Protocol of the Session on March 22, 2012

[Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Reinhardt! – Für die SPD-Fraktion hat nun Frau Abgeordnete Becker das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Aus meiner Wahrnehmung als vielleicht nicht ganz neutrale Beobachterin, doch als jemand mit langjähriger Berufserfahrung, weiß ich, dass es nichts Ungewöhnliches ist, wenn Personal in Folge einer neuen Hausleitung aus unterschiedlichen Motiven wechselt. Ich würde die Personalie des Integrationsbeauftragten vielleicht nicht als ein Business as usual abtun. Mitnichten aber ist der Rücktritt an einer exponierten Stelle ernsthaft mit einem politischen Richtungswechsel, geschweige denn mit einem Rechtsruck gleichzusetzen.

[Özcan Mutlu (GRÜNE): Er hat es doch selbst gesagt!]

Das ist höchstens die persönliche Meinung einer Einzelperson.

Gleichwohl hat die langjährige Arbeit der Integrationsbeauftragten, Herrn Piening und seiner Vorgängerin Frau John, eine prägende und nachhaltige Handschrift und legt die Messlatte für die Nachfolgerin oder den Nachfolger hoch.

Im Übrigen ist die unverzügliche Neubesetzung der oder des Integrationsbeauftragten in der Planung. Am 3. Mai 2012 findet die Wahl der Migrantinnenvertreterinnen und -vertreter statt. Zeitnah erfolgt dann die Konstituierung des Landesbeirats. Sie sehen, die gesetzlich vorgeschriebene Interessenvertretung der Migrantinnen und Migranten wird mit höchstem Nachdruck an der verantwortlichen Stelle vorangebracht.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Es geht hier nicht um Entmachtung. Im Gegenteil! Das Land Berlin misst dem Politikfeld Integration eine besonders hohe Bedeutung bei. Die Aufwertung wird durch die Installation einer neuen Fachabteilung Beauftragte/-r des Senats von Berlin für Integration und Migration in der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen sichtbar. Die eigene Pressestelle und der persönliche

Briefkopf unterstreichen die Sichtbarkeit und betonen die Eigenständigkeit der Stelle.

Integration wandelt sich somit von einer Beauftragtentätigkeit mit dem Image des „Nischendaseins der Ombudsstelle“ zu einer dauerhaften Aufgabe mit ministeriellem Charakter. Das bedeutet, das Politikfeld Integration kommt in die vorderste Reihe.

Die Neustrukturierung ist eine solide Grundlage, um die Verpflichtungen aktiv anzugeben, die sich aus dem Partizipations- und Integrationsgesetz ergeben. Ich nenne hier beispielhaft die interkulturelle Öffnung, weil sie alle Berliner Verwaltungen betrifft. Allein im Hinblick auf die Hauptverwaltung ist eine integrierte Einheit ein stärkerer Verhandlungspartner.

Zur organisatorischen Ansiedlung: Das Partizipations- und Integrationsgesetz regelt nicht Fragen der Binnenorganisation des oder der Beauftragten. Verortet ist die ausdrücklich ressortübergreifende und nicht selbständige Stelle bei der für Integration zuständigen Senatsverwaltung, der Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen. Dort hat das Amt auch keine kontrollierende Funktion der Exekutive zu erfüllen, sondern ist ein Teil der Exekutive. Das ist wichtig im Hinblick auf die Funktion, die jetzt eine Doppelfunktion ist. Die übliche Beauftragtenstruktur ist in den letzten Jahren stark angewachsen und entspricht in der bisherigen Dienststelle mit nunmehr drei Fachreferaten größen- und zahlenmäßig der Abteilung für Frauen und Gleichstellung.

Die Ausübung der Ombudsfunktion in Personalunion hat sich als gute Praxis erwiesen und wirkt rollenstärkend. Auch obliegt ihr federführend die fachliche Vorbereitung sowohl für die Integrationsministerkonferenz als auch für die Bundesratsverfahren und Bund-Länder-Abstimmungen. Sie sehen, die Aufgabe wird sehr ernst genommen.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Die Wahrnehmung einerseits als Beauftragter oder Beauftragte, andererseits als Abteilungsleiter in der Verwaltungshierarchie – im Auftrag der zuständigen Senatorin – ist nicht unüblich. Sie hat sich bewährt, weil die ressortübergreifende Tätigkeit der oder des Beauftragten letztlich auch im Senat von der Integrationssenatorin vertreten und verantwortet werden muss so wie die gesamte Tätigkeit der ihr unterstellten Verwaltung.

