Protocol of the Session on December 13, 2012

Der einzige Vorschlag von Sozialsenator Czaja ist dieses Papier zur gesamtstädtischen Unterbringung von Flüchtlingen. Was er vollmundig Konzept nennt, ist in Wirklichkeit keins. Er hat eigentlich kein Konzept. Das Papier fasst die Probleme zusammen, die es momentan gibt – das ist auch gar nicht schlecht, das gestehe ich gern zu –, bietet aber keine Lösungen an. Stattdessen eröffnet der Senat eine Notunterkunft nach der nächsten, die – ich hoffe, da stimmen Sie mir alle zu – keine langfristige, aber auch keine besonders gute kurzfristige Lösung darstellen.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Wir haben zwei Vorschläge zusammengestellt, die wir Ihnen heute unterbreiten. Das basiert auf folgenden Zahlen: Gerade für die mittel- und langfristige Unterbringung ist die Wohnungsfrage immer noch elementar. Momentan leben etwa 12 000 Flüchtlinge in Berlin, davon etwa 7 000 in eigenen Wohnungen, 5 000 in Sammelunterkünften. Sie sehen, der Großteil der Flüchtlinge lebt in eigenen Wohnungen. Es ist also möglich, es ist keine Luftnummer, das zu verlangen. Wohnungen sind für die

Asylsuchenden besser und – das ist das Interessante, vielleicht auch für Sie – für das Land kostengünstiger. Die Standards in den Sammelunterkünften sind sehr unterschiedlich und werden leider durch die Notunterkünfte aktuell noch einmal unterlaufen. Daher muss der Grundsatz lauten, Flüchtlinge in Wohnungen statt in Sammelunterkünften unterzubringen.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Nun gibt es bereits Ansätze, das zu gewährleisten und auszubauen. Der Senat hat mit den landeseigenen Wohnungsgesellschaften – der Vertrag heißt „Wohnungen für Flüchtlinge“ – 275 Wohnungen pro Jahr für die Flüchtlinge vorgesehen, doch 2012 wurden insgesamt nur 100 Wohnungen angeboten. Lediglich 65 davon wurden vermietet.

Die Ausreden, warum dieses Kontingent nicht ausgeschöpft werden kann, variieren. Mal heißt es, der Vertrag gelte nicht mehr, so eine Art Diskontinuität. Mal heißt es, der Senat konnte sich nicht durchsetzen – Herr Czaja hat es so gesagt –, und man brauchte die Unterstützung des Parlaments. Die können Sie von mir und uns gern haben, aber dann erwarten wir natürlich auch was an Aktivität. Mal sind keine leerstehenden Wohnungen mehr vorhanden.

Wir fordern nun, dass der Senat diesen Vertrag einhält. Der Senat muss den Vertrag durchsetzen, und wenn das nicht funktioniert, muss er den Vertrag gegebenenfalls neu verhandeln und die Wohnungsgesellschaften stärker einbeziehen, um das Kontingent zu erhöhen. Es müssen in diesem Rahmen Sanktionen festgelegt werden für den Fall, dass die Kontingente nicht bereitgestellt werden. Es muss die aktuelle Regelung geändert werden, dass die Wohnungsgesellschaft nach der Ablehnung zweier Mieter fein raus ist und sich die Wohnung für das Kontingent anrechnen kann, obwohl ganz andere Mieter dort einziehen. Das sind Schwächen des aktuellen Vertrags, die geändert werden müssen.

