Protocol of the Session on February 1, 2007

Wir wollen keine Einzelfallgesetzgebung. Wir wollen nicht jedes Mal, wenn es zu einem Vorfall an einer Berliner Schule kommt, nach schärferen Maßnahmen rufen.

[Zurufe von den Grünen]

Wir wollen auch kein Null-Toleranz-Konzept. Ich bin Jurist und kein Freund von Kuschelstrafrecht, aber der einseitige Blick, den Sie haben, wird die Probleme nicht lösen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die Diskussion, die Sie führen wollen, hat einen großen Fehler: Sie möchten die Folgen bekämpfen, ohne die Ursachen zu kennen oder verstehen zu wollen.

Die Koalition wird die Zusammenarbeit zwischen den Behörden, den Schulen und den Trägern verbessern. Wir werden auch die Ermittlungstätigkeit in Verfahren gegen jugendliche Straftäter stärken. Wir werden den Jugendlichen helfen, sie aber nicht wegsperren, wenn sie nicht „bei drei auf den Bäumen“ sind.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Nun hat für die Fraktion der Grünen Frau Herrmann das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kohlmeier! Schade, dass ich von Ihnen nichts zu den aktuellen Vorschlägen Ihres Fraktionsvorsitzenden gehört habe.

[Beifall bei den Grünen und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Fälle wie der vor dem Lichtenrader Büchner-Gymnasium schockieren uns alle. Wir müssen aber festhalten, dass Gewalt ein sehr komplexes Thema ist und sich gerade Jugendgewalt nicht auf schulische Gewalt einschränken lässt. Jugendliche sind als Täter und als Opfer von Gewalt auch auf dem Schulweg, in der Freizeit und zu Hause betroffen. Die Politik darf sich nicht nur um harte Zahlen kümmern, sondern muss sich auch mit dem subjektiven Bedrohungsgefühl von Gewalt befassen. Es ist falsch, diese sensible Thematik alle paar Monate wieder – selbstverständlich durch die Medien geschürt – wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen zu debattieren, ohne anschließend irgendwelche Konsequenzen folgen zu lassen.

[Beifall bei den Grünen]

Forderungen wie Kindergeldkürzungen, eine Verschärfung des Jugendstrafrechts oder einzelne Präventivmaßnahmen, die bereits bestehen, sind nicht nur unsinnig, sondern führen völlig an der Thematik vorbei.

[Beifall bei den Grünen]

Zum dringlichen Antrag der CDU: Entschuldigen Sie, aber den halten wir für Quatsch.

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Das Jugendstrafrecht ist kein milderes Recht als das Erwachsenenstrafrecht, sondern sieht weitaus differenziertere Maßnahmen vor. Haftstrafen sind unter der jetzigen Gesetzeslage möglich. Bei einer allgemeinen Anwendung des Erwachsenenstrafrechts können im Wesentlichen nur noch Freiheitsstrafen und Geldstrafen verhängt werden. Wem nützt es, wenn gegen junge Gewalttäter Geldstrafen verhängt werden, die vielleicht die Eltern zahlen, aber keine Antigewaltkurse oder Sozialstunden mehr, die wesentlich sinnvoller und nachhaltiger sind?

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Frank Zimmermann (SPD)]

In dieser Debatte sollte es vielmehr darum gehen, ein nachhaltiges Gesamtkonzept zu entwickeln, das auch die Ursachen von Gewalt berücksichtigt. Junge Berlinerinnen und Berliner stehen zunehmend unter gesellschaftlichem und schulischem Leistungsdruck und befinden sich in perspektivlosen Lebenslagen. Nicht zu unterschätzen sind in diesem Zusammenhang auch der psychische Druck und die Minderwertigkeitsgefühle, die das Schulsystem bei den Jugendlichen hervorruft.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Dr. Margrit Barth (Linksfraktion)]

In unserem Antrag zum Thema Gewalt an Schulen, der in der nächsten Fachausschusssitzung diskutiert wird, zeigen wir notwendige Präventivmaßnahmen auf. So muss Gewaltprävention auch vermehrt in der Ausbildung der Lehrkräfte berücksichtigt werden, das Thema im Unterricht und an Projekttagen, beispielsweise mittels Theaterworkshop, behandelt werden und die Schule mit außerschulischen Partnern der Jugendhilfe kooperieren. Das Angebot der Schulsozialarbeiterinnen und -sozialarbeiter und Schulpsychologinnen und -psychologen sollte ausgebaut werden und Autoritäten der Migrantencommunity, beispielsweise Imame, als Bündnispartner gewonnen werden.

[Beifall bei den Grünen]

Schule kann und darf nicht der einzige Ort sein, schon gar nicht gänzlich auf sich allein gestellt, der die Lösung aller gesellschaftlichen Gewaltprobleme zu finden hat. Schule kann aber sehr wohl gemeinsam mit außerschulischen Partnern ein Ort der Gewaltprävention sein.

[Beifall bei den Grünen]

Meine Fraktion nimmt dieses Thema sehr ernst und ist an der Entwicklung eines Gesamtkonzeptes interessiert. Wir sind aber nicht dazu bereit, demagogische Debatten zu führen, denen nichts folgt, und dem untätigen Senat weiter zuzusehen. – Danke!

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion)]

Vielen Dank! – Das Wort für die Linkspartei hat Frau Dr. Barth. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung: Wir haben das Thema heute schon in der Begründung einer Aktuellen Stunde und auch im Zusammenhang mit verschiedenen Mündlichen Anfragen diskutiert. Mir lief es kalt über den Rücken, weil ich mir vorkam, als sei ich in einem anderen Jahrhundert.

