Herr Kollege! Es gibt Koalitionsverträge, die völlig zu Recht so gehalten sind, dass man sich in dem Moment, in dem die eine Fraktion Ja und die andere Nein sagt, enthält.
In grundsätzlichen Fragen kann man durchaus der Auffassung sein, dass dies der richtige Weg ist. Hier geht es um etwas ganz anderes. Hier geht es um ein wesentliches Symbol. Hier geht es um das Selbstverständnis unserer Stadt. Hier geht es um die Frage: Ist man pro-europäisch, oder macht man gemeinsame Sache mit Nationaldemokraten und anderen rechtsradikalen Organisationen? Hier geht es um ein Grundsatzthema, und das weiß der Regierende Bürgermeister ganz genau. Er eiert doch seit dem Februar herum, als mein Kollege Scholz ihn das erste Mal gefragt hat. Hier geht es um eine grundsätzliche Positionierung Berlins und nicht um ein schnödes Thema, das man irgendwann durch Kompromisse beseitigen oder ausklammern kann. Hier sind wir Berlinerinnen und Berliner gefragt, und hier erwarten wir eine klare Antwort, Herr Regierender Bürgermeister, am 23. Mai.
Wir haben vorhin so viel über Nationalismus geredet. In der Tat ist der Nationalismus die schreckliche Geißel der letzten zwei Jahrhunderte. Dieser Glaube, man könne über den anderen hinweg sagen: Meine Nation ist die allerwichtigste! –, den anderen kleinmachen, weil er einer anderen angehört. Da kommt französische Staatstheoretiker Charles de Montesquieu und sagt etwas ganz Entscheidendes für unser Europaverständnis:
Wüsste ich etwas, das zwar meiner Nation nützlich sein könnte, aber schädlich für Europa und die Menschheit, so würde ich es als Verbrechen ansehen.
Das ist doch der Geist Europas. Es geht doch nicht um Einzelheiten, die man kritisieren kann, sondern es geht darum, ob wir diese ungeheure Anstrengung nach dem Schrecken der Kriege des Nationalismus in Europa, die jetzt auf die mittel- und osteuropäischen Staaten erweitert worden ist, abbremsen, ob wir uns davon abwenden oder ob wir sagen: Im Grundsatz sind wir auf der Seite dieses
europäischen Prozesses – und dem können Sie sich doch nicht in einer solchen entscheidenden Frage entziehen.
Sie nennen die Sozialstaatlichkeit, es müsse mehr Sozialpolitik hinein. Das sieht die ganze Welt anders. Die Welt sagt: Es gibt einen marktwirtschaftlichen, neoliberalen Kapitalismus, der sich ausbreitet. Und die ganze Welt sagt: Das Gegenstück dazu ist Europa, weil es in Europa nach Völkerrecht geht, weil es in Europa Rahmenbedingungen ökologischer und sozialer Art gibt. Ein sehr großartiger Politikwissenschaftler aus Amerika, Benjamin Barber, hat das so gesagt: In dieser Welt geht es um McWorld gegen Dschihad. – Wir Europäer versuchen jenseits von uneingeschränktem Kapitalismus und anderen Formen von Ausbeutung, die es auch auf der Welt gibt, einen Weg zu finden, der gerade soziale und ökologische Rahmenbedingungen festlegt. Das ist eine große zivilisatorische Leistung Europas, und das würde ich nicht kleinreden. Das Sozialstaatliche ist ein entscheidender Punkt auch dieses Verfassungsvertrages, jedenfalls so weit, dass man gut darauf aufbauen kann.
Frau Kaufmann ist bereits zitiert worden. Sie sagte im „Neuen Deutschland“ – vielleicht lesen Sie wenigstens das „Neue Deutschland“ – vom 12. April,
Ja! Ab und zu ziehe ich mir einen Artikel da heraus. – es sei eine Farce, mit der Sozialstaatlichkeit zu argumentieren. Das täten die DVU und die anderen Rechtsradikalen auch. Und sie warnt die eigene Partei davor, sich mit einer Ablehnung dieses Vertrages in eine falsche Gesellschaft hineinzubegeben. Sie müssen doch sehen, dass Sie außenpolitisch und europapolitisch auf einem völlig falschen Weg sind. Sie beklagen die Militarisierung Europas. Gleichzeitig umarmen Sie Herrn Chávez, der im Moment ganz Lateinamerika mit Waffen versorgt. Das ist Doppelmoral, die Sie hier an den Tag legen. Das hat doch nichts mit Moral und europäischer Außenpolitik zu tun.