Zweiter Vorschlag: die Immobilienbestände der berlinovo nutzen. Es gilt zu schauen, wo noch ungenutzte Ressourcen der Stadt liegen könnten, die aktuell helfen würden und auf die die Stadt und der Senat auch zugreifen können. Eine Möglichkeit wäre der Wohnungsleerstand der Berlinovo Immobiliengesellschaft – frühere BIH. Da gab es 2011 schon mal eine Initiative der damaligen Sozialsenatorin Bluhm – immer noch in unseren Reihen. Diese sollte nun weitergeführt werden. Das Ziel der Verhandlungen sollte es sein, in den teilweise leerstehenden Wohnungen und Appartementanlagen Flüchtlingen in Berlin dauerhaft Unterkunft bereitzustellen.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN]

Ich komme zum Ende: Nur mit der Bereitstellung von Wohnraum kann die Unterbringung von Flüchtlingen in Lagern beendet werden. Nur so können geflüchtete Menschen in Berlin ein menschenwürdiges Leben führen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank! – Frau Kollegin Radziwill!

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kollegen! Drei Anträge der Opposition über das Thema „Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungen“ liegen heute vor. Dieses Thema ist in der Tat wichtig. Wir werden es ausgiebig in den Ausschüssen beraten können. Heute ist ja die erste Lesung dazu. Für uns als Koalition ist es wichtig, dass wir weiterhin Unterkünfte für diese Menschen auch in Wohnungen anbieten. Sie haben uns ja, Herr Kollege von den Piraten, gerade gelobt, dass es möglich ist, dass dieser Senat Wohnungen anbietet. Dazu stehen wir, und daran arbeiten wir auch emsig. Gerade für Familien mit Kindern und für Paare ist es ein wichtiges Anliegen, sie möglichst in Wohnungen unterzubringen.

Es ist richtig, dass die städtischen Wohnungsbaugesellschaften hier eine besondere Verantwortung tragen. Deswegen halten wir auch den Vertrag für richtig und wichtig, und wir schauen auch, dass dieser Vertrag umgesetzt wird. Wir haken da nach. Aber es ist eben für eine humanitäre Flüchtlingspolitik in dieser Stadt wichtig, dass auch die privaten Wohnungsanbieter hier Verantwortung tragen und wir das alles nicht nur bei den städtischen lassen, denn wir haben gemeinsam als Land Berlin hier Verantwortung zu tragen. Bei der Umsetzung einer humanitären Flüchtlingspolitik haben auch wir von der parlamentarischen Ebene Verantwortung zu tragen, und der Senat unternimmt alle möglichen Anstrengungen, um eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen zu organisieren.

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit kurz auf ein Interview mit Frau Martina Mauer vom Berliner Flüchtlingsrat – gestern in einer Tageszeitung – lenken. Sie übt etwas Kritik, aber sie lobt auch den Senat, und den Teil des Lobes will ich mal hier zitieren. Sie lobt den Senat ausdrücklich, dass – Zitat –:

er in Berlin keine Notlage inszeniert hat wie Hamburg, Bayern und Hessen, wo öffentlichkeitswirksam Zelte für Asylsuchende aufgestellt wurden.

Der Senat, hier insbesondere auch der Sozialsenat,

hat sich auch keine verbalen Entgleisungen erlaubt wie leider manche Bezirkspolitiker.

Ich finde, es ist wichtig, dass wir das hier auch mal festhalten. Ich möchte auch an der Stelle festhalten: Wenn es in diesem Artikel auch richtig wiedergegeben worden ist, können wir es doch nicht dulden, dass z. B. Bezirkspolitiker, in dem Fall die Neuköllner CDU vor Ort in Rudow, zu einer Bürgerversammlung gegen Asylbewerber einladen und dort auch noch ausländerfeindliche Stimmungsmache stattfindet. Das alles können wir auch nicht dulden, und das ist beschämend.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Aber es ist auch so, dass das nicht Senatshaltung ist. Wir verurteilen diese Art von Umgang. Dieser Senat, auch der Sozialsenator, unternimmt hier eine Menge Anstrengungen. Wir alle in der Gesellschaft sind gefragt, vonseiten der Ämter, der politisch Verantwortung Tragenden, der Zivilgesellschaft, diese humanitäre Flüchtlingspolitik umzusetzen.

