Protocol of the Session on December 8, 2011

Sie haben ins Koalitionsprogramm Ihr ganzes Wahlprogramm integriert. Es wäre schön gewesen, wenn Sie sich auch in Sachen kommunales Wahlrecht durchgesetzt hätten. Dieser Verzicht war wohl ein Entgegenkommen wegen anderer Punkte. Die Berlinerinnen und die Berliner haben Sie nicht für eine Koalition mit der CDU gewählt.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Nun komme ich zum Antrag. Ungeklärt in diesem Antrag ist die zu verlangende Mindestaufenthaltsdauer, bevor das kommunale Wahlrecht greift. Wir werden im zuständigen Ausschuss beantragen, dass die Frist für EU-Bürgerinnen und -Bürgern drei Monate betragen soll. Bereits in Ihrem Antrag vom 9. Februar 2011 Drucksache 16/3860 wollte die Fraktion der Grünen durch eine Änderung der Berliner Verfassung das kommunale Wahlrecht für Drittstaatsangehörige einführen. Jetzt schlagen Sie eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Grundgesetzes vor.

Was ist die Begründung für den Wechsel? Haben wir hier etwas verpasst? Bei aller Sympathie für diesen Vorstoß stellt sich auch die Frage, warum die Grünen im Frühjahr und jetzt so vollkommen anders an die Sache herangehen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein! – Schließlich sind die Grünen damals wie heute beide Male in der Berliner Opposition, übrigens schon vor mehr als zehn Jahren. Im Jahr 2000 hatte die damalige PDS-Fraktion einen Antrag für eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Artikel 28 Abs. 1 Grundgesetz eingebracht. Damals hatte übrigens die PDS-Fraktion den wissenschaftlichen Parlamentsdienst beauftragt zu prüfen, ob auch eine rein landesgesetzliche Lösung möglich wäre. Da dies verneint wurde, hatten wir damals bereits eine Bundesratsinitiative beantragt. Übrigens wurde der Antrag damals gemeinsam mit Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Schleswig-Holstein eingebracht und fand leider keine Mehrheit.

Wir, die Linken, haben in den vergangen Jahren sowohl in der rot-roten Koalition mit der SPD als auch als Bundestagsfraktion Vorstöße zu entsprechenden Änderungen des Grundgesetzes vorgenommen mit den Ihnen sicherlich bekannten Ergebnissen.

Es ist bekannt, dass insbesondere nach Änderung des Grundgesetzes 1992 zur Einführung des kommunalen Wahlrechts für EU-Bürgerinnen und -Bürger das Prinzip der Einheit von Staatsvolk und deutscher Staatsange

hörigkeit aufgegeben worden ist und somit gegen die Ablehnung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaatler nur noch die Frage der fehlenden Gegenseitigkeit ins Feld geführt wird. Ob dieser Ablehnungsgrund verfassungsrechtlich trägt, ist umstritten. Es ist aber auch festzuhalten, dass dies mehrheitlich so gesehen wird, nicht nur wegen der Einführung des kommunalen Wahlrechts für EU-Bürgerinnen und -Bürger, sondern auch wegen der weiterentwickelten Einwanderungs- und Migrationsdiskussionen.

Sogar die Unionsparteien haben inzwischen eingesehen, dass unser Land ein Einwanderungsland geworden ist.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Wäre es einen Versuch wert, gegebenenfalls eine verfassungsgerichtliche Überprüfung zu riskieren? Wir werden dem Antrag zustimmen. Wir sind gespannt, wie sich die SPD-Fraktion, die, wie bereits erwähnt, mit uns gemeinsam die gleiche Forderung mitgetragen hat und dies auch in ihren Koalitionsverhandlungen mit der CDU – wenn auch ohne Erfolg – eingebracht hat, sich jetzt verhalten wird.

Nicht zuletzt möchte ich noch kurz auf das in der letzten Legislaturperiode verabschiedete Partizipations- und Integrationsgesetz eingehen. Hier werden in vielen Bereichen die Beteiligungsrechte der Berlinerinnen und Berliner mit Migrationshintergrund eingeführt bzw. erweitert. Wir, die Linksfraktion, werden intensiv darauf achten, dass diese auch sachgerecht umgesetzt werden.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank! – Das Wort zu einer Kurzintervention hat Frau Bayram.

[Elke Breitenbach (LINKE): So etwas macht man nicht in der ersten Runde!]

Ja, Herr Kollege Taş, ich erkläre Ihnen das wirklich sehr gern und bin Ihnen auch dankbar für die Frage, wieso ich seinerzeit einen Antrag eingebracht habe, die Landesverfassung zu verändern. Es ist eben so, dass für eine Änderung der Landesverfassung eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist, die – jedenfalls nach meinem Dafürhalten – in der letzten Legislaturperiode dadurch gegeben war, dass die kommunalwahlrechtbefürwortenden Fraktionen in diesem Haus eine Mehrheit hatten, die es uns ermöglicht hätte, als Land Berlin ohne CDU und CSU auf Bundesebene, sozusagen aus eigener Kraft, Menschen ein Wahlrecht zu geben.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Herr Kollege Taş! Sie waren damals noch nicht Mitglied dieses Hauses, aber es war Ihre Fraktion – und die meisten davon sind auch heute noch da –, die diese Gelegenheit verpasst hat! Sie haben es verpasst und mitzuverantworten, dass es damals nicht geklappt hat.

