Vielleicht können Sie uns erklären, warum nicht nur im vergangenen Jahr – darauf hatte Herr Thiel bereits hingewiesen – das Wirtschaftswachstum in Berlin unter dem bundesdeutschen Schnitt lag, sondern offensichtlich auch die Prognosen für das Jahr 2011, selbst wenn Sie jetzt auf 3 Prozent erhöht wurden, unter den bundesdeutschen Konsensprognosen liegen.
Ich antworte gern auf Ihre Frage: Letzteres ist falsch. Die offizielle Prognose der Bundesregierung liegt bei 2,6 Prozent. Unsere offizielle Prognose liegt bei 3 Prozent. Das möchte ich nur anmerken. Es gibt einzelne Institute, die für den Bund inzwischen 3,5 Prozent prognostizieren. Unsere Prognosen sind immer konservative Prognosen. Lassen Sie uns das Ende des Jahres abwarten. Das war der erste Punkt der Antwort.
Zweiter Punkt der Antwort: Berlin hat bereits 2010 das Vorkrisenniveau um mehr als 2 Prozent übertroffen, während der Bund in 2010 immer noch hinter dem Vorkrisenniveau lag. Deshalb ist das Aufholpotenzial beim Bund natürlich noch größer, um überhaupt wieder auf das Vorkrisenniveau zu kommen als in Berlin. Deshalb ist es genau so, wie ich es erklärt habe, wenn Sie sich die absoluten Werte ansehen. Berlin holt auf. Berlin hat gegenüber dem Bundesdurchschnitt ein höheres Wachstum. Das ist Fakt. Das ist nicht wegzureden.
Das habe ich doch gesagt. Wenn man von 2001 ausgeht, als Berlin in einer schlimmen Lage war und wir ein negatives Wachstum hatte, eine Schrumpfung der Wirtschaft, sieht die Bilanz anders aus. Ich weise doch aber gerade darauf hin. Ab 2005 hat sich die Situation gedreht. Das ist das Wichtige. Ich kann auch bis 1990 zurückgehen, das sagt nur nichts aus.
Solange wir Verantwortung haben! Diese Diskussion führe ich gern einmal mit Ihnen im Bund. Das ist doch Quatsch, Herr Meyer, was Sie da sagen. Das ist intellektuell unredlich.
Ich kann bis 1995 oder bis 1990 gehen. Wir haben hart daran gearbeitet, dass sich die Entwicklung gedreht hat. Ab 2005 hat es gewirkt. Das ist das, was ich hier feststelle. Die Zahlen sprechen für sich. Die können Sie nicht wegdiskutieren, Herr Meyer, auch wenn Sie es gern möchten.
Sie können sich nicht vorstellen, dass unter Rot-Rot eine Wirtschaftspolitik stattfindet, die von der Wirtschaft gestützt wird und die dazu führt, dass wir Wachstum und
einen Aufbau von Arbeitsplätzen haben. Das können Sie sich nicht vorstellen. Deshalb müssen Sie die Realität verleugnen. Das ist der Sachverhalt.
Wir haben inzwischen nach langen Jahren wieder industrielles Wachstum. Und Frau Pop, wir haben die Industrie nicht erst ein Dreivierteljahr vor den Wahlen entdeckt. Die Themen Industriepolitik, Industriedialog werden spätestens seit 2005 intensiv vonseiten der Wirtschaftsverwaltung gemeinsam mit dem DGB, gemeinsam mit den Unternehmerverbänden und den Kammern bearbeitet. Diese Politik hat sich kontinuierlich hin zum Masterplan Industrie entwickelt, wo sich andere Bundesländer inzwischen ein Beispiel nehmen und die Europäische Kommission sagt, dass es ein Best-Practice-Beispiel von Industriepolitik ist. Das ist die Realität.
Wenn man grüne Wirtschaftspolitik betreiben will, reicht es nicht aus, nur Nacherzählungen von Rot-Rot zu bringen – ich beziehe mich da auf Interviews von Renate Künast. Das hat keinen Sinn, das ist keine eigenständige Leistung, und die müssen Sie mal bringen!
