Noch ist der Anteil einkommensschwacher Familien in Innenstadtbezirken wie Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln überdurchschnittlich hoch. Der Anteil wird aber geringer und das nicht, weil der Senat eine gute Arbeitsmarktpolitik betreibt, sondern weil die Menschen, die arbeitslos sind oder geringe Einkommen haben, sich ihre Wohnungen dort nicht mehr leisten können. Diese Verdrängung zeigt sich in ganz Berlin wellenartig. Dabei geht es immer mehr weiter nach draußen an den Stadtrand. Sie sind es den Berlinerinnen und Berlinern bis heute schuldig geblieben, angemessenen Wohnraum zu schaffen und zu vermeiden, dass sich diese Stadt sozial spaltet. Sonst würden wir heute gar nicht über dieses Thema reden müssen.
Um diesen Trend umzukehren, braucht es zusätzlich zu den Maßnahmen im Bestand auch Neubau. Bezahlbarer Neubau wird bei der Linderung der Wohnungsknappheit aber immer ein Tropfen auf dem heißen Stein sein. Trotzdem, auf den lange angekündigten Wohnungsbaufonds warten wir immer noch. Das Berichtsdatum des rot-schwarzen Antrags vom Herbst wurde auf Ende April verschoben. Das ist zu spät, denn die Neubauzahlen zeigen zwar einen Anstieg von Neubau und Baugenehmigungen, aber es gibt immer noch keinen geförderten Wohnungsbau. Der geht sogar immer mehr verloren. Wenn man sich anschaut, was gebaut wird, wird schnell klar, dass mit Wohnungen im Luxussegment keine Entlastung des Wohnungsmarkts zu erwarten ist. Wer die politische Aufgabe, bezahlbare Wohnungen für alle zu schaffen, nicht angemessen löst, der riskiert den sozialen Frieden im Land.
Die zentrale Frage von heute lautet doch: In welcher Stadt wollen wir leben? – Wollen wir in einer Stadt leben, in der die Menschen Spielbälle von Spekulanten sind? Wollen wir in einer Stadt leben, in der sich nur noch Reiche eine Wohnung leisten können? Wollen wir in einer Stadt leben, in der allein Investoren darüber entscheiden, wer im Kiez leben darf? – Nein! Wohnen ist ein Menschenrecht, weil es elementar ist für die Lebensqualität. Es entscheidet über Lebenschancen. Ich bin nicht aus Bayern hierher gezogen, damit Sie, Herr Wowereit, aus Berlin München, London oder Paris machen.
Noch ist Berlin die größte Mieterstadt in Europa, die nicht in Arm und Reich geteilt ist. Noch haben Sie die Chance, die verfehlte Wohnungspolitik von damals zu korrigieren. Also: los geht’s!
Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Kollege Brauner das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Höfinghoff! Bei Ihrer Rede habe ich mich in der Tat gefragt, ob Sie den Sozialstrukturatlas überhaupt gelesen haben.
Irgendwie beschlich mich der Eindruck, Sie haben einen Zeitungsartikel gelesen, meinten, es sei wunderbar, den könne man nehmen, hier diskutieren und die angeblich verfehlte Wohnungspolitik stigmatisieren und gleichzeitig auch noch die Menschen in ein Licht rücken, das unseres Erachtens total inakzeptabel ist.
Das nenne ich nicht nur schlechte Arbeit, sondern das nenne ich auch verantwortungslos, wie Sie hier handeln.
Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Im Sozialstrukturatlas – wenn Sie überhaupt das Quartier Heerstraße Nord dort finden wollen, dafür müssen Sie nämlich ein bisschen suchen – liegt das Quartier Heerstraße Nord auf Platz 111 von 144, also schon einmal nicht auf dem letzten Platz. Das ist nur der Sozialstrukturatlas, Indizes Teil 1. Wenn Sie auf Teil 2 schauen, sehen sie, dass das Quartier auf Platz 60 von 144 liegt. Der Artikel mag das Eine sein, gesunde Recherche und damit die Basis für vernünftige Politik legt man, indem man sich mit den Fakten beschäftigt und nicht einfach nur polemisiert. Wir machen das Richtige!
