Protocol of the Session on February 1, 2007

Das Wort für die FDP-Fraktion hat jetzt Frau Senftleben. – Bitte schön, Frau Senftleben!

Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Zunächst einmal zu dem dringlichen Antrag der CDU-Fraktion. Der war schon einmal im Plenum, und zwar am 8. Juni 2006. Was ich zu diesem Antrag gesagt habe, möchte ich nicht wiederholen. Ich verweise auf das, was ich damals gesagt habe.

Nun zu dem Antrag mit der Drucksachennummer 16/0198. Die Zahl der Gewaltvorfälle, provoziert durch Kinder mit arabischer oder auch türkischer Herkunft, hat stark zugenommen. Das ist in der Tat nicht nur ein Gefühl, das Eltern, Lehrer und Schüler ausdrücken, nein, das ist der offiziellen Polizeistatistik zu entnehmen. Es findet eine zunehmende Verrohung statt. Schüler und immer mehr Lehrkräfte fühlen sich bedroht, haben Angst, und die Taten sind brutaler geworden. Es ist mir völlig egal, wie die Statistik aussieht, es ist Tatsache, dass eine Zunahme zu verzeichnen ist. Es handelt sich um pubertierende Klassenzimmer-Rambos, meistens Jungs, deren soziale Kompetenzen gleich null sind oder anders ausgedrückt: denen die vorherrschenden Normen und Regeln des allgemeinen Miteinanders ziemlich egal sind. Es sind Schüler, deren Bildungskarriere oft schon frühzeitig einen Knacks bekommen hat, die die notwendigen Grenzen nicht kennen und sie offensichtlich nie kennengelernt haben.

[Beifall bei der FDP]

Mit jedem Vorfall werden neue Lösungsvorschläge unterbreitet, neuer Wein in alten Schläuchen, nicht unbedingt originell, oft nicht angemessen, meist aber nicht neu. Zum Beispiel, Herr Müller – schade, dass er nicht anwesend ist – möchte die staatlichen Zuwendungen für die Eltern kürzen. Das freut den Stammtisch, Herr Müller. Rechtlich und sozialpolitisch ist das in keiner Weise haltbar, es wäre meiner Ansicht nach sogar dumm und in Ihrer Fraktion gar nicht durchsetzbar. Deshalb frage ich Sie: Weshalb diese Parolen? Denken Sie lieber nach und tun Sie vor allen Dingen etwas! Vorschläge liegen auf dem Tisch.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Den vorliegenden Vorschlägen aus dem CDU-Antrag können wir zumeist zustimmen. Vieles hätte längst passiert sein sollen. Natürlich brauchen wir Sozialarbeiter – wenn nötig. Wir sehen ganz klar, dass die Probleme an der Rütli-Schule dank der Sozialarbeiter angegangen worden sind. Und siehe da, es hat sich etwas bewegt. Dies müsste einleuchten, das ist Best Practice! 15 Schulpsychologen für 850 Schulen – das ist ein Tropfen auf den heißen Stein, obwohl wir heute erfahren haben, dass es zwei mehr sind, sprich 17. Die Schulpsychologen aber können nur reagieren. Was wir jedoch brauchen, ist ein aktives Agieren, bevor das Kind in den

Brunnen gefallen ist, bevor der Nächste zuschlägt beziehungsweise niedergeschlagen wird.

[Beifall bei der FDP]

Herr Senator! Sie machen es sich ein wenig zu einfach, wenn Sie sagen, Sozialarbeiter seien nicht notwendig. Ich empfehle Ihnen hierzu eine ausführliche Lektüre zum Thema Rütli.

Was allerdings bei der CDU-Fraktion und allen anderen, die ich heute zu diesem Thema gehört habe, unter den Tisch gefallen ist, ist die Frage nach den Erziehungsberechtigten. Wie binden wir die Erziehungsberechtigten in den Prozess mit ein? Diese Frage ist für mich entscheidend, hier müssen wir ansetzen. Wenn Kinder und Jugendliche aus dem Ruder laufen, wenn sie wiederholt gewaltbereit sind, müssen wir nach den Ursachen fragen. Die Ursache liegt dann auch in der Familie, bei den Erziehenden. Mütter oder Väter kommen ihrer originären Aufgabe, ihrer Erziehungspflicht, nicht nach. Wir – und das ist die Aufgabe des Staates – müssen die Erziehenden stärken. Ich sage ganz klar: Wir müssen sie stärken, ob sie wollen oder nicht. Haltung und Werte werden zunächst zu Hause vermittelt, das nennt man Kinderstube. Das ist ein altmodischer Begriff, trifft es aber nach wie vor. Verfehlungen können nachhaltig nur schwer repariert werden, wenn man nicht an einem Strang zieht, wenn Erziehende sich verweigern und der Staat lediglich Strafen erteilt. Wir brauchen verpflichtende Erziehungskurse für erziehungsunfähige Eltern, und zwar schnell. Dafür benötigen wir rechtliche Voraussetzungen.