Ich stimme allen zu, die gesagt haben, dass der Erfolg in der Wirtschaft im Wesentlichen ein Verdienst der Unternehmerinnen und Unternehmer, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Gewerkschaften ist, die an diesem Erfolg gearbeitet haben. Politik hat die Aufgabe, positive Entwicklung zu befördern, anzustoßen, Rahmenbedingungen zu schaffen. Diesbezüglich haben wir einiges geleistet, und ich nennen Ihnen im Folgenden, worin die Strategie dieser Wirtschaftspolitik bestand und besteht, worin sie weiterhin bestehen muss:
Erstens. Wir haben ein völliges Wirrwarr der Wirtschaftsförderinstitutionen vorgefunden. Drei Wirtschaftsfördergesellschaften, die miteinander konkurriert und sich bekriegt haben, eine Investitionsbank, die sich mit Wohnungsbauförderung, nicht aber mit Wirtschaftsförderung beschäftigt hat. Das haben wir neu strukturiert. Wir haben mittlerweile eine Wirtschaftsförderungsgesellschaft, die nicht nur Ansiedlungspolitik betreibt, sondern auch einen hervorragenden Unternehmensservice aus einer Hand anbietet, der von den Unternehmerinnen und Unternehmern ausgesprochen geschätzt wird und der ein BestPractice-Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Mit der Investitionsbank Berlin haben wir mittlerweile eine Wirtschaftsförderbank, die die Unternehmen bei ihren Investitionen und auch dann, wenn sie in Schwierigkeiten sind, unterstützt. Ihr Augenmerk richtet sie sowohl auf die wachstumsstarken Zukunftsbranchen als auch auf die Unterstützung des breiten Mittelstands sowie der klein- und mittelständischen Unternehmen.
Zweitens. Wir haben uns in der Wirtschaftspolitik und in der Strategie klar auf die Wachstumsfelder der Zukunft ausgerichtet. Wo die wichtigen Innovationen stattfinden, wo die Wachstumstreiber sind – das ist die Gesundheitswirtschaft, das ist die Medien-, Kommunikation- und Kreativwirtschaft, das ist der Sektor Mobilität, das ist der Energiesektor –, dort haben wir es gemeinsam mit Brandenburg geschafft, eine länderübergreifende Innovationsstrategie zu entwickeln. Dass zwei Bundesländer in der Wirtschaftspolitik so eng kooperieren, auch das ist einmalig. Das ist in der besonderen Situation, die wir mit Berlin als Metropole inmitten von Brandenburg haben, auch dringend notwendig. Es gibt in der Region kein Gegeneinander mehr, es gibt ein Miteinander in der Wirtschaftspolitik, und das ist gut für beide Seiten!
Die Fördermittel haben wir genau auf diese Zukunftsfelder ausgerichtet. Der Großteil der Fördermittel geht in diese Wachstumsfelder, in denen wir ein deutlich überdurchschnittliches Wachstum haben: von 2002 bis 2008 jahresdurchschnittlich 8,8 Prozent! Hier sieht man, dass dies die Wachstumstreiber der Berliner Wirtschaft sind, ohne, dass wir vergessen hätten, dem breiten Mittelstand Unterstützung zu geben.
Wir haben es geschafft, das Thema Industrie wieder in das öffentliche Bewusstsein zu bringen, den Irrglauben, der in den 90er-Jahren existierte, zu korrigieren, als noch die Vorstellung bestand, wir könnten nur als Dienstleistungsökonomie florieren und erfolgreich sein. Nein, es ist mittlerweile eine breite Erkenntnis, die auch breit von der Politik und in der Stadt getragen wird, dass wir eine starke Industrie, einen stabilen industriellen Kern brauchen, der auch wieder wächst – was gegenwärtig der Fall ist – und von dem Wachstumsimpulse für die produktionsnahen Dienstleistungsbereiche ausgehen, übrigens auch ein wichtiger Faktor, wenn wir gute und stabile Arbeitsverhältnisse wollen. Gerade der Dienstleistungssektor ist für prekäre Beschäftigungsverhältnisse besonders anfällig.
