Protocol of the Session on February 1, 2007

Ich eröffne die 6. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, besonders unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter, sehr herzlich. Außerdem habe ich die Freude, heute den Präses der Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Herrn Andreas Böer, in Begleitung von Oberkonsistorialrat Gerhard Zeitz zu begrüßen. – Herzlich willkommen im Abgeordnetenhaus und auf eine gute Zusammenarbeit!

[Beifall]

Am Montag, dem 29. Januar 2007, sind folgende vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Linksfraktion und der Fraktion der SPD zum Thema: „Öffentlich geförderte Beschäftigung in Berlin – finanzielle Mittel des Bundes sinnvoll für Arbeit und Qualifizierung nutzen“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Konsequent gegen Jugendgewalt vorgehen – Jugendlichen frühzeitig Grenzen aufzeigen – Rot-Rot bekommt die Jugendgewalt nicht in den Griff!“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Berlin braucht Lehrer/-innen gegen Unterrichtsausfall, Sozialarbeit in den Schulen und Jugendprojekte für eine bessere Integration – Finanzierung jetzt sichern!“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Rot-roter Senat ohne Konzepte für den Arbeitsmarkt: Fördermittel in Millionenhöhe verfallen!“.

Ich rufe auf zur Begründung der Aktualität, nicht zur Begründung der Aktuellen Stunde – ich mache vorher ohne Ansehen der Person darauf aufmerksam, es könnte ja auch Folgen haben, wenn davon abgewichen wird –, und zwar zunächst einen Sprecher von SPD und Linksfraktion. – Frau Breitenbach, bitte schön! Sie haben das Wort zur Begründung der Aktualität des Antrags von SPD und Linksfraktion.

Vielen Dank! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die nicht ausgeschöpften Mittel zur Förderung der Arbeitslosen sind ein Skandal. Man muss sich aber auch fragen, ob die Arbeitsagenturen und die Regionalagentur keine Ideen für arbeitsmarktpolitische Initiativen haben. Wir hätten lieber über einen öffentlichen Beschäftigungssektor geredet, weil wir glauben: Daran kann man zeigen, dass sich die Bundesmittel sinnvoller als mit EinEuro-Jobs einsetzen lassen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Ich kann es ganz kurz machen: Ich finde, dass die Aktuelle Stunde der FDP nicht so schön formuliert ist

[Dr. Martin Lindner (FDP): Das nächste Mal helfen Sie uns!]

und nicht so deutlich macht, worum es geht, aber Sie wollen das Gleiche diskutieren, und daher haben wir uns entschlossen, Ihrer Aktuellen Stunde zuzustimmen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Dann die Aktuelle Stunde der CDU! Herr Henkel hat das Wort zur Begründung. – Bitte schön, Herr Henkel!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDUFraktion hat diese Aktuelle Stunde zum Thema „Jugendgewalt“ vor dem Hintergrund des außerordentlich brutalen Angriffs auf einen Polizeibeamten in Lichtenrade beantragt. Dieser Vorfall ist trotz oft gegenteiliger Behauptungen der politischen Linken kein Einzelfall. Immer wieder müssen wir von Übergriffen jugendlicher Täter lesen, wo geprügelt, erpresst, gestohlen, zerstört oder vergewaltigt wird. Immer wieder erleben wir auf der politischen Bühne das gleiche Ritual. Ob Innensenator, Polizeipräsident oder andere Mitglieder des Senats, stets gibt es Betroffenheitsbekundungen, und regelmäßig passiert gar nichts, und selbst dann, wenn man sich durchringt, doch etwas zu tun, werden im Ergebnis immer nur sehr halbherzige Korrekturen vorgenommen. Das Beispiel des zusammengeschlagenen Polizisten in Lichtenrade macht aber die Dimension der gesamten Problematik der Jugendkriminalität und Jugendgewalt überdeutlich.

Wenn eine Gruppe von 14- bis 17-Jährigen einen Mann krankenhausreif prügelt, der sich zuvor als Polizeibeamter zu erkennen gegeben hat, dann sind offenbar moralische Grundsätze vollkommen verloren gegangen.

