Protocol of the Session on November 10, 2011

[Beifall bei den PIRATEN]

Welche Daten sollen von der Software gesammelt werden? Welche davon sind datenschutzrechtlich unbedenklich und welche nicht? Und mit welchem Datenmaterial soll die Software eigentlich berechtigte von unberechtigten Kopien unterscheiden können?

[Beifall bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei den PIRATEN]

Herr Zöllner! Es ist vertraglich eben nicht vereinbart, wer die Software prüft, die da auf unsere Schulrechner soll. Das steht da schlicht nicht drin.

[Zurufe von Özcan Mutlu (GRÜNE) und Sven Kohlmeier (SPD)]

Das steht dort nicht drin. Dann prüfen nach Ihrer Auffassung 16 Datenschutzbeauftragte. Alles klar!

[Beifall bei den PIRATEN – Sven Kohlmeier (SPD): So ist das im Föderalismus!]

Es ist unklar, wie die Plagiatssoftware Daten erhebt und wem und wie diese Daten zur Verfügung gestellt werden. Und all das ohne Information der Schulen! Von anonymisierter Weitergabe der Daten steht auch nichts im Vertrag. Und da steht auch nicht im Vertrag, dass der Datenschutzbeauftragte zuständig ist. Auch wenn das in den Berliner Gesetzen drinsteht, dann sollte man es auch in den Vertrag hineinschreiben, dann weiß es auch der Vertragspartner.

[Beifall bei den GRÜNEN und bei den PIRATEN – Zuruf von Sven Kohlmeier (SPD)]

Aber das ist nicht alles, es geht noch schlimmer. Da lese ich Ihnen jetzt mal § 6 Nr. 6 vor. Da verpflichtet sich Berlin nämlich, „

bei Bekanntwerden von Verstößen gegen die in diesem Gesamtvertrag festgelegten Vorgaben für das Vervielfältigen von urheberrechtlich geschützten Werken gegen die betreffenden staatlichen Schulleiter und Lehrkräfte disziplinarische Maßnahmen einzuleiten.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Hört, hört!]

Das heißt, dass der Berliner Bildungssenator und die Senatsverwaltung den eigenen Ermessensspielraum in Bezug auf die Einleitung von Disziplinarverfahren vertraglich aufgegeben haben. Das ist nicht nur rechtlich äußerst bedenklich, das ist vor allem politisch Ausdruck eines so bislang nicht bekannten Misstrauens des Senats gegenüber den eigenen Lehrkräften.

[Beifall bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei den PIRATEN]

Das finde ich nicht hinnehmbar.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kohlmeier?

Nein! – Jürgen Zöllner hat einem Vertrag zugestimmt, der die Lehrer, also seine eigenen Leute, nicht nur unter Generalverdacht stellt, sondern in dem er sich verpflichtet, bei einem Verstoß, egal wie gering, Disziplinarmaßnahmen zu ergreifen, das heißt im Extremfall, schon bei einer falschen Kopie. Herr Zöllner verkennt völlig, dass er weder Aufklärungsbehörde noch Zuträger der Schulmedienverlage ist. Deswegen ist der Vertrag in dieser Form in der Tat eine Zumutung. Die Große Anfrage kam daher auch zur rechten Zeit, wenn auch einige wesentliche Fragen nicht gestellt wurden. Herr Zöllner, lassen Sie diesen Vertrag nicht so stehen! – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei den PIRATEN]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Frau Abgeordnete Kittler das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Zöllner! Als ich am 24. Oktober 2011 meine letzte Mathematikstunde im Grundkurs 12 hatte, hielt ich – und meine Schülerinnen und Schüler auch – ein Buch aus dem Jahre 2010 mit einem schon ganz passablen Zusatzangebot in der Hand. Da gab es nämlich eine CD-ROM – das ist sie – mit multimedialen Zusatzangeboten, allerdings nicht mit dem digitalisierten Buch. Ein Atlas, mit dem ich seit 2008 arbeite, ist da schon einen Schritt weiter. Hier gibt es einen Online-Schlüssel, mit dem die Karten und weitere aktuelle Zusatzangebote digitalisiert im Netz genutzt werden können. Durch die Nutzung entstehen keine weiteren Kosten, im Gegenteil, alle Karten können auch ohne den Premiumbereich zur Erreichung der Unterrichtsziele genutzt werden. So steht es

sogar im Buchdeckel. Das Ende der analogen Welt in der Schule ist also in Sicht.

