Protocol of the Session on January 27, 2011

Da kann man auch ruhig mal klatschen. – Wir brauchen kluge und neue Instrumente. Und sollte es Ihnen diesmal tatsächlich mit dieser Forderung nach einer Zusammenlegung der aktiven und der passiven Leistungen ernst sein, dann sollten Sie mal in dieser Frage so hart mit dem Bund verhandeln, wie Sie bislang in Sachen ÖBS hart verhandelt haben, Frau Breitenbach, Frau Bluhm, das würde dann mehr als ein paar Tausend Erwerbslosen zugute kommen, würde uns in der Sache voranbringen und wäre etwas mehr als das Wenige, das Sie bisher zustande gebracht haben.

Frau – –

Nein, Zwischenfragen nehme ich nicht mehr entgegen! – Danke!

[Beifall bei den Grünen]

Okay! Vielen Dank, Frau Abgeordnete Pop! – Dann hat jetzt für die FDP-Fraktion Herr Abgeordneter Thiel das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann an das anknüpfen, Frau Pop, was Sie gefragt haben: Warum jetzt, warum gerade jetzt? – Und Sie meinen wahlkampfmäßig. Ja, wenn 200 Millionen fehlen, wie uns Frau Grosse gesagt hat, dann ist es sicherlich an der Zeit zu gucken, wo ich das Geld herkriege, damit meine Arbeitsmarktpolitik nicht total scheitert. Und das droht nämlich bei Ihnen. Das ist nicht nur der ÖBS, der nicht finanziert ist, weil man immer mit fremden Geldern kofinanzierte, sondern es sind auch die ganzen Projekte in dieser Stadt, die jetzt aufschreien und sagen: Wir können unsere Projekte gar nicht mehr fortschreiben. – Und wir hatten das neulich im Arbeitsausschuss: Etwa 3 500 Menschen sind davon unmittelbar betroffen. Und für diese versuchen Sie nun auch wieder – dadurch, dass Sie Bundesgelder fordern –, Ihre Projekte und Ihre unvernünftige Finanzierung entsprechend auszugleichen.

[Beifall bei der FDP]

Die Zahl wurde schon genannt – was machen Sie eigentlich für die anderen 179 000 Hartz-IV-Empfänger? Was tun Sie für sie? Im Moment nicht viel mehr, als dass Sie sagen: Sie können nichts machen, der Bund ist an allem schuld.

[Christoph Meyer (FDP): Das ist zynisch!]

Herr Abgeordneter Thiel, entschuldigen Sie! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Breitenbach?

Aber gern!

Bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Thiel! Sie sind der Erste, der eine Zwischenfrage zugelassen hat! Meine Frage an Sie, weil Sie von den 200 Millionen Euro gesprochen haben: Ist Ihnen bekannt, dass diese 200 Millionen Euro, die dem Land Berlin in diesem Jahr in dem Eingliederungstitel fehlen, Gelder sind, die der Bund gespart hat, und stimmen Sie mir zu, dass es Sinn der Hartz-Gesetze, die fast alle Parteien beschlossen haben, gewesen ist, dass der Bund die Verantwortung für die Arbeitslosen übernimmt?

[Christoph Meyer (FDP): Machen Sie doch mal Ihre Hausaufgaben vor Ort, und schieben nicht alles dem Bund in die Schuhe!]

Bei der Einsparung stimme ich Ihnen zu. Der Bund kann aber nicht allein die Verantwortung für die Hartz-IVEmpfänger übernehmen. Er kann sie auch gar nicht eingliedern. Das ist immer noch Aufgabe der Länder bzw. der Kommunen. Das haben wir gerade bei den Änderungen der Hartz-IV-Gesetze erlebt.

[Elke Breitenbach (Linksfraktion): Das war das Ziel der Hartz-IV-Gesetze!]

Ja, aber dieses Ziel ist, wie viele andere Ziele, gar nicht erreicht, ist gar nicht umgesetzt worden. Was wir jetzt erleben, ist noch viel schlimmer: Wir erleben eine Diskussion, die Hartz-IV-Gesetze stückweise wieder aufzuheben. Das wäre genau die falsche Richtung.

[Beifall bei der FDP – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Tosender Beifall!]

