Protocol of the Session on January 15, 2015

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Benedikt Lux (GRÜNE): Versuch mal als Nichtdeutscher, die Staatsbürgerschaft zu erlangen! Von wegen einfach!]

Für die Piratenfraktion folgt jetzt Herr Dr. Weiß!

Vielen Dank! – Sehr geehrte Damen und Herren! Zahlreiche Berlinerinnen und Berliner sind von den zentralen Entscheidungsfindungen unserer Demokratie ausgeschlossen, da sie nicht über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen. Sie leben in der gleichen Stadt, sie unterliegen den gleichen Gesetzen und Vorschriften, und sie sind von den gleichen politischen Entscheidungen betroffen, aber sie können nicht an den Wahlen zum Abgeordnetenhaus teilnehmen, und sie können auch nicht an den direktdemokratischen Instrumenten, die wir in Berlin haben, den Volksentscheiden, teilnehmen. Das betrifft in Berlin ungefähr eine halbe Million Menschen, also einen erheblichen Bevölkerungsanteil, der in einigen Bezirken ein Viertel und sogar mehr beträgt. Das ist in der Tat nicht mehr nur eine ungerechte Behandlung von einzelnen Betroffenen, sondern das ist in dieser Größenordnung schon ein Problem unserer Demokratie insgesamt.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Das muss man auch so deutlich sagen, und insofern ist dem Anliegen dieses Antrags in diesem Punkt vollständig zuzustimmen. Dem Anliegen ist sowieso vollständig zuzustimmen. Auch der Absenkung der Altersgrenze, die wir in Bezug auf die Wahlen zum Abgeordnetenhaus schon einmal diskutiert haben, ist vollständig zuzustimmen. Das sehen nicht nur wir so, das sieht auch die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner so. Eine repräsentative Umfrage, die meine Fraktion im letzten Jahr in Auftrag gegeben hat, hat ergeben, das über zwei Drittel aller Berlinerinnen und Berliner genau diese Forderung unterstützen, also die Ausweitung des Stimmrechts zu Volksentscheiden auf alle dauerhaft in Berlin ansässigen Personen unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Das gilt sogar für eine deutliche Mehrheit der CDU-Anhängerinnen und -Anhänger.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN]

Man sieht also, die Gesellschaft ist zumindest in Berlin, was diese Frage angeht, deutlich weiter als die Politik und die Rechtsprechung der Verfassungsgerichte.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Aber gerade weil ich dieses Anliegen so unterstützenswert finde, muss ich sagen: Ich ärgere mich ein bisschen über die Form, in der es hier vorgebracht wird, und über die Art und Weise, wie gerade diese Rechtsprechung der Verfassungsgerichte im Antrag bzw. seiner Begründung abgehandelt wird. Da findet sich – die Urteile sind ja hier schon zitiert worden – ein Absatz, der völlig zu Recht anmerkt, dass der Artikel 28 des Grundgesetzes nicht von direkter Demokratie handelt, also hier nicht direkt zum Tragen kommt. Nun ist es aber so: Wenn man sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anguckt,

(Sven Rissmann)

ist es eben nicht nur Artikel 28, der da relevant ist, sondern bereits der in Artikel 20 definierte Volksbegriff. Auch das ist hier schon mehrmals erwähnt worden. Dort steht: Alle Staatsgewalt – und das bezieht sich auf die gesamte föderale Ordnung – geht vom Volke aus. Den Volksbegriff, den das Verfassungsgericht dort aufgemacht hat, kann man kritisieren. Ich bin davon auch nicht überzeugt, aber als Gesetzgeber sind wir daran natürlich gebunden.

[Beifall von Dr. Klaus Lederer (LINKE)]

Die richtige Antwort darauf wäre in der Tat, das Grundgesetz an dieser Stelle zu ändern.

[Beifall bei den PIRATEN – Christopher Lauer (PIRATEN): Dann machen wir das doch einfach!]

Ich fürchte, wenn wir das machen würden, wie es im Antrag der Grünen vorgelegt ist, würde das in Zweifel nur einen weiteren Gang vor das Bundesverfassungsgericht bedeuten, und es würde am Ende nichts anderes herauskommen.

Ich lasse mich in den Ausschussberatungen gerne vom Gegenteil überzeugen, aber das, was Sie bisher an Begründung geliefert haben, überzeugt mich nicht, und Sie scheinen selbst auch nicht wirklich von der Überzeugungskraft Ihrer Argumente überzeugt zu sein, wenn Sie in Ihrem ersten Redebeitrag schon ankündigen, dass sämtliche Folgeredner Ihnen widersprechen werden.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Sven Kohlmeier (SPD) – Beifall von Dr. Klaus Lederer (LINKE) – Benedikt Lux (GRÜNE): Überraschen Sie uns doch mal!]