[Beifall bei den GRÜNEN]

In allen Redebeiträgen, sowohl Ihrer Fraktion als auch der SPD und auch einzelner Leute, wurde gesagt: Ja, eine Bundesratsinitiative, die würden wir machen! – Und Sie kommen jetzt mit irgendwelchen Untersuchungen des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes, in denen uns im Jahr 2000 etwas bescheinigt wurde! Das ist elf Jahre her! Seitdem hat sich in der Rechtsprechung, in supranationalem Recht, viel getan. Es ist sehr interessant, dass Sie nur den Blick auf die Anträge der Linksfraktion haben, aber jetzt sind Sie Teil des Parlaments, Sie müssen das große Ganze sehen! Da ist seitdem einiges passiert. Zum anderen hat es in der letzten Legislaturperiode zwar schon Anträge gegeben, aber das ist auch über vier Jahre her, sodass es jetzt Sinn machen würde, sich Gedanken zu machen, wie ernst wir alle unsere Programme nehmen. Da muss man der CDU bescheinigen, dass sie diejenige ist, die bei ihrer ursprünglichen Auffassung geblieben ist.

[Lachen von Martin Delius (PIRATEN)]

Sie sind sich treu geblieben, auch wenn ich Ihre Auffassung nicht teile!

Was Sie versuchen, das überzeugt mich nicht.

[Uwe Doering (LINKE): Muss auch nicht!]

Ich muss Ihnen sagen, Einbürgerung ist wichtig, hilft aber nicht, um eine Diskriminierung im Wahlrecht abzuschaffen! Um ihr zu begegnen, brauchen wir ein kommunales Wahlrecht, idealerweise sogar ein Wahlrecht auf Landesebene, damit zum Beispiel auch die EU-Mitgliedsstaaten bei den Abstimmungen, etwa zum Volksbegehren oder zur Wahl des Abgeordnetenhauses, mitbeteiligt werden können. Da haben wir noch einiges an Arbeit vor uns, aber jetzt geht es erst einmal darum, dass mithilfe einer Bundesratsinitiative den Menschen die Gelegenheit gegeben wird, ihr Wahlrecht, das gerade in den Kiezen Wedding, Kreuzberg und Neukölln nicht gegeben ist, zu nutzen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Bayram! – Möchten Sie erwidern, Herr Taş? – Er möchte nicht! Gut! – Für die CDUFraktion hat dann Frau Seibeld das Wort. – Bitte sehr!

[Beifall bei der CDU]

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Einführung des Wahlrechts auf Kommunalebene ist kein neues Thema, ganz im Gegenteil. Am 23. Juni 2011 haben wir das letzte Mal in diesem Haus über dieses Thema abgestimmt. Außer den Grünen waren alle damals im Abgeordnetenhaus vertretenen Fraktionen dagegen. Ich bin gespannt, wie das Abstimmungsergebnis heute ausfallen wird.

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist, unabhängig vom Inhalt, auch schon handwerklich schlecht gemacht. Da heißt es: Dauerhaft in Deutschland lebende Berlinerinnen und Berliner sollen das kommunale Wahlrecht erhalten. – Was heißt denn in diesem Zusammenhang „dauerhaft“? Drei Monate? Ein Jahr? Fünf Jahre oder länger? Und wie lange sollen sie denn schon in Berlin leben? Und dürfen sie noch einen Wohnsitz in ihrem Heimatstaat haben? Das sind einige der Fragen, die sich schon jetzt stellen. Rechtsstreitigkeiten sind vorprogrammiert. Rechtssicherheit – ganz sicher Fehlanzeige.

Man kann auch den Eindruck gewinnen, dass es den Grünen, indem sie immer gleiche Anträge stellen, nicht um die Sache geht, sondern in diesem Fall nur um den Versuch, die Koalition vorzuführen.

[Beifall von Alexander Morlang (PIRATEN) – Benedikt Lux (GRÜNE): Das schafft ihr schon selber!]

Ich habe die Begründung des Antrags sorgfältig gelesen, aber überzeugt hat sie mich nicht. Warum sollen politische Selbstbestimmung, Teilhabe und Gleichberechtigung nur auf Kommunalebene erfolgen? Wenn das Wahlrecht, wie die Grünen sagen, von so existenzieller Bedeutung für die hier lebenden Menschen aus Drittstaaten ist, warum soll dann die Kommunalebene ausreichen?

