Kinderlärm ist Zukunftsmusik II – In den Bericht über Änderungen zum Lärmschutz in Berlin den Schwerpunkt Kinderlärm aufnehmen
Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelberatungen der zwei Paragrafen bzw. der beiden Artikel miteinander zu verbinden, und höre hierzu keinen Widerspruch.
Ich rufe also auf die Überschriften und die Einleitungen sowie die Paragrafen 1 und 2 und die Artikel I und II auf den Drucksachen 16/2029, 16/2644 und 16/2924. Für die gemeinsame Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Dr. Thärichen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist unser erklärtes Ziel, dass Kinder in Berlin alle Voraussetzungen vorfinden, die sie für eine gute und gesunde Entwicklung brauchen. Auch und gerade in einer Großstadt wie Berlin benötigen Kinder Freiräume, wo sie spielerisch soziales Verhalten erlernen und sich austoben können.
In jüngerer Zeit treibt uns jedoch die Sorge um, dass Lärm von Kindern auf ein immer weniger verständnisvolles Umfeld trifft. Es ist eine bedenkliche gesellschaftliche Tendenz, wenn es zunehmend zu Konflikten aufgrund von Kinderlärm kommt und immer häufiger auch gegen Einrichtungen für Kinder geklagt wird. Wir müssen beo
bachten, dass sich Nachbarn gegen Kitas und Schulen zur Wehr setzen und Behörden Bußgeldbescheide gegen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche erlassen. Hier entsteht der Eindruck, dass für Kinder in unserer Gesellschaft kein Platz ist, dass sie stören und gefälligst die Ruhebedürfnisse der Erwachsenen überall zu respektieren haben. Gegen diese gesellschaftliche Tendenz der fehlenden Akzeptanz von Kindern richtet sich unser Gesetzesantrag.
Seit 2006 sind die Länder für die Regelung des verhaltenbedingten Lärms zuständig; deswegen sind wir als Landesgesetzgeber berechtigt, im Landes-Immissionsschutzgesetz eine entsprechende Regelung für den Kinderlärm zu schaffen. Wir haben eine Formulierung gefunden, die störende Geräusche von Kindern – also auch erhebliche Geräusche – privilegiert und damit Klagen gegen Kinderlärm grundsätzlich erschwert. Wir wollen damit klarstellen, dass Kinderlärm als sozial adäquate Lebensäußerung zum Leben eines Kindes gehört und gesellschaftlich toleriert werden soll. Kinderlärm darf nicht mit Verkehrs- oder Gewerbelärm gleichgesetzt werden – wir machen einen Unterschied zwischen spielenden Kindern und röhrenden Automotoren.
Wir wollen auch verhindern, dass Kitas, Kinderspielplätze und ähnliche Einrichtungen aus dem Wohnumfeld verbannt werden. Einrichtungen für Kinder gehören in die Wohngebiete, dorthin, wo Familien mit Kindern leben, nicht an den Stadtrand. Wir wollen doch gerade die Attraktivität der Innenstadt als Wohnort für Familien steigern, und Kinder gehören dazu.
Auch im Hinblick auf die Ausweitung des Ganztagsschulbetriebs ist unsere Änderung des Landes-Immissionsschutzgesetzes von großer Bedeutung. Wenn wir künftig den Schulbetrieb zeitlich ausweiten, schaffen wir einerseits bessere Bildungsangebote für Kinder. Das kann aber natürlich dazu führen, dass auch in den Nachmittagsstunden auf den Schulhöfen was los ist und nicht mehr die gewohnte Ruhe herrscht. Weil wir uns darüber im Klaren sind, ist es uns wichtig, dass die Ausweitung der Ganztagsbetreuung in den Berliner Schulen nicht durch Lärmschutzauflagen torpediert werden kann.
Mit der heutigen Gesetzesänderung sind wir das erste Bundesland, das Kinderlärm gegenüber anderen Lärmquellen privilegiert – darauf sind wir stolz, und ich darf daran erinnern, dass parallel die Verfassungsänderung in die Wege geleitet ist, mit der ebenfalls Kinderrechte gestärkt werden sollen. Insoweit ist diese Änderung eine ganz konkrete Ausgestaltung dieses verfassungsrechtlichen Gebots.