Dennoch sind wir offen dafür, das im Ausschuss zu bereden. Insbesondere die Absenkung der Altersgrenze ist richtig, machbar und längst überfällig. Wir können auch darüber diskutieren, was es möglicherweise für andere Möglichkeiten – außer einer in der Tat nicht sonderlich aussichtsreichen Bundesratsinitiative zur Änderung des Grundgesetzes – gibt. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN]

Danke schön, Herr Kollege! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Gesetzesantrags an den Ausschuss für Verfassung- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung empfohlen. Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich komme zur

lfd. Nr. 6:

Berlin wird Fahrradstadt – Berlin braucht ein Fahrradstraßennetz

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bauen, Wohnen und Verkehr vom 5. November 2014 Drucksache 17/1963

zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/1721

In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Herr Gelbhaar, bitte schön, Sie haben das Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt eine erfreuliche Meldung: Der Radverkehr nimmt zu; er wächst.

[Beifall von Ole Kreins (SPD)]

Beim zweiten Satz gibt es den Applaus nicht mehr. – Allerdings wächst der Radverkehr trotz und nicht wegen der Politik dieses Senats. Dabei ist es unsere Aufgabe, eine gute Infrastruktur für den Radverkehr zur Verfügung zu stellen, und deswegen ist das auch die beständige Forderung nicht nur der Bündnisgrünen, sondern mindestens der gesamten Opposition.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Radverkehr ist leise und umweltfreundlich, benötigt wenig Platz und keine teure Infrastruktur. Wenn weniger Auto gefahren wird, werden unsere Straßen und Plätze attraktiver für alle. Aus diesen Gründen wird Berlin den Radverkehr weiter fördern.

Das steht nicht im grünen Wahlprogramm, sondern in der Radverkehrsstrategie des Berliner Senats. Das sind gute Worte, aber passieren tut wenig. Selbst dem Senat ist bewusst, dass die Anstrengungen intensiviert werden müssen, weil der Radverkehr steigt.

Mit dem wenigen Geld ist das eh schon schwierig, aber wenn dann Millionen Euro nicht investiert werden, ist das eine Bankrotterklärung. Und warum sage ich das so? – Ich berichte es Ihnen: Gestern im Hauptausschuss wusste der Verkehrssenat keine überzeugende Antwort darauf zu geben, warum die Hälfte der Investitionsmittel 2014 für den Radverkehr nicht ausgegeben wurde. Das – mit Verlaub – ist schädlich für den Berliner Radverkehr, und nicht nur ich frage mich: Ist das Unvermögen oder schon Absicht? – So geht es jedenfalls nicht.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Dr. Gabriele Hiller (LINKE) und Andreas Baum (PIRATEN)]

Wichtig wäre es, mit dem wenigen Geld wirksame, günstige Maßnahmen zu ergreifen. Deshalb wollen wir den Radverkehr mit einem umsetzbaren und kostengünstigen

(Dr. Simon Weiß)

Konzept unterstützen, dem Fahrradstraßennetz. Dazu haben wir eine Studie vorgelegt, die alle relevanten Fragen aufgreift und einen umfangreichen Vorschlag macht. Im Ausschuss haben wir die verkehrspolitischen Sprecher von SPD und CDU dennoch nicht zu einer Zustimmung bewegen können. Ich möchte deswegen hier die Gelegenheit nutzen, Ihnen allen Inhalt, Sinn und Zweck eines Fahrradstraßennetzes zu erläutern. Ich möchte, dass Sie die Gelegenheit haben, heute bewusst über dieses Projekt zu entscheiden.

Einleitend: Eine gute Radverkehrsinfrastruktur erkennt man daran, dass sich die unterschiedlichsten Radfahrerinnen und Radfahrer darauf sicher fühlen, alte wie junge, Frauen, Kinder und Männer. In den Niederlanden steht schön bildlich auf den Fahrradstraßenschildern: Das Auto ist zu Gast. Genau das ist der Unterschied zu einer normalen Nebenstraße. Das Fahrrad hat Vorrang, und der Autofahrer muss sich verhalten wie ein rücksichtsvoller Gast. Fahrradstraßen müssen so gestaltet werden, dass sie für den Radverkehr attraktiv sind. Das beginnt beim Belag und endet nicht zuletzt bei der Vermeidung von Durchgangsverkehr.

