Das muss hier allen klar sein. Nun gilt es, den Prozess zu beachten. Wir sind zwar gut dabei, Beratungs- und Qualifikationsstrukturen aufzubauen und sind dabei, konzeptionelle Eckpunkte und Schwerpunktschulen zu definieren. Die existierenden Teilkonzepte sollen dann in die Haushaltsverhandlungen einfließen.
Die Zahlen der GEW beispielsweise sind alarmierend. Wir haben bei den Förderstunden für Kinder im Bereich LES mehr als halbiert in den letzten zehn Jahren, und das, weil der Etat gedeckelt ist. Die Anzahl der Kinder jedoch, die sich nun an Regelschulen befinden, hat sich mehr als verdoppelt. Das ist klar. Wir dürfen keine politischen Forderungen aufstellen und diese dann unterfinanziert in der Praxis verkümmern lassen.
Wir haben ganz konkrete Probleme, mit denen wir umgehen, und wo Sie auch in den letzten Wochen gesehen haben, dass wir sofort reagiert haben.
Es ist aber eine grundsätzliche Angelegenheit. Inklusion mit gedeckelten Etats kann nicht funktionieren.
Ein weiteres Beispiel dafür sind die Schulhelfer. Es muss sichergestellt werden, dass Kinder, die Hilfe für ihre Mobilität im Alltag benötigen, diese auch bekommen. Es ist toll, dass mehr Schüler auf Regelschulen gehen. Damit müssen jedoch auch die Stunden für Schulhelfer angepasst werden. Das ist uns klar.
Ich kann die Sorgen der Eltern zutiefst verstehen, die wissen wollen, wie es weitergeht. Ich kann auch die Lehrer verstehen, die Gewissheit haben wollen, die tagtäglich Verantwortung für ihre Schützlinge übernehmen und sich momentan in einer Situation befinden, die wir alle nicht als befriedigend empfinden können. Da muss der Senat jetzt liefern. Wir brauchen dringend ein übergreifendes Konzept, ein Inklusionskonzept, inhaltlich und mit einem klaren Finanzierungsvorschlag. Wir haben viel geschafft.
Es ist nicht korrekt, dass wir untätig waren. Doch wir müssen jetzt weitermachen und Resultate liefern. Lieber Senat! Zu verschiedenen Teilbereichen Konzepte zu entwickeln, reicht uns nicht. Unsere Erwartungshaltung ist klar. Wir wollen ein umfassendes Konzept für Inklusion, das die Menschen in den Mittelpunkt stellt, nicht die Struktur. – Meine Damen und Herren, vielen Dank!
Danke schön, Herr Kollege! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Kollegin Kapek das Wort. – Bitte schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es freut mich ganz persönlich, heute eine Rederunde mit den Bildungspolitikerinnen und -politikern aller Fraktionen bestreiten zu dürfen. Lassen Sie mich zu Beginn jedoch ganz kurz meiner Kollegin Frau Remlinger, die sicherlich zu Hause am Bildschirm zuschaut, gute Besserung wünschen! Liebe Steffi! Erhole dich gut!
Herr Özışık! Ich bin doch einigermaßen verwundert über Ihre Rede. Kollegen aus der Opposition sagten, es sei eine schöne Sonntagsrede. Ich muss sagen, es war maximal eine hilflose Sonntagsrede. Vor allem vor dem
Hintergrund, dass die SPD, Ihre Partei, Ihre Fraktion seit 20 Jahren die Verantwortung für das Bildungsressort hat, muss ich sagen, dass jegliches Versagen einzig und allein in Ihren Verantwortungsbereich fällt.
Die aktuellen Zeitungsberichte zum Thema Inklusion geben zudem allerhand Anlass zur Sorge. Obwohl wir immer mehr Kinder mit Förderbedarf in den sogenannten Regelschulen aufnehmen, sinken anteilig die bezahlten Stunden, um diese Kinder dann zu fördern.
60 Prozent der Kinder mit Behindertenstatus gehen inzwischen auf solche Regelschulen. Deshalb finde ich es auch mehr als nachvollziehbar, wenn jetzt die Bildungsgewerkschaft GEW Alarm schlägt und sagt, dass Inklusion nicht funktionieren könne, wenn die Etats unterfinanziert seien. Der Förderbedarf der Kinder muss stärker berücksichtigt werden, egal, ob wir über die Schulhelfer oder die Förderstunden sprechen. Inklusion gibt es nun einmal leider nicht zum Nulltarif.
Die Entscheidung, liebe Koalition, die Kinder während ihrer Schullaufbahn nicht mehr zu selektieren, ist nach unserer Überzeugung genau die richtige Entwicklung. Eine inklusive Schule ist nicht nur gut für die Kinder, die spezielle Begabungen oder Herausforderungen haben, wenn sie eingeschult werden, sondern eine inklusive Schule hat einen Förderauftrag für Kinder mit all ihren individuellen Besonderheiten und Fähigkeiten. Deshalb sollte auch jedes Kind im Mittelpunkt stehen, egal, ob es hochbegabt ist, eine Lese-Rechtschreib-Schwäche hat, ob es Down-Syndrom hat, aus Syrien flüchten musste oder einfach nur Mathe doof findet und lieber Fußball spielt. Eine inklusive Schule hat den Anspruch, gerade die Vielfalt von Kindern und nicht, wie im konventionellen Schulunterricht, das Gleichmachen und Anpassen bei Kindern zu fördern.
Sinngemäß steht dies übrigens auch in den Empfehlungen des Beirats für inklusive Schule in Berlin der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft. Das heißt, den Anspruch hat die Koalition somit formuliert – das ist gut so – an der Umsetzung hapert es leider gewaltig.