Ich habe Ihnen skizziert, worin die Strategie besteht; wir konnten damit positive wirtschaftliche Entwicklungen verzeichnen, die sich auch auf dem Arbeitsmarkt ausgewirkt haben – über 120 000 neue Arbeitsplätze in den letzten Jahren. Das nehme ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge zur Kenntnis, denn an vielen Stellen liegt die Qualität dieser Arbeitsplätze noch im Argen. Viele dieser Arbeitsplätze sind prekär, sind im Niedriglohnsektor angesiedelt, sind Minijobs und keine Vollzeitarbeitsplätze, oder aber es sind Arbeitsplätze, die im Bereich der Leiharbeit entstanden sind. Da finde ich es schon erstaunlich, wenn insbesondere die grüne Partei und Frau Pop hier auftreten
Frau Pop ist nicht mehr im Saal, ich sage es aber trotzdem, denn es sollen auch andere hören, das ist ja kein Zwiegespräch, das gilt für die Grünen insgesamt – und die Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen beklagen,
die Grünen, die in der Regierung Schröder die Mitverantwortung dafür getragen haben, dass über die HartzGesetze der größte Einschnitt in der bundesdeutschen Geschichte des Sozialstaates erfolgte und damit der Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen wissentlich Vorschub geleistet wurde! Das war das Ziel der Gesetzgebung der Agenda 2010, der Marsch in den Niedriglohnsektor!
Eine Spitzenkandidatin, die damals im Kabinett gesessen hat, die im Kabinett dieses Gesetz beschlossen hat, die hat das Recht verwirkt, sich an dieser Stelle über prekäre Beschäftigungsverhältnisse in Berlin zu beklagen. Sie haben die Voraussetzung dafür geschaffen!
Ich sage es an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich, weshalb ich die Grünen darauf hinweise: Die Sozialdemokraten stehen in dieser Frage zu ihrer Verantwortung – im Gegensatz zu den Grünen. Die Grünen tun so, als seien sie nicht dabei gewesen, also seien es allein die Sozialdemokraten gewesen. Nein, Sie waren mit dabei, das war tätige Mithilfe!
Hier muss etwas getan werden, auch auf der Bundesebene. Das Thema gesetzlicher Mindestlohn ist bereits angesprochen worden. Zu der FDP noch eine Anmerkung: Sie sind in dieser Frage ja der wirkliche Geisterfahrer.
Ganz Europa hat Mindestlöhne, nirgendwo werden deshalb Arbeitsplätze vernichten. Studien zeigen vielmehr das Gegenteil: Mindestlöhne schaffen Arbeitsplätze, weil sie die Binnennachfrage und damit den Wirtschaftskreislauf stärken. Sie zitieren ja gerne „Prognos“, gucken Sie sich die jüngste Studie an, was Mindestlöhne an Einnahmen für die Sozialversicherungen, an Steuereinnahmen für die öffentlichen Haushalte und an positiven Beschäftigungseffekten bedeuten. Herr Meyer! Prognos lesen ist gut, aber dann bitte alles lesen und auch alles sagen, was dort geschrieben steht!
[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Christoph Meyer (FDP): Warum ist Deutschland im Wirtschaftswachstum führend?]
Bei den Minijobs brauchen wir dringend eine Korrektur, weil diese dazu führen, dass reguläre Arbeitsplätze mehr und mehr verdrängt werden. Immer mehr Menschen haben neben ihrer regulären Beschäftigung Minijobs, was ein Hinweis dafür ist, dass reguläre Beschäftigung nicht anständig bezahlt wird. Das muss geändert werden, dazu sind weiterhin bundespolitisch Initiativen und Druck notwendig, das hat Rot-Rot in der Vergangenheit gemacht, und dafür steht die Linke in der Zukunft, und ich gehe davon aus, auch die Sozialdemokraten. Es hat mich gefreut, heute von Ihnen gehört zu haben, dass Sie dafür eintreten, den Mindestlohn im Vergabegesetz auf 8,50 Euro zu erhöhen.
