Protocol of the Session on May 14, 2009

Zurück zu Ihrer mangelhaften Vorbereitung der Reform! Ich zeige Ihnen mal, wie andere das machen: Das ist der Bericht der Hamburgischen Bürgerschaft, der Enquetebericht zur Strukturreform in Hamburg, 109 Seiten stark. Rot-Rot hat es bisher nur geschafft, neun Seiten Lyrik vorzulegen. So macht es Hamburg – Berlins Vorlage habe ich Ihnen nicht mitgebracht, neun dünne Seiten, in denen nichts steht. Das ist der Unterschied zwischen seriöser Bildungspolitik einer durch die CDU getragenen Bürgerschaft in Hamburg und Ihrer Bildungspolitik, an linken Träumereien ausgerichtet, die letztlich an den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer und Eltern in Berlin vorbeigeht.

[Beifall bei der CDU]

Wir fordern Sie heute ultimativ auf: Beenden Sie die gefährliche Verunsicherung in der Stadt! Legen Sie bis zum 15. Juni eine beratungsfähige Vorlage vor, und erkennen Sie endlich, dass es nicht Ihre Aufgabe als Regierungskoalition und als Senat ist, einem offenen Diskurs in der Stadt zu lauschen, sondern im Parlament etwas vorzulegen, eine Schulgesetzänderung einzubringen und hier zu beraten, damit wir endlich zu Ergebnissen und zu einer Sicherheit in der Stadt kommen!

Zu diesem Konzept müssen gehören ein schüleradäquater Zugang ans Gymnasium, ein Bildungsangebot, das den Fähigkeiten und Neigungen der Schüler gerecht wird, ohne zu diskriminieren, ausreichende Mittel, und zwar nicht nur mit der Gießkanne über alle Schulen verteilt, sondern auch konkrete zusätzliche Ausstattung für das produktive Lernen oder Ihr duales Lernen. Beispielsweise gehört dazu auch eine Antwort darauf, wie Sie Integration von Kindern mit Förderbedarf konkret durchführen wollen. Dazu gehören Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern und ein Erhalt guter pädagogischer Konzepte – und noch viele weitere Punkte. Hamburg hat es vorgemacht, alles Fragen, die Sie nicht beantworten können.

So geht es nicht weiter mit der Strukturreform in Berlin. Werden Sie endlich Ihrer Verantwortung gerecht, und legen Sie schnell ein beratungsfähiges Konzept vor! Es ist höchste Zeit!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Steuer! – Für die SPDFraktion hat jetzt Frau Dr. Tesch das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Steuer! Ich kann nicht verhehlen, dass ich es mit Amüsement

aufgenommen habe, dass die CDU-Fraktion ausgerechnet vorgestern diesen Antrag zur Priorität erklärt hat, an dem Tag, als der Senat die Finanzplanung der Schulstrukturreform verabschiedet hat. Es stünde auch einer Oppositionsfraktion gut an, dieses zu würdigen. Außerdem ist dieser Senatsbeschluss nicht vom Himmel gefallen, sondern steht nach einer langen Diskussion im Parlament und in der Stadt.

Parallel hat sich die Koalition nach langen Debatten auf einen ausgewogenen Antrag verständigt, der den Senat auffordert, anhand der Mitteilung – zur Kenntnisnahme – die Berliner Schulstruktur weiterzuentwickeln. Darin haben wir wichtige Eckpunkte definiert. Diesen Antrag werden wir schnellstmöglich ins Plenum einbringen. Von einer massiven Verunsicherung kann also nicht die Rede sein.

[Zuruf von der CDU: Natürlich!]

Außerdem: Wessen Verunsicherung eigentlich? Sind Sie verunsichert? Sie waren doch bei der Anhörung dabei und kennen unsere Position. Auch die beteiligten Personen – Lehrende, Eltern und Lernende – haben wir stets in den Prozess einbezogen. Es gab zahlreiche Veranstaltungen in den unterschiedlichsten Gremien dazu, denn es ist unser Credo, die Betroffenen mitzunehmen und deren Akzeptanz zu erreichen.

Wir wollen die Berliner Schulstruktur verändern, um drei Hauptziele zu erreichen. Erstens: Wir wollen die Abbrecherquote der Berliner Schülerinnen und Schüler deutlich verringern, zweitens: Wir wollen die Abiturientenquote deutlich erhöhen, und drittens: Wir wollen die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft deutlich verringern.