Ich will Sie mit noch einer Zahl konfrontieren, die den Artikel, glaube ich, in das richtige Licht rückt. 36 Prozent sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, 40 Prozent sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Die eine Zahl gehört zu dem LOR – wie das so schön heißt – Kurfürstendamm, die andere Zahl gehört zur Heerstraße Nord. Jetzt raten Sie einmal, welche Zahl wo steht! Die 40 Prozent stehen bei Heerstraße Nord. Das, denke ich, ist ein guter Wert. Das müsste man lesen, bevor man hier eine solche Anfrage mit dieser Tonalität stellt.
Die Koalition setzt sich seit je her intensiv für den sozialen Ausgleich ein. Wir haben die Wohnungspolitik neu ausgerichtet, nachdem wir hier gestartet sind. Auch die Wohnungspolitik der Achtzigerjahre, Frau Spranger hat das vorhin sehr gut erwähnt, stand vor dem Problem des
massiven Mangels an Wohnraum – und in der Tat in Ost und West. Und das wurde und musste mit einer verdichteten Bebauung realisiert werden, weil wir ja – man könnte sich vielleicht erinnern – eine besondere Situation zwischen den Stadtteilen, z. B. Friedrichshain und Kreuzberg hatten. Das betraf beide Seiten, insofern ist an beiden Seiten an den Stadträndern intensiv gebaut und in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch intensiv saniert worden. Wenn Sie sich ein bisschen vorbereitet hätten, hätten Sie z. B. finden können, dass die GESOBAU – erst vor wenigen Monaten ausgezeichnet mit dem Deutschen Bauherrenpreis – über 500 Millionen Euro in das Märkische Viertel gesteckt hat. So sieht ein Bereich aus, in den investiert wird, mit massiven Mitteln. Ich kann nicht erkennen, dass wir hier Bereiche hinten lassen, sondern im Gegenteil, es ist kostenneutral saniert worden in dem Bereich, was vorbildlich war, bundesweit ausgezeichnet wurde – und das in einer Großwohnsiedlung am Stadtrand. Das ist vernünftige Politik!
Nein, Kollege! Setzen Sie sich mit den Details auseinander! – Über das Quartiersmanagement wurden in den letzten Jahren fast 300 Millionen Euro in die verschiedenen Bereiche investiert. Wenn wir in die Großwohnsiedlungen im östlichen Stadtteil gehen, dann schauen Sie sich die Investitionsvolumina an, die beispielsweise die HOWOGE in die Bestände gesteckt hat. Schauen Sie sich das nur mal an, die Milliarden, die in die Sanierung und Ertüchtigung von Plattenbauten geflossen sind! All das sind Summen, die das Land direkt oder indirekt zur Verfügung gestellt hat. Und ich glaube, das ist eine Investition in die Bereiche, und das ist kein Hintenlassen, sondern ein Voranbringen. Und am Ende sehen wir jetzt hier auch, wenn Sie die Zahl nehmen, Platz 60 von 144 im Sozialstrukturatlas-Ranking der Situationen, dass die Bereiche ausgeglichen sind. Sie sind vielleicht nicht schön, aber sie sind nicht so, wie Sie sie beschreiben, sondern sie sind deshalb in einem vernünftigen Umfeld, weil hier kontinuierlich investiert wird und in einigen Bereichen jetzt auch in den letzten Jahren investiert wurde bzw. dies angegangen wird.
Ich will ein anderes Beispiel sagen: Marienfelde. Die DEGEWO investiert in einem Bereich – das Quartier nennt sie nun „Mariengrün“, übrigens gerade vor wenigen Tagen vom BBU für ein Projekt mit „Gewohnt gut“ ausgezeichnet – ebenfalls einen massiven Betrag für die Ertüchtigung und für die Umgestaltung dieses Quartiers.
Sie werden investieren. In die Quartiere wird energetisch investiert. In die Quartiere wird differenziert investiert. In den Quartieren werden mit unterschiedlichen Investi
tionssummen differenzierte Wohnangebote geschaffen. Man könnte sagen, eine Blaupause, wie man Großwohnsiedlungen zum einen für Familien attraktiv macht und zum anderen aber auch Mieten in einem Bereich hält, indem man nicht zu viel investiert, damit sie auch andere Einkommensgruppen halten können. Das ist dort, man kann schon sagen, mustergültig, deswegen auch prämiert vom BBU, geschehen und wird in dem Bereich geschehen. Das ist eine ausgleichende Politik und auch eine bewusste Politik, wie wir sie von unseren Landesunternehmen erwarten. Wir haben ihnen nämlich auch die Aufgabe gestellt, zum einen individuell die Einkommenssituation der Mieter zu berücksichtigen, indem wir sagen, wir kappen bei maximal 30 Prozent der Haushaltsbelastung. Wir haben eine individuelle Quote, was WBSAnteil angeht bei Neuvermietungen; im Innenstadtbereich höher, im Außenstadtbereich etwas niedriger. All diese Themen werden hier umgesetzt, und all diese Themen haben wir mit Beginn dieser Koalition z. B. im Bündnis formuliert, und die städtischen Gesellschaften setzen das Stück für Stück um – und im Bereich Mariengrün, wie es die DEGEWO tut, auch vernünftig. Das ist nachhaltige Wohnungspolitik.
