit ist schon zu Ende –, dass wir über Ihren Antrag hinaus, der sich schon am Tag nach seiner Entstehung erledigt hat, große europäische Aufgaben haben: Solidarität mit Italien und Griechenland, Kooperation mit den nordafrikanischen Anrainern – schwer genug mit Libyen und anderen –, faire Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Union und Harmonisierung von Standards, alles Maßnahmen, die wir im europäischen Kontext regeln müssen. Ich glaube, darin sind wir uns wohl weitgehend einig. Aber diesen Antrag brauchen wir dazu jetzt nicht mehr. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der Grünen jetzt Frau Kollegin Bayram. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Kollege Zimmermann! Man muss Ihnen ja insoweit recht geben, dass tatsächlich das Land Berlin nicht die primär zuständige Instanz ist, deren Beschluss dann dazu führt, dass tat

(Fabio Reinhardt)

sächlich die Seenotrettung umgesetzt wird. Das ist aber eine sehr formale Betrachtung, wie ich finde.

[Beifall von Carsten Schatz (LINKE)]

Das entbindet uns nicht von der Verantwortung für die Menschen und auch nicht von der Verantwortung zu verhindern, dass dort Menschen sterben. Deswegen würde ich schon sagen, unser Antrag ist ein Zeichen, ein Signal. Es wäre schön gewesen, wenn vom Abgeordnetenhaus des Landes Berlin an die von Ihnen genannte Flotte oder diese Schiffe das Signal ausgegangen wäre: Berlin unterstützt Menschenrettung. Das wäre doch ein Signal gewesen,

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

das ich jedenfalls, lieber Kollege Zimmermann, gern den Menschen gesendet hätte. Jetzt ist es aber so, dass wir unsere Verantwortung nicht formaljuristisch, sondern menschlich nicht annehmen konnten. Der Antrag wurde im Ausschuss abgelehnt. Ich gehe davon aus, dass er auch hier im Plenum abgelehnt wird. Dennoch will ich ein wenig für ihn werben, denn es wird im Anschluss eine namentliche Abstimmung geben. Ich denke, das ist eine Entscheidung, bei der jeder in sich gehen und sein Gewissen befragen sollte, ob er oder sie eine Entscheidung für oder gegen die Menschen treffen will.

Seenotrettung, Menschenleben retten, das ist der Antrag, den wir Oppositionsfraktionen eingebracht haben. Und natürlich müssen wir einräumen, dass damit nicht alle europapolitischen Fragen der Flüchtlingspolitik, ja noch nicht mal die Probleme in unserem eigenen Land Berlin gelöst werden. Das will auch keiner mit diesem Antrag in Anspruch nehmen. Aber was damit deutlich werden könnte, ist eben, dass diesen Schweigeminuten, die wir immer wieder auch hier hatten, wenn Menschen gestorben sind, nicht nur ein Schweigen folgt, sondern ein Handeln, um die Menschen zu retten. Das wäre unsere Chance gewesen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Ich weiß nicht, wer von Ihnen beim Karneval der Kulturen war, da war auch das ein Thema. Und einen Tag vor dem Karneval der Kulturen, vor dem großen Umzug am Freitag habe ich mitdemonstriert mit den Flüchtlingen vom Oranienplatz, die in Berlin gestrandet sind und eigentlich immer noch auf Rettung hoffen, auf Rettung, die ihnen dieser Senat versagt hat, in dem eine Senatorin sitzt, die getäuscht hat, und der andere Senator die Hilfe, die Unterstützung, die Aufenthaltserlaubnisse verweigert hat. Das ist eine Situation, die das Land Berlin sich im Zusammenhang mit Lampedusa, Flüchtlinge in Not, auch immer wieder anschauen sollte und wo wir uns wirklich fragen sollten: Gelingt es tatsächlich nicht, für 90 Menschen, die in der Kirche Zuflucht gefunden haben, eine Perspektive zu eröffnen?

