Stadtteilmütter – ein Weg in gesicherte Beschäftigung I: Begleitung auf dem Weg zur Qualifikation für den ersten Arbeitsmarkt
Es beginnt in der Beratung die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Kollegin Frau Dr. Kahlefeld hat jetzt das Wort. – Bitte schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Stadtteilmütter und Integrationslotsen sind sicher das bekannteste Projekt in Berlin. Auch wer sich sonst nicht mit Integrationspolitik befasst, meint, es zu kennen und findet es gut. Das ideale Projekt also, um es von Senatsseite zu kopieren und damit am Medienhype teilzuhaben.
Die Senatorin hat nun eigene Kiezmütter. Seit dem 1. Oktober 2013 kann sie 69 Lotsinnen und Lotsen ihr eigen nennen. Es gibt Tarifverträge und – endlich – eine Qualitätssicherung. Am 14. Februar 2014 verkündet die für Integration zuständige Senatorin im „Tagesspiegel“, wie wichtig ihr das Projekt sei und dass es bisher keine Qualitätssicherung gegeben habe. Übrigens, die Stadtteilmütter in Kreuzberg wurden durch die Berlin School of Public Health evaluiert und für sehr gut befunden. Die Charlottenburger Stadtteilmütter erhielten 2014 den bezirklichen Integrationspreis. Danke, werden sich da die Bezirke und die Träger gesagt haben, die seit über zehn Jahren Stadtteilmütter und Integrationslotsinnen ausbilden und finanziert haben. Danke für die Ignoranz gegenüber den entwickelten Ausbildungscurricula, danke für die Nichtanerkennung der jahrelangen Weiterentwicklung des Projekts mit über 400 Frauen allein in Neukölln. Das ist kein guter Stil, Frau Senatorin!
Aber so ein Neuanfang kann ja auch Chancen mit sich bringen, dachten wir. Dann mussten in Neukölln 2014
erst einmal 60 Frauen gehen. In Mitte standen die Kiezmütter vor dem Aus. Die Briefe an die Integrationsverwaltung und die Senatorin liegen mir vor. Unterstützung gab es nicht, die Bezirke mussten sich selbst helfen. Wo war der Senat? – Er hat bei all dem keine oder eine sehr traurige Rolle gespielt. Warum gibt es keine Unterstützung für die bewährte Arbeit in den Bezirken? Die soll ja nicht verstetigt, sondern es soll ein Landesprogramm fortgeschrieben werden. Also gut, was macht das Landesprogramm? Ausbildungsmodule konnten aus den Bezirken übernommen werden, die sind nach zehn Jahren weitgehend optimiert. In den Bezirken weiß man auch, dass es einen Unterschied zwischen Kiezmüttern und Integrationslotsen gibt. Die einen helfen bei den Kontakten zu den Familien, vermitteln zu den Regeldiensten, kümmern sich um Elterncafés in den Schulen und geben bei Hausbesuchen das Wissen über kindliche Entwicklung, gesunde Ernährung, Schulsystem und neun weitere Themen weiter. Die anderen, die Lotsinnen und Lotsen, begleiten zu Ämtern, in die Schulen und zu Ärzten, helfen beim Ausfüllen von Formularen und beraten ihre Klientinnen hinsichtlich der Strukturen und Angebote bei der Arbeitssuche. Die Lotsen für Flüchtlinge machen diese Arbeit mit einem spezifischen Fokus auf die Situation von Menschen, die noch nicht als Flüchtlinge anerkannt sind oder nach der Anerkennung die ersten Schritte tun.
Ob man beim Senat weiß, was die Kiezmütter und Integrationslotsinnen an unterschiedlichen Voraussetzungen mitbringen und welche unterschiedliche Arbeit sie leisten, würde ich nach all dem, was ich schriftlich in Händen halte, stark bezweifeln. Das ist schlecht in Bezug auf die Aussicht dieser engagierten Frauen und Männer, jemals auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Bisher kommen die Kiezmütter und Integrationslotsinnen nach ihrer Tätigkeit dem ersten Arbeitsmarkt keinen Schritt näher, da sie bei ihrer Tätigkeit zwar vielfältige Kompetenzen erwerben, aber leider keine am Arbeitsmarkt verwendbare formalen Qualifikationen.
