Protocol of the Session on November 25, 2010

[Beifall von Evrim Baba-Sommer (Linksfraktion)]

Gewalt gegen Frauen ist doch nicht zuletzt ein Problem der überwiegend hier geborenen und aufgewachsenen Männer. Gewalt tritt in allen Schichten und Klassen und auch in allen Nationalitäten auf.

Aktuell wird im schwarz-gelb regierten Sachsen bei den Haushaltsberatungen massiv der Rotstift dort angesetzt, wo es um Frauenprojekte geht. Ich bin froh, dass es uns 2009 in Berlin gelungen ist, die Finanzierung von Frauenprojekten zu sichern und auszubauen, vor allem der Projekte gegen häusliche Gewalt, Zwangsverheiratung und Menschenhandel und auch das Programm zur Beschäftigung von Frauen mit Benachteilungen und für die Stärkung der Fraueninfrastruktur. Auch insoweit ist Berlin Stadt der Frauen. Ich bitte um Annahme unserer Entschließung! – Danke!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Vielen Dank, Frau Neumann! – Das Wort für die CDUFraktion hat die Kollegin Görsch.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gewalt gegen Frauen ist nicht nur ein Problem der öffentlichen Gesundheit. Um die Spirale der Gewalt zu durchbrechen und um langfristige gesellschaftliche Veränderungsprozesse einleiten zu können, ist es wichtig, mit Aufklärung und Information bereits frühzeitig, d. h. also schon in den Schulen, bei den Kindern zu beginnen und die Bedeutung der Gewalt zu vermitteln,

[Beifall bei der CDU]

frühzeitig bei den Tätern anzusetzen – dazu siehe auch den Aktionsplan der Bundesregierung und damit gleich die Frage verbunden: Wie wird dieser in Berlin umgesetzt?

Auch darum geht es heute am Gedenktag: Gewalt, die wir meinen, will beherrschen, beeinflussen, verändern und schädigen. Sie ist eine Quelle der Macht und die Ohnmacht des Opfers. Der Mensch oder der Mann – wer hat die Gewalt eigentlich erfunden?

Heute ist der Internationale Tag für die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen, und jede Handlung, die einer Frau körperlichen, sexuellen oder psychischen Schaden oder Leid zufügt einschließlich der Androhung derartiger Handlungen, der Nötigung oder Freiheitsberaubung in der Öffentlichkeit oder im Privatleben, ist Gewalt. Wir finden

sie in der Familie, in Lebensgemeinschaften und auch partiell vom Staat geduldet am Arbeitsplatz, als Frauenhandel, in der Zwangsprostitution, bei Genitalverstümmlungen oder bei Zwangsverheiratungen. Jede vierte Frau im Alter zwischen 16 und 85 Jahren, die in einer Beziehung gelebt hat, hat mehrfach körperliche oder sexuelle Gewalt durch den männlichen Partner erlebt. Aus dieser Sicht benennen die Anträge das Wichtigste, aber leider doch nicht alles. Jeder Antrag ist nicht vollständig.

Gewalt geht uns alle an, denn häusliche Gewalt ist keine Privatsache. Gewalt gegen Frauen ist oft auch Gewalt gegen Kinder. Die zunehmende Auseinandersetzung mit der Gewalt gegen Frauen und auch gegen Kinder in unserer Gesellschaft darf nicht dazu führen, dass wir unsere Aufmerksamkeit ausschließlich auf misshandelnde Personen oder ihre Opfer richten und dabei die Formen der Gewalt innerhalb der Gesellschaft aus den Augen verlieren. Aber es gibt auch Gewalt gegen Männer. Wir sind uns im Abgeordnetenhaus einig – was selten genug vorkommt –, dass Gewalt, an wem auch immer, keine Lösung ist.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Gewalt hat vielschichtige Ursachen und ist in gesellschaftlichen Verhältnissen eingebunden. Die Häufigkeit von Einschränkungen und Belastungen in der jeweiligen Lebenssituation, von sozialen Benachteiligungen, von materieller Armut und psychischem Elend ist eine häufig übersehene Ursache der Gewalt.

Es ist wichtig und richtig, die Prävention auszubauen. Nur die präventive Arbeit mit den Männern und gegen Gewalt in Familien – auch bei unterschiedlicher Herkunft – kann mögliche Täter hindern, zu tatsächlichen Tätern zu werden.

Es braucht die Chance, dieses weite Feld zunächst einmal sichtbar und damit auch fassbar zu machen. Die Zahlen und Fakten in Berlin sprechen eine deutliche Sprache: 2009 wurden in Berlin 16 285 Fälle häuslicher Gewalt polizeilich aktenkundig. In 76,8 Prozent waren die Opfer weiblich und in 23,2 Prozent männlich. Jeder Fall ist einer zu viel.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Ergebnisse der Dunkelfeldforschung gehen von einer annähernd gleich hohen Anzahl von Männern und Frauen aus, die in häuslicher Gemeinschaft Gewalt ausüben. Es mag kurios erscheinen, wenn ich immer wieder im Zusammenhang mit der Gewalt gegen Frauen an die Männer erinnere, aber Gewalt ist ein Problem öffentlicher Gesundheit, und zwar auch bei Männern.

Jeder Mensch hat das Recht, gewaltfrei zu leben. Für dieses Recht setzen Frauen in aller Welt am 25. November ein klares Zeichen. Gewalt gegen Frauen muss rund um den Globus – egal, in welcher Gesellschaft – geächtet werden. Der Internationale Gedenktag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen geht – wie bereits erwähnt – auf die Ermordung der drei mutigen Schwes

tern zurück. Lassen Sie uns hier im Abgeordnetenhaus so mutig sein, nicht nur die Anträge zu befürworten, sondern Gewalt gegen Frauen, Kinder und Männer auch mit allen uns zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mitteln zu bekämpfen!