Und da muss ich sagen, lieber Herr Regierender Bürgermeister, da würde ich mir von Ihnen auch noch mehr Unterstützung wünschen. Setzen Sie sich mit den Kirchen an einen Tisch, und versuchen Sie, im Rahmen Ihrer Möglichkeiten eine Lösung für die Menschen zu finden! Ich finde, beim Thema Flucht hat Berlin auch noch mal eine Historie, die eine besondere Bedeutung hat. Früher sind Menschen von Ost nach West geflüchtet. Die Menschen, die ihnen dabei geholfen haben, wurden Fluchthelfer genannt. Ich finde, das ist die richtige Bezeichnung. Dass sich im Moment sowohl in Europa, aber insbesondere von Deutschland ausgehend alle nur noch über Schleuser und Kriminelle unterhalten, ist doch in Wirklichkeit die eigene Unfähigkeit, das eigene Scheitern zu sehen, und den Menschen, die, auch wenn sie andere Motive haben, zumindest einen Weg nach Europa ermöglichen, das zum Vorwurf zu machen, das muss man sich zweimal überlegen.

Zum Schluss möchte ich noch die MS Sea-Watch von Harald Höppner grüßen, der nicht viel geredet hat, sondern gehandelt hat und praktisch hingeht, um Menschen zu retten. Das halte ich für ein gelungenes Beispiel statt der vielen Debatten, die zu wenig führen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Dregger.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bitte gestatten Sie mir vier Anmerkungen. Erstens: Seenotrettung ist wichtig, und Seenotrettung geschieht – bislang gezielt in den Hoheitsgewässern der europäischen Mittelmeeranrainerstaaten und bei eingehenden Notrufen weit darüber hinaus. Nunmehr wird auch die gezielte Seenotrettung weit über die Hoheitsgewässer der europäischen Küstenstaaten hinaus ausgedehnt durch die Ausdehnung der Triton-Mission der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Künftig werden Schiffe, Hubschrauber, Flugzeuge und moderne Aufklärungstechnologien eingesetzt, um gezielt außerhalb der Hoheitsgewässer unserer Mittelmeeranrainerstaaten nach Schiffsbrüchigen zu suchen, unabhängig von eingehenden Notrufen. Die Einsätze werden von einer neuen Frontex-Niederlassung auf Sizilien koordiniert. Die deutsche Bundesmarine beteiligt sich schon heute. Das ist vorbildlich.

[Beifall bei der CDU]

Zweitens: Wir dürfen nicht nur an den Symptomen der Flucht- und Wanderungsbewegungen arbeiten. Wenn wir nicht wollen, dass Menschen ihre Heimat verlassen und ihr Heil in unsicheren Überfahrten über das Mittelmeer suchen, dann müssen wir uns auch mit den Ursachen beschäftigen.

(Canan Bayram)

[Beifall von Carsten Schatz (LINKE)]

Herr Dregger! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Höfinghoff?

Nein, danke! – Die Ursachen liegen nicht in Europa. Kriegerische Auseinandersetzungen wie in Syrien und im Irak zwingen viele Menschen zur Flucht. Im letzten Jahr haben 73 500 Syrer, Eritreer, Afghanen und Iraker allein in Deutschland Asyl beantragt. Und in den ersten vier Monaten dieses Jahres waren es mehr 32 000 Antragsteller aus diesen Ländern. Es muss also das Ziel verantwortungsvoller Politik sein, die Lebensbedingungen in den Herkunftsstaaten mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu verbessern – mit Frieden sichernden und friedensschaffenden Missionen, mit Diplomatie, mit Entwicklungshilfezusammenarbeit, mit allen Möglichkeiten, die wir haben.

[Steffen Zillich (LINKE): Freihandelsabkommen!]

Drittens: Verantwortlich für Schiffbruch, Seenot und Tod auf dem Mittelmeer sind die Menschenschlepper, die den Betroffenen ihr Vermögen nehmen, sie auf seeuntüchtigen Schiffen auf hoher See aussetzen und ihren Tod in Kauf nehmen. Es reicht nicht, Seenotrettung zu betreiben, sondern wir müssen mit allen verfügbaren Mitteln gegen diese Verbrecher vorgehen. Dazu gehören auch die diskutierten polizeilichen und militärischen Mittel.

[Beifall bei der CDU]

Viertens: Schließlich muss es uns darum gehen, die Aufnahmebereitschaft von uns Europäern zu steigern. Das wird nur gelingen, wenn wir es schaffen, den Zuzug auf wirklich Schutzbedürftige zu beschränken und die Rückkehr von Nichtschutzbedürftigen durchzusetzen. Die Schutzquoten liegen nicht bei allen Asylantragstellern so hoch wie bei Syrern, 84,2 Prozent, Irakern, 91,4 Prozent, Afghanen, 38,4 Prozent, und Eritreern, 69,1 Prozent. Nicht wenige Asylantragsteller wenden sich ohne Fluchtgründe nach Europa.