Das glaube ich nicht. Wenn Sie sich die Fakten ansehen, Herr Höfinghoff! Die Fraktion hat, glaube ich, schon ganz gut geklatscht und sehr deutlich gemacht, wie auch unser Koalitionspartner, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind. Wir tun das im Bestand, genauso wie wir unsere Wohnungspolitik ausgerichtet haben, was den Neubau angeht. Wir haben einen Förderfonds beschlossen – ich will das hier nur noch mal wiederholen, weil das anscheinend immer nicht in die Köpfe geht –, der steht im Haushalt, der ist untersetzt und finanziert; mit dem können wir bis zu 30 000 neue Wohnungen bauen. Es gibt einen erklecklichen Anteil von ca. einem Drittel geförderten Wohnungen im Neubau mit Mieten zwischen 6 und 8 Euro als gefördertes Segment.
Herr Brauner! Weil wir das, glaube ich, jetzt nicht mehr geklärt kriegen und es da ja verschiedene Sichtweisen zwischen Opposition und Koalition gibt: Können wir uns darauf einigen, uns in 20 Jahren noch mal zusammenzusetzen mit dem Wortprotokoll dieser Sitzung und dann wenigstens darüber zu reden und uns dann darauf zu
Herr Lauer! Sie haben ja schon mitbekommen, wir sehen uns immer Zahlen, Daten und Fakten an, und natürlich können wir auch in 20 Jahren darüber reden. Wir sind an der Stelle überzeugt, dass wir die richtigen Konzepte haben und auch die richtigen Konzepte für die Stadt umsetzen.
Ich war beim Wohnungsbauförderfonds, den ich gerade ausformuliert hatte. An der Stelle vielleicht noch mal die Zahlen: 10 000 geförderte Wohnungen, 30 000 neu gebaute Wohnungen. Wir haben eine Zuzugsprognose, eine Bedarfsprognose, die damit korreliert. Das haben wir im Rahmen der StEP-Wohnen-Diskussion schon deutlich gemacht. Wir haben gleichzeitig gesagt, dass wir Regulierung betreiben, um Zerwürfnisse, die in dieser Transformationsphase üblich sind, zu begrenzen. Wir haben ein Zweckentfremdungsverbotsgesetz beschlossen. Wir haben ein Bündnis für Wohnen mit den städtischen Unternehmen gestaltet. Ich hatte vorhin schon darauf rekurriert, ich will es hier nur noch einmal zusammenfassen, weil das ja immer wieder kommt. Das regelt zum einen eine individuelle Kappung von maximal 30 Prozent des Haushaltseinkommens für die Miete. Das war ein ganz wichtiger Schritt. Und wir haben natürlich auch die verschiedenen Quoten und die Fokussierung auf WBS-Empfänger in der Neuvermietung gelegt. Ich kann Ihnen sagen – es wird auch einen Bericht hierzu geben –, die städtischen Wohnungsgesellschaften setzen das stringent um. Manchmal – das ist ganz überraschend – gibt es gar nicht so viel Bedarf, wie wir mitunter sehen. Und das hat auch etwas damit zu tun, dass die wirtschaftliche Lage in der Stadt sich verbessert hat.