Deshalb haben wir diesen Antrag eingebracht. Lassen Sie uns im Ausschuss über die Möglichkeiten diskutieren, den Kiezmüttern und Integrationslotsen eine Perspektive zu bieten, nach der begrenzten Zeit im Projekt auch persönlich weiterzukommen! Viele haben Qualifikationen, auf die sich aufbauen ließe, viele müssen sich Basisqualifikationen erst erwerben, aber sie alle sind mehr als ein PR-Gag im Integrationszirkus. Deshalb brauchen sie einen individuellen Stufenplan, um ihre individuellen Berufswünsche zu erreichen. All das ist in einer Vereinbarung festzulegen, und so sieht wirkliche Förderung aus. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Dr. Kahlefeld! – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Grosse. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Liebe Kollegin Dr. Kahlefeld! Schön, dass Sie den Antrag hier heute gestellt haben und dass sie ihn zur Priorität gemacht haben. Damit geben Sie mir die Möglichkeit, hier und heute im Plenum vorzustellen, was wir in dieser Koalition bisher alles für die Stadtteilmütter und Integrationslotsinnen getan haben und was wir auch in Zukunft noch weiter entwickeln werden. Wenn ich die Betonung auf diese Koalition lege, mache ich das vor dem Hintergrund, dass das Projekt Stadtteilmütter in der rot-roten Koalition bereits ins Leben gerufen wurde – ein Erfolgsrezept, wie es sich zeigt – und weil wir hier in Köpfe, in Menschen, für Menschen investiert haben. Und das ist der richtige Weg.
Angefangen hat alles 2004, ich erinnere daran, in Neukölln mit einer kleinen Gruppe von Frauen und Unterstützung des SPD-Bürgermeisters, die sich entschlossen hatten, durch aufsuchende Familienarbeit den in Berlin lebenden Menschen mit Migrationshintergrund eine Hilfestellung zu geben – eine Hilfestellung und Beratung, eine Hilfestellung durch Begleitung bei Besuchen von Ärzten, Ämtern oder Behörden, dringend notwendig; ein sogenanntes niederschwelliges Angebot, eine wichtige Vermittlerrolle zwischen den neu zugewanderten oder dem bereits länger hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund. Diese Projekte, die es inzwischen in allen Bezirken gibt, zeigen uns bis heute, dass diese wichtige Ergänzung zu Familienzentren oder anderen festen Beratungsstellen dingend weiter gebraucht wird.
Heute sind wir nun weiter und reagieren auf diese jetzige Situation, und neben den Stadtteilmüttern und Integrationslotsinnen gibt es inzwischen eine Gruppe von Integrationslotsinnen, die in vier Bezirken, auch in meinem Bezirk Spandau, Flüchtlingen vor Ort helfen und in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften tätig sind, eine richtige und eine wichtige Entscheidung der Senatorin. Bis Ende 2013 wurden alle diese Projekte, ohne die wir viele Familien nicht erreicht hätten und auch weiter nicht erreichen würden, über befristete Maßnahmen der Arbeitsmarktförderung finanziert und waren deshalb regelmäßig vom Aus bedroht. Ich erinnere mich noch zu gut an die Aufmacher, jedes Jahr wieder in allen Berliner Tageszeitungen: Stadtteilmütter vor dem Aus. – Immer wieder ist es uns, der SPD-Fraktion, gelungen, diese wichtigen Projekte aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Im aktuellen Doppelhaushalt 2014/15 haben wir 2,2 Millionen Euro pro Jahr bereitgestellt und ein Landesrahmenprogramm für Integrationslotsinnen geschaffen. Dadurch gibt es erstmals eine Regelfinanzierung für inzwischen 80 Integrationslotsinnen, die sozial
Wie Sie sicher wissen, hat die SPD-Fraktion in ihrer Klausurtagung beschlossen, die Stadtteilmütter auf dem Niveau von Anfang 2014 in die Regelfinanzierung aufzunehmen. Damit beenden wir endlich die Hängepartien bei der Finanzierung.
Durch eine verbindliche Basisqualifikation, die allein mindestens 100 Stunden umfasst, erwerben die Lotsinnen Grundkenntnisse über unsere Bildungslandschaft, Sozialgesetzgebung, Aufgabenverteilung innerhalb der Bezirke. Diese Grundkenntnisse können sie anschließend je nach Bedarf mit – Frau Dr. Kahlefeld, ich hoffe, Sie hören zu – Themen wie Asyl- und Aufenthaltsrecht, Rente und Pflege, Schuldner- und Suchtberatung ergänzen.
Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Vergleich zu den Anfängen vor elf Jahren hat sich trotz aller finanziellen Widrigkeiten, insbesondere während der letzten Wahlperiode im Bund, die uns immer wieder die Gelder gestrichen haben, eine Menge getan. Es besteht die Möglichkeit, Schulabschlüsse nachzuholen oder eine Berufsausbildung zu machen. Diejenigen, die über die Arbeitsmarktförderprogramme finanziert werden, erhalten ebenso eine individuelle Beratung. Hierbei werden die familiären und beruflichen Hintergründe sowie die während ihrer Lotsentätigkeit erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten berücksichtigt. Sie gehen keinesfalls verloren.
Demnächst wird es eine Expertinnenrunde geben, die einheitliche Standards für ein Berufsbild Integrationslotsen/Stadtteilmütter entwickelt. Damit wollen wir langfristig die Möglichkeit schaffen, im Rahmen der Lotsentätigkeit einen Berufsabschluss zu erwerben oder aber in andere Berufsfelder wechseln zu können. Wir von der SPDFraktion sagen aber auch, dass wir die Ausgestaltung kritisch, aber konstruktiv begleiten werden, damit nicht das Aufgabenprofil der Stadtteilmütter mit dem Aufgabenprofil der Integrationslotsen vermischt wird. Das ist unser Anliegen.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, könnte ich es mir natürlich einfach machen und sagen: Ihren Antrag brauchen wir eigentlich nicht. Das ist aber nicht mein Stil. Wir werden Ihren Antrag noch einmal ausführlich im Ausschuss diskutieren und danach entscheiden, ob wir Ihrem Antrag zustimmen können oder nicht und eventuell wegen Erledigung durch Tätigwerden des Senats ablehnen werden. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit!
Frau Kollegin Grosse! Die Kollegin Kahlefeld hat jetzt um das Wort gebeten wegen einer Kurzintervention. – Sie haben es. – Ich gehe davon aus, dass danach Frau Grosse antwortet. – Bitte schön!
Ich wollte Sie noch mal bitten, eine Sache zu präzisieren, die Sie genannt haben. Sie haben gesagt, es wird jetzt tariflich bezahlt und es ist finanziell gesichert. Bisher ist es so, dass die 69 Lotsinnen, die die Senatorin für sich in Anspruch nimmt, aus Rest-ESF-Mitteln gefördert werden. Es ist also nicht so, dass das finanziell auf sicheren Füßen steht. Ich will ganz einfach nur wissen: Wie soll weiter finanziert werden? Wird es einen Haushaltstitel geben für Integrationslotsinnen und Stadtteilmütter oder wird auch auf Senatsebene weiterhin mit Arbeitsmarktinstrumenten und damit befristet gearbeitet?
Liebe Kollegin Dr. Kahlefeld! Die 69 Lotsinnen braucht der Senat wohl nicht für sich. Die braucht sie für die Menschen. Ich denke, das ist auch eine wichtige Entscheidung.
Und die 2,2 Millionen sind im Haushalt eingestellt. Das sind unsere Mittel. Damit wird finanziert. Ich denke, damit haben wir ganz deutlich gemacht, dass wir dieses Projekt finanzieren, Frau Dr. Kahlefeld. Und wenn Sie noch Probleme haben, können wir uns gern am Rande des Plenums noch mal unterhalten.
Vielen Dank, Frau Kollegin Grosse! – Für die Linksfraktion erteile ich das Wort der Kollegin Breitenbach. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über viele Jahre haben die Stadtteilmütter, die Kiezlotsen, die Integrationslotsen und auch die Gemeindedolmetscher gezeigt, dass sie ein unglaublich großes Fachwissen haben und dass sie ganz viele Kompetenzen haben. Frau Kahlefeld und auch Frau Grosse haben eben ganz viele dieser Tätigkeiten genannt; das hatte ich auch in der Rede, muss ich jetzt nicht wiederholen. Aber die dort beschäftigten Männer und Frauen verfügen über eine unglaublich große interkulturelle Kompetenz, und sie kennen die staatlichen Regelangebote wie Schulsystem, Gesundheitssystem oder auch anderes. Und sie sind vor allem in der Lage, Menschen dies näher zu erklären und sie diesen Regelangeboten näherzubringen. Sie öffnen also Türen. Und die Stadtteilmütter sind diejenigen, die oftmals überhaupt erst den Zugang zu Behörden und Schulen schaffen, und damit kommt es zu einem Kontakt. Deshalb ist es ganz bitter, dass ganz viele dieser Stellen weggebrochen sind. Und jetzt, wo sie weggebrochen sind, wird auch noch mal ganz deutlich, wie groß die Löcher sind, die gerissen wurden. Da, finde ich, muss man sich überlegen, wie man diese Löcher auch wieder stopfen kann.
