Protocol of the Session on May 7, 2015

[Beifall bei den GRÜNEN]

Ab heute streiken die Erzieherinnen und Erzieher in den öffentlichen Kitas im Bundesgebiet. Wenn wir hier in Berlin nicht eine andere Tarifstruktur hätten, wären auch wir betroffen. Die Streikenden haben recht: Wer heute Erzieherin oder Erzieher in der Berliner Kita sein will, muss ein hohes Maß an Qualifikation und Einsatzbereitschaft haben. Wir verlangen viel von unseren Bil

(Vizepräsident Andreas Gram)

dungskräften in der Kita, aber sie werden bezahlt wie bessere Hilfskräfte.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Eggert?

Das machen wir nachher.

Dann ist es keine Zwischenfrage mehr.

Auch Berlin wird an der Diskussion, wie viel uns heute gute Bildung in der Kita eigentlich wert ist, nicht vorbeikommen, und es wird noch mehr Geld kosten. Schon jetzt ist es so, dass die Fachkräfte nicht lange in der Kita verbleiben. Denn der Job ist hart und die Bezahlung mies. Das muss sich ändern!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Berlin braucht eine Kitaagenda. Wir haben sie Ihnen aufgeschrieben; das Kitabündnis hat sie Ihnen auch aufgeschrieben. Nur so macht sich Berlin mit seinen Kitas auf den Weg in die Zukunft. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin Burkert-Eulitz! – Für die SPD-Fraktion erteile ich jetzt dem Kollegen Nolte das Wort. – Bitte sehr, Herr Kollege Nolte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau BurkertEulitz! In Ihren ersten Sätzen ging es ja tatsächlich um den Antrag. Der Rest Ihrer Rede war dann allgemein zur Kitapolitik in Berlin. Deshalb will auch ich eine Vorbemerkung machen, bevor ich mich zu dem Antrag äußere. Um es klar und deutlich zu sagen: Bildungspolitik ist seit Jahren, sogar seit Jahrzehnten der politische Schwerpunkt aller Koalitionsregierungen, an denen die SPD in Berlin beteiligt war.

[Beifall bei der SPD]

Kollege Nolte! Ihr Fraktionskollege Eggert hat eine Zwischenfrage – die gestatten Sie doch bestimmt.

[Heiterkeit]

Tut mir leid, Herr Eggert – vielleicht in der nächsten Runde!

weil auch mein Kollege Björn Eggert nicht zum Antrag reden will. Es geht hier nicht allgemein um Kitapolitik, sondern darum, was im Antrag steht. Deshalb kann Herr Eggert sich in anderen Runden gerne wieder mit Frau Burkert-Eulitz auseinandersetzen – aber heute einmal nicht.

Zu diesem jahrzehntelangen Schwerpunkt der Kitapolitik in Berlin gehört vorrangig auch der Elementarbereich, in dem die Kinder vor dem Eintritt in die Schule betreut, gebildet und erzogen werden. Dazu ein paar Zahlen, Frau Burkert-Eulitz, weil sie gerade Frau Scheeres Erfolglosigkeit unterstellt haben: Ende 2014 gab es in Berlin 147 500 Plätze in den Kindertagesstätten oder in der Kindertagespflege. 70 Prozent der unter Dreijährigen hatten einen Betreuungsplatz, 94 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen und 16 Prozent der Sechs- und Siebenjährigen. Ende 2015 werden es noch einmal 10 000 Plätze mehr sein, die wir in Berlin zur Verfügung haben. – Ich denke, dass Berlin auf diesen familienpolitischen Kraftakt insgesamt parteiübergreifend stolz sein kann.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Jetzt zum Antrag der Grünen, der mir offenbar wichtiger ist als den Grünen selbst! Den Grünen geht es in ihrem Antrag um die immobilienmäßigen Voraussetzungen für die Schaffung und den Erhalt von Kitaplätzen in Berlin, auch für die in den letzten zwei Jahrzehnten von den Bezirken an freie Träger der Jugendhilfe übertragenen landeseigenen Kindertagesstätten. Bei der Lösung dieser Aufgabe, Frau Burkert-Eulitz, ist allerdings die Neuausrichtung der Berliner Liegenschaftspolitik zu beachten, die eine Abkehr vom Verkauf landeseigener Grundstücke und eine Hinwendung zur Vergabe von Erbbaurechten mit sich bringt. Die Koalition verfolgt damit das Ziel, Nutzungsbindung für Immobilien langfristig und insolvenzfest in Erbbaurechtsverträgen zu verankern und entsprechende Heimfallregelungen zu vereinbaren. In den vergangenen zehn Jahren wurden freien Trägern der Jugendhilfe Kindertagesstättenimmobilien mit einem Modernisierungs- und Instandsetzungsbedarf von über 75 000 Euro zu dem symbolischen Preis von 1 Euro zum Kauf angeboten, da es den Bezirken als Grundstückseigentümern an den entsprechenden Haushaltsmitteln fehlte und so den Trägern die Möglichkeit gegeben werden konnte, durch Investition in ihre Kitas diese am

(Marianne Burkert-Eulitz)

Markt zu behaupten und dauerhaft zu betreiben. Grundlage der sogenannten Ein-Euro-Verkäufe waren die Senatsvorlagen an das Abgeordnetenhaus aus den Jahren 2004 und 2009. Ich bin der Meinung, dass dieses Programm ein Erfolg war, da eine Vielzahl von Kindertagesstätten freier Träger durch die Akquise privater Finanzmittel grundsaniert und instandgesetzt worden sind.