Konkrete weitere Vorschläge: Sinnvolle Freizeitangebote, denken wir beispielsweise an den Weddinger Wiesel e. V. Das ist nicht nur ein schöner Name, der Verein macht auch etwas Gutes. Er hat gezeigt, wie etwas gelingen kann. Dieses Angebot ist viel ansprechender und wirksamer als der belehrende und erhobene Zeigefinger. Die Forderung nach weiteren Ganztagsschulen – gerade in sozialen Brennpunkten – ist heute noch überhaupt nicht erhoben worden. Dort werden die Nachmittage sinnvoll gestaltet, mit Sport, Kultur, Musik und interkulturellen Angeboten. Hier müssen wir ansetzen.

Nun mein letzter Satz, Herr Präsident: Meine Forderung an die rot-rote Regierung lautet: Es liegen genug Vorschläge auf dem Tisch, machen Sie endlich etwas daraus! Andernfalls stehen wir spätestens in einem halben Jahr wieder hier, reiben uns verwundert die Augen und halten wohlfeile Reden. Bevor alles verpufft: Packen Sie es endlich an! – Danke!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Beifall von Benedikt Lux (Grüne)]

Vielen Dank, Frau Senftleben! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt zum Antrag Drucksache 16/0198 die Überweisung federführend an

den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie und mitberatend an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung. Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Diese Überweisung gilt dann auch für den dringlichen Antrag Drucksache 16/0218. Auch hierzu gibt es keinen Widerspruch.

Damit kommen wir zum nächsten Tagesordnungspunkt. Die Linksfraktion hat auf die Benennung einer Priorität verzichtet. Damit entfällt der Tagesordnungspunkt 4 d.

Ich rufe nun als Priorität der Fraktion der Grünen auf

lfd. Nr. 4 e:

Antrag

Schwerpunkte der EFRE- und ESF-Förderung in der neuen Förderperiode

Antrag der Grünen Drs 16/0213

Zur Beratung steht den Fraktionen nach unserer Geschäftsordnung eine Redezeit von jeweils bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Das Wort für die Grünen hat die Fraktionsvorsitzende Frau Eichstädt-Bohlig. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der zuständige Wirtschaftssenator ist zu diesem Tagesordnungspunkt leider nicht hier. Ich bedauere das sehr, denn ich glaube, dass es wichtig ist, über die neue Förderperiode für die EFRE- und ESF-Mittel der EU, die am 1. Januar begonnen hat, endlich parlamentarisch zu diskutieren.

[Alice Ströver (Grüne): Sollen wir ihn holen?]

Frau Kollegin, wünschen Sie – –

Vielleicht sollten wir unterbrechen und warten, bis der Herr Senator es für nötig hält, diesen Tagesordnungspunkt mit uns zu diskutieren.

Gut! – Dann bitte ich die zuständige Fraktion, dafür zu sorgen, dass Herr Senator Wolf hier erscheint. So lange unterbreche ich die Sitzung.

Danke schön, Herr Präsident!

[Christian Gaebler (SPD): Eigentlich lässt man das abstimmen!]

Aber es ist auch eine kluge Entscheidung, wenn der Präsident mal kurzentschlossen sagt, dass er das auch vom Präsidium her für wichtig hält.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Wir haben aus gutem Grund eine Geschäftsordnung! – Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Das weiß er noch nicht!]

[Kurze Unterbrechung]

Frau Eichstädt-Bohlig, ich bitte um Fortsetzung Ihrer Rede!

Herr Präsident! Ich danke Ihnen, dass Sie dafür gesorgt haben, dass auch der Senat die Debatten im Parlament, die die jeweiligen Senatsverwaltungen und Senatoren betreffen, mit diskutiert.

Die Förderperiode für EFRE- und ESF-Mittel hat bereits am 1. Januar 2007 begonnen. Aber leider müssen wir feststellen – nicht nur mit der eben erlebten Abwesenheit des Herrn Senators –, dass unser Senat das Problem mit der EU-Förderung hat, dass er sie offenbar weder zielgerichtet noch effizient noch vollständig umsetzen kann. Der bisherige Umgang mit den Programmen war ziemlich verschlafen. Das ist bekannt. 2005 gingen 48 Millionen € EU-Gelder verloren, 2006 44 Millionen € EU-Gelder, und 2007 müssen noch 139 Millionen € EU-Gelder belegt werden. Wenn sie bis Ende dieses Jahres nicht gebunden sind, verfallen auch diese Gelder oder Teile davon.

