Protocol of the Session on June 19, 2014

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Frau Radziwill! – Das Wort zu einer Zwischenbemerkung hat der Herr Abgeordnete Reinhardt.

Sehr geehrte Kollegin Frau Radziwill! Sie sind vielleicht jetzt auch nicht die beste Ansprechpartnerin. Sie sagen, was Sie zu diesem Antrag denken.

[Beifall von Dr. Turgut Altug (GRÜNE)]

Natürlich wäre der Senat, Frau Kolat oder Herr Henkel, der Ansprechpartner. Trotzdem muss ich aber noch einmal auf das eingehen, was Sie gesagt haben. Erstens haben Sie von Flüchtlingspolitik mit Augenmaß gesprochen. Das ist eine hohle Phrase. Dieser Satz bringt uns nichts. Tatsächlich ist es auch gut – darin sind wir uns alle einig –, dass der Senat im Januar beschlossen hat, keine Räumung des Oranienplatzes auf die Schnelle vorzunehmen. Es sind doch aber umfangreiche Versprechungen gemacht worden. Auf die bin ich eben auch eingegangen. Die Frage ist doch, was mit den zwölf Menschen geschieht, die akut hier in Berlin abschiebebedroht sind, sowie zuzüglich der Dutzenden, die in anderen Bundesländern auch abschiebebedroht sind?

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Die Frage ist doch, was mit den Einzelfallprüfungen ist, die angeblich jeden Tag losgehen. Vielleicht haben sie schon begonnen. – Sie nicken. Was heißt das? – Sie sind losgegangen. – Was ist mit den Einzelfallprüfungen? Der Flüchtlingsrat sagt, dass sie nichts bringen, weil die Leute alle negative Bescheide erhalten. Was ist mit Unterkunft, wo es die ganze Zeit hin und her ging und teilweise die Gelder nicht ausgezahlt wurden? Was ist mit der Sicher

heit des Infozeltes, das heute Morgen in Flammen aufgegangen ist? Das war auch Teil des Kompromisspakets. Frau Radziwill! Auf alle diese Fragen haben Sie jetzt überhaupt keine Antworten geliefert.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Wenn Sie sagen, dass Sie die Antworten nicht haben, dann seien Sie wenigstens so ehrlich. Aber sagen Sie doch nichts von Augenmaß und von: Lassen Sie uns doch einmal warten, es waren erst ein paar Tage. – Das hilft doch in der Sache nicht weiter. Das sind konkrete Fragen, konkrete Anliegen, konkrete Versprechungen. Genau das ist es, was nicht umgesetzt wurde und worauf wir jetzt die Antworten wollen.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Möchten Sie jetzt replizieren?

Herr Reinhardt! Auf eine Ihrer Fragen kann ich wie folgt antworten: Lesen bildet. Wenn Sie zum einen Herrn Czaja in der letzten Sitzung genau zugehört haben und auch die Aussagen von Frau Kolat im Ausschuss auf Ihre Fragen genau kennen, wissen Sie, dass die Prüfungen schon begonnen haben. Ich lese Ihnen das noch einmal aus dem Protokoll der letzten Plenarsitzung vor:

[Martin Delius (PIRATEN): Hat sie gefragt, ob sie zitieren darf?]

Das ausländerrechtliche Prüfverfahren für diejenigen, die auf der Liste waren, wurde begonnen.

Das ist schon klar und selbstverständlich. Deshalb müssen Sie manche Fragen nicht immer wieder vor sich her treiben, wenn sie nicht mehr aktuell sind.

Dass Sie jetzt hier sagen, dass das hohle Phrasen sind, finde ich schon sehr übertrieben.

[Martin Delius (PIRATEN): Die sind weit untertrieben!]

Reden in einem Parlament ist doch wichtig. Sie haben andere Möglichkeiten, einen Teil Ihrer Fragen auch direkt beantwortet zu erhalten. Wir debattieren hier über einen Antrag in der ersten Lesung. Meine Meinung habe ich dazu gesagt. Ich bin sehr zuversichtlich, dass dieser Senat die Forderung, auch ein Teil der Versprechen, eine andere Unterbringungsmöglichkeit anzubieten, auch umsetzen wird. Hier ist aber auch die Verantwortung des Bezirks gefragt. Das können Sie aus Ihrem Antrag nicht einfach herausnehmen. Das ist Teil dessen. Die Unterbringung von Menschen ist in erste Linie Aufgabe des Bezirkes. Das wissen Sie auch. Deshalb müssen Sie die Fragen

auch richtig stellen, um dann auch gute Antworten zu erhalten. – Vielen Dank!