Statt nun die Kultusminister mit den Verlagen, die Unterrichtswerke herstellen, einen Weg beraten, wie zukünftig alle diese digitalisiert nutzen können, schicken sie einen nun als Hilfsodysseus getarnten bayerischen Ministerialdirektor, der, wie man hört, inzwischen wohl schon im Ruhestand ist, um den hier schon umfänglich hinterfragten Vertrag auszuhandeln – einen Vertrag, den die Bundesjustizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, im Bayerischen Fernsehen aus Datenschutzgründen für unmöglich hält und der sie zu Recht auf die Palme bringt.

[Beifall bei der LINKEN und bei den PIRATEN – Beifall von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Sie will den Einsatz des Programms zur Suche von Raubkopien stoppen lassen. Wie vorhin zu hören war, halten Sie, Herr Senator Zöllner, das Gleiche für unbedenklich. Sie, Herr Zöllner, sind offensichtlich der Meinung, dass hier niemand überwacht wird, sondern dass Sie vielmehr Schulen und Lehrerinnen und Lehrer vor Raubkopien schützen wollen, also die Lehrerinnen und Lehrer vor sich selbst, oder wie soll ich das verstehen?

Aber zurück zum Vertrag: Mal ganz abgesehen davon, dass die Kultusminister hier offensichtlich den bayerischen für alle handeln ließen – warum eigentlich? –, wurde eine öffentliche Debatte dazu ja wohl ganz verpasst. Insofern sind auch unsere und die Fragen der Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion nach der Wahrnehmung der Verantwortung durch den Berliner Senat völlig angebracht.

Und ich frage als Lehrerin für meine Kolleginnen und Kollegen, wo hier die Fürsorgepflicht des Dienstherrn sichtbar wird. Müsste er sich nicht schützend vor die Landesbediensteten in den Schulen stellen, wenn die durch Dritte unter Generalverdacht genommen werden?

[Beifall bei der LINKEN, bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Hier überwacht der Dienstherr seine Angestellten und Beamtinnen und Beamten. Das greift doch ins Arbeits- und Beamtenrecht ein. Das ist doch wohl mitbestimmungspflichtig. Hier müssen Personalräte beteiligt werden, noch dazu, wo im Vertrag eindeutig dienstrechtliche und zivil- und strafrechtliche Maßnahmen angedroht werden.

Im Vertrag werden viele Fragen nicht einmal angerissen, die den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Lehrkräfte, aber natürlich auch der Schülerschaft betreffen. Im schulinternen Netz sind hochsensible Daten zu jeder Schülerin und jedem Schüler und ihren Eltern enthalten. Da gibt es außerdem für jede Lehrerin und jeden Lehrer die Möglichkeit, Daten zu speichern. Wie sicher sind diese zukünftig? Wer stellt die technische und datenrechtliche Unbedenklichkeit der von netzpolitik.org als Schnüffel

software für unheimliche Online-Durchsuchungen bezeichneten Software fest? Ist überhaupt über Risiken und Nebenwirkungen diskutiert worden? Wenn ja, mit wem? Darf der Staat überhaupt, um wirtschaftliche Interessen von Unternehmen zu schützen – und das möchte ich hier sehr wohl noch mal betonen –, Lehrer- und Schülerschaft überwachen und ausspionieren? Wo ist die gesetzliche Grundlage für diesen Eingriff in das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme? Und wo endet dieser Eingriff? Was passiert, wenn eine Lehrerin ihren privaten Laptop mit in die Schule bringt und den auch im Unterricht benutzt? Wird der dann in die Kontrolle gleich mit einbezogen?