Diese Ziel wollen wir mit einem Schulsystem erreichen, das deutlich weniger selektiv als das bisherige ist. Wir wollen hin zu einem längeren gemeinsamen Lernen, wie die SPD es in zahlreichen Landesparteitagsbeschlüssen immer wieder bekräftigt hat und wie es zahlreiche Bildungsexperten immer wieder propagieren. Wir setzen auf die individuelle Förderung aller Kinder und Jugendlichen und nicht auf die Aussortierung nach vermeintlich homogener Leistungsfähigkeit. Diese Weiterentwicklung der Berliner Schulstruktur durch die Errichtung einer integrierten Sekundarschule, die wie das Gymnasium alle Schulabschlüsse vergibt, ist ein wichtiger Schritt hin zu einem ungegliederten, nicht auslesenden Schulsystem.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Diese Ziele, liebe CDU-Fraktion, teilen Sie offensichtlich nicht. Denn fast alles, was Sie in Ihrem Antrag, den Sie auch noch sofort abgestimmt haben wollen, fordern, richtet sich gegen diese Ziele. So wollen Sie das Angebot verschiedener Bildungswege aufrechterhalten, Herr Steuer. Wir wollen hingegen die Abschaffung der herkömmlichen Bildungsgänge hin zu einem durchlässigen Schulsystem. Sie wollen den Erhalt des dreigliedrigen Schulsystems, sogar der Hauptschulen.

[Sascha Steuer (CDU): Nein! Steht da nicht drin!]

Das kann ich Ihnen gern vorlesen! – Sie wollen den Ausbau der grundständigen Gymnasien. Wir wollen deren Abbau. Es gibt allerdings – da stimme ich Ihnen zu, Herr Steuer – einige wenige Punkte, in denen wir uns einig sind. Auch wir wollen den Ausbau des Produktiven Lernens und richten daher das Praxislernen in allen integrierten Sekundarschulen ein. Dabei haben wir übrigens die volle Unterstützung von IHK, Handwerkskammer und Unternehmensverbänden. Auch wir wollen ein umfassendes Qualifizierungsprogramm für die Lehrenden, was auch vorgesehen ist, und wir wollen, wie Sie, eine angemessene Lehrerausstattung wie sie in der jetzigen Senatsvorlage vorgesehen ist. Darin steht im Übrigen nichts von Gießkannenprinzip, sondern es ist ausgewogen und mit Faktoren berechnet für Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache und auch für sozial benachteiligte Kinder aus deutschen Elternhäusern. Es wird genau ausgerechnet werden, wie die Zumessungsgrundlage ist. Weiterhin begrüßen wir auch, dass nun alle Lehrenden an den Berliner Sekundarschulen einheitlich 26 Wochenstunden unterrichten werden.

Lange diskutiert wurde die Frage der Zulassung. Gestern Abend fand eine Fachtagung mit wissenschaftlichen Experten statt, die folgende Tendenzen aufwies. Erstens: Die Tatsache, dass die räumliche Nähe – sprich: der BVGPlan – eine Rolle spielt, ist, glaube ich, gänzlich vom Tisch. Wichtig ist uns – zweitens – weiterhin das Schulprofil – wenn das auch nicht alle Auswärtigen verstanden haben – und unabdingbar die Sprachenfolge. Ansonsten gab es unterschiedliche Meinungen, und es war auch nicht zu erwarten, dass hier ein einheitliches Votum erfolgen würde. Die Mehrheit sprach sich – drittens – gegen ein Probehalbjahr aus, wobei einige dieses vollkommen abschaffen, andere aber höchstens ein ganzes Probejahr haben wollten. Ich fühle mich bestätigt und plädiere daher weiterhin für die Abschaffung des Probehalbjahres, das den Schülerinnen und Schülern nur unzulässigen Stress bereitet.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Gut fand ich, dass die Leistungen der Berliner Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer durchweg gelobt wurden, zumal die Bildungsgangempfehlung bei uns erst nach der sechsten Klasse erfolgt.

Entschuldigung, Frau Dr. Tesch! Darf ich Sie darauf hinweisen, dass Ihre Redezeit beendet ist!

Ich will nur kurz sagen: Es gibt hier eine Grauzone, die im mittleren Bereich liegt. Deshalb spreche ich mich für die Abschaffung der Grundschulempfehlung in ihrer bisherigen Form und an ihrer Stelle verbindliche Gesprä

Gespräche der Grundschullehrer mit den Eltern aus.

Insgesamt ist aber Ihr Antrag, liebe CDU, nicht zielfördernd für eine integrative, nicht auslesende Schule. Ich bitte Sie daher: Seien Sie vernünftig, und stimmen Sie diesem Antrag nicht zu! – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Dr. Tesch! – Für die Fraktion der Grünen hat jetzt der Herr Abgeordnete Mutlu das Wort. – Bitte!

[Carola Bluhm (Linksfraktion): Nicht wieder sagen: Wir Grünen sind die Besten!]

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Steuer! Bei allem, was ich Ihnen in Bezug auf diese Debatte auch recht gebe, sage ich dennoch: Die Eckpunkte, die am Dienstag beschlossen worden sind, sind gut für die zukünftige Berliner Schulstruktur. Ich begrüße diese. Vor allem begrüße ich, dass der Senat tatsächlich auch bereit ist, Geld in die Hand zu nehmen, damit die neue Berliner Schulstruktur erfolgreich ist.