Herr Lederer! Was gut ist, setzt sich trotzdem durch! Wenn Sie sagen: Sinnvolle Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren! – dann klingt das erst einmal ganz gut. Es ist aber falsch. Niemand von uns will Arbeitslosigkeit finanzieren. Und Hartz IV ist kein Almosen. Hartz IV ist eine praktische Solidarität mit Menschen, die unsere Solidarität brauchen und verdienen. Aber wenn ich immer davon spreche, dass Hartz IV so etwas ist – na ja –, da mache ich aus diesen Menschen Fälle, und damit raube ich ihnen auch ein Stück Selbstbewusstsein und Menschenwürde. Das ist einfach unanständig!

[Beifall bei der FDP]

Wir möchten, dass möglichst zügig alle Menschen, die arbeitslos sind, wieder in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden. Deswegen sind wir auch ganz klar gegen jede Form eines zweiten oder dritten Arbeitsmarktes. Denn die Erfahrung zeigt doch: Ein zweiter oder dritter Arbeitsmarkt führt nicht zu mehr Integration in den ersten Arbeitsmarkt, sondern genau das Gegenteil. Er führt zu Segregation. Er führt zu Ausgrenzung und Scheidung. Das haben wir seit den Achtzigerjahren bei den ganzen AB-Maßnahmen erlebt, die auch alle eingestellt worden sind, weil die Menschen die dort Arbeit finden, sich interessanterweise in der Regel nicht mehr um eine Arbeitsstelle auf dem ersten Arbeitsmarkt bemühen. Das ist der falsche Weg.

[Beifall bei der FDP]

Sie sagen selbst, Sie wollen Beschäftigungsverhältnisse zur Entwicklung der wirtschaftsnahen und sozialen Infrastruktur, möglichst mit einer systematischen zielgruppenadäquaten Qualifizierung für den Arbeitsmarkt. Was soll das eigentlich konkret heißen? – Sie wollen die Verstetigung von irgendwelchen Projekten, und nebenbei kann man vielleicht noch irgendwelche Schulungen machen. Aber die Menschen dazu zu bringen, wieder in dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, dazu sind Sie nicht in der Lage und auch nicht bereit.

Diese Arbeitsmarktpolitik ist genau das Gegenteil von dem, was wir wollen. Wir möchten, dass alles gemacht

wird, dass Menschen möglichst sehr schnell wieder im ersten Arbeitsmarkt eine Arbeit finden.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir möchten auch nicht – was Sie unter Punkt 2 ganz kurz mal eben erwähnt haben – die Nachrangigkeit der Kosten der Unterkunft und Einkünfte usw. aufheben und den Bund proportional an den Kosten beteiligen. Das ist die Übersetzung dafür, dass Sie Ihren Verpflichtungen als Land nicht nachkommen, nämlich Antragstellerinnen und Antragsteller auch zu überprüfen, ob z. B. der Wohnraum, den sie beanspruchen, angemessen ist. Das haben Sie nicht getan – das wurde beklagt, Sie mussten Gelder zurückzahlen –, und Sie wollen es auch nicht tun. Stattdessen wollen Sie sich einen schlanken Fuß machen und sagen: Der Bund muss es richten. Der Bund ist in der Pflicht, und wenn wir es nicht können, dann hat der Bund eben schuld.

Wenn es so weitergeht, tut es mir um die Menschen leid, die in Ihrem ÖBS sind, aber ich sehe dann auch keine Zukunft für Ihren ÖBS. Das haben Sie zu verantworten! – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Thiel! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche Bildung und Soziales vorgeschlagen. – Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.5:

Persönliches Budget fördern – bessere Informationen für Leistungsberechtigte!

Antrag der FDP Drs 16/3790

Das ist der Tagesordnungspunkt 29 und die Priorität der FDP. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der FDP. – Bitte, Frau Senftleben, Sie haben das Wort!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Verehrte Kollegen! Kolleginnen! Wir wissen es alle: Seit 2004 gibt es einen grundlegenden Paradigmenwechsel bei der Pflege und Betreuung von Menschen mit Behinderungen, nämlich das persönliche Budget. Das Ziel: den Menschen mit Behinderungen größtmögliche gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung zu ermöglichen, ihr Wunsch- und Wahlrecht zu stärken. Das finden wir gut. Seit 2008 besteht auch ein verbindlicher, rechtlicher Anspruch auf dieses persönliche Budget, und ich vermute, nicht nur ich

finde das gut, sondern alle, gleich welcher Couleur, begrüßen diese Tatsache.

