Protocol of the Session on March 21, 2013

Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Gram! Ich hatte mich schon darüber gefreut, dass Ihre Fraktion davon abgerückt ist, dass wir uns die übliche Hetze von Herrn Juhnke oder von Herrn Dregger zu diesem Thema anhören müssen.

Herr Kollege! In diesem Zusammenhang von Hetze zu sprechen – ich bitte Sie, jetzt wieder die übliche Wortwahl einzuhalten!

Okay! – Herr Gram! Überwiegend sind Sie diesem Anspruch tatsächlich auch gerecht geworden. Allerdings sind wir an ein paar Stellen auf jeden Fall unterschiedlicher Ansicht. Denn zu negieren, dass es in der Mitte dieser Gesellschaft Rassismus gibt, wird den aktuellen Studien zu diesem Thema einfach nicht gerecht, bei denen immer wieder als Ergebnis zutage tritt, dass zwischen 20 und 40 Prozent der Bevölkerung in dieser Gesellschaft mindestens antisemitisches Gedankengut haben und teilweise ein geschlossenes rechtes Weltbild vertreten. Das Problem, das wir in Deutschland wegen dieser wirklich

schlimmen rassistischen und nationalsozialistischen Vergangenheit haben, vergessen wir leider immer wieder gern, nämlich dass es tagtäglich und in der Mitte der Gesellschaft Rassismus gibt. Hunderttausende Migrantinnen und Migranten können das schlicht und ergreifend belegen, und sie tun es immer wieder. Sie werden tagtäglich damit konfrontiert und zum Beispiel in Behörden oder auf der Straße von Otto Normalverbraucher rassistisch angegangen. Das sind Sachverhalte, die Sie nicht ignorieren können. Sie können nicht behaupten, es gebe keinen Rassismus in der Mitte der Gesellschaft. Tatsächlich lassen Teile Ihrer eigenen Fraktionskollegen uns immer wieder mit der Bestätigung dessen zurück, dass auch in der CDU rassistisches Gedankengut vertreten ist.

[Zurufe von der CDU]

Herr Kollege Gram!

Lieber Kollege Höfinghoff! Eigentlich tut es mir leid: Sie haben offenbar überhaupt nicht zugehört.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich habe mich bemüht, in differenzierter Art und Weise dieses Thema fernab jeder parteipolitischen Auseinandersetzung zu halten. Ich finde es im Übrigen unerträglich, dass Sie Kollegen in diesem Haus und insbesondere Kollegen meiner Fraktion rassistisches Gedankengut unterstellen. Das weise ich in aller Schärfe zurück!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Das ist genau das, lieber Kollege Höfinghoff, was ich nicht will, wenn Demokraten miteinander reden! Das trifft nicht den Kern.

Ansonsten sage ich Ihnen: Sie können gerne meine Rede nachlesen. Ich habe nicht bestritten, dass es Rassismus in der Mitte der Gesellschaft gibt. Ich habe nur gesagt: nicht in der Breite. Es wird teilweise übertrieben. Und wenn Sie die Passage gehört hätten, in der ich gesagt habe, ich könne das nicht ausschließen – und natürlich gibt es das –, dann habe ich aber daraus gefolgert, dass wir als Demokraten es sind, die dem entgegentreten sollen. Da nützen irgendwelche Angriffe rassistischer Art gegen Menschen in diesem Haus oder gegen den Innensenator nichts.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Für die Fraktion Die Linke Herr Kollege Taş!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Gram! Sie haben heute einen Fehler gemacht: Sie haben wieder einmal komische Vergleiche gezogen, Rechts und Links in einen Topf geworfen. Die Suppe schmeckt mir nicht; die Suppe schmeckt am heutigen Tag den Menschen auf der Straße nicht, die gegen Rassismus in dieser Gesellschaft protestieren.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vor meiner Rede möchte ich gerne etwas zitieren:

Intoleranz und Rassismus äußern sich keineswegs erst in Gewalt. Gefährlich sind nicht nur Extremisten. Gefährlich sind auch diejenigen, die Vorurteile schüren, die ein Klima der Verachtung erzeugen. Wie wichtig sind daher Sensibilität und ein waches Bewusstsein dafür, wann Ausgrenzung, wann Abwertung beginnt. Gleichgültigkeit und Unachtsamkeit stehen oft am Anfang eines Prozesses der schleichenden Verrohung des Geistes. Aus Worten können Taten werden.

Das ist aus der Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt am 23. Februar 2012 in Berlin. – Frau Merkel hat recht. Aber leider haben ihre Worte keine Folgen.

Heute ist der 21. März. Im Jahr 1966 wurde der 21. März von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag zur Überwindung von Rassendiskriminierung ausgerufen. Er soll an ein Massaker in Südafrika erinnern: Am 21. März 1960 wurden mindestens 69 friedliche Demonstranten von den Sicherheitskräften des verbrecherischen Apartheidregimes getötet. Das ist der Grund, warum wir heute über Rassismus debattieren.