Mit der neuen Liegenschaftspolitik laufen diese Regelungen allerdings aus. Sie sind also noch nicht beendet, sondern sie laufen aus und gelten nur noch für Altfälle bewährter Träger, wenn nachgewiesen wird, dass die investiven Maßnahmen mit einem Erbbaurecht nicht darstellbar sind. Für alle anderen Fälle übertragener landeseigener Kindertagesstätten gilt künftig der Vorrang von privilegierten Erbbaurechten. Der Senat hat sich, nachdem das Abgeordnetenhaus am 25. März 2015 dem Bericht zur Neuausrichtung der Vergabe von Erbbaurechten zugestimmt hat, Ende April mit der Bitte an die Bezirke gewandt, ihm die gemeinnützigen Träger zu benennen, die an einer Vergabe von Erbbaurechten zu Sonderkonditionen interessiert sind.

[Steffen Zillich (LINKE) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Kollege Zillich hat eine Zwischenfrage. Gestatten Sie die?

Na, der ist ja ein Haushälter. Also, bitte!

[Heiterkeit – Beifall von Heiko Herberg (PIRATEN) – Zuruf von Björn Eggert (SPD)]

Bitte, Herr Kollege Zillich!

Verehrter Herr Kollege Nolte! Wie bewerten Sie es, dass die Möglichkeit der Übertragung von Grundstücken an freie Träger von Kitas zu den genannten Konditionen faktisch so lange auf Eis lag, und halten Sie es für denkbar und notwendig, dass die Vergabe von Erbbaurechten auch für die Neuerrichtung von Kitaplätzen möglich sein muss?

Na, erst mal – das habe ich ja gesagt – geht es um die Altfallregelung. Die Altfallregelung heißt: Da, wo Erbbaurechtsverträge nicht weiterhelfen, gilt die bisherige Regelung. – Aber wir haben am 25. März – da waren Sie

ja dabei – dem Bericht zur Neuausrichtung der Vergabe von Erbbaurechten zugestimmt, und Ende April hat sich der Senat – das habe ich schon vorgetragen – mit der Bitte an die Bezirke gewandt, die gemeinnützigen Träger zu benennen, die an einer Vergabe von Erbbaurechten zu Sonderkonditionen interessiert sind. Da müssen wir mal abwarten, wie der Rücklauf ist. Das ist ja gerade erst in Angriff genommen worden.

Die Sonderkonditionen beinhalten für die Zeit der Nutzung der Immobilie als Kindertagesstätte einen symbolischen Erbbauzins von 1 Euro im Jahr und eine Stundung des Kaufpreises für die Gebäude. Privilegierte Erbbaurechte soll es aber auch für den Erwerb von Grundstücken zur Errichtung von neuen Kindertagesstätten geben. Aufgrund eines Beschlusses des Abgeordnetenhauses aus dem Jahr 1994 kann bereits heute der Erbbauzins für Grundstücke mit sozialer, kultureller oder sportlicher Nutzung auf 3 Prozent abgesenkt werden. Das ist der IstStand, und jetzt sehen wir mal weiter, was künftig gegebenenfalls noch zu verändern ist.

Wir sind der Überzeugung, dass mit diesen Regelungen, die auch mit der neuen Liegenschaftspolitik vereinbar sind, dem Anliegen der Grünen, Kitagrundstücke an freie Träger der Jugendhilfe zu übertragen, um auch langfristig den Bedarf an Krippen- und Kindergartenplätzen in Berlin sichern zu können, bereits vollständig Rechnung getragen wird, und wir werden deshalb den Antrag der Grünen heute wie auch im Hauptausschuss ablehnen.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege Nolte! – Für die Linksfraktion hat jetzt das Wort die Kollegin Möller. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Nolte! Es geht in der Tat um Kitapolitik, denn wir haben einen unglaublichen Platzbedarf. Ich darf aus dem Bericht an den Hauptausschuss zur Kindertagesstättenentwicklungsplanung zitieren – ebenfalls vom 29. April 2015 –:

Für das Kitajahr 2015/2016 wird ein maximaler Betreuungsbedarf in Höhe von rd. 160 700 Plätzen prognostiziert. Bis zum Kitajahr 2018/2019 wird der Platzbedarf auf ca. 172 000 Plätze steigen. Bezogen auf den der Planung zu Grunde liegenden Wert … ergibt sich bis Mitte 2017 ein Mehrbedarf in Höhe von 11 500 Plätzen und bis Mitte 2019 von ca. 18 500 Plätzen.