Jetzt geht es mit dem neuen Programm und der neuen Förderperiode schon wieder so ähnlich los. Der Senator hat im Wirtschaftsausschuss erklärt, dass erst Anfang März die beiden operationellen Programme bei der EU in Brüssel vorgelegt werden sollen. Wir müssen also damit rechnen, dass die Programme erst ab Sommer überhaupt in die Gänge kommen. Also wird Berlin schon wieder eine neue Bugwelle nicht ausgeschöpfter Mittel vor sich herschieben.

Wir haben ein weiteres Problem. Auch deswegen halten wir die parlamentarische Debatte zu diesem Thema für dringend notwendig. Es kann nicht sein, dass die EUProgramme, ein wesentliches Pfund, mit dem Berlin wirtschaftlich und infrastrukturell vorankommt, nicht im Parlament diskutiert werden. Das Kernproblem ist, dass dem Senat ein klares Konzept für die Schwerpunktsetzung im Umgang mit diesen Mitteln fehlt. Die Gesamtstrategie besteht aus vielen schönen Worthülsen. Aber wenn man es sich genau anguckt, sind die Vorgaben, die Brüssel selbst macht, sehr viel konkreter als das, was Berlin für die praktische Umsetzung plant. Wir sind der Meinung: Das darf so nicht weitergehen.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Peter Schwenkow (CDU]

Insbesondere sehen wir das Problem beim Umgang mit den Forderungen von Brüssel hinsichtlich Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Dort hat Brüssel sehr viel klarere Vorstellungen als unsere Berliner „Nichtregierung“. Deswegen ist es für uns wichtig, dass diese Programme nicht nur ein Sammelsurium von Wunschlisten der einzelnen Ressorts sind, sondern dass endlich eine Schwerpunktsetzung und klare Konturen hineinkommen. Ich will es am Beispiel Umweltschutz und Nachhaltigkeit deutlich sagen: Diese Bereiche dürfen nicht über den Bereich nachhaltige Stadtentwicklung nur auf das Nebengleis gestellt werden. Dort steht einerseits der Kulturbereich – was wir von der Sache her gut finden, aber wir sind der Meinung, dass nachhaltige Stadtentwicklung neben der Kultur zu stehen hat –, und dann kommt ein bisschen Umweltschutz als Stadtentwicklung. Aber bei dem Programm zur innovations- und wissensbasierten Wirtschaft, das für Berlin äußerst wichtig ist, fehlt dieser Bereich wieder völlig, weil Berlin dies nicht als Cluster betrachtet. Insofern ist eine zentrale Forderung von unserer Seite, dass gerade bei diesem Schwerpunkt, wo es um innovative Technologien geht, der Bereich Energietechnologien zu einem Kompetenzzentrum aufgebaut wird und hier systematisch und schwerpunktmäßig investiert wird und nicht nur nach dem Prinzip: „Kommst du heute nicht, kommst du morgen. Ist uns doch egal, was aus dem Klimaschutz in Berlin wird!“

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall von der CDU]

Wir begrüßen es, dass Kultur endlich im Programm aufgenommen worden ist – wenn auch ziemlich irreführend unter dem Schwerpunkt „Nachhaltige Stadtentwicklung“. Wir fordern, dass der Kulturschwerpunkt auch ein wirklicher Schwerpunkt wird. Deswegen muss aus unserer Sicht das Kulturinvestitionsprogramm verdoppelt werden. Wir wünschen uns, dass der Senat endlich darüber nachdenkt, statt die Staatsoper irgendwo im Nirwana – sprich: der Bund soll sich kümmern – abzuwickeln, wie man hier die Förderung mit EFRE-Mitteln aktivieren könnte. Hier wäre endlich etwas Ideengut von der Senatsseite angebracht.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Peter Schwenkow (CDU]

Ein weiterer Punkt: Wir kritisieren, dass schon im abgelaufenen Programm das Querschnittsziel der Chancengleichheit mangelhaft umgesetzt worden ist, und wir stellen fest, dass es bei den neuen Programmen auch wieder fehlt. Es gibt kein einziges konkretes Konzept, wie das umgesetzt werden soll.

Insofern – weil bei mir jetzt auch das Licht schon aufleuchtet –:

[Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Schon?]

Wir wünschen uns im Jugendbereich mehr Konzentration auf die Nachqualifizierung erwerbsloser Jugendlicher. In der letzten Legislaturperiode haben wir ein Konzept für die Lokale Agenda Berlin beschlossen. Ich wünsche mir von diesem Programm, dass in allen einzelnen Bausteinen die Kriterien Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Engagement für den Klimaschutz endlich in Berlin sichtbar wer

den und nicht immer nur mit schönen Worthülsen. In dem Sinne: Legen Sie mehr Schwerpunktbildung für diese Maßnahmen für die nächsten sieben Jahr vor!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Eichstädt-Bohlig! – Das Wort für die SPD-Fraktion hat Herr Jahnke. – Verzeihung! Ich habe eben gehört, dass Senator Wolf das Wort wünscht. – Bitte sehr, Herr Senator!