Ich finde, es sind eine Menge positive Dinge dabei. Ich finde es auch sehr zu begrüßen, dass sich der Herr Senator in mehrmaligen Sitzungen gegenüber seinem Koalitionspartner durchgesetzt hat. Denn wir wussten zumindest aus internen Gesprächen, dass der Koalitionspartner über diese neue Struktur gar nicht sehr amüsiert ist und diese gern verhindert hätte. Dem ist der Herr Senator nicht gefolgt. Darüber bin ich froh, weil ich der Meinung bin, dass diese neue Berliner Schulstruktur in der Tat mehr Chancengerechtigkeit schafft, vor allem auch denjenigen mehr Chancen gibt, die in dem bestehenden Schulsystem regelmäßig zu den Verliererinnen und Verlierern gehören.

Ich finde es auch gut, dass in der neuen Schulstruktur für die Sekundarschule eine Obergrenze der Klassenfrequenz von 25 Schülerinnen und Schülern festgesetzt ist, die auch erfolgversprechender ist als das, was wir jetzt haben. Gleichzeitig – wir hatten es in der Fragestunde – kann ich nicht nachvollziehen, dass das, was für die Sekundarschule gut ist, nicht auch für die Grundschule gut sein soll. Warum müssen in der Grundschule nach den Zumessungsrichtlinien für das neue Schuljahr bis zu 28 Schülerinnen und Schüler in einer Klasse zusammengefercht werden? Diese Frage muss der Senator auch beantworten.

Dasselbe gilt – auch diese Antwort hat er nicht in der Fragestunde gegeben – für die Unterrichtsverpflichtung für die Lehrkräfte. Es ist zu begrüßen, dass in der Sekundarschule die Lehrerinnen und Lehrer 26 Unterrichtsstunden geben müssen und dafür auch mehr Zeit für die Schüler haben. Dasselbe fordern wir auch für die Grundschule. Das ist wichtig. Es ist wichtig, dass für die Sekundarschu

le nahezu doppelt so viel Mittel für die Sprachförderung bereitgestellt werden, aber dasselbe fordere ich auch für die Grundschulen. Dass dem nicht so ist, sagt mir, dass das Konzept, so gut es auch ist, kein ganzheitliches Konzept ist.

Sie haben völlig recht, Herr Steuer, es reicht nicht, dass ich in der Sekundarstufe I diese notwendigen Veränderungen mache, sondern ich muss diese notwendigen Veränderungen schon in der ersten Klasse beginnen. Dass dies nicht geschieht, ist dieser Koalition vorzuwerfen.

[Beifall bei den Grünen]

Ich finde es auch zu begrüßen, dass die Sekundarschule generell als Ganztagsschule eingerichtet wird und dass es pro Bezirk mindestens ein Gymnasium geben soll, das Ganztagsbetreuung bietet

[Beifall von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

und hoffentlich in Zukunft noch mehr. Aber kann mir bitte einer in diesem Raum erklären, warum in der fünften und sechsten Klasse der Grundschule Schülerinnen und Schüler, die Ganztagsbetreuung haben wollen, dieses genehmigen lassen sollen? Warum ist das, was gut in der Sekundarschule ist, nicht auch gut in der fünften, sechsten Klasse? – Wieder die Frage nach einem ganzheitlichen Konzept! Das kritisiere ich auch.

[Beifall bei den Grünen]

Ich kann aber jetzt zum Antrag einiges sagen. Ich freue mich im Übrigen, dass sich die CDU in der Zwischenzeit zu dem Hamburger Modell bekennt, was ja die Grundlage für diesen Antrag darstellt.

[Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Das ist etwas anderes!]

Ich freue mich darüber, aber dann frage ich: Was soll diese Forderung nach mehr grundständigen Klassen am Gymnasium?

[Beifall von Dr. Felicitas Tesch (SPD) und Frank Zimmermann (SPD)]

Wir wissen doch alle, dass dieses selektive Instrument antiquiert ist, dass es nicht mehr zeitgemäß ist und im Grunde auch nicht mehr in diese neue Schulstruktur hineinpasst. Aber nein, Sie wollen mehr an Gliedrigkeit, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Ansonsten hätte ich diesen Antrag tatsächlich unterstützt.

Und dann steht in der Begründung, dass Sie in der neuen Schule ein Wertesystem nach christlichem Weltbild wollen, dass Unterricht nach christlichem Weltbild oder Wertekanon gelehrt wird.

Herr Steuer! Ich frage Sie, einen jungen Menschen: Wo leben Sie denn?

[Beifall bei den Grünen]

Wir sind im 21. Jahrhundert. Diese Republik ist multikulturell und multireligiös. Sie können doch nicht in einer Stadt, in der in vielen Schulen 80 bis 90 Prozent der Schü

Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Herkunft und Religion sind, sagen: Wir oktroyieren ein christliches Weltbild. – Die Debatte hatten wir doch schon bei „Pro Reli“, und die ist für mich vorbei. Aufgrund dieser beiden nichtannehmbaren Punkte werden wir diesen Antrag ablehnen, obwohl er viele Dinge enthält, die ich unterschreiben könnte.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]