Wenn Sie sich die aktuelle Debatte am Oranienplatz anschauen, fragen wir uns und frage ich auch Sie, ob Sie sich in der Reihe eher hinten bei Herrn Henkel anstellen würden, der dort die Polizei hinschicken wollte, oder sich zu Frau Kolat gesellen würden, die sich Zeit nimmt, um mit den Menschen zu reden und eine Lösung zu finden. Entscheiden Sie sich und stimmen Sie für unseren Antrag. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Bayram! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Lehmann. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Rahmen der Organisationsentwicklung der Ausländerbehörde wird der Dienstleistungsgedanke stärker verankert. So steht es in der Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU in dieser Wahlperiode. Das ist richtig und meines Erachtens auch dringend erforderlich, denn das ist bisweilen noch nicht bei einer Vielzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dieser Behörde angekommen. Ich weiß, wovon ich rede, da ich in den letzten 13 Jahren viele betroffene Personen begleitet habe und dementsprechend einiges zu berichten hätte. Dazu reicht aber meine Zeit nicht aus. Ich möchte nur drei kurze Beispiele erwähnen, die ich miterlebt habe.
Erstens: Ein freiberuflicher Fotograf, der über 30 Jahre in unserem Land gearbeitet hat und somit in unsere Systeme
eingezahlt hat, wurde bei Renteneintritt von der Ausländerbehörde aufgefordert, unser Land zu verlassen, da er nicht mehr in der Lage sei, sein Einkommen zu erwirtschaften.
Zweitens: Eine Zuwandererfamilie türkischen Ursprungs aus einem kleinen Dort, hergekommen als erste Generation damaliger Gastarbeiter – die Söhne sind mittlerweile als deutsche Staatsbürger zum Teil in leitenden Positionen –, wurde von der Ausländerbehörde aufgefordert, in die Türkei zu reisen, um Papiere zu besorgen, die nachweisen sollen, dass die Eltern, inzwischen 75 Jahre und 73 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen, damals legal in die Bundesrepublik gekommen sind, da nicht alle Unterlagen vollständig seien; ansonsten drohe die Abschiebung.
Drittens: Hier geht es um den Fall eines russischen Verlegers, der in Berlin ein Unternehmen gegründet hat, dort acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie über 20 freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, trotzdem aber die Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung verlieren sollte, da sein Verlag in den letzten Jahren kein positives Jahresergebnis erzielen konnte, obwohl die Bilanzen ganz anders aussahen.
In all diesen Fällen konnten positive Ergebnisse erreicht werden, aber auch nur, weil der parlamentarische Raum hier auf die spezifischen Situationen geschaut hat. Ich hätte diese Dinge gern mit der Ausländerbehörde direkt vor Ort erläutert, aber aufgrund meiner Aktivitäten bekomme ich seit vier Jahren keinen Gesprächstermin mehr in dieser Behörde und muss alles schriftlich tun.
Trotzdem bin ich der Meinung, dass der Antrag der Grünen in die falsche Richtung geht. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen legt uns einen Antrag mit dem Titel vor – er steht oben – Willkommenskultur umsetzen – Ausländerbehörde wird Einwanderungsbehörde. Das ist ein interessanter Antrag, könnte man meinen,
wenn nicht der erste Teil der Forderung – der Senat soll aufgefordert werden, die Zuständigkeit für die Abteilung Ausländerangelegenheiten der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen zu übertragen – etliche Monate zu spät kommt. Der Ressortzuschnitt wird am Anfang einer Regierungskoalition einer Wahlperiode festgelegt.
Eine Änderung ist in der Regel im Lauf der Legislaturperiode nicht üblich und ein Wechsel daher unwahrscheinlich.
Ihr Antrag ist, was diesen ersten Teil betrifft, ein wirklich schöner Schaufensterantrag mit viel Luft und wenig Inhalt – das kann man auch sagen –, zumal keine drängenden Gründe vorliegen, das so zu ändern.
Nein! Ich möchte gern den Bogen zu Ende spannen. – Vielmehr sollte man die Dinge ändern, die ich eben beschrieben habe. Die Begründung des Antrags gibt auch keine fundierten Hinweise her. Wenn dafür besondere Hinweise vorliegen sollten, muss es der Antragsteller darlegen. Er hat es uns aber nicht dargestellt und hat uns nicht überzeugt.
Kommen wir zum zweiten Teil des Antrags: Der Antragsteller fordert den Senat auf, die Bezeichnung Ausländerbehörde um den Zusatz Einwanderungsbehörde zu ergänzen. Auf den ersten Blick könnte man denken: Warum nicht? Aber lassen Sie uns erst einmal über die Kriterien sprechen. Was genau soll eine Einwanderungsbehörde erfüllen, wenn sie nicht nur den Namen an der Tür über der Eingangstür tragen soll, sondern auch für die Betroffenen etwas anbieten soll? Kann das diese Ausländerbehörde überhaupt? Ist hier vielleicht etwas anderes gemeint, und es soll in Salamitaktik eingefordert werden?
Erst den Titel ändern, dann meckern, dass dieser Titel den Ansprüchen und Erwartungen nicht gerecht wird, dann Forderungen stellen und meckern, dass diese nicht umgesetzt werden, so werden wir den Problemen der Betroffenen mit der Ausländerbehörde und den Verbesserungen der Leistungen, aber auch der Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht gerecht.
Sie haben auch heute nicht gesagt, was Sie genau machen wollen. Deshalb werden wir bei unserer Ablehnung bleiben. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Lehmann! – Für die Linksfraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Taş. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Lehmann! Es würde mich nicht mehr wundern, wenn Sie bei der Ausländerbehörde in ein paar Tagen sogar Hausverbot bekämen. Sie sollten darüber vielleicht einmal mit
Herrn Henkel reden. Vielleicht kann er Ihnen dabei helfen, dass Sie trotzdem die Ausländerbehörde besuchen können.
Lieber Herr Lehmann! Im Koalitionsvertrag zur Bildung der neuen Bundesregierung ist zwischen Union und SPD übrigens Folgendes vereinbart worden. Ich darf zitieren:
Für die Verbesserung der Willkommenskultur haben Ausländerbehörden eine Schlüsselfunktion inne. Viele Ausländerbehörden haben daher begonnen, den Dienstleistungscharakter für Migranten mehr in den Vordergrund zu stellen. Wir begrüßen diese Entwicklung, wollen sie mit den Ländern zusammen weiter stärken und werden Kommunen durch ein Beratungspaket und Schulungsangebot gezielt darin unterstützen.
Der Innenausschuss, Herr Lehmann, hat mit den Stimmen der Koalition einen diesbezüglichen Antrag zur Umgestaltung der Berliner Ausländerbehörde abgelehnt. Es stellt sich die Frage: Warum wurde dieser Antrag von der gleichen Regierungskoalition wie im Bund abgelehnt? – Erster Erklärungsversuch: Was im Koalitionsvertrag auf Bundesebene steht, ist unsinnig, kommt deshalb für Berlin nicht infrage.
Zweiter Erklärungsversuch: Die Berliner Ausländerbehörde ist bereits eine Dienstleistungsbehörde, die durch und durch von einer Willkommenskultur durchsetzt ist. Deshalb gibt es keinen Handlungsbedarf.
[Vereinzelte Heiterkeit bei den GRÜNEN Dritter Erklärungsversuch: Die Koalitionsparteien halten es für angemessen, dass in der weltoffenen Stadt Berlin die Ausländerbehörde die Menschen wie Bittsteller be- handelt, unhöflich und unfreundlich, ja in mehr als Ein- zelfällen zugezogene Ehepartner gar fragt, warum sie denn ihr Familienleben nicht in der Heimat weiterführen wollen. Kolleginnen und Kollegen von der Koalition! Bevor Sie sich hier künstlich aufregen: Das sind Tatsachen bzw. Erlebnisberichte. Ich habe keinen Anlass, am Wahrheits- gehalt von Erfahrungsberichten der Betroffenen zu zwei- feln, zumal auch Kolleginnen und Kollegen in diversen Beratungsstellen Ähnliches berichten. Wir haben gerade auch Herrn Lehmann dazu gehört. Natürlich gibt es auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Ausländerbehör- de, die diesem Muster nicht folgen. Das sind aber rühmli- che Ausnahmen. Die Ausländerbehörde wird von vielen Menschen, die existenziell auf sie angewiesen sind, im- mer noch als Einrichtung wahrgenommen, die in erster Linie auf Abwehr und Abschottung setzt, die sich eher als Ordnungsbehörde denn als Serviceinstitution gebärdet. Dass die Berliner CDU dies so sieht, ist belegt. In der Beantwortung der Wahlprüfsteine des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg – TBB –, veröffentlicht am 25. Au- gust 2011, hat die CDU zu der Forderung, die Ausländer- behörde der Integrationsverwaltung zu unterstellen, wie folgt Stellung genommen – ich darf wieder kurz zitie- ren –: Die Ausländerbehörde muss den Vollzug des Aus- länderrechts garantieren und ist keine Sozialbera- tungsstelle. [Heiterkeit bei den GRÜNEN]
Die Abwehrhaltung der Behörde ist natürlich Teil ihres gesetzlichen Auftrags. Wie heißt es so schön in § 1 Abs. 1 des angeblichen Zuwanderungsgesetzes:
Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland.
Herr Juhnke! Wenn Sie heute zuhören, können Sie noch was dazulernen. – Deshalb ist auch der Koalitionsvertrag auf Bundesebene wenig glaubwürdig, denn mit diesem Zuwanderungsrecht kann eigentlich keine Willkommenskultur etabliert werden.
Trotzdem hätte natürlich das Land Berlin Möglichkeiten und Instrumente zur Änderung der Atmosphäre in dieser Behörde. Deswegen müssen sich selbstverständlich die Begrifflichkeiten der Behörde weiter grundsätzlich verändern. Es ist auf jeden Fall sinnvoll, die Ausländerbehörde aus der Zuständigkeit der Senatsverwaltung für Inneres herauszulösen, denn es geht nicht um Sicherheitsfragen, sondern um Aufenthaltsrecht und die Integrationsperspektiven. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Herr Taş! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt das Wort Herr Abgeordneter Dr. Juhnke. – Bitte sehr!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich könnte natürlich jetzt, wo vielleicht zum letzten Mal die Chance besteht, hier zu so später Stunde zu reden, der Verlockung erliegen, das auszuwalzen, aber, Herr Taş, Sie haben mir ja fast alles weggenommen. Ich kann ja gar nicht mehr viel sagen. Sie haben schon alle Argumente genannt, die dagegen sprechen, diesem Antrag beizupflichten. Vielen Dank, dass Sie schon einen Teil meiner Aufgabe übernommen haben! Das freut mich und spart uns allen Zeit.
In diesem zweizeiligen Antrag geht es zum einen um die Verlagerung der Zuständigkeit. Dazu ist in der Tat schon
einiges gesagt worden. Es gibt in dem Zusammenhang Aufgaben, die nur die Innenverwaltung sinnvoll erfüllen kann. Dazu gehören z. B. aufenthaltsbeendende Maßnahmen und anderes. Von daher ist eine Anbindung, wie sie bisher besteht, auch sinnvoll.
Der zweite Spiegelstrich ist ein Schildertausch, den Sie vornehmen und sozusagen als Placebohandlung für das einsetzen wollen, was in Wirklichkeit Ihre Probleme und Ihre Kritik sind. Das wurde ja auch in der Ausschussberatung deutlich, die ein bisschen extensiver geführt wurde, als es diese Debatten hier zeigen. Da haben Sie das ganze Spiegelbild der Kritik wieder dargelegt, die Sie grundsätzlich an dem Ausländer-, Einwanderungs-, Flüchtlingsrecht und was auch immer der Bundesrepublik Deutschland haben. Ihr Ziel ist es ja, letztendlich eine freie Grenze mit bedingungslosen Zuzugsmöglichkeiten für alle zuzulassen. Das ist ja das, was sich von A bis Z durch Ihre Politik durchzieht, also die Politik der Grünen, aber auch der Linken.
Das hat im Übrigen auch gar nichts mit Einwanderung zu tun, weil jedes Einwanderungsland sich genau Gedanken darüber macht, wer eigentlich in das Land ziehen kann, wer die notwendigen Qualifikationen und Voraussetzungen überhaupt mitbringt, um dort leben zu dürfen. Von daher ist es auch ein Etikettenschwindel, wenn Sie das dann tatsächlich als Einwanderung bezeichnen. – Aber das nur mal am Rande.