Protocol of the Session on May 8, 2008

[Beifall bei der SPD – Zurufe von den Grünen]

Waren die Franzosen denn auch schlechte Europäer, als sie den Verfassungsentwurf vor ein paar Jahren abgelehnt haben, und zwar genau aus diesen sozialen Erwägungen heraus, die Sie im Bund vertreten?

[Zurufe von den Grünen: Ja! – Dr. Martin Lindner (FDP): Weil die Rechtsradikalen ihn abgelehnt haben, ist er gescheitert! – Unruhe]

Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, den Redner reden zu lassen!

Hier geht es darum, dass man prüft, warum Menschen mit europäischen Verträgen Probleme haben. Die Franzosen und die Niederländer hatten übrigens ihre Bedenken formuliert. Deswegen ist dieser Prozess in andere Bahnen gelenkt worden. Deswegen haben wir keine Verfassung. Dieser Reformvertrag ist keine Verfassung, nur deshalb ist er überhaupt mehrheitsfähig. Sind die Franzosen deshalb schlechte Europäer, weil sie diesen Prozess so beschleunigt haben? Ich kann Ihre Pauschalkritik nicht nachvollziehen.

Gestatten Sie jetzt noch eine Zwischenfrage?

Ich gestatte!

Bitte schön, Herr Kollege Scholz!

Herr Zimmermann! Wenn zwei Mitglieder des Europäischen Parlaments, die der Partei Ihres Koalitionspartners angehören, zwei völlig gegensätzliche Positionen zum Lissabon-Vertrag beziehen, das heißt, die eine das Reformwerk als demokratiefeindlich bezeichnet

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Skandalös!]

und die andere den Vertrag als wichtigen Schritt für mehr Demokratie sieht, da frage ich Sie: Was ist das? Ist das Meinungsvielfalt in einer kunterbunten Partei, auch Koalitionspartner von Ihnen genannt? Ist das Verblendung der Wählerinnen und Wähler dieser Stadt oder ist das ein handfester politischer Skandal?

[Christian Gaebler (SPD): War das eine Zwischenfrage?]

Ich weiß nicht, warum Sie mich das fragen. Das müssen Sie die Linkspartei fragen, die kann das vielleicht beantworten. Ich kann Ihnen dazu nichts sagen. Unsere Mitglieder der sozialistischen Fraktion, Sozialdemokraten im Europäischen Parlament bekennen sich zu dem Vertrag. Auch wir bekennen uns zu dem Vertrag.

[Beifall bei der SPD]

Das ist die Aussage, die für die SPD Gültigkeit hat.

Ein Angebot will ich zum Schluss noch machen: Lassen Sie uns über die Inhalte sprechen und welche Auswirkungen sie auf Berlin haben!

[Özcan Mutlu (Grüne): Warum wollten Sie denn keine Anhörung?]

Eine Anhörung zu einem Antrag von Ihnen hätte sich wirklich nicht gelohnt, weil sich gezeigt hat, dass Sie sich mit den Inhalten nicht auseinandersetzen, sondern nur beschimpfen wollen. – Danke schön für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Eichstädt-Bohlig.

[Unruhe]

Herr Kollege Zimmermann! Über die Inhalte haben wir sehr ausführlich in der Rede gehört. Da haben Sie unsere Stellungnahmen gehört. Heute geht es um die Frage: Wird Rot-Rot gemeinsam diesem EU-Reformvertrag und der bundesgesetzlichen Grundlage am 23. Mai im Bundesrat zustimmen, ja oder nein? Das wollen wir heute hören. Darum geht es und nichts anderes.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Das Wort zur Erwiderung hat der Kollege Zimmermann.

Ich gebe nur eine kurze Erwiderung, da man nicht viel mehr sagen muss, als dass der Senat entscheidet und nicht das Parlament.

[Gelächter und Unruhe bei den Grünen]

Das Parlament kann das nicht vorgeben, und deswegen werden wir Ihren Antrag auch nicht billigen. Wir werden als Fraktion deutlich machen, dass wir hinter den Inhalten des Vertrages stehen. Wie sich der Senat im Bundesrat verhält, wird der Senat entscheiden.

[Özcan Mutlu (Grüne): Peinlich! – Beifall bei der SPD]

Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Kollege Dr. Pflüger.