Wir kämpfen in Europa gemeinsam für Menschenrechte, und Ihre Vertreterin im Hamburger Parlament sagt: Na ja, der Dalai-Lama, wir haben immer schon schlechte Erfahrungen mit solchen Religionsführern gemacht. Man schaue sich den Ajatollah Chomeini an. – Das ist Ihr Verständnis von Außen- und Europapolitik. Das zeichnet Sie aus. Herr Wowereit! Sie müssten sich schämen, mit solchen Leuten in einem Boot zu sitzen. Das ist eine Schande für Berlin, mit solchen Leuten in einer Regierung zusammenzuarbeiten.
Wir haben vorhin in der Debatte – Kollege Henkel hat das Seinige völlig zu Recht dazu gesagt – immer wieder darauf hingewiesen, dass es Berührungspunkte zwischen Rechts- und Linksextremen gibt. Das, glaube ich, werden wir wieder bei der Abstimmung im Europäischen Parlament sehen. Ich bin in meinem ganzen politischen Leben von rechts außen, von der „Jungen Freiheit“, von der „Na
tionalzeitung“, von der NPD immer nur massiv kritisiert worden als irgend so ein westlicher Liberaler. Ich bin von denen noch nie gelobt worden. Wissen Sie, wer von denen gelobt wird, und zwar ständig? – Oskar Lafontaine. Da schreibt der NPD-Pressesprecher Klaus Beier am 21. Juni 2007, Überschrift: „Solidarität mit Oskar Lafontaine“. Zitat:
Sie müssen doch einmal darüber nachdenken, ob das die Gesellschaft ist, die Sie wollen: einerseits gegen die Rechtsradikalen zu Felde ziehen und auf der anderen Seite politische Positionen zu beziehen, über die sich die NPD freut. Das passt nicht zusammen, und das gehört nicht zu Berlin. Berlin hat etwas Besseres verdient als eine solche Regierung!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Pflüger! – Für die Linksfraktion hat jetzt der Abgeordnete Dr. Lederer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute vor 63 Jahren fand mit der Befreiung von der faschistischen Barbarei der Zweite Weltkrieg in Europa sein Ende. „Nie wieder!“ lautete der Ruf der Völker Europas angesichts der erlebten und durch die Opfer der Roten Armee und der alliierten Streitkräfte überwundenen globalen Bedrohung von Liberalität, Humanität und Demokratie. Dass es vor allem darum gehen werde, den Frieden zu bewahren, motivierte zu ungeahnten Aufbauanstrengungen und zu vielen Bemühungen, die Beziehungen der europäischen Nationalstaaten auf eine neue Grundlage zu stellen.
Damit markiert der 8. Mai 1945 einen der Ausgangspunkte einer Einigungs- und Integrationspolitik, die die dauerhafte Versöhnung der ehemaligen Kriegsgegner durch die zunächst wirtschaftliche und später auch politische Annäherung zum Ziel hatte. Die römischen Verträge und die Bildung der europäischen Gemeinschaften waren für Mittel- und Westeuropa das zentrale Integrationsprojekt. Nimmt man die vergangenen 50 Jahre, so ist festzuhalten, dass die Geschichte der Europäischen Union eine erfolgreiche Geschichte des friedlichen Zusammenlebens und im Großen und Ganzen der Annäherung ist. Sich auf diese Entwicklung positiv zu beziehen, steht einer Stadt mit der geteilten Geschichte des Kalten Krieges gut an. Das ist Konsens in diesem Hause und ich meine, das noch einmal ausdrücklich betonen und festhalten zu müssen, insbesondere angesichts manch peinlicher Auftritte, die wir hier soeben erlebt haben.
In dieser Konsequenz ist für meine Fraktion die europäische Integration ein positiver Bezugspunkt, lieber Herr Pflüger.
Hören Sie mir erst einmal zu, ich komme schon noch dazu, keine Sorge. Das Festhalten am Status Quo ist gewiss kein linkes Projekt, lieber Herr Esser! Hören Sie zu! – Es muss darum gehen, die politische Integration Europas bei Wahrung der regionalen und politischen Spielräume zu vertiefen und zu gestalten – das ist wahr. Es muss darum gehen, die progressiven Komponenten europäischen Zusammenwachsens zu stärken. Und ich war und bin manchmal dankbar für klare Worte aus Brüssel. Wenn einer deutschen Regierung der Spiegel vorgehalten wird, weil sie sich um Antidiskriminierungsmaßnahmen drücken will, wenn sie sich der Gleichstellung der Geschlechter im Arbeitsleben verweigert und ähnliches, dann bin ich froh über einen zivilisatorischen Standard, der im Rahmen der europäischen Integration erreicht wurde.