[Zuruf von der CDU: Das sind Sie doch immer!]

Es kam mehr als „schwarze Pädagogik“ zum Ausdruck, aber vielleicht finden wir eine Möglichkeit, zu diesem Thema wieder sachlich zu diskutieren.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Meine Damen und Herren von der CDU! Ihre Anträge, die Sie heute dringlich eingebracht haben, sind uns nicht unbekannt. Tatsächlich haben wir uns erst im Juni 2005 an dieser Stelle ausführlich damit befasst. Ich hatte gehofft, Sie hätten sich auch einmal mit unserer Position auseinandergesetzt. Doch leider kommen Sie wieder mit der bekannten Politik der harten Hand: Kindergeldentzug, Kinderknäste und schulisches Kriminellenregister.

Wenn das die einzige Antwort auf Kindeswohlgefährdung bzw. Jugendgewalt ist, dann muss ich Ihnen in Wiederholung des Beitrages meines Kollegen Dr. Lederer vom Juni 2006 erneut sagen, dass uns politisch Welten trennen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Frank Henkel (CDU): Gott sei Dank!]

Es ist unerträglich, dass Sie zuallererst immer härtere Strafen für immer jüngere Menschen fordern.

[Dr. Friedbert Pflüger (CDU): Stimmt nicht! Sie müssen genau hinhören!]

Natürlich ist Gewalt von jungen Menschen und Gewalt gegen Kinder ein Thema in Berlin.

[Frank Henkel (CDU): Sie müssen Ihre ideologischen Scheuklappen ablegen!]

Wir müssen uns gemeinsam ernsthaft damit auseinandersetzen. Doch um ein Problem zu lösen, muss man seine Ursachen kennen.

[Dr. Friedbert Pflüger (CDU): Genau das hat Herr Steuer gesagt!]

Für mich besteht ein Zusammenhang zwischen der Zunahme der öffentlich bekannt gewordenen Fälle von Jugendgewalt und von Kindeswohlgefährdung. Beide Erscheinungen sind zweifelsohne Seismografen für Probleme in der Gesellschaft. Ich erinnere daran, dass etwa jedes dritte Berliner Kind von staatlichen Transferleistungen lebt. Das gegliederte Schulsystem, meine Damen und Herren von der CDU, teilt die Kinder schon frühzeitig in Gewinner und Verlierer ein. Wer auf die Hauptschule

geht, hat weniger Chancen. Fast jeder dritte Schüler mit Migrationshintergrund schafft an diesen Schulen den Abschluss nicht, ebenso fast jeder vierte deutsche Schüler. Eltern wissen sehr oft in dieser Situation nicht weiter. Kinder holen sich Respekt und Selbstwertgefühl, das ihnen die Gesellschaft versagt, in der Gruppe der Gleichaltrigen – auch auf der Straße, beim Schwänzen, Kiffen, Klauen, Prügeln und anderem mehr. Wir sind heute in der Situation, darauf reagieren zu müssen. Gelöst werden können die Probleme nur gemeinsam als Querschnittsaufgabe. Weder Schule noch Jugendhilfe noch Justiz können hier isoliert etwas bewirken.

Ihre Anträge, meine Damen und Herren von der CDU, wollen ein gesellschaftlich bedingtes Problem allein ordnungsrechtlich lösen. Doch die Probleme lassen sich nicht wegsperren. Mit Drohungen und Repressionen befördern Sie keine Motivation und keine Änderung des Verhaltens. Im Gegenteil! Wir sind der Meinung, dass der gegenwärtige Rahmen des Jugendstrafrechts ausreichend ist, um Gesetzesverletzungen zu ahnden. Der Erziehungsgedanke muss auch künftig im Vordergrund stehen,

[Oliver Scholz (CDU): Haben Sie das schon immer so gesehen?]

auch bei der Ausgestaltung des künftigen Jugendstrafvollzuggesetzes.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Im Vorfeld von freiheitsentziehenden Maßnahmen gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die sich bewährt haben, wie zum Beispiel die Diversion. Hier fangen wir nicht bei null an, wie Sie es uns weismachen wollen. Natürlich hat für uns unumstritten die Prävention Vorrang. Ich verweise darauf, dass wir in Berlin eine Menge auf den Weg gebracht haben.

[Zuruf von Özcan Mutlu (Grüne)]

Wir haben uns in der letzten Zeit sehr intensiv mit dem Kinderschutzkonzept befasst. Wir führen die Sozialraumorientierung ein – ich kann nur einige Dinge benennen, weil für mehr meine Redezeit nicht ausreicht –, und wir schlagen dem Haus vor, gemeinsam mit der Landeskommission gegen Gewalt ressortübergreifend ein Gesamtkonzept zu entwickeln, das einerseits schnell auf aktuelle Problemlagen reagieren kann und andererseits die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen schafft, damit solche Probleme gar nicht erst entstehen. Wenn es uns gelingt, die Menschen aus der gesellschaftlichen Isolation zu holen und Ihnen Bildung und damit eine Perspektive für ein Leben in Würde und Unabhängigkeit zu geben, wenn wir ihnen mit Respekt begegnen und ihnen die Chance geben, sich einzubringen, dann haben wir den Boden geschaffen, den wir in Berlin brauchen. – Danke schön!

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu (Grüne): Dann fangen Sie an!]