Das ist noch ein grundsätzlicher Punkt, zu dem ich hier auch kommen will. Wohnungspolitik steht nicht am Anfang, sondern ist Bestandteil der Politik. Aber vernünftige Sozialpolitik bedeutet auch, dass man vernünftige Wirtschaftspolitik in dieser Stadt betreibt. Wir können erkennen: In den letzten Jahren hat sich die wirtschaftliche Situation Berlins deutlich verbessert. Das Haushaltseinkommen ist gestiegen,
berlinweit in Summe. Sie können ja mal wieder nachlesen, ich sage es mal: Lesen bildet. Auch das Lesen eines Sozialstrukturatlasses bildet. Daraus werden Sie erkennen, dass selbst in den unteren Einkommensdritteln die Einkommen entsprechend gestiegen sind. Das wandert
natürlich mit. Insofern ist unser Ziel, dass wir ein möglichst hohes und auch in der Breite gutes Berliner Einkommen haben. Und wenn Sie sehen, wie die durchschnittliche Entwicklung ist, sind wir hier auf dem richtigen Weg. Das ist ein Ergebnis auch deshalb, weil die Beschäftigungssituation sich verbessert hat. Und da will ich noch mal auf die Zahl kommen, die ich eingangs gesagt habe: 40 Prozent Beschäftigung Heerstraße Nord, 36 Prozent Kurfürstendamm. Das sind die Zahlen, die deutlich machen, dass wir auch in den Bereichen, wo vermeintlich vielleicht schwierige Situationen sind, eine gute Beschäftigung und damit auch die Basis haben, dass Einkommen sich in Zukunft entwickeln wird. Und daran arbeiten wir. Wohnungspolitik, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik sind hier in einem Einklang. Das bringen wir erfolgreich voran und stigmatisieren nicht einfach Menschen, sondern wir tun was, handeln und investieren. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Kollege Brauner! – Jetzt hat Frau Kollegin Lompscher das Wort für die Fraktion Die Linke. – Bitte schön, Frau Kollegin!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Respekt, Herr Brauner, dass Sie die 400 Seiten Sozialstrukturatlas schon studiert haben. Ich habe es nicht vollständig geschafft.
Allerdings hat mich der Titel der Aktuellen Stunde, den die Piraten angemeldet haben, auch verwirrt. Was wäre denn aktuell daran, über die gescheiterte Wohnungspolitik der Achtzigerjahre zu reden, und was genau meinen Sie? Das ist mir auch nach dem Beitrag nicht klar geworden. Soll der Senat tatsächlich gegen die Stadtviertel am Stadtrand vorgehen oder nicht eben gegen die sich dort verfestigende Armut? Und was ist eigentlich mit den innerstädtischen Armutsgebieten? Hat da die Wohnungspolitik der Achtziger funktioniert? Nicht zu reden von den neuen und alten Reichtumsinseln in der Mitte und am Rand dieser Stadt.
Warum die Koalition diesem Thema den Vorzug gegeben hat, erschließt sich mir ebenso wenig, genauso wie die Intention der Piraten bei der Titelwahl. Worum es wirklich geht und was auch Piraten wissen könnten: Es geht offenbar nicht um das städtebauliche Phänomen, größere Siedlungen am Rand der Städte zu bauen, wenn die Städte innen keinen Platz dafür haben. Was die Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts in dieser Frage von den Sechziger- und Siebzigerjahren unterscheidet, ist auch nach den bisherigen Ausführungen nicht deutlich geworden. Ich möchte deshalb, ebenso wie Herr Brauner, auf die Ergebnisse des Sozialstrukturatlas eingehen. Das ist angesichts
verfestigter sozialer Ungleichheit in Berlin durchaus sinnvoll, sollte aber auf der Basis einer gründlicheren Analyse erfolgen, als es heute möglich ist. – Die Papiere liegen ja auf dem Tisch.
Lassen Sie mich zunächst noch einmal darauf hinweisen – und das nicht nur, weil ich selbst als Senatorin für den Sozialstrukturatlas 2008 verantwortlich war –, dass Berlin mit dem Sozialstrukturatlas über ein herausragendes und vorbildliches Analyseinstrument verfügt. Die integrierte Sozial- und Gesundheitsberichterstattung erfolgt auf einem bemerkenswert hohen Niveau und liefert für die Politik wertvolle Informationen. Insofern ist es durchaus bedauerlich, dass der handlungsorientierte Teil dieses neuen Sozialstrukturatlasses ausschließlich zu den Themen Stadtteilzentren, Pflege, Gesundheitsprävention, ärztliche Versorgung und Psychiatrieplanung konkreter wird. Das ist zwar angesichts des Herausgebers zunächst naheliegend, verschenkt aber die Möglichkeiten eines integrierten politischen Ansatzes.