Weder fachlich noch integrationspolitisch halten wir die vorliegenden Anträge für zielführend und empfehlen als Koalition die Überweisung in den Ausschuss für Arbeit, Integration, berufliche Bildung und Frauen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Frau Becker! – Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Reinhardt. – Bitte sehr!

Erst einmal vielen Dank, Frau Becker, für die Zahlen und die Struktur des Integrationsbeauftragten und seiner Abteilung. Ich glaube, dass die Zuschauer am Stream das durchaus zu schätzen wissen. Ich finde es aber trotzdem interessant, dass Sie hier sagen, dass der Integrationsbeauftragte als Teil der Exekutive agiert und deswegen keine Kontrollfunktionen ausüben soll. Deswegen frage ich Sie direkt, ob Sie die Funktion des Datenschutzbeauftragten, der durchaus auch die Verwaltungen kontrollieren und auf die Senatsressorts Einfluss nehmen soll, für überholt halten, oder würden Sie ihn auch lieber als Teil der Exekutive ansiedeln?

Ich wundere mich auch, dass Sie gleichzeitig sagen, der Beauftragte ist unabhängig, und als Beispiel anführen, dass er einen eigenen Briefkopf hat. Das finde ich sehr possierlich. Wenn Sie aber ausführen, dass er unabhängig ist, wie soll er diese Unabhängigkeit ausüben, wenn er direkt über sich einen Staatssekretär hat, dem er zu berichten hat, und darüber kommt dann noch die Senatorin und dann noch der Regierende Bürgermeister? Das alles ist ein Korsett, das in gemeinsamen Sitzungen angepasst wird. Hier sehe ich die Unabhängigkeit wirklich nicht gewährleistet und bitte Sie, das noch etwas genauer zu erläutern.

Vielen Dank! – Frau Becker, möchten Sie antworten? – Bitte!

Eine ganz kurze Antwort, Herr Reinhardt! Diese Funktionen sind nicht vergleichbar! Dafür muss man nur in das Integrations- und Partizipationsgesetz schauen. Danach stellt sich hier die Frage nicht.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Dr. Kahlefeld das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als ich hörte, dass Frau Kolat als Senatorin für Integration und Partizipation zuständig sein wird, habe ich mich zunächst gefreut. Ich hatte die Erwartung, dass eine Senatorin, die den TBB, eine der großen Nicht-Regierungsorganisationen im Bereich Partizipation und Integration

wirklich gut kennt, aus eigenen praktischen Anschauungen weiß, was diese Stadt integrationspolitisch braucht und woran es fehlt. Es schien mir ein Vorteil zu sein, dass sie erprobte Lösungsansätze und sich wandelnde Anforderungen an Partizipation ebenso kennt wie die Probleme, Sorgen und Ängste, mit denen Menschen mit Migrationsgeschichte zum TBB und anderen Organisationen kommen. Aber nun stehen wir in Berlin ohne Migrationsbeirat und ohne Integrationsbeauftragten da. Nach 100 Tagen Rot-Schwarz haben die Migrantinnen und Migranten und ihre Organisationen im Senat keine Stimme mehr. Wie soll unter diesen Umständen Partizipation gewährleistet werden? Als die Wahlen des Landesbeirats für ungültig erklärt werden mussten, dachte ich noch, den Beauftragten hat nicht Frau Kolat eingesetzt, sondern sie hat ihn quasi geerbt. Und es waren seine Versäumnisse als Wahlleiter, nicht die ihren, die dazu geführt haben, dass nun im Mai neu gewählt werden muss. Wir erwarten, dass sich formale Fehler bei den Wahlen des Landesbeirats im Mai nicht wiederholen. Und wir erwarten, dass der Wille zu einer ernsthaften Zusammenarbeit mit dem Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen ein Kriterium bei der Neubesetzung der Stelle des oder der Beauftragten sein wird.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Dass nun aber der Integrationsbeauftragte auch noch gegangen ist, das ist keine Erbschaft, sondern Ergebnis der neuen rot-schwarzen Integrationspolitik. Er wollte seine Stelle völlig zu Recht nicht zum Abteilungsleiter herunterstufen lassen. Statt wie bisher direkt der zuständigen Senatorin untergeordnet zu sein, steht er nun gemeinsam mit dem Abeilungsleiter für Arbeit und Berufliche Bildung unter dem Staatssekretär. Eine Abteilungsleiterin oder ein Abteilungsleiter gleichgestellt mit den anderen Abteilungsleiterinnen oder -leitern kann die Aufgabe eines Beauftragten nicht mehr erfüllen. Das ist nicht die vorderste Reihe, von der eben die Rede war. Mit der neuen Struktur ist daher die Stelle des oder der gesetzlich vorgeschriebenen Integrationsbeauftragten in Berlin de facto abgeschafft.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Es ist unstrittig bei allen, die mit der Organisation und Durchführung von Partizipations- und Integrationsprozessen befasst sind, dass Erfolg und Effizienz wesentlich davon abhängen, ob sie Chefinnen- oder Chefsache ist. Das heißt, der oder die Integrationsbeauftragte kann ihre oder seine ressortübergreifende Querschnittsaufgabe nur erfüllen, wenn sie oder er in der Verwaltung möglichst weit oben angesiedelt ist. Das grün regierte Land BadenWürttemberg hat aus diesem Grund eine eigene Ministerin für Integration. In NRW gibt es eine eigene Staatssekretärin, die ausschließlich für die Abteilung Integration zuständig ist. Verwaltung ist ein hierarchisches System, und oben ist eben oben und nicht unter einem Staatssekretär.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Wir fordern Sie daher auf, die Herabstufung der Position der oder des Integrationsbeauftragten rückgängig zu machen. Wir fordern den Senat im Weiteren auf, sich zu den zukünftigen Aufgaben der Integrationsbeauftragten klar zu positionieren, gerade auch im Hinblick auf die Neubesetzung der Stelle. Bleibt es bei der gesetzlich definierten Aufgabe des Beauftragten, Integrationshemmnisse und strukturelle Benachteiligungen von Menschen mit Migrationshintergrund abzubauen und ihre Partizipation zu stärken, oder kommt es zu einem Umsteuern im Sinn des Koalitionspartners CDU, der den Integrationsbeauftragten zu einem Beauftragten der Überfremdungsängste machen möchte? Eine analoge Umdefinition der Berliner Frauenbeauftragten würde diese zur Sprecherin von Männern mit Gynophobie machen.