Und wir wissen, dass bisher der reale Bedarf die Prognosen immer übertroffen hat. Niemand sagt, dass dies eine kleine Herausforderung ist, aber es gibt Hürden, die abgebaut werden müssen. Ein Problem, das mit dem Antrag

(Karlheinz Nolte)

der Grünen aufgegriffen wurde und das im Zuge der sogenannten neuen Berliner Liegenschaftspolitik der zurückliegenden Jahre, die Sie eben beschrieben haben, alle nervt und genervt hat, besteht darin, dass es keine praktikable Lösung für Träger gibt, diese neuen Kitaplätze zu schaffen – sprich: günstig und schnell an geeignete Immobilien zu kommen. Diese lange teilweise über zwei Jahre und länger auf Eis.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Nun gibt es, wie Sie beschrieben haben, einen ersten Schritt für die Vergabe von Erbbaurechten landeseigener Grundstücke, allerdings mit einem Pferdefuß: Das gilt wohl nicht für Grundstücke, auf denen neue Einrichtungen gebaut werden könnten, sondern nur für Grundstücke mit einem sanierungsbedürftigen Altbau. Wir werden sehen, wie weit dieser kleine Schritt reicht. Der ganz große Wurf scheint das noch nicht zu sein. Womöglich gibt es da Nachbesserungsbedarf. Außerdem vermehren sich neue geeignete Grundstücke, gerade im Innenstadtbereich, dadurch nicht, und auch die Mieten sinken nicht. Auch die flächendeckend beklagten bürokratischen Hürden in der Zusammenarbeit mit den Bauämtern der Bezirke und die langen Wartezeiten werden damit nicht behoben.

Es kommt hinzu, dass die Kitaträger in den Ballungszentren mit ihren Kapazitäten auch finanziell am Ende sind. Auch der letzte Snoezel- oder Personalraum ist in einen Gruppenraum umgewandelt. Was fehlt, ist eine spürbare finanzielle und bürokratische Entlastung für die Träger. Was fehlt, sind klare Signale für die Kitas, bekannte und lösbare Probleme anzugehen.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Wann werden endlich die laufenden Finanzierungsprogramme für U3 und Ü3 vom Bund, vom Land und aus SIWA so synchronisiert, dass die Lücken im Mittelfluss handelbar werden? Wo bleibt eine verlässliche Fachkräfteprognose, und welche Konsequenzen zieht der Senat aus den Ergebnissen der jüngst veröffentlichten statistischen Erhebung, wonach wir hier im Unter-DreijährigenBereich den schlechtesten Betreuungsschlüssel von einer Erzieherin zu mehr als sechs Kleinkindern haben?

Das Berliner Kitabündnis hat letzte Woche deutlich gemacht, dass Berlin mehr Kitaplätze, eine Entlastung für die Beschäftigten und vor allem mehr Personal braucht. Das weiß der Senat. Warum bewegt sich da so wenig wider besseres Wissen? Die vielgepriesene Lösung der berufsbegleitenden Erzieherinnenausbildung greift nicht weit genug, weil die Hälfte der Zeit auf den Personalschlüssel angerechnet wird. Es gibt für die Ausbildungskitas keine Ausgleichsstunden für die Betreuung der Azubis, und im Ergebnis finden die Azubis inzwischen keine Ausbildungskitas mehr, und die Kitas finden keine Leiterinnen mehr, weil die Belastung zu hoch ist. Da ist

die Forderung des Kitabündnisses nach einer Freistellung der Leitung ab 80 Plätzen noch sehr moderat.

[Beifall bei der LINKEN]

Das alles spricht nicht für einen respektvollen und wertschätzenden Umgang – zumindest nicht in einem ausreichenden Maß –, aber der sollte zumindest drin sein. Ab morgen – die Kollegin Burkert-Eulitz hat es auch schon gesagt – wird erstmals bundesweit in den Sozial- und Erziehungsdiensten für gute Arbeit, gute Leute und gutes Geld gestreikt. Das ist ein Novum und Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins in dieser Berufsgruppe. Dass in Berlin aktuell nicht flächendeckend gestreikt wird, liegt nur daran, dass unsere Beschäftigten nicht den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, sondern den Tarifvertrag der Länder haben, der gerade nicht verhandelt wird – wenn sie denn überhaupt einen Tarifvertrag haben. Wenn also in Berlin nicht flächendeckend gestreikt wird, dann heißt das nicht, dass nicht auch hier viel mehr drin sein müsste. Übrigens stimmt es nicht, dass nicht gestreikt wird. Gerade letzte Woche streikten die Beschäftigten der AWO pro:mensch gGmbH, eines Trägers, der Kitas, soziale und Jugendarbeit betreibt, und im März streikten die Erzieherinnen unserer kommunalen Kitaeigenbetriebe, um nur zwei Beispiele zu nennen. Ruhe ist hier auch nicht im System.