[Beifall bei der CDU]

Für diese jugendlichen Täter, bei denen übrigens im Bereich der Jugendkriminalität jeder Dritte einen sogenannten Migrationshintergrund hat, gibt es offensichtlich kaum noch Hemmnisse oder Autoritäten. Schlimmer kann der Verfall von Werten aus Sicht unseres Staatswesen kaum ausfallen. Aus unserer Sicht ist das nicht hinnehmbar, und deshalb sagen wir, dass der Staat diesem Werteverfall auf ganzer Linie entgegenwirken muss.

[Beifall bei der CDU]

Meine Feststellung, dass die Gewaltkriminalität insbesondere junger nichtdeutscher Männer ein ernstzunehmendes Phänomen ist, wurde mir vor einem Jahr noch als unverantwortliche Panikmache vorgeworfen. Heute teilt selbst der Polizeipräsident diese Erkenntnis, die jedoch niemandem nützt, wenn auf die Analyse keine Taten folgen. Wir brauchen in Berlin niemanden, der zwar Wasserstandsmeldungen abgibt, aber nicht willens oder in der Lage ist, dann auch die Fluttore zu schließen.

[Beifall bei der CDU]

Unbestritten ist: Die Ursachen für die Gewaltentwicklung sind vielschichtig. Deshalb müssen Lösungsbemühungen auch im unmittelbaren sozialen Umfeld angesiedelt werden. Selbstverständlich sind Dialog, frühzeitige Präventionsarbeit und eine Verbesserung von Bildungs- und Beschäftigungschancen. Das alles aber braucht seine Zeit, und selbst, wenn der rot-rote Senat in seiner Integrations- und Bildungspolitik endlich umsteuern und Präventionsmaßnahmen ausbauen würde, brauchte es Jahre, bis wir die Früchte dieser Bemühungen ernten würden. Auf die Qualität der Gewalt aber müssen wir schon jetzt entschieden reagieren. Das heißt: Null Toleranz, abschreckende Sanktionen und ein konsequentes Durchgreifen auch der Justiz müssen jetzt endlich auf der politischen Agenda stehen und vor allem umgesetzt werden.

Meine Fraktion hat hierzu bereits in der Vergangenheit mehrere parlamentarische Initiativen eingebracht, die allesamt von der linken Mehrheit hier im Hause abgelehnt wurden.

[Zurufe von der SPD]

Nach den entsprechenden Diskussionsbeiträgen der letzten Woche scheint es aber ein wenig Bewegung hin zu unseren Forderungen zu geben. Selbst der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Müller, spricht jetzt von „harten Sanktionen“ auch gegen Eltern. Ihnen, lieber Herr Müller, und allen anderen, die sich in letzter Zeit an der Debatte beteiligt haben, wollen wir mit dieser Aktuellen Stunde und den von uns eingebrachten Anträgen zur wirksamen Bekämpfung der Kinder- und Jugendkriminalität sowie unserem Sofortprogramm zur Gewaltprävention an Schulen die Chance geben, Ihren Worten auch Taten folgen zu lassen.

[Beifall bei der CDU]

Unsere Forderungen liegen dabei auf dem Tisch. Wir wollen die geschlossene Heimunterbringung für kriminelle Jugendliche. Wir wollen, dass die Höchststrafe für Heranwachsende im Jugendstrafrecht bei besonders schweren Straftaten von 10 Jahre auf 15 Jahre angehoben wird. Wir wollen den sogenannten Warnschussarrest einführen, und wir wollen das Alter der Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre herabsetzen.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der Linksfraktion!]

Ich weiß gar nicht, warum es zu so einer Unruhe auf der linken Seite kommt.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Berlin kann es sich nicht länger leisten, im Bereich der Jugendkriminalität und Jugendgewalt einfach wegzugucken. In der von uns beantragten Aktuellen Stunde wollen wir hier im Parlament unseren Beitrag leisten. Ich bleibe dabei – und meine Fraktion auch –: Das Thema „Bekämpfung von Jugendgewalt“ gehört auf der politischen Tagesordnung ganz nach oben. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Das Wort zur Begründung der Aktualität hat nun Herr Mutlu für die Fraktion der Grünen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht eine neue Schreckensmeldung aus den Schulen zu hören bekommen. Es vergeht kein Tag, an dem wir keine Klagebriefe von Schulen, Lehrern und Lehrerinnen, Elternverbänden oder Sozialarbeitern bekommen. Gewalt, Verrohung und Respektlosigkeit gehören zum Alltag vieler Berliner Schulen. Schulnamen wie Rütli sind ein Kennzeichen für die Bildungspolitik dieses rot-roten Senats. Diese Namen stehen auch für die desaströse Jugend- und Bildungspolitik des rotroten Senats.