Und auch Sie sind da gefragt. Wenn Sie in Ihrem Antrag in der Überschrift von „Lager“ sprechen, dann ist das auch beschämend, denn der Begriff „Lager“ ist in Deutschland historisch belastet. Ich möchte Sie bitten, sich davon ausdrücklich zu distanzieren.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Frau Mauer vom Flüchtlingsrat hat auch recht, wenn sie in diesem Interview – man kann es nachlesen – sagt, dass Berlin kein Asylbewerberproblem hat, sondern wir haben eben einen Wohnungsengpass bei kleineren und günstigen Wohnungen. Daran arbeitet dieser Senat. Das ist uns bewusst. Hier werden wir die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, aber auch in Kooperation und Dialog mit den privaten, einbinden müssen.

Wir werden über Ihre Vorschläge, die Sie heute unterbreitet haben, ausführlich in den Ausschüssen beraten. Ob sie Sinn machen, weiß ich noch nicht. Ich möchte da noch einiges prüfen. Aber zu Ihrem Antrag Drucksache 17/0647 möchte ich doch festhalten, dass Sie sich als Piraten auf einer falschen Route bewegen, denn der Senat hat die Verhandlungen mit der BIH bzw. Berlinovo Immobiliengesellschaft nicht abgebrochen.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein! – Herr Ahlert vom LAGeSo, den Sie mittlerweile kennen, der uns im Ausschuss dazu ausgiebig Rede und Antwort gestanden hat, wie auch der Senator dazu Rede und Antwort gestanden hat, sagt, dass die Verhandlungen nicht abgebrochen waren. Wir sollten uns das noch mal darstellen lassen. Die Fragestellung ist eben, ob 2011 dort Wohnungen vermietbar gewesen waren, denn jetzt – wie

ich das mitbekommen habe – sind eben keine Wohnungen mehr verfügbar. Man kann Mieter nicht einfach kündigen, weil wir die Wohnungen anderweitig verwenden wollen.

Zum Schluss möchte ich mitteilen, liebe Freunde und Freundinnen bzw. liebe Kolleginnen und Kollegen: Vor uns liegt das Fest der Nächstenliebe, das Fest der Liebe. Ich finde, gerade bei denen, die in dieser Gesellschaft sehr bedürftig sind, sollten wir aufpassen und nicht auf ihre Kosten Politik machen, sondern gemeinsam für eine humanitäre Flüchtlingspolitik einstehen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Beifall von Udo Wolf (LINKE)]

Vielen Dank! – Für eine Kurzintervention hat jetzt der Kollege Höfinghoff das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Kollegin Radziwill! Wenn Sie und Ihre Fraktion – ich habe da auch schon mehrere Einwürfe aus der Unionsfraktion gehört – so vehement dagegen einstehen, dass es hier thematisiert wird, dass Flüchtlinge in Lagern untergebracht werden, dann empören Sie sich doch bitte weniger darüber, dass das Wort benutzt wird, denn das Wort hat eine feste Definition. Es ist die vorübergehende Unterkunft von Menschen. Worin das stattfindet, nennt man Lager. Wenn Sie nicht möchten, dass wir darüber sprechen, dass Menschen in Lagern untergebracht werden, dann möge in dieser Stadt doch bitte einfach niemand mehr in Lagern untergebracht werden. – Danke schön!

[Beifall bei den PIRATEN und den GRÜNEN]

Bitte schön, Frau Kollegin Radziwill!

Ihre Aussage bestürzt mich umso mehr.

[Beifall von Kurt Wansner (CDU)]