[Zuruf von Canan Bayram (GRÜNE)]

Weil die Grünen nämlich keinesfalls verkennen, dass die rechtlichen Probleme – das Stichwort ist Verfassungsänderung – es überhaupt nicht möglich machen, es auf Kommunal-, auf Landes- oder auf Bundesebene einzuführen.

Der Antrag der Grünen lenkt aus meiner Sicht auch von dem tatsächlichen Problem ab, wie wir eine erfolgreiche Integration im Interesse aller in Berlin lebenden Menschen erreichen. Der Umstand, dass gerade in Bezirken wie Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte oder Wedding erhebliche Teile der Bevölkerung nicht wählen können, liegt doch nicht in erster Linie an unserem Wahlsystem, sondern vielmehr daran, dass sich die Betroffenen – aus ihrer Sicht sicher zu Recht – entschieden haben, die deutsche Staatsbürgerschaft nicht anzunehmen.

[Martin Delius (PIRATEN): Das ist ja so einfach!]

Anders als die Grünen gehen wir davon aus, dass nicht der deutsche Staat durch die Vergabe des Wahlrechts in Vorleistung treten muss, sondern dass die deutsche Staatsbürgerschaft und damit auch das Wahlrecht auf allen Ebenen am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses stehen sollte.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zuruf von Martin Delius (PIRATEN)]

Immer wieder wird in der Diskussion über das kommunale Ausländerwahlrecht diskutiert, dass, wer in Deutschland Steuern zahlt, auch wählen können sollte.

[Dr. Turgut Altug (GRÜNE) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Aber weder rechtlich noch tatsächlich besteht ein Zusammenhang zwischen der Staatsbürgerschaft, dem Wahlrecht und der Pflicht, Steuern zu zahlen; denn mit Steuern werden in Deutschland Straßen, Schulen, U-Bahnen und Krankenhäuser gebaut, also Infrastruktur geschaffen. Von dieser Infrastruktur profitieren alle in Deutschland lebenden Menschen, gleich, welcher Nationalität.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Abgeordnete?

Nein, danke! – Deswegen ist es auch gerecht, wenn alle Steuern zahlen, sofern ihr Einkommen dieses hergibt.

Zuletzt möchte ich noch einmal deutlich machen, dass wir die Einführung eines kommunalen Ausländerwahlrechts nicht nur integrationspolitisch für das falsche Zeichen halten, sondern auch erhebliche rechtliche Bedenken haben. Ohne Verfassungsänderung – das hat das Bundesverfassungsgericht ganz klar entschieden – ist ein kommunales Ausländerwahlrecht in Deutschland nicht möglich; denn das Wahlrecht ist, wie übrigens in allen anderen Staaten dieser Welt auch, an die Staatsbürgerschaft geknüpft. Es ist auch von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes nicht gewollt, dass nur das Staatsvolk die politischen Geschicke dieses Landes bestimmen soll. Das gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass Drittstaaten, wie beispielsweise die Türkei, immer wieder explizit versuchen, über ihre in Deutschland lebenden Staatsangehörigen Einfluss auf die hiesige Politik zu nehmen. Das dieses nicht in unser aller Interesse sein kann, darüber sind wir uns in diesem Hause hoffentlich einig. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Frau Seibeld! – Für die Piratenfraktion hat der Abgeordnete Reinhardt das Wort. – Bitte sehr, Herr Reinhardt!

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Berlin ist arm, aber sexy, heißt es. Darüber kann man natürlich streiten. Sicher ist, es ist reich an Menschen mit vielen verschiedenen kulturellen Hintergründen, Menschen, die ihr Wissen, ihre Erfahrung und ihr Engagement gerne dieser Stadt zur Verfügung stellen würden. Dieses kann auf vielerlei Weise geschehen – durch Teilnahme an und Initiation von Bürgerbegehren und Befragungen und auch durch Wahlen, durch die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts.

Wir sind dabei, uns dieses Reichtums zu berauben. 470 000 Nichtdeutsche – ich spreche hier explizit von Nichtdeutschen, denn dieses schließt staatenlose Menschen, wie etwa Palästinenser oder Kurden, ein – dürfen in Berlin nicht wählen. Ich möchte Frau Bayram darauf hinweisen, dass natürlich nicht nur 470 000 Menschen nicht wählen dürfen, sondern dass auch Menschen unter 18 nicht wählen dürfen. Das heißt, die Zahl der Menschen, die in Berlin nicht wählen dürfen, beträgt weit über 1 Million – ein Punkt, der in diesem Hause sicherlich auch noch mal zur Debatte kommen wird. Wir Piraten fordern, dass diese Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Berlin haben, die städtische Politik mitbestimmen können. Wir wollen das bereits geltende Wahlrecht auf EU-Bürger auf kommunaler Ebene ausweiten, um ihnen zu ermöglichen, aktiv an der Gestaltung des Umfelds teilzuhaben. Dieses ist in unser aller Interesse, denn Demokratie kann einen entscheidenden Beitrag zur Integration leisten. Ich zitiere „Mehr Demokratie e. V.“: