Protocol of the Session on October 24, 2013

Vielen Dank, Herr Prieß! – Dann treten wir in eine zweite Rederunde ein. Mir liegt die Wortmeldung für die SPDFraktion vor. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schneider. – Sie verzichten. Gut, dann ist für die Linksfraktion Herr Dr. Lederer angemeldet. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Damen und Herren! Als hier in Berlin die Instrumente direkter Demokratie eingeführt worden sind, war es insbesondere die CDU, die gesagt hat, diese Instrumente brauchen wir nicht, denn diejenigen, die hier im Haus sitzen, wissen viel besser, was den Berlinerinnen und Berlinern guttut. Es war die SPD, die seinerzeit gesagt hat, direkte Demokratie auf Landesebene, das unterhöhlt doch die repräsentative Demokratie. Und erst als der Regierende Bürgermeister – im Gegenzug zur Einführung nennenswerter direktdemokratischer Instrumente auf

(Harald Wolf)

Landesebene – die Richtlinienkompetenz bekommen hat, eine Richtlinienkompetenz – nebenbei bemerkt –, aus der er bis heute nichts gemacht hat, denn Energiewende und Strom waren schon mal Chefsache, allerdings unter rotroten Verhältnissen, hat sich die SPD dann bereitgefunden, der direkten Demokratie in diesem Haus zu einer etwas breiteren Durchsetzung zu verhelfen.

Inzwischen können wir zurückgucken auf mehrere Volksentscheide. Wir haben über Tempelhof abgestimmt – wir erinnern uns, wie gerade die CDU seinerzeit die Festlegung des Abstimmungstermins moniert hat, und heute erinnert sie sich überhaupt nicht mehr daran –, und wir haben über Pro Reli diskutiert und abgestimmt. – Damals hatte man sich entschieden zu sagen, wir gucken lieber in die Zukunft als in die Vergangenheit; eine Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner fand die Bremer Klausel erhaltenswert. – Wir hatten den Wasser-Volksentscheid, wo vielleicht das einzige Mal die Ausnahme existierte, dass die Verträge tatsächlich offengelegt waren, aber man hat diesem Senat, dem rot-roten Senat seinerzeit misstraut und ihm nicht zugetraut, mit den Belangen der Bürgerinnen und Bürger offen und ehrlich umzugehen.

Wir haben jetzt den Energie-Volksentscheid vor uns liegen, weil eine beträchtliche Anzahl von Berlinerinnen und Berlinern es geschafft hat, das Quorum, das zur Durchführung eines Volksentscheids erforderlich ist, zu überschreiten.

Jetzt hören wir hier, nachdem es gestern Abend vorgeschlagen wurde, dass ein Stadtwerk an ein Unternehmen angegliedert werden soll, das dem Land Berlin noch nicht einmal vollständig gehört, weil es die Koalition auch nicht geschafft hat, sich bis heute auf eine Wasserpreissenkung zu einigen, und wir deswegen heute nicht den Rückkauf verhandeln können. Aber Frau Yzer, lieber Herr Dr. Garmer, hat uns vorhin erklärt, Sie könne überhaupt noch nichts dazu sagen, wie die Wasserpreise gesenkt werden, denn das Unternehmen gehört dem Land Berlin noch nicht. Sie drehen es, wie Sie wollen, und schon das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass Sie die Berlinerinnen und Berliner für blöde verkaufen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Wenn es SPD und CDU ernst gemeint hätten mit einem Stadtwerkskonzept, einem Rekommunalisierungskonzept für die Stromnetze, das sie den Bürgerinnen und Bürgern zur Debatte hätten unterbreiten wollen, dann hätten sie vor mehr als 60 Tagen einen Gesetzentwurf vorlegen und gemeinsam mit dem Volksentscheid des Energietischs am Wochenende zur Abstimmung stellen sollen. Denn in § 30 des Abstimmungsgesetzes heißt es:

Das Abgeordnetenhaus von Berlin kann im Falle des Volksentscheids über einen Gesetzentwurf oder über einen sonstigen Beschlussentwurf einen eigenen Gesetzentwurf oder einen eigenen sonsti

gen Beschlussentwurf zur gleichzeitigen Abstimmung vorlegen.

Absatz 2:

Dieser Gesetzentwurf oder sonstige Beschlussentwurf muss spätestens 60 Tage vor dem Tag des Volksentscheids beschlossen sein.

Sie können hier erzählen, was Sie wollen: Diese Koalition war nicht in der Lage und zu feige, sich zu einigen. Deswegen liegt ein solcher alternativer Entwurf beim Volksentscheid nun nicht vor. Alles andere, was Sie hier versuchen, ist Austrickserei der Öffentlichkeit und Beruhigung der eigenen Basis, die vielleicht so etwas wie Rekommunalisierung gut findet – das ist insbesondere in der SPD der Fall.

Die Berlinerinnen und Berliner sollten am 3. November mit Ja stimmen. Das ist die einzige Chance, ein wirkliches Stadtwerk für unsere Stadt zu bekommen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt noch mal der Kollege Garmer das Wort – wir hatten ihn nicht aufgerufen.

[Joachim Esser (GRÜNE): Herr Buchholz! Auch Sie sollten ganz heimlich dorthin gehen und mit Ja stimmen!]

Bitte, Herr Garmer, Sie haben das Wort!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Wolf! Sie hatten vorhin BBH als Rechtsberater des Berliner Senats zitiert. Es gibt in der Vergangenheit eine Reihe von Konzessionsverfahren in vielen Städten, die nicht optimal gelaufen und teilweise gerichtlich wieder gerichtlich kassiert worden sind usw. Es spricht nichts dagegen, dass sowohl eine Anwaltskanzlei als auch der Berliner Senat aus diesen Fehlern, die in der Vergangenheit gemacht worden sind – auch Stuttgart ist nicht optimal gelaufen –, lernen und sich, wie man das in Berlin besser machen kann. In habe vollstes Vertrauen in Senator Nußbaum, dass wir hier ein diskriminierungsfreies und rechtlich absolut sauberes Verfahren hinbekommen, mit so viel Öffentlichkeit und Transparenz wie möglich.

Im Übrigen: Es ist so, dass die Kriterien, nach denen das Netz vergeben wird, im Gesetz stehen. In § 1 Energiewirtschaftsgesetz stehen die wichtigen Kriterien drin – alles Weitere sind nur abgeleitete Forderungen. Auch Verträge können nicht in jedem Fall – das wissen Sie als ehemaliger Senator – offengelegt werden, bevor sie

(Dr. Klaus Lederer)

unterschrieben sind und solange sie noch in den Verhandlungen sind. Das geht alles nicht, aber wie gesagt: Wir haben volles Vertrauen in Senator Nußbaum, dass das hier funktioniert.

Dann lassen Sie mich noch ein Wort zum Thema Stromhandel sagen: Sie kritisieren an dem von uns vorgeschlagenen Kompromiss, dass das Berliner Stadtwerk nicht in den allgemeinen Stromhandel einsteigen soll. Keine Kilowattstunde Strom wird billiger, keine Kilowattstunde Strom wird grüner, wenn sie vom Berliner Stadtwerk gehandelt wird anstatt der bisherigen 300 Stromhändler in Berlin, keine einzige Kilowattstunde.

[Gerwald Claus-Brunner (PIRATEN] : Das ist eine Lüge!]

Es macht politisch keinen Sinn, wenn ein Berliner Stadtwerk anfängt, an der Leipziger Strombörse zu zocken, wo der Strompreis volatil ist – mal mit Einspeisung der erneuerbaren, mal ohne Einspeisung. Das macht alles keinen Sinn.

Wir haben darauf gedrungen und uns damit glücklicherweise durchgesetzt: Wir werden ein Stadtwerk bekommen, das einen durchgerechneten Wirtschaftsplan hat, ein Stadtwerk, das kein Fass ohne Boden wird, ein Stadtwerk, das ökologischen, nachhaltigen Strom erzeugt, aber kein Fass ohne Boden wird.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Das Wort hat nun der Kollege Schäfer von den Grünen. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei allen Unterschieden, bei allem, was uns trennt – Sie empfehlen ein Nein zum Volksentscheid, und wir empfehlen ein Ja zum Volksentscheid –, sollte es eine Gemeinsamkeit geben. Da möchte ich Sie noch mal auf den Antrag Drucksache 17/1239 hinweisen, der den Titel hat: „Appell des Abgeordnetenhauses: Bitte, beteiligen Sie sich am 3. November 2013 am Volksentscheid über das Gesetz für die demokratische, ökologische und soziale Energieversorgung in Berlin.“ Dieser Antrag enthält keine Empfehlung, mit Ja oder Nein zu stimmen. Dieser Antrag enthält nur die Bitte des von den Berlinerinnen und Berlinern gewählten Parlaments an die Bevölkerung Berlins: Gehen Sie zur Abstimmung! Bitte beteiligen Sie sich an dieser Möglichkeit der direkten Demokratie! Ich hoffe und bitte darum, dass wir bei allen Unterschieden in der Sache hier gemeinsam ein starkes Zeichen setzen, gemeinsam dafür werben, dass man sich mit dieser komplexen Frage auseinandersetzt, sich eine Meinung bildet und am 3. November zur Wahl geht. Ich hoffe sehr, dass die Koalition dem auch zustimmt. Bitte lassen Sie uns

gemeinsam diesen Antrag verabschieden! Die Grundlage all unseres Streits ist, dass wir am Ende die Gemeinsamkeit haben, dass wir eine starke Demokratie in Berlin haben möchten. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Danke sehr! – Für die Piratenfraktion hat nun der Kollege Mayer das Wort. – Bitte!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Werte Gäste! Ich hätte noch einen konstruktiven Vorschlag für die Benennung des Stadtwerks, das Sie jetzt hier beschließen möchten. Es gibt so einen schönen Russen: Grigori Alexandrowitsch Potjomkin. Nach dem könnte man dieses Stadtwerk ganz gut benennen.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Was mich wirklich erstaunt, ist, dass die Debatte um Stadtwerk und Energiethemen ja schon seit Anfang der Legislaturperiode läuft. Gefühlt haben wir jede zweite Rede zu diesem Thema gehalten. Umso bedauerlicher ist es, wenn man sich anschaut, wo wir angekommen sind, obwohl ich anfangs das Gefühl hatte, dass die Einigkeit größer ist als die Differenzen.

Moment einmal, Herr Kollege! – Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die dort in den Gängen stehen und reden! Es stört. Ich würde doch bitten, die Aufmerksamkeit dem Redner zukommen zu lassen oder die Gespräche draußen fortzusetzen. Danke schön! – Bitte schön, Herr Mayer, setzen Sie fort!

Danke! Die Zeit ist jetzt weiter gelaufen, aber das macht nicht, es ist genug Zeit übrig, hoffe ich. – Wenn ich mir die Debatte heute anschaue, dann hat ein seltsames Realitätsverzerrungsfeld offenbar Besitz von diesem Parlament ergriffen, weil man gar nicht glaubt, was hier los war. Ich hatte auch das Gefühl, dass der eine oder andere Debattenteilnehmer, insbesondere Herr Buchholz, sich auch als Versicherungsvertreter wunderbar machen würde.

[Beifall bei den PIRATEN]

Das Verkaufstalent fand ich wirklich sehr bemerkenswert.

[Zuruf von der LINKEN: Würden Sie da eine Police abschließen? Wir nicht!]

Der eigentliche Punkt ist, wenn das nämlich stimmen würde, Herr Buchholz, was Sie sagten, dass Sie das alles

(Dr. Michael Garmer)

nur veranstalten, um jetzt dem Bürger die Wahl zu geben, dann könnten wir ja auch problemlos das Ganze in vier oder sechs oder acht Wochen noch einmal beraten. Dann kennen wir nämlich auch viel genauer den Bürgerwillen und könnten dann auch tatsächlich darauf reagieren.

Ich sehe nur zwei Möglichkeiten, leider ist unklar geblieben, welche von beiden jetzt tatsächlich zutrifft. Einmal gibt es die Möglichkeit, dass Sie das Gesetz jetzt verabschieden, um die Volksabstimmung möglichst zu Fall zu bringen und das der Volksabstimmung entgegenzusetzen. Oder Sie haben tatsächlich, wie schon geäußert wurde, die Befürchtung, dass Sie lieber diesen Spatz oder dieses Spätzchen jetzt in der Tasche haben wollen, aus Angst, wenn die Volksabstimmung nicht erfolgreich ist, dass dann am Ende überhaupt nichts da ist. Vermutlich hat beides dazu geführt, dass wir jetzt hier in dieser Situation sind. Ich sehe nach wie vor nicht, dass beim Senat irgendwo Leidenschaft für ein Stadtwerk brennt. Ich sehe nicht einmal etwas glühen oder dampfen. Die Ideen, wie wir gesehen haben, schrumpeln vor sich hin und am Ende des Tages wird wahrscheinlich gar nichts daraus werden.

Ich fand Herrn Wolfs Idee, doch vielleicht einfach die Berliner Bäderbetriebe zu nehmen, deutlich charmant. Da haben wir ja ohnehin sehr große Probleme und da stehen große Veränderungen an, also warum nicht gleich die Bäderbetriebe. Das sollten wir durchaus ernsthaft debattieren an der Stelle.

[Beifall bei den PIRATEN]

Was mich persönlich noch enttäuscht ist, dass bei mir einige Illusionen zerstört worden sind.

[Zuruf von der CDU: Oh!]

Ich dachte nämlich, es gäbe bei allem, was hier schief läuft, doch hinreichend viele Leute in Regierung und Parlament, die das alles schon einmal gemacht haben und die dafür sorgen, dass die Dinge doch irgendwie funktionieren und zum Laufen kommen. Aber das, was ich hier jetzt erlebt habe, das war nicht mal mit Karacho vor die Wand gefahren, sondern vor der Wand auch noch liegengeblieben.