Berlin ist vorn, völlig richtig. – Noch kurz zu den Anträgen der Opposition: Wir denken, dass es wenig zielführend ist, für einzelne Fallvarianten, für spezifische Lärm
formen wie Musizieren, eine gesetzliche Regelung zu schaffen. Wir meinen, dass ein übergreifender Abwägungsgrundsatz sinnvoll ist, der sämtliche Lärmquellen, die kinderspezifisch sind, erfasst, und dies nicht auf ein Themenfeld verengt wird, wie das teilweise in den Anträgen der CDU der Fall ist.
Es bleibt immer noch bei einer Einzelfallabwägung. Wir stellen keinen Freifahrtschein für mutwillige Lärmbelästigung aus. Wir wollen nicht zu Rücksichtslosigkeit aufrufen, sondern klarstellen, dass Kinderlärm privilegiert wird. Das ist kein Freifahrtschein für jedweden Lärm.
Mit der Änderung des Landes-Immissionsschutzgesetzes gehen wir einen wichtigen Schritt in die Richtung für eine kindergerechte Stadt und setzen damit das richtige politische Signal. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Gesetzesvorschlag. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gut ein Jahr nach der Einbringung der CDU-Anträge für eine grundsätzlich höhere Akzeptanz von Kindesaktivitäten und der freien Entfaltung von Kindern beim Spielen, Toben, Sport und Musizieren liegen heute die Beratungsergebnisse aus den Ausschüssen vor. Obgleich sich damals alle Fraktionen im Sinne unserer Anträge für mehr praktisch wirksame Kinderrechte aussprachen, liegen uns heute nur ablehnende Beschlüsse zu unseren Initiativen vor. Wie so oft wurde kleinlich nach Schwachstellen gesucht, anstatt mit den Verbesserungsvorschlägen etwas für die Kinder und die Kinderbetreuungseinrichtungen zu unternehmen. Reflexartig führte der Futterneid erst einmal nur dazu, alles schlechtzureden. Eigene sinnvolle Ideen wurden zwar verbal dagegengehalten, aber statt gemeinsame Wege zu finden, um Kinderlärm von den schädlichen Umwelteinwirkungen auszunehmen, wurde bisher nur palavert. Ich will nicht alles wiederholen, was uns in der Plenardebatte am 15. Januar 2009 vorgeworfen wurde – falsches Gesetz, falscher Paragraf. Ich will auch nicht danach fragen, warum immer noch keine der Alternativvorschläge von meinen Oppositionskolleginnen als parlamentarische Anträge vorliegen. Bei den Koalitionsfraktionen muss ich das nicht fragen: Die haben, getrieben durch unsere gute Vorarbeit,
doch wenigstens nach acht Monaten Denk- und Arbeitsphase drei Tage vor der ersten Ausschussberatung im September 2009 kurzfristig eine eigene Gesetzesinitiative vorgelegt. Ja, Herr Thärichen, insofern können Sie auf Ihre Lernfähigkeit stolz sein.
Mit einem rechtsunverbindlichen Leitsatz zur Privilegierung von Kinderlärm soll über die Umweltgesetzgebung nunmehr Akzeptanz der Gesellschaft für die freie Entfaltung von Kindern bewirkt werden. Im ersten Moment sah ich in Ihrem grundsätzlichen Ansatz, jeglichen Kinderlärm zu schützen, eine gute Ergänzung zu dem von uns vorgeschlagenen Schutz der Institutionen, in denen Kinder leben, lernen und spielen. Da auch Sie das LandesImmissionsschutzgesetz – so wie unser Antrag es vorschlägt – ändern wollten, war dies sogar logisch. Allerdings hätte Ihr Leitsatz zur Privilegierung von Kinderlärm besser als neuer § 2a in den ersten Abschnitt des Gesetzes eingefügt werden müssen. Davon wollten Sie jedoch nichts wissen. Sie haben einfach frech behauptet, Ihr Ansatz sei allumfassend
und würde sogar unseren Antrag zum Schutz von Hausmusik unnötig machen. Hier möchte ich nur an § 5 erinnern, der unberührt bleibt. Sie haben es abgelehnt, alles durch den Wissenschaftlichen Parlamentsdienst prüfen zu lassen und danach weiterzuberaten. Die Koalition hatte offenbar kein Interesse, darüber nachzudenken.