Gewalt ist aber nicht das einzige Problem der Berliner Schule, sondern es gibt außerdem Unterrichtsausfall von 10,5 %, eine unzureichende Personalausstattung – gemäß der Lehrerbedarfsprognose des Senats und der Oktoberstatistik fehlen an den Berliner Schulen etwa 400 Lehrkräfte, den Schulen werden Lehrkräfte abgezogen ohne Rücksicht auf Schulprogramm oder Schulprofil –, schlechte Qualität und katastrophale Ergebnisse z. B. bei PISA oder jüngst bei den Prüfungen zum mittleren Abschluss, besonders in Mathematik. Dennoch sage ich: Nicht die Schulen sind überfordert, sondern dieser Senat ist überfordert.

[Beifall bei den Grünen]

Dieser Senat hat es in den vergangenen fünf Jahren nicht geschafft, die Probleme der Berliner Schule anzugehen, geschweige denn zu lösen. Dieser Senat hat nach wie vor keine Konzepte, wie er der Bildungsmisere Herr werden könnte. Der Bildungssenator ist sogar der Meinung, wir hätten gar keine Bildungsmisere. Der große Koalitionspartner doktert an den Symptomen herum– hier ein Reförmchen, da ein Reförmchen –, der kleine Koalitionspartner hat nur das Ziel Gemeinschaftsschule vor Augen und möchte sich mit den alltäglichen Problemen der Berliner Schule nicht abmühen. So kann und darf es nicht weitergehen.

[Beifall bei den Grünen]

Berlin kann sich ein derartiges generationsübergreifendes politisches Versagen in der Bildungspolitik nicht länger leisten. – Meine Damen und Herren von Rot-Rot! Hier und jetzt müssen Sie sagen, wie Sie die Probleme der Berliner Schule, die insbesondere von Gewalt und Respektlosigkeit geprägt sind, lösen wollen. Hier und jetzt müssen Sie sagen, was Sie mit der Hauptschule als Restschule machen wollen. Hier und jetzt müssen Sie darstellen, wie Sie eine Lernkultur schaffen wollen, in der jede Schülerin und jeder Schüler individuell gefördert werden kann. Hier und jetzt müssen Sie erklären, wie Sie die Chancengerechtigkeit in der Bildungspolitik erreichen wollen.

Es ist unsere Pflicht als Parlament, die Probleme ernst zu nehmen und endlich die notwendigen Konsequenzen aus den zahlreichen internationalen Bildungsstudien zu ziehen. Es ist unsere Pflicht, die Schulen wieder zu Orten von Respekt zu machen und Gewalt in den Schulen zu unterbinden. Und es ist unsere Pflicht, Schulen und ihr Lehrpersonal auf dem Weg zu qualitativ guten und besseren Bildungseinrichtungen zu unterstützen.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Ein „Weiter so“ auf Kosten der Jugendlichen, ein „Weiter so“ auf Kosten der Kinder darf es in dieser Stadt nicht geben. Deshalb wollen wir heute endlich über dieses Thema als Schwerpunkt der Aktuellen Stunde sprechen und hoffen, dass Sie endlich einlenken.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Mutlu! – Für die Fraktion der FDP hat nunmehr der Kollege Meyer das Wort zur Begründung der Aktualität. – Bitte schön, Herr Meyer!