Drei Jahre danach ist es nun Zeit für eine Zwischenbilanz. Bundesweit gibt es 8,6 Millionen Menschen mit Behinderungen. Nach Schätzung des Bundessozialministerium nehmen aber nur 10 000 bis 15 000 Menschen das persönliche Budget in Anspruch. Das ist wenig. Das finde ich deprimierend. Das finde ich auch enttäuschend. In Berlin sieht die Sache nicht anders aus: In meiner ersten Sitzung als Mitglied des Sozialausschusses fragte ich nach Zahlen. Da war die Antwort der Senatorin schwammig, und da wurde ich auch vertröstet, angeblich gebe es mit der Software Probleme, belastbare Zahlen gebe es nicht. Diese Tatsache fand ich schon ein wenig merkwürdig. Auch in der Antwort auf die Kleinen Anfragen der Kolleginnen Dott und Breitenbach, die mir zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht vorlagen, werden unterschiedliche Quellen angegeben. Die unterschiedlichen Zahlen haben nur eines gemeinsam: Sie sind höchst unbefriedigend.

[Beifall bei der FDP]

Fazit: Auch in Berlin nehmen zu wenig Menschen ein persönliches Budget in Anspruch.

Der Berliner Senat hat dieses persönliche Budget offensichtlich verschlafen. Das sage ich auch ausdrücklich: Berlin steht als Kommune dabei nicht allein, denn das passierte in der Tat in vielen Ländern und Kommunen. Es sind die Länder, Kommunen und Rehabilitationsträger, die in der Verantwortung stehen, das persönliche Budget strukturell abzusichern, und dann sollte das auch im Interesse der Menschen mit Behinderungen genau so passieren. Die bisherige Praxis wird kritisiert, denn es wird potenziellen Nutzern äußerst schwer gemacht, das Instrument zu nutzen bzw. zu beantragen. Hinzu kommt, und das ist wirklich blamabel, dass viele von ihnen gar nichts von ihrer Möglichkeit wissen, ihre Leistung zur Rehabilitation und zur Teilhabe eigenverantwortlich einzukaufen.

Das, was der Senat bisher zur Besserung der Situation macht, genügt uns nicht. Er schreibt rund, sprich: er macht viele Rundschreiben, fährt durch die Bezirke, und nennt das dann auch Budgettour. Leider weiß niemand davon, nicht einmal die Betroffenen, und das sollte uns beschämen.

[Beifall bei der FDP]

Ändern Sie dies, Frau Senatorin! Denn das persönliche Budget ist eine Frage der Menschenwürde, und die sollte ganz obenan stehen. Ihre Aufgabe sollte es sein, nein, Ihre Aufgabe muss es sein, sich systematisch damit zu beschäftigen, wie mehr Menschen in die Lage versetzt werden können, ein persönliches Budget zu beantragen und zu nutzen. An erster Stelle steht dabei die Information. Über die gut gemeinte Budgettour hinaus ist dabei ein niedrigschwelliges und barrierefreies Informationskonzept gefragt.

[Beifall bei der FDP]

Zweitens: Bei der Budgetassistenz muss eine vom Leistungserbringer und Kostenträger unabhängige Beratung und Hilfestellung gewährleistet sein. Drittens: Zur Modularisierung von Eingliederungs- und Teilhabeleistungen stehen die Leistungsträger in der Pflicht, der Senat muss hier den Druck erhöhen. Viertens: Vergessen wir auch beim persönlichen Budget nicht, die Strukturen des bürgerschaftlichen Engagements einzubinden.

Ich hoffe, dass dieses Thema uns allen so wichtig ist, dass es nicht im üblichen parteienpolitischen Gezänk untergeht. Das Interesse ist ja auch nur sehr begrenzt, wie man sieht. Ich bitte und werbe um Ihre Zustimmung zu diesem Antrag. Ich freue mich hierbei auf eine konstruktive Auseinandersetzung im weiteren Verfahren. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der FDP]

Für die SPD-Fraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Radziwill das Wort. – Bitte!