Inklusion ist noch lange nicht erreicht, nur weil ich die Förderschulen abschaffe und jetzt alle Kinder mit Förderbedarf auf eine Regelschule gehen. Man bekommt aber leider bisweilen den Eindruck, dass das genau Ihr Denken ist. Eine Regelschule mit einer höheren Anzahl an För
derschülern ist keine inklusive Schule, sondern ist das erst dann, wenn sie auch die entsprechenden Anstrengungen und Anpassungen vorgenommen hat. Das beginnt schon beim Bauingenieur, der die Schule so umbaut, dass sich künftig das Kind im Rollstuhl allein und selbstständig in der Schule bewegen kann und nicht mehr von Lehrkräften oder Schulhelfern die Treppen hoch- und runtergetragen werden muss.
Es beinhaltet selbstverständlich auch Fortbildungen und Schulungen des Personals bis hin zu den Sachmitteln, die aus einem Nullachtfünfzehn-Unterricht einen inklusiven machen. Der Weg von der Regelschule zur inklusiven Schule ist ein weiter und anstrengender, aber er lohnt sich, denn die inklusive Schule schafft die Voraussetzung dafür, dass künftig wirklich kein Kind zurückgelassen wird. Ein Satz, den man auch im aktuellen SPDMachtkampf regelmäßig hört. Ich sage: gut so! – Aber damit dies nicht eines Ihrer vielen hohlen Versprechungen bleibt, müssen Sie auch die Strukturen dafür schaffen.
Denn im Moment sieht es noch immer so aus, dass zum Schuleintritt 2 bis 3 Prozent der Kinder eines Jahrgangs als hochbegabt gelten, zum Schulabschluss aber viele am Berliner Schulsystem gescheitert sind. Das ist ein Totalversagen der Berliner Bildungspolitik.
Bislang wurden bereits am Ende der Grundschule Schüler und Schülerinnen sortiert. Es wurde mit der Empfehlung für eine Haupt- oder eine Sonderschule die Tür für ein künftiges Studium zugeschlagen. So bleiben viel zu viele kleine Talente auf der Strecke. Das möchte ich nicht.
In der Realität der Berliner Schulen fehlt es aber bereits heute an geschultem Personal, oft fehlt es sogar an Lehrern überhaupt. Wenn aber ein einzelner Lehrer weiterhin für über 26 Schülerinnen und Schüler mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen Unterricht machen muss, dann ist das ein Sparprogramm des Senats zulasten aller Schülerinnen und Schüler, zulasten aller Pädagoginnen und Pädagogen, dann ist das Versagen, aber mit Sicherheit ist das keine Inklusion.
Deshalb wird die Verwirklichung von Inklusion auch nicht ohne Schulentwicklung möglich sein. Hier ist dann die Politik gefragt. Wir können Inklusion zwar nicht von oben verordnen, deshalb muss aber der erste Schritt unserer Arbeit sein, Motivations- und Überzeugungsarbeit zu leisten. Wir müssen die Lehrerinnen und Lehrer, die Schülerinnen und Schüler, die Schulleitungen, die Eltern mitnehmen. Wir müssen für die inklusive Schule werben.
Und darüber hinaus – das ist noch viel wichtiger – besteht die Aufgabe der Politik vor allem darin, einen verlässlichen und transparenten Rahmen zu setzen. Für diesen Rahmen haben Sie aber bislang leider noch nicht viel geleistet. Beim Lehrerbildungsgesetz ist man zwar in die richtige Richtung gegangen, aber liebe Freundinnen und Freunde von der CDU, gerade bei diesem Gesetz hat sich doch gezeigt, dass Sie bis heute glauben, dass Gymnasien der Ort für die Elite sind und der Rest sich mit Bespaßung begnügen kann.
Frau Kollegin, einen kleinen Moment, bitte! – Mein Hinweis an die Pressetribüne: Es ist untersagt Fotos von den Unterlagen der Abgeordneten zu machen. Sie können gern schräg herüberfotografieren, aber nicht auf die Unterlagen der Abgeordneten. Sie halten sich bitte daran! – Ja, Sie sind gemeint! Sie haben eben nach unten fotografiert. Das ist hier untersagt. Sie halten sich dran. – Danke schön! – Frau Kollegin, setzen Sie fort!
Herr Präsident! Jetzt haben Sie mit die Klimax ein bisschen genommen. – Ich setze trotzdem noch einmal an: Liebe Freundinnen und Freunde von der CDU! Für Sie war und ist Schule ein Ort der Selektion. Wachen Sie endlich auf, es ist höchste Zeit!
Frau Senatorin! Es reicht auch nicht, allein auf die gute Berliner Quote der sonderpädagogischen Integration hinzuweisen. Ja, Berlin steht gut da, aber nur, weil es bereits seit Langem viele Schulen gibt, die sich ganz allein, ohne politische Unterstützung auf den Weg zur inklusiven Schule gemacht haben. Unterstützen Sie dieses Engagement doch endlich und legen sie ihm nicht weiter Steine in den Weg!
Aber die Voraussetzungen für die Umsetzung verschlechtern sich kontinuierlich, und Sie, Frau Senatorin, erwecken leider auch nicht gerade den Eindruck, als hätten Sie einen Plan. Denn seit den Empfehlungen des Beirats vom Frühjahr 2013 ist leider nicht viel passiert. Wir brauchen aber einen Plan, wir brauchen Transparenz, und deshalb Frau Scheeres, auch wenn Inklusion Zeit braucht: Sagen Sie uns endlich, was und wann Sie es umsetzen wollen! Ich meine damit nicht allein das Verhängen von Bußgeldern.