[Anhaltende Unruhe]

Meine Damen und Herren! Würden Sie bitte aufmerksam bleiben!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht doch nicht darum, ob die Linkspartei dieser Meinung ist oder eine andere Meinung hat. Uns als Opposition interessiert, welche Haltung das Land Berlin im Deutschen Bundestag vertritt. Das ist die entscheidende Frage, und um diese Frage können Sie, Herr Regierender Bürgermeister, nicht herum.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Sie wollen am Wochenende nach Warschau fahren. Das begrüßen wir und wünschen Ihnen viel Glück und Erfolg für die Reise. Die „dpa“ titelt heute:

Wowereit will in Warschau für die EU eintreten.

Das finde ich sehr gut, aber, Herr Wowereit, treten Sie doch bitte endlich erst einmal in Ihrer Koalition für die Europäische Union ein – die hat es bitter nötig!

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Am 23. Mai wird im Deutschen Bundesrat darüber abgestimmt, wie sich die Bundesländer zu diesem Verfassungsvertrag, dem größten Vertragswerk der EU seit den Römischen Verträgen, verhalten. Es ist schlechterdings nicht vorstellbar, dass das Land Berlin sich der Stimme enthält. – Herr Zimmermann! Da nützt es gar nichts, wenn Sie erklären, wie die Sozialisten im Europäischen Parlament abstimmen.

Die Frage ist, ob Berlin, das so viel mit Europa verbindet, das Europa so viel zu verdanken hat – vor der Teilung und nach der Teilung –, das Geld aus Europa bekommt – jeder Bezirk bekommt Geld aus Europa, 1,2 Milliarden € in den letzten sechs Jahren, 1,2 Milliarden € in den nächsten sechs Jahren –, ob dieses Berlin wirklich beiseite steht und sagt: Diese Arbeit sollen andere machen. – Nein! Dieses Europa ist unsere Sache. Wir Berliner müssen die Vorreiter von Europa und europäischen Reformen sein und nicht hintan stehen.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Deshalb ist unsere Forderung an Sie, Herr Regierender Bürgermeister: Machen Sie von der Verfassung Gebrauch – dort gibt es eine Richtlinienkompetenz des Regierenden Bürgermeisters bei Streitfragen –, und sagen Sie ganz eindeutig und klar, wie alle anderen Ihrer Ministerpräsidentenkollegen, Ja zu diesem Reformwerk der Europäischen Union.

Es ist doch so – und das hat die Kollegin Eichstädt-Bohlig sehr gut herausgearbeitet –: Es gibt niemanden von uns, der nicht an der einen oder anderen Stelle andere Schwerpunkte gesetzt hätte, wenn er der Verfasser gewesen wäre. Aber das, was diesen Vertrag gerade auszeichnet, daran haben wir im Deutschen Bundestag mitgearbeitet. Alle Fraktionen haben miteinander dafür geworben, dass das kein Regierungswerk wird, das abgehoben in Hinterzimmern entsteht.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): War es aber!]

Wir im Europaausschuss, dem ich damals vorgestanden habe, haben darauf Wert gelegt, dass es ein breites Diskussionsverhältnis mit zivilgesellschaftlichen Organisationen gibt, dass die Parlamente beteiligt werden. Wir hatten einen Verfassungskonvent. Das heißt, hieran haben Tausende von Menschen aus den verschiedensten Ländern in Ost und West und Nord und Süd mitgearbeitet.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Da kann man doch nicht – weil einem das eine oder das andere nicht hundertprozentig gefällt – sagen: Da machen wir nicht mit. Da sind wir anderer Meinung. – Nein! Es ist völlig richtig, was gesagt worden ist: Dieser Vertrag ist ein Fortschritt, der offen ist für weitere Fortschritte, die auch notwendig sind, aber das ist besser als das, was wir bisher hatten. Sich dagegenzustellen heißt, gemeinsame Sache mit Rechtsradikalen zu machen wie Le Pen und anderen Organisationen, die an erster Stelle dieses Reformwerk im Europäischen Parlament ablehnen werden. Dazu sollte sich das Land Berlin zu schade sein, Herr Regierender Bürgermeister!

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Entschuldigung, Herr Dr. Pflüger! – Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gaebler?

Ja! Die gestatte ich gern. – Herr Gaebler, bitte!

Vielen Dank! – Herr Dr. Pflüger! Sie haben die Richtlinienkompetenz angesprochen und dass offensichtlich die Verfassung die einzige Maxime ist. Wenn Herr Wulff in Niedersachsen meint, er wolle etwas durchsetzten, und der Koalitionspartner will etwas anderes, würden Sie dann auch empfehlen, dass er in jedem Fall seine Meinung durchsetzten sollte, koste es, was es wolle, nur auf die Verfassung schaut und nicht auf die Koalitionsvereinbarung?