Vielen Dank, Frau Radziwill! Das Wort zu einer weiteren Zwischenbemerkung hat der Herr Abgeordnete Dr. Albers. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Frau Radziwill! Ich habe das mit Aufmerksamkeit gehört und nehme es Ihnen auch ab, was Sie zur Flüchtlingspolitik gesagt haben. Wie stehen Sie dann zu dem Flugblatt der sogenannten Halbzeitbilanz Ihres kleineren Koalitionspartners, in dem es heißt: 24. Minute, Foulspiel im Senat. SPD-Senatoren bremsen Räumung des besetzten Oranienplatzes aus. 43. Minute: 3:0. Der Oranienplatz wird nun doch geräumt. Es herrschen wieder Recht und Ordnung. – Charakterisiert das die Flüchtlingspolitik dieser Koalition?

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ich gehe davon aus, dass Sie antworten möchten. – Bitte, Frau Radziwill!

Ich mag ja Fußball. Zurzeit ist es ja auch richtig angenehm, jeden Abend Fußballspielen zuzusehen.

[Zuruf von Martin Delius (PIRATEN)]

Ich muss sagen, das ist stilistisch ein interessanter Flyer, aber ich teile die gesamten Inhalte definitiv nicht, und wir können hier schon sagen, das ist auch ein kleines Foulspiel von unserem Koalitionspartner. Das ist nicht meine Auffassung.

[Hakan Taş (LINKE): Welche teilen Sie denn? Sagen Sie mal was dazu! – Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Jetzt haben wir ein bisschen Spaß gehabt, jetzt kommen wir zum Ernst des Ganzen: Dass dieser Senat insgesamt als gut funktionierendes Räderwerk – das habe ich vorhin sehr bewusst formuliert – hier die Flüchtlingspolitik ordentlich in dem Maße, wie wir es wollen, nämlich mit Augenmaß, die Humanität im Blick habend und die Möglichkeiten, die das Gesetz gibt, auch Spielräume bzw. die Auslegung so formuliert, dass es auch im Interesse der Menschen möglich ist – dass sie das im Blick haben und das auch umsetzen, davon gehe ich aus. Das ist das, was wir mit Augenmaß meinen. Und das ist dann die gesamte Ausrichtung der Flüchtlingspolitik dieses Senats. Ich bin

mir sicher, dass Herr Henkel als Innensenator das auch mit beherzigen wird.

[Hakan Taş (LINKE): 14.31 Uhr – rote Karte!]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Radziwill! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Bayram. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte meine Rede unter den Satz gestellt: Verantwortung übernehmen. – Nach dem, was ich hier vorhin gehört habe, habe ich darüber nachgedacht: Wie übernehmen wir diese Verantwortung, wie übernimmt der Senat die Verantwortung, aber wie übernehmen auch wir Abgeordnete die Verantwortung? Denn in diesem Fall, wo ich die Flüchtlinge anderthalb Jahre sehr intensiv begleitet und gesehen habe, wie sie gelitten haben und welche Hoffnung sie hatten, welche Hoffnung sie auch an die Vereinbarung mit dem Senat geknüpft haben, sollten wir uns, glaube ich, des Ernstes bewusst sein, dass es bei den Flüchtlingen um ihre Existenz geht. Bei ihnen geht es um alles und nicht um den einen oder anderen Spruch auf Kosten der anderen Fraktion, des anderen Senatsmitglieds. Deswegen werde ich hier niemanden einzeln benennen und Schuld zuweisen, sondern mir geht es darum, dass wir die Verantwortung, die der Senat übernommen hat, indem er die Vereinbarung getroffen hat, auch einfordern, dass sie umgesetzt wird.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Wir diskutieren über viele Themen, Flüchtlinge ist dabei vielleicht nur eines, aber für die Menschen geht es nicht nur um ihre eigene Existenz und ihre Zukunft, sondern die meisten der Flüchtlinge haben Familien in Ländern, in denen Krieg herrscht, in denen Gewalt herrscht, wo die Familien ihnen sagen: Du bist doch im reichen Deutschland, du musst uns auch Unterstützung geben, und wir erwarten von dir viel. – Für die Flüchtlinge, die selbst in Berlin in dieser schwierigen Lage sind, ist das noch mal eine Bürde, die sie zu tragen haben.