Danke, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Im Jahr 2006 waren bei den Arbeitsagenturen fast 60 000 Menschen registriert. Für die Bezieher von Arbeitslosengeld I standen Bundesmittel in Höhe von 130 Millionen € für Weiterbildung und Jobförderung zur Verfügung. Bei den Jobcentern waren darüber hinaus im Jahr 2006 fast 220 000 Menschen registriert. Die Jobcenter erhielten im Jahr 2006 für Eingliederungsmaßnahmen 520 Millionen € – Mittel, die der Bund aus Steuergeldern zur Verfügung stellt, um diesen Menschen eine Perspektive zu bieten und sie in die Lage zu versetzen, wieder am regulären Arbeitsleben teilnehmen zu können. Vor zwei Wochen überraschte uns die Aussage der Senatorin Knake-Werner, dass bezüglich der Langzeitarbeitslosen ein Erfolg bei der Abrufung der zur Verfügung stehenden Bundesmittel zu verzeichnen sei. Lediglich 10 % der Mittel seien nicht verausgabt worden. Diese Woche erfahren wir, dass das Bild in den Bezirken recht unterschiedlich ist: In Steglitz-Zehlendorf und CharlottenburgWilmersdorf werden die Mittel fast ganz ausgeschöpft, und da, wo die Arbeitslosigkeit und die Not am größten sind, z. B. in Neukölln, verfallen Mittel in höheren Größenordnungen – über 6 Millionen € in Neukölln, insgesamt über 40 Millionen €. Über diesen sozialen Missstand und dieses Gefälle zwischen den Bezirken wollen wir heute mit Ihnen reden, Frau Senatorin.

In dieser Woche überraschte uns eine weitere neue Zahl, die Frau Senatorin Knake-Werner in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage öffentlich machte. In den Arbeitsagenturen wurden 51 Millionen € für Wiedereingliederungsmaßnahmen von Alg-I-Empfängern nicht ausgeschöpft. Das ist eine Quote von 28 % der zur Verfügung stehenden Mittel. Diese Quote – Frau Breitenbach hat

darauf hingewiesen – ist der eigentliche Skandal. Heute wollen wir von Ihnen wissen, Frau Senatorin, seit wann Ihnen dieser Missstand bekannt ist und ob es zutrifft – das hört man immer wieder –, dass die Arbeitsagenturen Wiedereingliederungsmaßnahmen so restriktiv durchführen, dass viele Menschen einfach links liegengelassen und in die Langzeitarbeitslosigkeit verwaltet werden, weil das offensichtlich für die Arbeitsagenturen einfacher ist.

Ein Vergleich mit den übrigen Bundesländern zeigt, dass Berlin bei der Mittelausschöpfung an vorletzter Stelle liegt. Nur Hamburg mit etwa 67 % steht noch schlechter da. Im Saarland wurden z. B. 95 % der zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt. Es besteht eine auffällige Übereinstimmung mit den gestern veröffentlichten Arbeitsmarktzahlen. Auch hier hinkt Berlin hinterher. 10 % weniger Arbeitslose im Jahresverlauf sind ein Erfolg, im Bundesvergleich sind wir aber dennoch an vorletzter Stelle. Berlin entfernt sich immer weiter von dem positiven Trend und den positiven Entwicklungen in den übrigen Bundesländern. Diese Zahlen als einen Erfolg von RotRot zu verkaufen, wird Ihnen daher nicht gelingen. Auch darüber wollen wir heute mit Ihnen sprechen. Sie müssen mir erklären, ob ein Zusammenhang zwischen Mittelausschöpfung und nicht zufriedenstellendem Rückgang der Arbeitslosigkeit wirklich auszuschließen ist. Ich gebe dem Fraktionsvorsitzenden der SPD-Fraktion ausdrücklich recht, wenn er am Dienstag in der „BZ“ mit den Worten zitiert wird: „Das ist ein Trauerspiel, das man so auch nicht akzeptieren kann.“ – Da haben Sie ausnahmsweise einmal recht, Herr Müller!

[Beifall bei der FDP]

Doch was wollen Sie konkret tun, um diese Missstände zu beheben? Sie werden in der „BZ“ weiter zitiert mit der Aussage: „Wir wollen da zentral draufgucken, dass alles wieder in Ordnung gebracht wird.“ – Was genau heißt das, Herr Müller? Auch das könnten Sie heute in der Aktuellen Stunde beantworten.