Die SPD regiert in Berlin mit merkwürdigen Gestalten. Die CDU in Neukölln schafft es nicht, sich von der NPD zu distanzieren; fremdenfeindliche Stammtischparolen finden hier immer wieder Einzug. Und im Senat sitzt ein schlagender Rechtsaußenburschenschaftler: Herr Büge, Mitglied der Gothia. Zu Vorträgen werden bei der Gothia neben dem Herrn Staatssekretär auch gerne Journalisten der „Jungen Freiheit“ in die Vereinsvilla eingeladen. Mitglieder der Burschenschaft von Herrn Büge legen schon mal gemeinsam mit Vertretern der NPD Kränze nieder. Letztes Jahr am 6. Oktober war die Gothia auf der rechten Messe „Zwischentag“ vertreten. Besonders zynisch ist es, dass dieser Staatssekretär für die Flüchtlingsfragen zuständig ist. Herr Büge hat selber angekündigt, dass er bis Ende Januar aus der Burschenschaft austritt oder seine Burschenschaft aus dem umstrittenen Dachverband der Deutschen Burschenschaften austritt. Mittlerweile ist es Mitte März, passiert ist nichts. Die Berlinerinnen und Berliner nennen so was eine Lüge, Herr Büge!
Wer es mit der wehrhaften Demokratie ernst meint, der muss einsehen: Eine Mitgliedschaft in einer Rechtsaußenburschenschaft ist mit dem Amt eines Staatssekretärs nicht vereinbar. Herr Czaja!
Ich komme zum Ende. – Es ist Ihr Staatssekretär. Aussitzen gilt nicht. Ziehen Sie endlich Konsequenzen!
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Zuruf: Weiterlesen, Herr Czaja! Sonst sieht es interessiert aus!]
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme zum Thema Rassismus zurück. Rassismus ist für mich
eine menschenverachtende Ideologie, die Menschen nicht als gleichrangig ansieht, sondern – hauptsächlich biologistisch begründet – diskriminierende Unterschiede nach Herkunft, Hautfarbe, ethnischer Abstammung, religiöser Herkunft usw. macht. Und diese Einstufung von Menschen führt in nicht seltenen Fällen zu Verfolgung und im schlimmsten Fall zu Mord und Vernichtung.
Ich werde heute nicht der Versuchung erliegen, den Kampf gegen den Rassismus als rein innenpolitische Aufgabe und schon gar nicht ausschließlich auf Berlin bezogen zu sehen, wenngleich mancher Redebeitrag heute mir wertvolle Redezeit klauen würde, wenn ich darauf antworten müsste. Rassismus endet nicht an den Toren der Stadt, und es bedarf deshalb hier differenzierterer Anmerkungen. Der Titel der Aktuellen Stunde, in dem Begriffe wie Lippenbekenntnisse und Wahlkampfgeplänkel vorkommen, lässt mich vermuten, ob hier nicht eben gerade das versucht wird, ob nicht der UN-Gedenktag zum Rassismus – den will ich allen noch mal ins Gedächtnis zurückrufen – als bloßer Anlass für eine wiederholte innenpolitische Debatte mit heute deutlich erkennbarem Ziel genommen wird.
Das ist mir zu billig und trägt dem eigentlichen Anlass und dem Thema gleich gar nicht Rechnung. Den meisten Kollegen im Haus ist ohnehin bekannt, dass ich mich schon seit sehr Langem im Innen- und Verfassungsschutzausschuss für eine bestmögliche Zusammenarbeit der Innen- und Sicherheitsbehörden starkgemacht habe und dies angesichts der bislang vorliegenden Erkenntnisse im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie auch zukünftig tun werde, wo immer ich es kann. Deshalb bin ich auch – offenbar im Gegensatz zu anderen – sehr froh über die Besetzung von fünf neuen Stellen beim Berliner Verfassungsschutz im Bereich Rechtsextremismus.
Ich werde heute allerdings die Debatten, die im Innenausschuss geführt werden, nicht führen. Da sind andere besser berufen.
Die heutige Aktuelle Stunde der Piratenfraktion unterstellt in gewisser Weise, dass Rassismus in Berlin und in der Bundesrepublik Deutschland zum einen verbreitet ist und zum anderen nicht hinreichend von politisch Verantwortlichen bekämpft worden ist.
Das jedenfalls entnehme ich dem Begriff „Lippenbekenntnisse“, und mein Kollege Reinhardt bestätigt mich. Diese Ansicht teile ich aber nicht. Das wird Sie jetzt vielleicht überraschen. Ich will auch begründen, warum.