Danke! – Ich finde, wir hatten bisher andere Begrifflichkeiten. Ich finde schon, dass man in diesem Kontext sehr aufpassen muss, mit welchen Begrifflichkeiten man arbeitet. Es ist so, dass natürlich Flüchtlinge sich nicht drei Monate oder eine gewisse Zeit vorher ankündigen, dass sie hierher kommen wollen und wir uns entsprechend vorbereiten. Deswegen ist es eben auch so, dass wir ihnen Angebote unterbreiten. Das ist auch gut so. Dazu stehen wir. Deswegen haben wir die Notunterkünfte, auch Gemeinschaftsunterkünfte, all das darf auch nicht

von Dauer sein. Da bin ich bei Ihnen. Es zeigt sich auch – Sie selber haben es in Ihrer Rede auch dargestellt –, dass wir alles versuchen, diese Menschen in Wohnungen längerfristig unterzubringen. Es gibt dabei auch keine finanziellen Hürden. Auch das hat Herr Ahlert vom LAGeSo in unserer Ausschussberatung Ihnen gegenüber klar bestätigt. Ich finde, dass Sie hier aufpassen sollten, wie Sie mit Begrifflichkeiten Politik machen. In diesem Sinne, unterlassen Sie es bitte!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der Grünen jetzt Frau Kollegin Bayram!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Herr Kollege Höfinghoff! Frau Kollegin Radziwill! Dieses Thema, die Bezeichnung oder Nichtbezeichnung, haben wir hier im Haus schon häufiger gehabt. Ich freue mich ehrlich, dass in den Reihen, in denen früher Herr Kluckert und die FDP saßen, nunmehr Herr Höfinghoff sitzt, und bin mit ihm voll einer Meinung, sodass ich das nicht noch mal wiederholen werde.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Ich möchte meine Rede mit dem Dank an die Flüchtlinge beginnen, die eben gerade nicht diese hilfsbedürftigen Almosenempfänger sind, an die man nur kurz vor Weihnachten in der beschaulichen Adventszeit denkt. Gehen Sie in die Schule in Kreuzberg! Reden Sie mit den selbstbewussten Flüchtlingen, die ganz klar Menschenrechte und keine Almosen einfordern!

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Beifall von Udo Wolf (LINKE)]

Menschenrechte für Flüchtlinge gelten auch beim Wohnen. Auch beim Wohnen muss gelten, Menschenwürde, so wie es unser Grundgesetz vorschreibt. Ich bitte Sie darum, nicht wieder 20 Jahre zu warten, bis das Bundesverfassungsgericht mal feststellen muss, dass die Unterbringung, wie sie derzeit stattfindet, in Berlin immerhin noch in viel zu hohem Ausmaß, dass das der falsche Weg ist und dass wir uns das nicht leisten sollten.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wenn ich dann schon den Herrn Senator dazu höre, der dann von Not redet, und ich muss ja jetzt schnell die Flüchtlinge unterbringen, dann sage ich: Herr Senator! Das stimmt, dass Sie nicht allein dafür verantwortlich sind. Bereits vor Ihrer Zeit sind die Zahlen gestiegen. Deswegen ist es selbstverschuldet. Schon seinerzeit hätte man alle möglichst in Wohnungen unterbringen können, sodass die Erstaufnahmeeinrichtungen für die Flüchtlinge

genutzt werden können, die teilweise bei uns nur sehr kurz bleiben. Es wird immer über hohe Zahlen lamentiert, aber wir nehmen nur 5 Prozent der Flüchtlinge auf, die überhaupt den Weg nach Deutschland finden. Die anderen müssen hier nur drei Tage bleiben und gehen dann in andere Bundesländer.

Dann sagt der Herr Senator, dass die Bezirke nicht genug tun und dass er jetzt beschlagnahmen muss. Aber, Herr Senator, ich frage Sie: Wie viel haben Sie denn eigentlich mit Ihrem Finanzsenatorkollegen darüber verhandelt, welche Liegenschaften des Landes selber zur Flüchtlingsunterbringung genutzt werden können? Da haben Sie sich einen schlanken Fuß gemacht und die ganze Verantwortung auf die Bezirke übertragen. Man könnte fast meinen, Sie wollten den Konflikt mit dem Finanzsenator nicht, den der Stadtentwicklungssenator seit einigen Monaten, wie man ja auch hört, auf eine sehr unerfreuliche Art und Weise austragen muss.

[Torsten Schneider (SPD): Was machen denn die Grünen in Ihrem Bezirk?]