[Beifall bei der CDU]

Frau Kollegin! Ihre Redezeit ist längst abgelaufen.

Nur noch einen Satz! – Weitere Interventions- und Präventionskonzepte müssen her – aber nicht nur diese, sondern ein Gesamtkonzept für Berlin, das konsequent durchgesetzt wird.

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat nun die Abgeordnete Baba-Sommer das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gewalt an Frauen hat viele Gesichter. Mehr als zwei Millionen Frauen werden jährlich zur Prostitution gezwungen. Mehr als 5 000 Frauen werden jährlich Opfer von sogenannten Ehrenmorden. Täglich werden 8 000 Mädchen Opfer von Genitalverstümmelung. Auch in Deutschland sind viele Mädchen diesem Risiko ausgesetzt. Der 25. November ist der Internationale Tag „Nein zur Gewalt an Frauen“. Am heutigen Tag wehen weltweit auf öffentlichen Gebäuden Fahnen mit der Aufschrift „Frei leben ohne Gewalt“ und setzen ein klares Zeichen gegen Gewalt an Frauen. Auf Initiative der Linksfraktion und der überparteilichen Fraueninitiative beteiligt sich das Abgeordnetenhaus in diesem Jahr erstmals an dieser Kampagne.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Berlin setzt ein klares Zeichen. Wir dürfen nie vergessen, dass Frauenrechte Menschenrechte sind. Das Handeln gegen Gewalt an Frauen ist unsere Pflicht.

Sehr geehrte Damen und Herren von der CDU- und der FDP-Fraktion! Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat ein Gesetz verabschiedet, mit dem sie gegen Zwangsheirat vorgehen will. So weit, so gut! Dieses Gesetz ist jedoch nichts weiter als ein populistischer Vorstoß, der einen energischen Kampf gegen Zwangsverheiratung vortäuscht.

[Beifall von Wolfgang Brauer (Linksfraktion)]

In Wirklichkeit verschlechtert das Gesetz die Situation von zwangsverheirateten Frauen. So bedeutet etwa die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, dass Frauen, die nach Deutschland gebracht wurden, nun länger mit unge

wollten Ehepartnern zusammenleben müssen. Deshalb fordern wir in unserem heutigen Entschließungsantrag den Senat auf, der Verlängerung der Ehebestandszeit im Bundesrat entgegenzutreten.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der grünen Fraktion! Ich schätze Ihre Absichten, häusliche Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Ihr Entschließungsantrag enttäuscht mich jedoch zutiefst.

[Anja Kofbinger (Grüne): Das ist gegenseitig!]

Am heutigen Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen bringen Sie einen Antrag ein, der nichts als purer Populismus, beflügelt von aktuellen Umfragewerten, ist.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Der Antrag zeugt von mangelnder Sachkenntnis – ich werde Ihnen das noch erklären – und einschlägiger Expertise im Bereich der Präventionsarbeit. Darin greifen Sie – Frau Bayram sagte es – das Konzept eines Herrn Erdogan aus Neukölln auf, bei dem es sich um ein Gesprächsangebot für Väter und nicht um ein Beratungsangebot für Täter häuslicher Gewalt handelt.

[Anja Kofbinger (Grüne): Präventiv!]

Ihr Antrag suggeriert, dass Väter generell potenzielle Gewalttäter sind. Ein wenig Differenzierung wäre an dieser Stelle, liebe Grüne, angebracht.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Am liebsten würde ich dafür plädieren, Ihren Antrag in einer Sofortabstimmung abzulehnen. Ich stimme jedoch der Überweisung in den Ausschuss zu. Dort kann ich Ihnen en détail noch einmal seine Absurdität darlegen.

[Zurufe von den Grünen]

Liebe Grüne! Das Thema häusliche Gewalt gegen Frauen eignet sich nicht für unqualifizierte Schnellschüsse und schon gar nicht für den Wahlkampf.

[Beifall bei der Linksfraktion]

In Ihrem Entschließungsantrag fordern Sie nichts Neues. Gestatten Sie mir diese Anmerkung auch angesichts der aktuellen Berliner Wetterlage: Es ist nur Schnee von gestern. Sie fordern Dinge, die bereits zentraler Bestandteil, des gleichstellungspolitischen Rahmenprogramms in Berlin sind. Berlin verfügt bereits über ein breit gefächertes Hilfs- und Schutzangebot, bestehend aus Frauenhäusern, Zufluchtswohnungen, Notrufen, Frauenberatungsstellen und Präventionsstellen. Der Kampf gegen Gewalt an Frauen ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit meiner Fraktion sowie der Regierung. Deshalb ist Ihr Entschließungsantrag, liebe Grüne, eigentlich überflüssig. – Danke!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank! Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Thiel das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir hier an einer so herausragenden Position am 25. November, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt an Frauen, über die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen reden können. Ich sage es einmal vorweg, weil es interessanterweise keine meiner Vorrednerinnen getan hat – wahrscheinlich ist es selbstverständlich –: Es gibt überhaupt keine Rechtfertigung für Gewalt an Frauen.

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Anja Kofbinger (Grüne)]

Anders als die Kollegin Baba muss ich sagen, dass ich den ersten Antrag von Bündnis 90/Die Grünen „Prävention ausbauen: Prävention ist keine Privatsache!“ nicht nur interessant, sondern auch unterstützenswert finde.