Uns interessieren natürlich auch die Kosten, die dem Land entstehen. Spannend ist, wie diese bei der Haushaltsnotlage Berlins gedeckt werden sollen, personell und sachlich. Was man hier an Überprüfungen hören konnte, das bedeutet schon, dass hier Personen heran müssen, und das bedeutet schon, dass auch Sachkosten entstehen werden. Das kann mir hier keiner vormachen, dass das nicht so ist.

Was sich uns auch nicht erschließt, ist der Anstieg der durch die Länder an die Rechteinhaber nach § 5 zu zahlenden Vergütung für die zulässigen Kopien von Lehrwerken. Wieso steigt dieser Betrag in einem Zeitraum von nur vier Jahren, also von 2011 bis 2014, von 7,3 auf 9 Millionen Euro an? Neben der Aufklärung aller Fragen erwartet die Fraktion Die Linke, dass der Senat den gesamten Vertrag infrage stellt und eine rechtliche Überprüfung fordert

[Beifall bei der LINKEN, bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

und dass Schulträger oder Schulen, die sich dem Verfahren verweigern, nicht belangt werden. Letztendlich sollte sich das ganze Land Berlin dem Verfahren verweigern. Das Land Berlin darf einen solchen Eingriff in die Grundrechte nicht zulassen. Ihre Worte, Herr Zöllner, die hörte ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Sollte es dazu kommen, dass dieser Vertrag Anwendung findet, sehe ich eine Flut von Protesten, eingelegten Widersprüchen oder auch Prozessen voraus – von Datenschützern, Gewerkschaften, Personalräten.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich bin gleich fertig! – Ich bin zwar nicht Kassandra, aber ich sehe, dass den Trojanern eine Niederlage droht. – Danke schön!

[Beifall bei der LINKEN und bei den PIRATEN]

Jetzt kann ich gern noch eine Frage beantworten – bitte!

Sehr geehrte Frau Kittler! Ich freue mich über Ihre Position und Ihre Empfehlung. Würden Sie denn Ihrer eigenen Fraktion im Brandenburger Landtag empfehlen, diese Position auch einzunehmen?

Unbedingt!

Wunderbar! Danke schön!

[Beifall bei der LINKEN und bei den PIRATEN – Beifall von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Vielen Dank! – Nun hat für die Fraktion der Piraten für die verbliebene Redezeit von fünf Minuten und 30 Sekunden der Abgeordnete Morlang das Wort.

Das ist ja viel mehr, als ich brauche. – Kurz zum Anfang: Wir haben das Ding übrigens nie Trojaner genannt.

[Sven Kohlmeier (SPD): Doch! In Ihrer Fraktionssitzung!]

Die CDU in Brandenburg hat das Thema dann auch eingebracht. Die findet die 26 Fragen anscheinend auch ganz gut und stellt sie dann einfach. Sharing is caring – schön, dass wir endlich mal in der Lage sind, politische Inhalte gemeinsam zu nutzen!

Es ist ganz interessant: Wir haben ungefähr 300 000 Schüler in der Schülerdatenbank – so wurde es vorhin gesagt. Ich habe mal nachgeguckt: Wir haben in Deutschland ca. 800 000 Lehrer, und wir wollen auf einem Prozent der Systeme diese Software installieren. Das ist durchaus ein interessanter Aspekt. Das heißt, wir haben ungefähr 1 500 bis 3 000 PCs, auf denen eine Software zum Ausforschen von Netzwerken ist, an denen Schüler sitzen, deren IT-Kompetenz höher ist als die ihrer Lehrer. Das heißt, wir geben ungefähr 1 500 Schülern ein echt wertvolles Werkzeug an die Hand. Ich glaube nicht, dass sie den Source-Code jemals sehen werden. Er wird wahrscheinlich die Qualität eines Staatstrojaners haben. Das heißt, wir werden ungefähr 14 Tage brauchen, um herauszufinden, wie man das Ding fernsteuert. Damit haben dann ungefähr 300 000 Schüler in Berlin Zugriff auf die PCs ihrer Lehrer. Sehr interessantes Konzept!