Dann konnten wir aber einen Selbstfindungsprozess der Regierungsfraktionen und der beteiligten Senatsverwaltungen in den Beratungen des Rechts- und des Umweltausschusses miterleben. Sie, Herr Thärichen, und die Justizsenatorin stritten mit der Senatsumweltverwaltung, ob Geräusche, die vom Musizieren der Kinder ausgehen, mit der Gesetzesformulierung abgedeckt seien, ob Kinderlärm auf Bolz- und Spielplätzen privilegiert sei und ab welchem Kindesalter lautes Lachen nicht mehr privilegiert ist. Es zeigt sich, dass das vorliegende Gesetz und die darin eingefügte Formulierung ohne eine ergänzende Ausführungsvorschrift völlig unwirksam sein wird.
Dass sich mit dem Gesetzesantrag nichts ändern wird, haben SPD und Linke zudem selbst in ihrer Begründung mitgeliefert: Auch künftig wird wieder der Einzelfall betrachtet werden. Das Änderungsgesetz ist also nicht der angekündigte stolze, große Wurf, der notwendig wäre, sondern reine Symbolpolitik. Deswegen werden wir dieser Vorlage nicht zustimmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sicher, Kollegin, wir haben die Debatte hier im Parlament erst vor einem Jahr aufgrund Ihrer Anträge aus der CDU-Fraktion begonnen. Aber seit dieser Zeit sind die Abgeordneten
hart an der Sache und haben in vier Ausschüssen Beschlüsse gefasst. Die Ausschüsse haben sich mit unterschiedlichen Aspekten beschäftigt, weil sie eben unterschiedlich angelegt sind, im Rechtsausschuss etwa mit dem Recht der Kinder, oder wir im Umweltausschuss mehr mit dem Lärm. Daran wird auch ersichtlich, dass dieses Thema kein Randthema ist, sondern viele Aspekte berührt.
Der überwiegenden Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt ist das Leben mit Kindern nicht fremd, sondern eine Selbstverständlichkeit und daher ist ihr auch der Umgang mit Geräuschen, die Kinder verursachen, eher kein Problem. Heute wollen wir mit diesen Beschlüssen klar und deutlich zum Ausdruck bringen, dass diese Stadtgesellschaft bewusst für ein Klima der gesunden Entwicklung von Kindern in der Stadt steht.
Dazu braucht es Toleranz und Akzeptanz gegenüber Verhaltensformen, die Menschen im späteren Leben verloren haben, was nicht immer von Vorteil ist. Der bekannte Ruf „Kinder an die Macht“ verdeutlicht dies sinnbildlich.
Der Anregung der CDU-Fraktion in ihrem ersten Antrag, den Kinderlärm in Einrichtungen im Landes-Immissionsschutzgesetz den Ausnahmen wie Maschinen von landwirtschaftlichen Betrieben und dem Läuten von Kirchenglocken gleichzusetzen, konnte die Koalition nicht folgen. Folgerichtig war also der eigene Gesetzesänderungsantrag der Koalition im September letzten Jahres, denn nun wird das Thema grundsätzlich betrachtet. In diesem Gesetzesänderungsantrag erklären wir deutlich, dass Kinderlärm – juristisch ausgedrückt: störende Geräusche, die von Kindern ausgehen – in einer Stadt wie Berlin als Ausdruck selbstverständlicher kindlicher Entfaltung und der Erhaltung kindgerechter Entwicklungsmöglichkeiten grundsätzlich sozialadäquat und damit zumutbar ist, genauso wie auf dem Dorf das Krähen eines Hahnes am frühen Morgen.
Toleranz, Akzeptanz und auch Respekt sollen keine Einbahnstraße sein. Unterstützende Maßnahmen gibt es bereits. Wir müssen sie nur nutzen, beispielsweise bauliche Lösungen bei Bolz- und Spielplätzen. Längst gibt es dort schalldämpfende Maßnahmen. Hier ist besonders bei Nutzungsänderungen der vorhandene rechtliche Rahmen voll auszuschöpfen. Selbstverständlich müssen Kinder auch durch Vorbildwirkung zu Rücksichtnahme auf Mitmenschen hingeführt werden.