Protocol of the Session on June 9, 2011

Das Thema Fachkräftebedarf ist zu Recht angesprochen worden. Es ist kein Berliner Sonderthema, sondern wir haben es in der gesamten Bundesrepublik. Das haben wir die letzten zwei Tage auf der Wirtschaftsministerkonferenz intensiv diskutiert. In manchen Regionen ist das Problem größer als in Berlin. Aber an dieser Stelle noch einmal ganz klar: Man kann nicht nur immer mit dem Finger auf die Politik zeigen. In Deutschland liegt die Frage der Berufsausbildung im dualen System primär in der Verantwortung der Unternehmerinnen und Unternehmer. Wenn in der Vergangenheit prozyklisch ausgebildet worden ist und man gemeint hat, man brauche nicht auszubilden, weil andere Unternehmen über den Bedarf ausbilden, und könne sich dann, ohne selbst Ausbildungskosten zu haben, die Fachkräfte holen, dann braucht man sich nicht wundern, dass man heute einen Fachkräftemangel hat.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Deshalb der ganz klare Appell an die Unternehmerinnen und Unternehmer, an dieser Stelle ihrer Verantwortung nachzukommen.

Die Politik hat natürlich Rahmenbedingungen zu schaffen. Schule, Sekundarschule, duales Lernen nenne ich nur als Stichworte. Rot-Rot hat ein wegweisendes Modell entwickelt, das ein wichtiges Instrument ist, um künftigem Fachkräftemangel entgegenzutreten. Die Stärkung der Ingenieurausbildung an den Universitäten ist ein weiterer Punkt. Es ist nicht so, als seien wir untätig. Im Gegenteil: Der Senat hat das Problem erkannt. Er arbeitet daran. Aber ich verlange auch, dass Unternehmerinnen und Unternehmer ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und der Verantwortung für ihre eigenen Unternehmen – darum geht es bei der Fachkräfteausbildung – nachkommen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Das heißt auch, dass Fachkräfte anständig bezahlt und ihnen attraktive Bedingungen geboten werden müssen. In den Unternehmen muss es zum Beispiel auch familienfreundliche Arbeitszeiten geben. Es muss Kinderbetreuungseinrichtungen geben. Die Themen Fachkräftemangel und demografischer Wandel können wir nur bewältigen, wenn wir die Erwerbsquote von Frauen erhöhen. Das setzt anständige, familienfreundliche Bedingungen voraus. Auch das ist eine Aufgabe der Unternehmen, und wir versuchen seitens der Politik, sie zu flankieren.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Frank Jahnke (SPD)]

Worum geht es in der Wirtschaftspolitik in der Zukunft? – Ich will hier nur einige Stichworte nennen. Ich halte es für wichtig und richtig, die Konzentration auf die Wachstumsfelder der Zukunft aufrechtzuerhalten, das heißt, an dieser Strategie festzuhalten und das gemeinsam mit

Brandenburg zu entwickeln. Das Thema nachhaltiges Wirtschaften, die Entwicklung der Clean Economy wird immer bedeutender sein. Gerade wenn wir gegenwärtig über Atomausstieg und eine Neuorganisation der Energiewirtschaft diskutieren, ist völlig klar, dass Fragen der Energieeffizienz, Ressourcenschonung und Entwicklung neuer Materialien, Technologien und industrieller Lösungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel ganz zentral sind. Berlin hat gute Voraussetzungen in diesem Bereich. Wir haben 4 600 Unternehmen, die sich mit Clean Economy befassen. Diese bieten circa 47 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und gute Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen. Wir müssen begreifen, dass das kein Cluster nebenan ist, sondern ein Querschnittsthema, das durch alle Bereiche der Wirtschaft geht. Wir müssen sowohl in der Gesundheitswirtschaft als auch in der Verkehrswirtschaft, der Mobilität und der ITWirtschaft – Schauen Sie sich an, welche Energie dort verbraucht wird! – daran arbeiten und technische und industrielle Lösungen entwickeln. Das wird ein großes Investitions- und Wachstumspotenzial in der Zukunft sein. Deshalb ist es wichtig, das Thema als Querschnittsaufgabe zu verstehen und entsprechend zu unterstützen und zu fördern.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Volker Thiel (FDP)]

Es wird auch darauf ankommen, nicht nur verstärkt Cluster für die einzelnen Zukunftsfelder zu bilden, sondern auch stadträumliche Cluster. Wir haben in Adlershof schon gesehen, wie wichtig die enge Beziehung von Unternehmen, Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen ist. Adlershof ist ein Erfolgsmodell. Wir haben eine solche räumliche Nähe auch in Charlottenburg mit der technischen Universität, dem Fraunhofer Institut und Industrieunternehmen. Das muss weiterentwickelt werden. Tegel ist der nächste Standort in unmittelbarer Nähe zu Charlottenburg. Tegel ist ein Zukunftsstandort für Energie, Elektromobilität und neue Werkstoffe – das wird ganz zentral sein. Hier Forschung und Wissenschaft zu bündeln in Kombination mit Charlottenburg und der Industrieachse nach Spandau, ist eine wichtige Aufgabe. Dazu liegt ein Konzept vor. Wir haben dazu mehr als einen Flächennutzungsplan. Demnächst haben wir auch ein verabschiedetes Marketingkonzept für dieses Areal. Es wird eine Aufgabe in den nächsten Monaten und der nächsten Legislaturperiode sein, die nun eingeleitete Entwicklung fortzusetzen.