Die politisch Verantwortlichen in der Bundesrepublik haben zwei Jahrzehnte den Rechtsextremismus verharmlost und heruntergespielt. Und sie haben wohl unkorrekte Zahlen geliefert. Frank Jansen schreibt im heutigen „Tagesspiegel“ – ich darf zitieren:

Seit der Wiedervereinigung haben Neonazis und andere rechte Täter, so ergeben es Recherchen des „Tagesspiegels“ und der „Zeit“, 152 Menschen getötet. In der Bilanz der Polizei finden sich lediglich 63 Todesopfer. Die Recherchen betreibt der „Tagesspiegel“ seit dem Jahr 2000. Damals wurde die erste Todesopferliste veröffentlicht, es folgten aktualisierte Ausgaben. Das hatte Folgen: Bis 2009 meldeten acht Länder 15 Fälle als rechts motivierte Verbrechen nach. Doch dann tat sich bis zum November 2011 nichts mehr, obwohl „Tagesspiegel“ und „Zeit“ im September 2010 eine Liste mit bereits 137 Todesopfern vorgelegt hatten.

Auch diese Zahlen dürften nicht die ganze Wahrheit widerspiegeln. Eine Überprüfung aller Tötungsverbrechen seit der Wiedervereinigung, bei denen ein rechter Hintergrund und gegebenenfalls eine Neubewertung naheliegen, wurde trotz mehrfacher Versprechen nicht vollständig in allen Bundesländern vorgenommen.

Herr Henkel! Wie steht es damit in Berlin? Wurde eine Überprüfung aller Tötungsverbrechen seit der Wiedervereinigung, bei denen ein rechter Hintergrund naheliegt, vorgenommen? Oder bleiben Sie dabei – wie in Ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion deutlich wird –, dass der Mord an Klaus-Dieter R. zwar von Skins verübt wurde, weil er ein Punk war, aber dies keine rechtsextreme Tat war? Oder dass der 58jährige obdachlose Günther S. am 29. August 1992 nachts auf einer Parkbank in Berlin-Charlottenburg zwar von einen KuKlux-Klan-Anhänger erschlagen wurde, aber dies keine rechtsextreme Tat war? Ich will das nicht fortsetzen. Sie dürften ja Ihre eigene Antwort bereits kennen.

Als einer der wenigen hatte der damalige brandenburgische Ministerpräsident Stolpe in einem „Zeit“-Interview am 21. September 2000 zugegeben:

Ich wollte es einfach nicht wahrhaben.

Und Stolpe weiter:

Das differenzierte Herangehen an Vorurteile, das Um-Verständnis-Werben ist objektiv eine Unterstützung der Fremdenfeindlichkeit. Differenzieren wirkt als verharmlosen, und verharmlosen heißt unterstützen. Das Thema ist so brisant, da muss die Position wirklich klar sein.

So weit Manfred Stolpe.

Diese konsequente Haltung muss auch im Umgang mit den Opfern rechter Gewalt an den Tag gelegt werden, sei es bei der Bewertung der Tötungsdelikte oder beim Umgang mit den tagtäglichen Übergriffen in Berlin. Rassismus ist in unserer Gesellschaft weiterhin präsent.

Die Berliner Opferberatungsstelle ReachOut dokumentierte in den Jahren 2011 und 2012 durchschnittlich 150 rassistische Angriffe in unserer Stadt, bei denen 234 Menschen verletzt wurden. 39 Gewalttaten wurden in der Öffentlichkeit verübt, 34 Taten in Verkehrsmitteln und Busbahnhöfen. Der ganze NSU-Skandal hat gezeigt, dass viele in der politischen und administrativen Verantwortung immer noch nichts dazugelernt haben. Glaubt irgendjemand, dass es damit getan ist, dass einige Behördenleiter und -leiterinnen zurückgetreten sind? Was ist mit anderen Verantwortlichen? Was ist mit den V-Leuten? Es gilt wohl weiterhin: Sogenannter Vertrauensschutz geht vor Aufklärung von Morden und Missständen in den Behörden.

Was ist aus den Betroffenheitserklärungen und Zusagen für eine schonungslose Aufklärung geworden? – Die

Realität der Aufklärung ist weiterhin von Vertuschung, Aktenvernichtung, gegenseitiger Beschuldigung und der Aufrechterhaltung des behördlichen Geheimschutzes geprägt. Wie die ehrenvollen Bemühungen des Bundestagsuntersuchungsausschusses durch Aussagenverweigerung und Aktenvernichtung konterkariert werden, haben wir alle miterlebt. Auch in Berlin war es nicht anders. Diese sehr ernste Problematik entbehrt ab und zu nicht komödiantischer Auswüchse. So wurden beispielsweise öffentliche Protokolle des Innenausschusses als „geheim“ eingestuft, wahrscheinlich um die peinlichen Auftritte von Senator Henkel und Staatssekretär Krömer zu kaschieren.

Was soll das ganze Mauern und die Geheimniskrämerei? – Ich kann mir das nur so erklären: Die Behörden wollen sich vor einer offenen und wahrscheinlich unangenehmen Diskussion über institutionellen Rassismus schützen. Das unsägliche Verhalten der Sicherheitsbehörden während der Mordserie der sogenannten NSU hat gezeigt, dass wir es mit einem institutionellen Rassismus zu tun haben. Institutioneller Rassismus bedeutet nicht, dass die jeweils Handelnden bewusst rassistisch eingestellt sind – meistens wahrscheinlich eher das Gegenteil –, sondern dass sie sich geprägt durch öffentliche Diskussionen oder Vorurteile rassistisch verhalten. Dazu gehört das sogenannte Racial-Profiling, bei dem Personen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Aussehens irgendwelcher Straftaten verdächtigt, grundlos angehalten und kontrolliert werden.

Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat Ende 2012 dies als grundgesetzwidrig bezeichnet. Trotzdem wird Racial-Profiling vom neuen Berliner Polizeipräsidenten Kandt weiterhin befürwortet. Da er dann, nachdem er bei der Piratenfraktion und anschließend bei uns war, anscheinend ein bisschen was dazu gelernt hat, sagte er uns gegenüber, dies sei eines von mehreren Kontrollkriterien – so weit der Polizeipräsident der deutschen Hauptstadt. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! Es leben zwar mindestens 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in der Bundesrepublik, aber es gibt typisch Deutsche und nichttypisch Deutsche. Das ist ein Skandal!

[Beifall bei der LINKEN]

In Großbritannien beispielsweise wäre er nach dieser Aussage seinen Posten los. – Herr Kollege Saleh, passen Sie gut auf – er ist zwar nicht im Raum, aber vielleicht kann man es ihm übermitteln: Auch Sie sind äußerlich nicht so ganz typisch deutsch. Racial-Profiling ist Rassismus! Racial-Profiling darf nicht praktiziert werden!

Aber Berlin hat noch mehr zu bieten. Wir haben von Staatssekretär Büge vorhin etwas gehört, und die Piraten haben sich dazu auch geäußert, deswegen gehe ich jetzt nicht mehr darauf ein, ich habe nämlich nur noch 60 Sekunden Redezeit.

35!

Vielleicht kann der Regierende Bürgermeister in der Sache endlich konsequent handeln. Er hat ja schließlich gesagt, dass das Problem nicht ausgesessen werden darf. Er muss endlich handeln!

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Clara Herrmann (GRÜNE), Heiko Herberg (PIRATEN) und Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Zurück zum institutionellen Rassismus: Dass auch gutwillige, anständige Ermittler bei den NSU-Morden in migrantische Kreise und nicht nach rechts geschaut haben, ist ein Ausfluss dieser Situation. Wenn aus der Politik in die Öffentlichkeit immer negative Signale über Migration und Migrantinnen und Migranten gesendet werden, – –

Herr Kollege! Sie müssen bitte zum Ende kommen!

Ja, mache ich! – Wenn soziale und sicherheitsspezifische Probleme ethisch umgedeutet werden, um die eigenen politischen Versäumnisse zu kaschieren, wenn ein Bundesinnenminister die Religion von etwa 5 Prozent der Bevölkerung, darunter rund 1,8 Millionen deutsche Staatsangehörige, als nicht dazugehörig bezeichnet, nämlich den Islam, dann darf sich keiner wundern, dass die handelnden Personen in den Institutionen nicht immer, aber sehr oft in diesen Vorurteilen und Stereotypen denken und handeln.

Herr Kollege! Wenn ich „Ende“ sage, dann meine ich den Schluss Ihrer Rede!

Ja, komme ich! – Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Dazu gehört unter anderem: rassismusfreie Stadt, rassismusfreies Land. – Danke!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Ich danke Ihnen auch! – Ich erteile jetzt für den Senat das Wort dem Herrn Innensenator. – Bitte, Herr Innensenator Henkel, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich das Thema der Aktuellen Stunde gelesen habe, war ich positiv davon angetan, dass ein Wahlkampfgeplänkel bei diesem wichtigen Thema schon im Titel ausgeschlossen werden sollte. Ich fand, das war ein hoher Anspruch, den die antragstellende Fraktion da formuliert hat. Nachdem ich jetzt 50 Minuten zugehört habe, kann ich sagen: Dieser Anspruch hat sich aus meiner Sicht nicht erfüllt.

[Beifall bei der CDU]

Der Kollege Höfinghoff von den Piraten hat ja offensichtlich – so ist es mir jedenfalls übermittelt worden – bei der Begründung der Aktuellen Stunde schon den Stil vorgeprägt, und der Kollege Reinhardt konnte offensichtlich der Versuchung nicht widerstehen nachzulegen.