In meiner Schulzeit nahm die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Rassenideologie einen breiten Raum ein, nicht etwa nach dem Motto „Augen zu und durch und schnell vergessen“, sondern unter der Ü
berschrift: Welche Lehren zieht eine Nation aus derartig schrecklichen Vorgängen, und wie können wir uns davor schützen, dass sich dies in der Zukunft auf deutschem Boden wiederholt? – Sie können mir glauben, dass mich diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sehr stark geprägt und auch den Grundstein für mein politisches Wirken gelegt hat. Es wurde mir aber auch schnell klar, dass es eine Patentlösung, quasi auf Knopfdruck, nicht gibt, um Rassismus bzw. ethnische Diskriminierung für immer aus den Köpfen der Menschen zu verbannen. Es bedarf einer Vielzahl von Maßnahmen, um diesem Ziel näher zu kommen.
Hier ist zum einen das unverzagte Eintreten von uns allen zu nennen, für eine demokratisch verfasste Gesellschaft, die freie Meinungsäußerung garantiert und auf einem Grundgesetz fußt, das nicht bloße Makulatur, sondern Rechtswirklichkeit ist, auch wenn Demokratie zuweilen anstrengend und für viele Menschen zunehmend weniger verständlich wird.
Ein weiterer Baustein ist der sichtbare Zusammenhalt der Demokraten in Fragen der Bekämpfung von Extremismus, wo immer und in welcher Farbe auch immer er sich zeigt. Der heutige Tag – sage ich ganz offen – lässt mich manchmal an diesem Zusammenhalt zweifeln, aber ich werde die Hoffnung nicht aufgeben. Es war in diesem Haus nämlich immer Konsens, dass sich die Demokraten einhellig gegen Rassenideologie und Rassenwahn und Diskriminierung von Minderheiten ausgesprochen haben, wenngleich der Weg dahin häufig umstritten war. Derartige Ideologien stammen unbestritten in ganz überwiegendem Maße aus dem rechtsextremen Spektrum, kurz gesagt, aus der NPD und den sogenannten freien Kameradschaften.
Natürlich zeigen sich rassismusähnliche Tendenzen und Diskriminierung auch an anderer Stelle, so z. B. bei der Verfolgung politisch Andersdenkender durch den Kommunismus und bei der derzeit sehr aktuellen öffentlichen Herabwürdigung von Verantwortungsträgern unseres Staates, insbesondere von Polizeibeamten, in den sogenannten sozialen Medien durch die Veröffentlichung von Steckbriefen und Privatadressen auch durch Linksextremisten. Auch Aufrufe zum Anzünden des Polizeipräsidenten, seien sie hinterher auch anders gemeint gewesen, bedürfen der Ächtung aller Demokraten.
Wie kann eine zivilisierte Gesellschaft solchen Tendenzen nun heute entgegentreten? – Da ist zum einen der juristische Weg des Verbots verfassungsfeindlicher Organisationen. – Bitte! Ich möchte meinen Vortrag zu Ende führen. – Das NPD-Verbotsverfahren ist ein klares Zeichen für eine wehrhafte Demokratie und wird von meiner Fraktion unterstützt. In diesem Zusammenhang erachte ich es schon als befremdlich, wenn Teile der FDP unter Führung einer linksliberalen Justizministerin bei
aller Würdigung ihrer Argumente in Kenntnis der Tatsache, dass sich die Länder zu einem Verbotsverfahren verständigt haben, sich vom Acker machen und ihre Position als Rechtsstaatspartei ausgerechnet an dieser Stelle artikulieren.
Ich jedenfalls befürworte und unterstütze in Kenntnis aller Unwägbarkeiten und Risiken eines solchen Verfahrens das NPD-Verbotsverfahren, weil ich – auch ohne die Ergebnisse eines NSU-Untersuchungsausschusses vorwegzunehmen – weiß, dass die drei Mörder niemals ohne die Unterstützung von Gesinnungsgenossen ihr Unwesen treiben konnten.
Es darf jedoch in dieser Frage – bei allem Verständnis für unterschiedliche Argumentationen – nicht zu einem Wettbewerb kommen, wer der bessere NPD-Bekämpfer ist, und dies darf schon gar nicht zu einem Wahlkampfthema werden.
Das spielt den Feinden der Demokratie in die Hände, und davor warne ich alle politisch Verantwortlichen.
Niemand bestreitet, dass es bei der Aufklärung der NSUUntaten – und da greife ich einen Begriff der Piraten auf – zu Versäumnissen im Bereich der Sicherheitsbehörden gekommen ist. Dass dies aufgeklärt werden muss, findet meine volle Unterstützung. Aber es bewegt mich schon die Frage, wie mit diesem Aufklärungsinteresse umgegangen wird. Bei aller zum Teil berechtigten Kritik an Verfolgungsorganen bzw. bei allem berechtigten Interesse an der Aufklärung von möglichem Versagen von Behörden und dem Deutlichmachen eigener Positionen muss immer klar bleiben, dass sich Demokraten als politische Gegner gegenüberstehen, dass der Feind aber derjenige ist, der unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung missachtet, ins Lächerliche zieht und seine rassistischen und ideologischen Ideen verbreitet.