Es ist viel erreicht worden, aber es gibt nach wie vor viel zu tun. Wir haben vor, das anzupacken. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Herr Senator Wolf! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

[Uwe Goetze (CDU) meldet sich.]

Sie haben keinen Redebeitrag angemeldet. Haben Sie noch Redebedarf?

[Uwe Goetze (CDU): Ja!]

Das ist hier oben nicht angekommen. – Bitte, Sie haben das Wort, Herr Melzer, allerdings nur noch eine Minute und 39 Sekunden!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Wolf! Das, was Sie uns vorgetragen haben, war eine Rechtfertigungsrede. Sie war im Kern vergangenheitsbezogen, und Sie sind am Schönreden der 13,6 Prozent Arbeitslosigkeit gescheitert. Die sind nun einmal objektiv da, auch wenn Sie noch so oft versuchen, das schönzureden. Sie haben keine Vision für Berlin in den kommenden Jahren entwickelt.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Das, was Sie hier vorgetragen haben, Herr Wolf, war eine Rechtfertigung Ihrer bisherigen Politik. Es war sozusagen die erste Abschiedrede als Senator für Wirtschaft. Richtig schade, dass zu dem Zeitpunkt kein einziger Ihrer SPDKollegen der Party beiwohnen wollte.

[Beifall bei der CDU – Anhaltende Zurufe von der Linksfraktion]

Ich hätte erwartet, dass beispielsweise Senator Zöllner – er ist ja jetzt am Ende da – dabei ist, wenn es um Fachkräftemangel und Bildungsideologie geht, und dass Senator Nußbaum dabei ist, wenn es um die Frage öffentlichprivater Partnerschaften und die Akquise von privaten Kapital geht. Wenn das tatsächlich ein Thema ist, das für die SPD im Wahlkampf eine so zentrale Rolle spielt, dann fragen wir uns schon, warum zum Zeitpunkt der Debatte kein einziger SPD-Senator anwesend war und der wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion noch nicht einmal das Wort bekommen hat.

[Beifall bei der CDU – Anhaltende Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Herr Wolf! In der ersten Legislaturperiode von Rot-Rot wurde Ihnen zugestanden, dass Sie zuhören können. Das ist einige Jahre her.

[Gelächter bei der Linksfraktion]

Zuhören ist noch kein Wert an sich. Wir hätten erwartet, dass Sie jetzt auch einmal umsetzen und liefern können.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Das können Sie ganz offensichtlich nicht. Und deswegen ist es Zeit für einen Wechsel. Themen wie Mittelstand, wie Handwerk – –

Herr Melzer! Ihre Redezeit ist wirklich schon großzügig bemessen. Sie ist jetzt zu Ende.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Es sind noch sieben Sekunden! – Die Bestandspflege hat bei Ihnen keine Rolle gespielt. Deswegen freue ich mich auf den Herbst, wenn wir – –

Vielen Dank! – Es liegen immer noch keine weiteren Wortmeldungen vor. Der Ausschuss empfiehlt mehrheitlich gegen Grüne und FDP bei Enthaltung der CDU die Annahme. Wer dem Antrag Drucksache 16/3466 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen.

[Unruhe – Uwe Goetze (CDU): Was für ein Antrag?]

Oh, wir waren schon in der nächsten Rederunde! Jetzt muss ich sagen: Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

Wir rufen auf

lfd. Nr. 4:

Prioritäten gem. § 59 der Geschäftsordnung

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.1:

Beschlussempfehlung

Potenziale nutzen – Migranten und Migrantinnen mit im Herkunftsland erworbenen Berufsabschlüssen eine zweite Chance geben!

Beschlussempfehlung IntArbBSoz Drs 16/4180 Antrag der SPD und der Linksfraktion Drs 16/3466

Das ist die Priorität der Linksfraktion mit Tagesordnungspunkt 21.

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Die Linke. – Frau Breitenbach, Sie haben das Wort!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Bildungs- und Berufsabschlüssen wurde mit der Debatte zum Fachkräftemangel immer mehr zum Thema. Das war gut, aber es geht nicht allein darum, dem Fachkräftemangel zu begegnen; es geht in erster Linie darum, den Menschen ihre Berufsabschlüsse und Kompetenzen anzuerkennen und zu stärken. Und es geht auch darum, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie ihr Wissen und ihr Können einsetzen können und so eine Chance auf dem Arbeitsplatz und einen entsprechenden Job bekommen. Integration durch Partizipation heißt auch, Zugänge zu dem Erwerb

sarbeitsmarkt zu öffnen und Wissen und Ressourcen nicht einfach zu verschleudern.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Das System zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und Qualifikationen ist nach wie vor unübersichtlich. So kann beispielsweise eine Friseurin oder eine Köchin in dem jeweiligen Beruf beschäftigt werden, ohne dass ein formaler Abschluss nötig ist.

[Zuruf von Sebastian Czaja (FDP)]

Allerdings werden diese Menschen oftmals – weil ihr Berufsabschluss eben nicht anerkannt ist – als Hilfskraft entlohnt. Würde die Friseurin als selbstständige Meisterin arbeiten wollen, brauchte sie die formale Anerkennung des Berufsabschlusses. Im akademischen Bereich ist ein Zugang ohne Anerkennung in der Regel gar nicht erst möglich. Hier ist die Gesetzeslage noch unübersichtlicher.