Das heißt, liebe Frau Dr. Kahlefeld: Es stellt sich nicht allein die Frage, wie man den Stadtteilmüttern eine berufliche Perspektive für den ersten Arbeitsmarkt schafft. Die zentrale Frage ist vielmehr, wie wir genau die Arbeit, die sie bisher leisten, absichern. Diese Frage blenden Sie mit Ihrem Antrag aus. Es ist immer richtig und tatsächlich auch von zeitloser Schönheit, wenn man sagt, Menschen sollen für den ersten Arbeitsmarkt qualifiziert werden. Das ist immer gut, das ist immer richtig. Es rettet aber nicht die Arbeit der Stadtteilmütter, die für diese Stadt so notwendig ist.
Wenn wir das wollen, dann müssen wir andere Wege gehen. Da waren mir tatsächlich vieles, was Burgunde Grosse benannt hat, näher. Nach all den Erfahrungen ist es letztlich ganz wichtig, dass wir endlich ein bundesweit anerkanntes Berufsbild schaffen. Dazu gab es immer wieder Versuche, die stets an der Bundesregierung gescheitert sind, und zwar völlig unabhängig davon, welche politische Konstellation es war. Dafür, liebe Frau Senatorin, sollten Sie sich noch einmal richtig engagieren. Mit einem anerkannten Berufsbild haben wir Qualitätsstandards, wir haben Einsatzstellen definiert, wir haben die Abgrenzung zu anderen Berufen und, liebe Burgunde Grosse, wir haben damit die Voraussetzung für eine vernünftige tarifliche Eingruppierung – so viel noch einmal zum Thema gute Arbeit.
Dafür brauchen wir aber tatsächlich eine solide und verlässliche Finanzierung für die Arbeit, die unabhängig von beschäftigungspolitischen Maßnahmen ist. Ich bin immer
noch ein großer Fan eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors, aber solange wir diese kurzfristigen beschäftigungspolitischen Maßnahmen haben, die alle naselang geändert werden, wird jedes Projekt daran scheitern, auch die Stadtteilmütter und die Kiezlotsen. Die leisten für die Stadt einen wichtigen Beitrag für den sozialen Zusammenhalt. Ihre Arbeit braucht Wertschätzung und Verstetigung. Sie müssen weisungsunabhängig arbeiten können, aber sie müssen öffentlich finanziert werden. Deshalb wäre ein Landesprogramm eine Lösung.
An einem Punkt stimme ich Susanne Kahlefeld zu: Mit 68 Stellen kommen wir nicht aus. Bei den Haushaltsberatungen werden wir sehen, ob dieses Landesprogramm tatsächlich so aufgestockt wird, und zwar auch so langfristig aufgestockt wird, dass wir den Bedarf in dieser Stadt für die Tätigkeit von Stadtteilmüttern decken können. Alles Weitere werden wir im Ausschuss diskutieren. – Vielen Dank!
Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Prof. Dr. Korte. – Bitte schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir in der Koalition wollen – und die Worte meiner Vorrednerin haben gezeigt: eine breite Mehrheit dieses Parlaments will –, dass die Arbeit der Stadtteilmütter fortgesetzt wird. Wir in der Koalition wollen auch, dass in der Berliner Arbeitsmarktpolitik die Integration der arbeitslosen Menschen in den ersten, den wirklichen Arbeitsmarkt stets im Mittelpunkt steht. Der heutige Antrag der Grünen gibt uns Gelegenheit, hier und im Ausschuss darüber zu sprechen, wie wir beide Ziele – vielleicht noch besser als bisher – in Übereinstimmung bringen können.