Es schadet keinem politischen Verantwortungsträger, einmal innezuhalten und dies bei allem parteipolitischen Streit nie zu vergessen.
Und es dient der gezielten Bekämpfung des Rassismus auch nicht, wenn immer wieder Stimmen laut werden, die der Auffassung sind, Rassismus sei in der Mitte der Bevölkerung verwurzelt.
Ich kann natürlich nicht ausschließen – abwarten! –, dass es eine Vielzahl von Menschen gibt, die politisch keine Verantwortung tragen, die aber ein Gedankengut hegen, das rassistisch motiviert ist.
Wo sich solche Leute äußern, da müssen Demokraten in jeder Unterhaltung, in jeder Äußerung solchen Tendenzen mutig entgegentreten, nicht zurückstecken und klar ihre Meinung kundtun. Jedoch ist nicht jede Äußerung von Mitmenschen, die zum Beispiel im Zusammenhang mit Migration Ängste artikulieren, ob sie begründet sind oder nicht, gleich eine rassistische Äußerung. Es ist Aufgabe aller Demokraten, diesen Menschen in differenzierter Argumentation Ängste zu nehmen, Lösungswege aufzuzeigen, aber ihnen auch die Sorge zu nehmen, dass man ihnen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus per se unterstellt. Es dient nämlich der Rassismusbekämpfung in keiner Weise, wenn hier die Grenzen verwischt werden.
Sofern die Kollegen von den Piraten mit dem Begriff „Lippenbekenntnisse“ meinen, es gebe einen Königsweg der Rassismusbekämpfung, über den nur geredet, der aber nicht beschritten werde, so teile ich diese Auffassung nicht. Es gibt hierfür keinen Knopf, auf den nur zu drücken ist, und dann ist Rassismus bekämpft. Das ist eine Vorstellung, die am Ziel vorbeiführt und die die tatsächlichen Möglichkeiten einer Demokratie völlig überschätzt.
Wir alle sollten trotzdem ein gehöriges Maß dazu beitragen, dass in den Köpfen der Menschen die Demokratie als fairste Staatsform verankert bleibt. Wir müssen darauf achten, dass bei aller Berechtigung von Diskussionen diese dann auch irgendwann zu einem Ergebnis führen, damit Menschen draußen nicht das Gefühl bekommen, Demokratie könne keine politischen Entscheidungen mehr treffen. Wir müssen unseren Mitmenschen immer wieder klarmachen, dass die Argumentation des politischen Gegners nicht immer in allen Punkten falsch ist und dass dieses Land neben einer vorbildhaften Justiz Freiheiten gewährt, wie sie auf der Welt kaum vergleichbar in dieser Form vorkommen.
Mir wird in der politischen Diskussion zu häufig Kritik geäußert und zu wenig darauf geachtet, dass die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, gerade im Hinblick auf die geschichtliche Überwindung zweier deutscher Diktaturen in ihren Gemeinsamkeiten und in ihren Unterschiedlichkeiten, zum Anlass genommen werden.
Und nun zum Begriff Aufklärung, jetzt aber anders verstanden. Ich würde mir wünschen, wenn an den Schulen jungen Menschen neben der erforderlichen Aufklärung über den faschistischen Rassenwahn und die Folgen zweier Diktaturen auf Deutschem Boden auch die Vorzüge einer Demokratie mit Empathie gelehrt würden. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass ein funktionierendes demokratisches Staatswesen, gestützt von begeisterungs
Abschließend: Ich bin froh und dankbar über die vielen Initiativen von Menschen unseres Landes und seitens des Senates, die sich in zahlreichen Veranstaltungen gegen Rassismus und menschenverachtende Ideologie engagieren. Jede Stimme, die dort laut wird, dröhnt in den Ohren der Ideologen und zeigt ihnen, dass ihr unseliges Treiben nicht hingenommen wird. Diesen Menschen danke ich ausdrücklich!
Ich hoffe, meine Ausführungen tragen dazu bei, den Eindruck zu widerlegen, in unserem Land und in unserer Stadt würde nichts gegen Rassismus und Diskriminierung getan und unsere Gesellschaft sei quasi von Rassisten durchsetzt. Ich plädiere für nicht nachlassende Anstrengungen aller vernunftbegabten Menschen, dem Rassismus entgegenzutreten, wo immer er sich zeigt, aber auch mit gleicher Verve die Idee der Demokratie zu verteidigen. Es ist eben nicht nur eine Aufgabe der Innenbehörden, der Polizei oder des Verfassungsschutzes, es ist eine Aufgabe für uns alle. – Ich danke Ihnen!