Aber es geht bei unserem Antrag nicht allein um eine größere Anzahl von Fahrradstraßen, sondern auch um eine bessere Verbindung zwischen diesen, eben um ein Verkehrsnetz. Die wenigen Berliner Fahrradstraßen, die wir schon haben, sind bislang Stückwerk. Sie enden manchmal schlicht und ergreifend im Nichts. Das wollen wir ändern. Unser Ziel ist ein durchgängiges Netz aus Fahrradstraßen und anderer ergänzender Fahrradinfrastruktur. Die Idee ist, die Teilzentren Berlins zu verbinden und die Knotenpunkte des 7ÖPNV für die Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer angenehm und zügig erreichbar zu machen. So wird der Umstieg zwischen den umweltfreundlichen Verkehrsmitteln organisiert, und das würde die Attraktivität des Radverkehrs sprunghaft verbessern. Genau das wollen wir auch.

Wir haben uns das alles nicht im stillen Kämmerlein überlegt, sondern wir haben die Bürgerinnen und Bürger befragt und Hunderte Vorschläge dazu eingesammelt, welche Fahrradrouten besonders genutzt werden und wo Fahrradstraßen entsprechend am sinnvollsten wären. Dann haben wir mit den Verbänden gesprochen, mit dem ADFC, dem VCD, dem BUND und auch mit dem ADAC. Entstanden ist ein Vorschlag für ein solches Netz. Wir haben dann einen Vorschlag des ADAC aufgegriffen und uns entschieden, als erste Maßnahme zwei Pilotrouten vorzustellen, die die Stadt in den vier Himmelsrichtungen durchziehen. Schritt für Schritt sollen dann die Pilotrouten um weitere Fahrradstraßen ergänzt werden, um ein übergreifendes Netz umzusetzen. All das können Sie im Internet noch mal straßenscharf nachlesen.

Die CDU hält das Konzept für ein Fahrradstraßennetz augenscheinlich für umsetzbar. Herr Friederici fragte

deshalb in einer Anfrage nach: Setzt der Senat das um? – Nein, tut er leider nicht. Denn der Senat bräuchte einen kräftigen Schubser des Parlaments. Der Senat meint nämlich bislang, dass wir das alles nicht brauchen, da die Radfahrerinnen und Radfahrer ja auch die Straßen nutzen können, wenn sie nicht als Fahrradstraßen ausgewiesen sind. Na toll! Angesichts dieser Logik verstehe ich, warum die Anstrengungen des Senats in Sachen Radverkehr kaum noch vorhanden sind. Herr Geisel! Sie sind hier in der Pflicht. Hunderttausende Berliner Radfahrer schauen Ihnen auf die Finger.

Dass der Senat den Radverkehr bislang nur auf dem Papier, aber nicht in der Realität fördern will, ist leider bekannt. Ich möchte den jetzigen Regierenden Bürgermeister aus einem Plenarprotokoll kurz zitieren. Er sagte am 5. Juni 2014, man dürfe nicht den alten Fehler, auf die autogerechte Stadt zu setzen, dadurch ersetzen, dass man auf die fahrradgerechte Stadt setzt.

[Ole Kreins (SPD): Ja, richtig!]

Davon sind wir so unglaublich weit entfernt, und mit Verlaub: Der Satz ist so falsch – er ist fast eine Frechheit –, vor allem, da Sie als große Koalition ja weiter Autostraße um Autostraße für Hunderte Millionen Euro bauen wollen.

[Beifall von Simon Kowalewski (PIRATEN)]

Unser Vorschlag für ein Fahrradstraßennetz wäre relativ einfach umzusetzen, und das wäre noch nicht mal teuer. Hier liegt ein Angebot auf dem Tisch. Greifen Sie zu! Ich möchte Sie auffordern: Lassen Sie uns heute gemeinsam den Senat den notwendigen kräftigen Schubser geben! Ansonsten verpassen wir, ja verpassen Sie diese Chance für Berlin, und dann müssen halt andere dieses Projekt umsetzen. – Danke!

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Gelbhaar! – Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Herr Abgeordnete Kreins. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzter Kollege Gelbhaar! Ich muss Ihnen in einem Punkt deutlich widersprechen, und das betrifft Ihre Aussage, dass es trotz der Politik des Senats eine positive Entwicklung im Radverkehr gebe. Ich sage Ihnen, dass es gerade deshalb, weil sich der Senat in den letzten Jahren so eingesetzt hat, eine solch positive Entwicklung gibt. Deswegen steigen auch zunehmend mehr Menschen auf das Rad um.

Sie haben es gesagt: Der Radverkehr ist klima-, flächen- und ressourcenschonend. – Gerade beim Stichwort Flächen komme ich auf den zentralen Punkt dieses Antrags