Nun will ich zu den drei Punkten kommen, die ich in der Vereinbarung als die wesentlichen erachte: Unterkunft wurde zugesagt, vor drei Monaten. Für die Bewohnerinnen und Bewohner der Gerhart-Hauptmann-Schule haben wir noch keine Unterkunft. Immer wenn ich mich erkundige, heißt es: Die Unterkunft ist da, die Leute könnten innerhalb von 48 Stunden umziehen, allein wir müssen uns auf eine Vorlage einigen. – Ich will dem gar nicht misstrauen. Warum sollte ich auch? Denn es ist ein gegebenes Wort, und die Umsetzung ist noch möglich. Aber ich will zu bedenken geben, dass bei den Menschen in der

(Ülker Radziwill)

Gerhart-Hauptmann-Schule die Situation, auch nach dem Tod von Anwar, immer schwieriger wird.

Dann wurde Arbeit zugesagt, denn alle Flüchtlinge haben gesagt: Ich kann was, ich will mich einbringen, ich will arbeiten. – Ich kenne noch keinen Flüchtling vom Oranienplatz oder von der Gerhart-Hauptmann-Schule, der eine Arbeit aufgenommen, eine Ausbildung begonnen oder eine berufliche Perspektive eröffnet bekommen hat. Und da, lieber Senat, müssen Sie wirklich aktiv werden. Denn Arbeit – das wissen wir aus der langen Geschichte der Migration des Landes Berlin – kann immer ein Weg sein zum Aufenthalt, zu einer Perspektive und auch dazu, zu einem Teil der Gesellschaft zu werden, was die meisten Menschen wollen.

Der dritte Punkt ist ein besonders schwieriger: das Aufenthaltsrecht. Die Leute haben immer wieder gesagt: I want a residence permit, the right to stay. – Das heißt, ich will ein Recht zu bleiben, ich will ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht. Jeder Anwalt, der damit befasst war, so auch Berenice Böhlo vom Republikanischen Anwaltsverein, hat gewarnt. Sie hat darauf hingewiesen: In dieser Vereinbarung wird euch so ein Recht nicht versprochen. Auch der Senat und auch Kollegin Radziwill haben gerade gesagt, eine klare Aufenthaltsperspektive wurde den Menschen nicht zugesagt.

[Zuruf von Michael Dietmann (CDU)]

Ich glaube, es wird uns noch lange beschäftigen, was zugesagt wurde und was nicht, damit die Menschen bereit waren, sogar die Hütten ihrer Freundinnen und Freunde auf dem Platz abzureißen, um in den Genuss dieser Vereinbarung zu kommen, wo wir uns heute zu Recht fragen: Was hat sie den Menschen versprochen, und was wurde den Menschen aufgrund dieser Vereinbarung gegeben?

Nicht unerwähnt lassen will ich einen Brief des Innensenators an die anderen Innensenatoren und -minister des Bundesgebiets, in dem er sagt: Ich habe den Flüchtlingen nichts versprochen. – Das ist bestimmt nicht das letzte Mal, das wir uns in dieser Runde zu diesem Thema verständigen müssen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Martin Delius (PIRATEN): Sicher nicht!]

Vielen Dank, Frau Bayram! – Für die CDU-Fraktion hat nun das Wort der Herr Abgeordnete Wansner. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion, Versprechen des Senats

gegenüber den Flüchtlingen vom Oranienplatz und den Bewohnerinnen und Bewohnern der ehemaligen GerhartHauptmann-Schule einhalten!, ist jetzt, im Nachklang aller Geschehnisse, scheinheilig. Er versucht, die Verantwortlichkeiten und Probleme der letzten Jahre auf den Kopf zu stellen, Frau Bayram!

Frau Bayram, weil ich Sie direkt anspreche: Wer war denn verantwortlich für die Besetzung des Oranienplatzes? Wer war denn verantwortlich für die katastrophalen Zustände auf dem Oranienplatz, wo Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Zuständen zwei Winter aushalten mussten? Wer war denn tagtäglich auf dem Oranienplatz und forderte die Flüchtlinge auf, hier weiter auszuharren?

[Zurufe von Elke Breitenbach (LINKE) und Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Wer hat denn in diesem Zusammenhang den Menschen Versprechungen gemacht, die nicht im Ansatz ehrlich waren?

[Elke Breitenbach (LINKE): Na, die Koalition!]