Die Trägerpartei einer Bundesregierung, die permanent europäisches Recht nicht umsetzt, hat keinerlei Anlass, sich aufzuspulen und derartige Bekenntnisse von anderen Seiten einzufordern.
Heute wird aber – anders als uns gestern Frau EichstädtBohlig, Herr Lindner und der immerwährend von einem dollen Sieg zum nächsten eilende Herr Pflüger in einer scheinheiligen und ziemlich durchsichtigen Pressemitteilung verkauft haben – nicht über die europäische Integration abgestimmt, und, lieber Herr Pflüger, auch nicht über irgendwelche Geister. Wir sind hier nicht im Esoterikverein, sondern im Parlament. Heute geht es nicht um Bekenntnisse, sondern darum, welche politischen Positionierungen die Fraktionen in diesem Hause zu einer ganz konkreten Vertragsnovelle vertreten,
die nicht von den Völkern Europas, lieber Herr Esser, sondern von den versammelten Regierungen der Mitgliedsstaaten verabredet wurde, und zwar hinter verschlossenen Türen. Das ist die Wahrheit!
Es kann überhaupt nicht darum gehen, alles heilig zu sprechen, was die europäische Integration heute ausmacht. Wäre das so, hätte die CDU sich angesichts der peinlichen Rede von Herrn Trapp zur Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft in der jüngsten Sitzung des Hauses kollektiv die Europafähigkeit abgesprochen.
Die Integration Europas basierte ursprünglich auf der Triebkraft der ökonomischen Kooperation der Mitgliedsstaaten. Seit den 90er Jahren wird diskutiert, dass das nicht genügt. Mit der Fixierung auf die Binnenmarktstrategie von Lissabon 2000 wurde aber die primärökonomische Orientierung des Integrationsprozesses dogmatisch festgeschrieben – darüber reden wir, Herr Pflüger, und nicht über Geister. Nicht erst seitdem erleben wir eine ungeahnte Beschränkung der europäischen Institutionen auf die Durchsetzung des Binnenmarktes und der ökonomischen Grundfreiheiten – mit Unterstützung der nationalstaatlichen Regierungen. Hinter diese Dimension europäischer Politik muss alles zurücktreten: die kommunale Selbstverwaltung und ihre demokratische Komponente, die Sicherung sozialer Standards, das kollektive Arbeitsrecht und in zunehmendem Maße auch die außen- und sicherheitspolitische demokratische Dimension nationalstaatlicher Verfassungen. Wo etwa ist das deutsche Verbot eines Angriffskrieges Bestandteil dieses Vertragswerks geworden? Wo ist das Primat der gewaltfreien Konfliktbewältigung festgeschrieben?
Ich weiß, Frau Eichstädt-Bohlig, Ihnen ist das alles nichts, Afghanistan, Irak, Ex-Jugoslawien, das interessiert Sie alles nicht. Und Sie haben den Sprung in völkerrechtswidrige Kriege längst getan.
Ich bin der Ansicht, dass Europa daraus zu lernen hätte – ich habe Sie ziemlich getroffen, was, Herr Esser? Selbstverständlich darf man festhalten, lieber Herr Esser, dass die Aufrüstungsverpflichtung im Lissaboner Vertrag merkwürdig kontrastiert zu der Friedensgeschichte Europas.
Selbstverständlich darf man festhalten, lieber Herr Esser, dass die europäische Politik der Einschränkung von Bürgerrechten ein Weg in die völlig falsche Richtung ist. Und das tun wir, und diese Feststellungen resultieren aus einer zutiefst pro-europäischen Grundposition.
Bla, bla, bla muss ich mir nicht sagen lassen, Frau Präsidentin, oder? – Es geht um das Stimmverhalten des Landes Berlin im Bundesrat, und da sollten die Interessen der Länder und Kommunen im europäischen Konzert schon ausschlaggebend sein.
Dazu hat Frau Eichstädt-Bohlig überhaupt nichts gesagt, das interessiert sie auch nicht, das bedeutet im Übrigen nämlich auch, dass man sich mal damit befassen muss, Frau Eichstädt-Bohlig.