[Zuruf von Ülker Radziwill (SPD)]

Deutschland gilt international als eins der rückständigsten Länder, was die interkulturelle Öffnung angeht, sei es in der Verwaltung, der Bildung, der Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Wir sind aus diesem Grund zum Auswanderungsland geworden. Die Morde der NSU haben erschreckende Defizite in der interkulturellen Kompetenz von Polizei und Politik offengelegt. Jeder und jede sollte jetzt verstanden haben, dass unsere Strukturen überholt sind und die Befangenheit in Stereotypen nicht nur ein Mangel an Soft-Skills ist, sondern zu einer ernsten Gefährdung der Öffentlichkeit führen kann.

Kommen Sie bitte zum Schluss!

Ja! – Wir brauchen endlich Fortschritte in der Partizipationspolitik. Legen Sie uns einen Fahrplan vor, wie Sie in den nächsten fünf Jahren Berlin zu einer wirklich weltoffenen Stadt machen wollen, wie die Blockaden abgebaut, Diskriminierung wirksam bekämpft und die Teilhabe messbar verbessert werden können! – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Dr. Kahlefeld! – Zu einer Kurzintervention hat die Abgeordnete Becker das Wort.

Frau Kahlefeld! Ich hatte es eingangs in meiner Rede schon gesagt. Zum einen ist es nichts Ungewöhnliches, wenn infolge eines Personalwechsels an der Führungs

spitze auch untergebenes Personal wechselt, zum anderen finde ich, dass es gerade bei einer solchen Position ganz stark auf die Persönlichkeit, auf die Qualifikation ankommt und wie solch eine Person ihr Amt „lebt“. Im Übrigen verstehe ich Ihre Dialektik nicht so ganz oder finde sie nicht logisch. Sonst fordern Sie immer weniger Staatssekretäre, und hier, in diesem Fall, kann die Stelle nicht hoch genug angesiedelt sein. Da müssten Sie sich vielleicht einmal entscheiden. – Danke!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Zuruf von Özcan Mutlu (GRÜNE)]

Vielen Dank! – Frau Dr. Kahlefeld! Möchten Sie replizieren? – Dann haben Sie jetzt die Gelegenheit. – Bitte!

Natürlich kann man umstrukturieren, wenn man eine Abteilung übernimmt. Aber den Integrationsbeauftragten in Berlin abzuschaffen, das ist nicht einfach eine Umstrukturierung.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Und ihn zum Abteilungsleiter zu machen, ist die Abschaffung.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Uwe Doering (LINKE): Das musste doch mal gesagt werden!]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Dregger das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe schon bei unserer munteren Debatte beim letzten Mal vor zwei Wochen deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sich die Koalition nicht spalten lässt.

[Wolfgang Brauer (LINKE): Ja, genau! Einheit!]

Ich kann Ihnen versichern, dass die Entscheidung der Senatorin über die Umstrukturierung des Integrationsbeauftragten unsere volle Zustimmung erhält.