Unserer Ansicht nach können wir das sofort umsetzen, denn 7,50 Euro sind wirklich die absolut untere Grenze. Man kommt damit gerade einmal auf den Hartz-IV-Satz, und deshalb ist hier eine Anpassung notwendig. Andere Länder haben bereits Vergabegesetze mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro beschlossen – es passiert nichts Schlimmes, im Gegenteil, wir stabilisieren damit Beschäftigungsverhältnisse, sorgen dafür, dass wieder mehr Ordnung in den Arbeitsmarkt kommt.
Wir haben nicht nur versucht, über das Vergabegesetz Haltelinien einzuziehen, was soziale Mindeststandards angeht, sondern ich habe auch in der Wirtschaftsförderung dafür gesorgt, dass wir Investitionsförderungen nur noch an Unternehmen vergeben, die der Mehrheit ihrer Beschäftigten mindestens 25 000 Euro Jahresarbeitgeberbrutto zahlen und den anderen Beschäftigten mindestens den Mindestlohn. Andere Geschäftsmodelle sind im Land Berlin nicht förderfähig, und dabei sollten wir auch bleiben. Keine Dumpinglohn-Strategie in diesem Land!
Die Zukunft des Standortes in Deutschland wie auch in Berlin besteht nicht in einer Niedriglohnstrategie, sondern in der Qualität von Arbeit, in Innovation und Qualifizierung. Dafür müssen wir auch über eine Wirtschaftsförderpolitik Sorge tragen.
Ich habe auch mit Interesse den Vorstoß meines sozialdemokratischen Kollegen Machnig aus Thüringen zur Kenntnis genommen, der in der Wirtschaftsförderung auch die Frage, wie viele Leiharbeiter ein Unternehmen beschäftigt, zu einem Kriterium der Förderhöhe gemacht hat. Ab 30 Prozent Leiharbeit hat er Unternehmen von der Förderung ausgeschlossen, denn 30 Prozent sind keine Auftragsspitze mehr, sondern es ist eine Spaltung der Belegschaft, die auf Dauer angelegt ist. Das ist nicht akzeptabel. Wir arbeiten derzeit an einer ähnlichen Regelung für Berlin, um den Wildwuchs und Missbrauch bei der Leiharbeit entgegenzutreten.
An dieser Stelle kann man auch sehen – es wurde schon mehrfach erwähnt –, dass das Urteil zur Tariffähigkeit nicht nur Rot-Rot in Berlin nutzt, sondern Zehntausende von Arbeitern und Arbeiterinnen in ganz Deutschland davon profitiert haben, dass die Arbeitsverwaltung den Mut gehabt hat, gemeinsam mit Verdi vor Gericht zu ziehen, um die Tariffähigkeit dieser sogenannten christlichen Gewerkschaften erfolgreich zu beklagen. Dadurch haben Zehntausende Menschen in Berlin und der Bundesrepublik Anspruch auf eine anständige Entlohnung für die Arbeit, die sie in der Vergangenheit geleistet haben. Übrigens haben auch die Sozialkassen Anspruch auf die Nachzahlung vorenthaltener Sozialbeiträge.
Das Thema Fachkräftebedarf ist zu Recht angesprochen worden. Es ist kein Berliner Sonderthema, sondern wir haben es in der gesamten Bundesrepublik. Das haben wir die letzten zwei Tage auf der Wirtschaftsministerkonferenz intensiv diskutiert. In manchen Regionen ist das Problem größer als in Berlin. Aber an dieser Stelle noch einmal ganz klar: Man kann nicht nur immer mit dem Finger auf die Politik zeigen. In Deutschland liegt die Frage der Berufsausbildung im dualen System primär in der Verantwortung der Unternehmerinnen und Unternehmer. Wenn in der Vergangenheit prozyklisch ausgebildet worden ist und man gemeint hat, man brauche nicht auszubilden, weil andere Unternehmen über den Bedarf ausbilden, und könne sich dann, ohne selbst Ausbildungskosten zu haben, die Fachkräfte holen, dann braucht man sich nicht wundern, dass man heute einen Fachkräftemangel hat.